Sonntag, 2. Juli 2017

Brief 285 vom 28./29.6.1942


Mein liebes Mädel !                                                            28.6.42   

Gestern war nun der Bierabend, den ich schon in meinem gestrigen Schreiben angekündigt hatte. Aus diesem Bierabend ist nun, unter russischen Verhältnissen zwar, ein Gartenfest geworden. Wir hatten das Klavier in den Garten hinausgestellt und einige Tische und Stühle. Das Wetter war ganz ordentlich, so daß man draußen sitzen bleiben konnte. Bis dann das Fass leer war, ist eine ziemliche Zeit vergangen. Es war ganz nett und ich hatte dann gegen Schluss noch eine schöne Überraschung, denn es war Post angekommen. Zwei Briefe von Dir, die ich öffnen konnte und zwar die vom 14. und 15.6., an dem dritten hatte ich Dein Zeichen GB gelesen, da hatte ich schon den Umschlag eingerissen, aber dann gleich aufgehört.  Den hebe ich mir auf bis zum Geburtstag. 8 Päckchen kamen von Dir auch an. Ich habe sogar die Fliegenfänger richtig herausgefunden und die anderen Päckchen konnte ich dann zulassen, denn die mache ich erst zum Geburtstag auf. Von Deinem Vater traf noch ein kleines Päckchen mit Feldpostbriefen ein und einem Brief, der mir wieder gesagt hat, daß ich richtig gehandelt habe. Ich kann einfach das Gefühl nicht los werden, daß zu dieser Heirat ganz systematisch hingearbeitet worden ist. Ich glaube nicht, daß da Dein Vater die Haupttriebfeder ist, sondern ich nehme an, daß dieses Fräulein genau gewußt hat, wie sie das einfädeln muß. Sie hat es ja nun auch geschafft. Ich weiß ja nicht, ob Dir Dein Vater auch von diesem Brief einen Durchschlag gesandt hat. Wenn nicht, dann schadet es auch nichts. Er hat wieder einmal einen Grund, um mitleid zu erwecken. Auch will er mir gegenüber den Beweis führen, daß an allem Erna durch ihre falsche Berichterstattung schuld sei, daß es soweit gekommen ist. Mit oder ohne Bericht von Erna stünden wir ja gleich auf dem Standpunkt, daß der beabsichtigte Schritt Deines Vaters etwas verfrüht sei. Er war ja auch derjenige, der auf unsere Einwendungen aufgebraust ist und Erna ins Unrecht setzen wollte, um damit seinen Schritt zu begründen. Die Abschrift von Ernas Brief hat mich interessiert und erscheint mir, ohne Voreingenommenheit gegen irgendeine Seite, klarer und einleuchtender als alle Schreiberei Deines Vaters. Ich will, damit nun endlich für uns alle wieder Ruhe eintritt, einen klaren Strich ziehen. Er scheint schon gewiss  zu sein, denn Dein Vater schreibt, wenn wir unsere Drohung aus unseren ersten Briefen wahrmachen würden, dann könnte er nichts daran ändern und seinen Weg mit seiner zukünftigen Frau allein gehen. Ich werde jetzt abwarten, was er auf meinen letzten Brief antworten wird.  Aber nun zu Deinen Briefen, für die ich Dir wieder recht sehr danke. Ich habe heute Sonntagsdienst. Da habe ich, wie Du aus dem beigefügten Durchschlag siehst, an die Kinder geschrieben.  Daß  ab und zu einmal einige Briefe ziemlich verspätet ankommen, das ist bei den Transportverhältnissen hier nicht zu verwundern. Aber wenn sie überhaupt noch ankommen, dann wollen wir froh sein. Weil Du wieder an unseren Magenfahrplan von Pfingsten erinnerst, da kann ich von heute berichten, daß wir auch heute wieder etwas ganz besonders Gutes bekommen haben. Es gab als Nachspeise Grießpudding und ordentlich Erdbeeren dazu.  Das ist doch etwas Gutes.
Vorher gab es eine ordentliche Nudelsuppe mit Eieinlage, als Hauptgang Nudeln mit Fleisch und Soße und Gurkensalat. Schlecht leben wir hier nicht, das können wir nicht sagen. Darum habe ich auch heute noch ein Päckchen Brot fertig machen können. Es trägt die Nummer 10. Hoffentlich wird es unterwegs nicht schlecht, denn das wäre schade. Daß es Euch bei dem Bannsportfest gefallen hat, freut mich. Wie ich aus der Zeitung gesehen habe, ist ja der Völlinger, der Bannführer, immer noch zuhause. Das ist auch einer von den Kriegern, die so nötig in der Heimat gebraucht werden.  Wenn er einmal eine Weile Soldat spielen müßte, könnte ihm das nichts schaden. Er war doch sonst auch  immer vorne dran. Diese Brüder sagen dann immer, ja, wenn wir nur gehen dürfen, und wenn es dann soweit ist, dann sehen sie zu, wie sie es wieder drehen können, damit sie unentbehrlich sind. Das andere aus Deinen Briefen werde ich Dir morgen beantworten. Sei recht herzlich gegrüßt und vielmals geküßt von Deinem Ernst.

