Donnerstag, 13. Juli 2017

Brief 292 vom 13./14.7.1942


Mein liebes Mädel !                                                              13.7.42          
 
Herzlich danke ich Dir wieder für Deine beiden Briefe vom 1. und 2., die ich gestern Abend erhielt. Wie ich lesen konnte, hast Du auch laufend Post. Die Unterschiede in der Beförderungsdauer sind so verschieden. Manche Briefe brauchen so lange und andere gehen ziemlich schnell. Wenn Dir die Geschichte mit dem Radio wieder gefallen hat, dann freut es mich. Es geht mir manchmal so, da drängt es mich geradezu, sowas zu schreiben. Wenn ich es dann geschrieben habe, dann bin ich nicht mehr damit zufrieden, weil ich dann vieles für änderungsbedürftig finde. Es fehlt mir dann immer wieder die Zeit, diese Änderung vorzunehmen. Es bleibt mir dann nichts anderes übrig, als das Schreiben so wegzuschicken.  Wenn es Dir dann trotzdem zusagte, dann bin ich beruhigt. Ich wundere mich nur, wie Du diese Sachen so gut behalten hast.  Daß ich viel an Dich und die Kinder denke, kann ich Dir nur immer wieder damit beweisen, daß ich regelmäßig an Dich schreibe. Daß dies keine Gewohnheit ist, wird Dir auch wohl daran klar sein, daß ich nicht immer dasselbe schreibe, sondern mich bemühe, Dir immer etwas von dem zu übersenden, was etwas Persönliches von mir ist. Denn abgegriffene Sprüche und Phrasen, das war schon von je her nicht mein Fall. Daher mag auch unser gutes Verhältnis zueinander herkommen. Daß mir aber auch die Verbindung zu den Kindern am Herz liegt, und daß sie mir nicht entfremden durch mein eigenes Verschulden, indem ich ihnen nie etwas Persönliches schreiben würde, das ist uns Beiden ebenso klar wie eine Notwendigkeit.  Nichtssagende Dinge einander zu schreiben, das ist zwecklos und entspricht nicht unserer charakterlichen Veranlagung. Das liegt uns nicht, und wenn es notwendig sein sollte, daß wir noch länger nur im brieflichen Verkehr bleiben, dann glaube ich, daß sich da nicht viel ändern wird.  Ja öffentliche Hinrichtunen und besonders solche durch den Strang gibt es bei uns in Deutschland nicht mehr. Ich habe mir dies auch deshalb angesehen. Das macht aber den Leuten, die da zusahen, nicht viel aus, wie ich Dir schon beim ersten Mal geschrieben hatte. Auch derjenige, der sich die Schlinge um den Hals legen muß, geht hier meist mit einer geradezu stoischen Ruhe vor sich. Das macht den Menschen nichts aus, denn davor haben sie keine Angst. Angst haben sie nur vor Schläge. Damit kann man noch etwas erreichen. Das sind andere Menschen wie wir, das liegt in dem Volke drin. In diesem Fall war noch zu berücksichtigen, daß dieser Mann ein halber Asiate war.  Gestern hatte ich ja an Kurt geschrieben. Heute erfahre ich nun, daß er zur Landhilfe eingesetzt ist und daß er meine Adresse wieder verlegt hat. Hoffentlich hat er es in Bezug auf die Verpflegung gut getroffen. In der Landarbeit kennt er sich ja etwas aus, da wird es ihm nicht ganz so schwer fallen.  An alice hatte ich ja in diesen Tagen geschrieben. Da hätte Dein Vater wissen müssen, daß ihr Vater in Leipzig war. Der wäre imstande gewesen und hätte dort den großen Krach vollführt. Ich finde das ein etwas komisches Verhältnis. Wenn es vielleicht von Alices Standpunkt aus richtig ist, so hat sich dieser Mann doch die ganzen Jahre vorher sehr wenig um Deine Mutter gekümmert und nicht danach gefragt, wie sie durchkommt und was ihr Kinder macht. Wenn er dann jetzt kommt und Sprüche klopft, wie hart es Mama in ihrer Jugend gehabt hat, dann kann er damit nicht mehr viel gutmachen. Der Zeitpunkt, wenn Erna ankommt, steht nunmehr fest. Sie hält sich dann nicht so lange auf, wie es erst vorgesehen war. Mit den Beeren hast Du sicher eine gute Hilfe. Ich muß mich nur wundern, wie viel die wenigen Sträucher hergeben. Mit den 15 Pfund Johannisbeeren ist es wohl dann alles gewesen. Aber mit den Stachelbeeren muß es ja wieder ganz toll sein. Ich bin froh, daß ich diese seinerzeit gekauft hatte. Ich weiß noch, wie der Zahn immer sagte, das sind ja alte Bäume, die tragen ja nichts mehr. Jedes Jahr danken sie es uns wieder mit einem reichen Erntesegen. Im nächsten Jahr wird es wohl auch die doppelte Menge Johannisbeeren geben. Ich weiß, wie wir früher, als wir nach Konstanz kamen, uns immer Beeren auf dem Markt gekauft hatten, damit wir Marmelade kochen konnten. Jetzt haben wir auch eigene.  Wenn Du von Vater noch einmal ein Pfund Zucker bekommen hast, dann hast Du ja wieder etwas damit einkochen können. Wenn Du etwas Mehl noch von ihm bekommen hast, dann ist es Dir leichter, zu Jörgs Geburtstag etwas zu backen. Man kann sich immer wieder dadurch etwas helfen.  Herzliche Grüße und viele Küsse sende ich Dir und den Kindern. Bitte gleichzeitig an Vater herzliche Grüße auszurichten. Dein Ernst.

