Dienstag, 25. Juli 2017

Brief 294 vom 19./22.7.1942


Mein liebes Mädel !                                                           19.7.42    
Gestern zu schreiben  war mir nicht möglich, denn wir sind den ganzen Tag gefahren. Als wir bei Einbruch der Dämmerung ins Quartier kamen, da war ich wie die anderen Kameraden auch alle, sehr müde. Heute früh sind wir wieder zeitig aufgebrochen, hatten aber verschiedentlich Maschinenschaden mit unseren alten Wagen, so daß wir heute mit unserer Karawane nur etwas über 50 km weitergerückt sind. Wir sind an einem Ort, in dem fast europäischen Verhältnisse sind. Es nennt sich Hotel, in dem wir zu 2 Kameraden in einem Zimmer untergebracht sind. Es gibt sogar fließendes Wasser. Wir sind ganz überrascht. Der Weg war landschaftlich ganz schön. Das Land ist hügelig, so daß man teilweise einen schönen Blick über die Gegend hatte. Viele Wälder mußten wir durchfahren.  Der Weg war wohl nicht immer einfache, denn die ausgefahrenen Straßen und der viele Sand, andermal der ausgefahrene Lehmboden, das ist kein leichtes Fahren. Unsere Kolonne hat 5 LKW und 5 PKW sowie 6 Krafträder. Bis dann alles beieinander ist, das geht nicht immer so leicht, weil teilweise die Wagen alt sind und das Material verbraucht. Ich habe einen russischen LKW, der einigermaßen in Ordnung ist. Der Fahrer ist ein Ukrainer, der mit den schlechten Wegen verhältnismäßig vertraut ist, doch sogar dem ist es manchmal zuviel. Das Leben unterwegs ist entschieden schöner wie jeden Tag zur gewohnten Zeit an den Schreibtisch zu gehen. Es ist so ein richtiges Landsknechtleben. Wenn man den Krieg auf diese Weise herumbringen könnte, ginge es so einigermaßen. Es kann aber auch sein, daß einem das mit der Zeit langweilig würde.  Wir sehen wenigstens wieder einmal etwas, wenn es auch manchmal abseits der Landstraßen weitergeht. Der Weg von Mirgorod ging jetzt über Albadin nach Sumi. Morgen fahren wir weiter und übermorgen werden wir in Kursk sein.  Mich zum Schreiben eines ordentlichen Briefes zu sammeln, ist mir heute nicht möglich.  Denn diese Fahrerei macht müde und man schreibt nur ohne Gedanken und Überlegung gerade das, was einem so in die Hand kommt.  Sei Du vielmals gegrüßt und geküßt von Deinem immer an Dich denkenden Ernst.

Mein liebes Mädel !                                                           22.7.42     

Nun ist es geschehen. Wir sind gestern Abend gelandet. Der Ort, wo wir sind, spricht sich so ähnlich, nur mit K statt mit G. Stell Dir vor, Du wärst mitten in die Wüste gestellt und solltest Dich einrichten. Wir sind dorthin gekommen, wo wir nicht gern sein wollten. Wir sind in die  Plage geraten, wo die Heuschrecken gehaust haben. Ich hatte mir das so ungefähr vorgestellt, doch jetzt, wo ich vor der Tatsache stehe, bin ich doch erschüttert. Wir liegen auf der Strecke Kursk - Woronesch. Das Nest selbst wird sich wohl nicht auf einer unserer Karten, die wir zuhause haben, verzeichnet sein. Es ist einfach nicht zu beschreiben, wie es hier aussieht. Ich will es aber doch versuchen. Ich hatte doch schon gedacht, als ich nach Mirgorod kam, es ist eine schlechte Gegend, aber das gütige Schicksal läßt mich erst langsam an die trüben Verhältnisse gewöhnen. Die Straßen von Kursk nach hier sind ja so, daß sie jeder Beschreibung spotten. Was wir auf diesen hundert Kilometern durchgeschüttelt worden sind, das ist schon nicht mehr schön. Als wir hier eintrafen, fanden wir hier vor einen Ort, der bei den Operationen von deutschen Fliegern bombardiert worden ist. Die Gebäude , die uns zur Verfügung stehen, sind alle stark beschädigt. Fensterscheiben sind in keinem Haus vorhanden.  Teilweise sind die Rahmen weggerissen. Verputz ist so gut wie nicht mehr vorhanden. Türen gibt es nur noch teilweise. In ein Haus ist eine Bombe gefallen, daß es nur noch aus zwei Hälften besteht. Einige Tote hat es auch dabei gegeben, die sind aber nicht beerdigt worden, sondern die hat man liegen gelassen. Außer den Knochen und den Kleidern ist nicht mehr viel vorhanden. Es ist ekelhaft, aber unter hiesigen Verhältnissen nicht einmal verwunderlich. Aber trotz allem, den Humor haben wir dabei noch nicht verloren. Mädel, nimm er mir bitte nicht übel, aber ich bringe heute trotz allem keinen richtigen Brief zusammen. Ich will, daß Du wenigstens erst einmal weißt, daß wir angekommen sind und damit Du nicht allzu lange ohne Nachricht bist.  Am Morgen, bevor wir wegfuhren, hatte ich noch einen Brief von Dir erhalten und zwar den vom 6.7.42 sowie den von Helga, über den ich mich ebenfalls gefreut hatte wie über Deinen. Wahrscheinlich werde ich in den nächsten Tagen nochmals Post erhalten, wenn noch der Rest unserer Einheit nachgezogen wird. denn die bringen noch einmal welche mit, dann wird es wieder eine Weile dauern, bis das umgeleitet ist. Mein liebes Mädel, sei recht herzlich gegrüßt und vielmals geküßt von Deinem immer an Dich denkenden Ernst.


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