 Meine liebe Annie !                                                      29.6.42   
 
Zum Wochenanfang scheint wieder die Sonne, gestern, am Sonntag, hat es fast den ganzen Tag geregnet. Ich hatte zwar Dienst, aber für die anderen Kameraden, die nun einmal ihren halben Tag in der Woche frei hatten, ist es ärgerlich gewesen.  Heute erhielt ich Deinen lieben Brief vom 17., über den ich mich wieder sehr gefreut habe. Die Zahnpasta und die Zigaretten trafen auch ein. Für alles vielen Dank. Nun aber zu Deinen Briefen. Ich kann verstehen, wenn Du manchmal abends müde bist und wenn Dir dann beim Schreiben die Augen zufallen. Ich weiß nur zu gut, daß es immer allerhand zu tun gibt, wenn man alles in Ordnung halten will. Ich bitte Dich immer wieder, nimm Dir nicht zuviel vor und gib Obacht auf Deine Gesundheit, damit Du mir eines Tages nicht einmal zusammenklappst. Mit Jörg hast Du noch deine Arbeit, wenn Du ihm beim Zusammenbau seiner Modellierbogen helfen mußt. Was Du mir wieder von den Kindern berichtest, entspricht ja wieder ganz dem, was ich von ihnen gewohnt bin. Daß unser Junge weniger aus einer Rüge was macht wie Helga ist ganz gut. Ein dickes Fell ist im Leben manchmal ganz von Nutzen, daß unsere Helga das nicht so kann, tut mir für sie besonders leid, so muß man doch darauf sehen, daß das nicht zur Gleichgültigkeit ausartet, denn sonst leidet er schade. Ich denke aber, daß er schon richtig mitmacht, wenn man seinen Ehrgeiz etwas anspornt. Seine Auffassung von der Religion ist ja wenig fromm und zeugt davon, daß er sehr wenig Respekt hat. DAß er sich unter den anderen Jungen mit seinen Taten in der Schule hervortut, ist ja richtig jungenhaft und ich finde, daß man das ihnen lassen sollte, weil dies so gewissermaßen zum Jungens  ?  gehört, in der Schule etwas ausgefressen zu haben. Ich weiß von mir, daß ich in der Schule auch einmal gegessen habe. Da glaubte ich, daß ich mir das erlauben dürfte, weil der Zeichenlehrer, der Grahl, bei uns in der Wohnung wohnte und mich dafür nicht so gut strafen konnte. Einige Stunden vorher hat er einen beim Essen erwischt gehabt, dem hat er eine Backpfeife gegeben, daß es nur so geknallt hat. Doch gerade darum glaubte ich ihn herausfordern zu können. Ich habe mich auch nicht sonderlich dabei versteckt. Als er das sah, hat er mir in aller Ruhe gesagt, „Ernst, das geht nicht, daß Du in der Stunde ißt“. Damit hatte ich die Kraftprobe bestanden, denn mehr wollte ich nicht erreichen. Daß Helga sich so aus allem herausbringen läßt, wenn es an das schnelle Rechnen geht, dann ist das rein eine Nervensache. Was Jörg an Ruhe zuviel hat, das fehlt ihr. Man sollte versuchen, daß sie einmal irgendwo hin kam, damit sie sich in dieser Beziehung etwas kräftigen könnte. Wenn die Lehrerin so komische Ansichten hat und ihre Handlungsweise anläßlich des Muttertages meint  kritisieren zu können, so kann man sich nur sagen, daß sich über Geschmack streiten läßt, Ich bin schon immer der Ansicht gewesen, daß wir nicht das machen müssen, was die anderen alle machen und das kann sich Helga auch merken. Dann braucht sie sich keine Gedanken darüber machen, wenn sie die Lehrerin hat beim Lesen aufhören lassen. Sie soll es weiter so machen und sich nicht durch fremde Einflüsse verderben lassen.  Daß etwas Fremdes das eigene beirren und beeinflussen kann und daß das befruchtend auf das Eigene einwirken kann, das kann ich gutheißen, doch soll man sich selbst dabei nicht vergessen und seine Eigenart nicht aufgeben.  