Mein lieber Schatz !                                                              14.7.42     

Deinen lieben Brief vom 30.6. erhielt ich gestern, für den ich Dir recht danke. Als ich diesen Brief las, da habe ich lachen müssen.  Früher hattest Du einmal geschrieben, daß Du für Jörg Holzkläpperle gekauft hattest. Da dachte ich erst, das sind solche, wie man sie zu Fastnacht hat. In diesem letzten Brief las ich nun , daß das ein Fußbekleidungsstück ist, denn Du schreibst von Oberteilen und wieder anziehen. Da wurde mir das erst richtig klar, was eigentlich Holzkläpperle sind. So geht es nun, man wird alt und kommt mit der Zeit nicht mehr mit. Alles Modische wird einem schon fremd. Da merkt man wieder, daß man sich in den Gebräuchen nicht mehr auskennt, die in der Heimat herrschen. Ich will versuchen, mich wieder zu bessern.  Interessiert hat mich das fleißige Arbeiten der Kinder beim Beerenpflücken. Das kann ich mir vorstellen, daß sie tüchtig reingehauen haben, als Du zu ihnen gesagt hast, sie sollen sich nur einmal satt essen. Aber der Jörg, der Lauser, er hat sich wieder zu helfen gewußt. Das wird ein Vergnügen für sie gewesen sein. Ich glaube, daß sie sich nicht lange gedrückt haben. Es ist ja schön, wenn man sowas hat und nicht so Obacht geben muß, daß jede Beere auch verwendet wird. Es gibt ja auch nichts Schöneres, wie so frisch vom Strauch herunteressen. Das hätten wir früher auch manchmal gern gemacht.  Wir mußten aber zusehen, daß wir irgendwo etwas klauen konnten.  Dies vor allem während der Kriegszeit und dann die späteren folgenden Jahre. Wir dachten uns jedenfalls nichts dabei. Daheim gab es nicht viel Sachen und Hunger hat man auch immer gehabt.  Das haben Unsere wenigstens nicht nötig, wenn man selbst etwas zur Verfügung hat. Das kommt ja auch nicht oft vor, daß sie eine solche Gelegenheit haben. Wenn ich aber so zusammenrechne, hast Du doch so alles in allem bis jetzt einen Zentner Beerenobst gehabt. Das hätte wieder eine ganz schöne Stange Geld gekostet.  An den Stachelbeeren hast Du in diesem Jahr keinen Mehltau gehabt? Daß das kleine Bäumchen bald zwei Pfund getragen hat, das kann ich mir fast nicht vorstellen. Es macht aber auch viel aus, wenn man die Sträucher immer wieder zustutzt.  Bei dem Felchenessen wäre ich auch gern dabei gewesen. Das ist doch etwas Gutes. Am Sonntag hatten wir zwar auch Fische. Die waren so klein, daß der Abfall viel größer war, wie das, was man essen konnte. Einen Pudding mit viel Erdbeeren gab es auch. Das wird wohl auch für längere Zeit das letzte Mal gewesen sein, daß wir sowas bekommen haben. Wir sagen uns aber immer wieder den inhaltsvollen Satz: „Nach dieser Zeit kommt eine andere.“ Irgendetwas werden wir schon wieder finden. Solange man mit dem gleichen Haufen zusammen ist, läßt es sich wieder aushalten. Es ist nur immer wieder, bis man sich bei einem neuen Verein eingelebt hat.  Hier ist das aber jetzt nicht notwendig. Jetzt fahren wir erst nach Kunsak und von dort geht es weiter. Bis Dich dieser Brief erreicht, werden wir wohl auch dort sein. Gegenwärtig macht erst einmal die Verpackung aller Sachen, die sich im Laufe der Zeit zusammengefunden haben, uns Sorge. Schließlich  bis alles soweit ist, werden wir doch alles aufladen können. Ich habe noch verschiedene kleine Sachen zusammengepackt. Gestern abend habe ich noch einmal ein Brot zusammengepackt und zwei kleine Päckchen fertiggemacht. Nummer 20 bis 22. Ob Du das  Brot noch verwenden kannst, bis es dort ist, erscheint mir zwar als fraglich, aber wenn es sich doch verwenden ließe, dann wäre es mir ärgerlich, wenn ich dann nichts weitergeschickt hätte. Das bißchen Porto kann man deshalb ruhig dranhängen.  Heute haben wir die Übernahme gemacht. Unsre Nachfolger haben alle unsere Sachen übernommen.  Gegenwärtig regnet es, sodaß wir Bedenken haben, ob morgen das Vorkommando wegfährt. Dann würde sich die ganze Angelegenheit verzögern. Wir hoffen nur, daß unser Kommandant wegfährt. Wir können dann schon warten, bis wieder besseres Wetter eintritt.  Für heute herzliche Grüße und viele Küsse sendet Dir und den Kindern Dein Ernst.

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