Bei der Gartenarbeit muß Du unsere beiden Stromer schon etwas mit antreten lassen, denn sie wollen ja auch mit essen. Man braucht ihnen nicht die ganze freie Zeit wegnehmen, aber helfen müssen sie von Fall zu Fall, das läßt sich nicht ändern. Wenn Ihr alle zusammenschafft, geht es ja auch viel besser. Daß die Kinder nicht so große Arbeiter sind und daß man von ihnen nicht soviel verlangen kann wie von einem Erwachsenen, ist mir auch erklärlich  Ja, die einzelnen Punkte, die wir immer früher so aufgesucht hatten, kann ich mir bei etwas Mühe gut in Erinnerung bringen. Daß ich es richtig getroffen habe mit meiner Erinnerung des Ausblicks vom Fürstenberg, hat mich gefreut. Wenn Du mir wieder einmal etwas schreibst, dann weißt Du doch, daß ich das nochmals miterlebe.  Wegen meiner weiteren Schritte, die ich in der Ahnenforschung getan habe, hatte ich Dich ja schon unterrichtet. Ich denke, daß wieder etwas unterwegs sein wird. Was ich dann erreiche, teile ich Dir dann wieder mit bezw. wenn ich die Urkunden nicht mehr brauche, schicke ich Dir diese zu. In Deinem letzten Brief fand ich vieles wieder bestätigt, was ich in meinem Brief an Deinen Vater geschrieben habe.  Darum bin ich froh, daß ich einmal ausführlich das geschrieben habe, was wir von der ganzen Sache denken. Wenn er meint, er kann die Beziehungen zu uns nicht aufrechterhalten, dann geht ja alles klar. Das ewige Hin- und Hergeziehe hat keinen Zweck und ist nicht gut für Dich. Daß wir uns in dieser Beziehung auch wieder einige sind, ist mir ein Zeichen dafür, daß wir uns, trotzdem wir nun schon über zwei Jahre nicht so zusammensein können wie früher und dadurch der feste Kontakt fehlt, der früher bestand, immer noch auf der gleichen Linie bewegen. Ich hoffe, daß Du Dich nicht mehr lang mit der ganzen Sache aufregen mußt, denn Ruhe tut auch Dir nötig.  Wie ich Dir kürzlich schon mitteilte, habe ich von Wittenburg noch keine Antwort. Ich glaube, daß ich bald annehmen muß, daß sie sich nicht mehr dort befinden und vielleicht auch nach Rußland unterwegs sind. Ich kann mir nicht denken, daß er mir nicht schreiben will. Zwar auf ein Schreiben an die Zahlmeisterei bekam ich Antwort. Ich werde ja sehen, was da vorgelegen hat.  Wie Du in Deinem Brief andeutest, hat Kurt nun auch ein Mädchen. Das war mir nun das neueste. Man sieht doch daraus wieder, wie wenig man sich eigentlich kennt. Er hat doch darüber bisher noch nicht weiter gesprochen. Daß er mit seinem Standpunkt recht hat, das muß ich ihm voll und ganz zubilligen. Daß wir uns nicht in seine Sachen hineinmischen, das ist mir ganz klar. Ich möchte ihm nur eine Frau wünschen, die seine Gutmütigkeit nicht ausnützt, die ihn aber versteht und die ihm richtige Kameradin sein kann. Wenn er aber nichts weiter  davon spricht, so ist es richtig, wenn man ihn auch nicht danach fragt. Ich wünschte ihm, daß er nochmals 14 Tage Urlaub bekommen würde, denn das ist doch nicht richtig, wenn sonst mehr Urlaub allgemein gewertet wird und er soll sich mit der Hälfte zufrieden geben. Hat er eigentlich einmal erzählt, wo er gelegen ist, oder hat er das auch für sich behalten.  Im Lauf dieser Woche werde ich für Jörgs Geburtstag 20,RM abschicken. Daß ich ihm nichts kaufen kann, tut mir leid.  Wenn Du ihm aber dort irgendeine Kleinigkeit kaufen kannst, dann mache das für mich. Den Rest kannst Du ihm dann ins Sparbuch legen.  Wenn Dich die Stiefel in den Kniekehlen drücken, dann könnte man vielleicht versuchen, daß man sie etwas weiten läßt.  Ich weiß zwar nicht, ob das möglich ist, aber erkundigen kann man sich ja schließlich einmal. Ich denke, daß sie dann ganz gut zu Deinem Pelzmantel passen würden. Das wirst Du ja dann sehen.  Bei der Kirschpfanne wäre ich gern dabei gewesen. Doch ich kann nicht klagen, denn wir haben hier außer Essen. Vielleicht sogar mehr wie Ihr daheim. Sieh nur zu, was Du bekommen kannst, das nimm nur. Eigenartig ist es ja, wenn man liest, daß es Kirschen sogar auf Karten gibt.  Dir und den Kindern sende ich recht viele herzliche Grüße und ebenso viele Küsse. Dein immer wieder an Dich denkender Ernst.

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