Sonntag, 30. Juli 2017

Brief 296 vom 28./29.7.1942


Mein liebes Mädel !                                                      28.7.42  
     
So langsam beginnt unsere Einrichtung Gesicht zu bekommen. Wenn sie auch mit dem , was wir vorher hatten , nicht verglichen werden kann, freut man sich doch um jeden Schritt, den man vorwärts kommt. Gestern habe ich mir mit einem Kameraden ein Bett zusammengezimmert, heute wollen wir uns Heu oder Stroh besorgen, damit man nicht so hart liegt. Jetzt bin ich doch wenigstens erst einmal vom Fußboden weg. Man fühlt sich immer so unsauber, solange man sich nicht richtig waschen kann und die Wäsche nicht vom Leib herunterbekommt, fühlt man sich immer nur als halber Mensch.  Es wird zwar noch viele Mühe kosten, bis wir es einigermaßen so eingerichtet haben daß es etwas wohnlich ist. Ich glaube, man wird sich erst nicht mehr richtig hineinfinden, wenn man wieder einmal in ordentliche Verhältnisse kommt. Es wird einem alles fremd erscheinen, doch darüber werde ich mir wohl wenig Sorgen machen brauchen, denn das Wort Urlaub steht in weiter Ferne. Wenn ich zwar höre, sind die Verhältnisse bei Euch in der Heimat auch nicht mehr rosig und die Stimmung sei nicht gerade glänzend. Ich kann mir denken, daß die Ernährungslage nicht gut ist, aber ich würde gern meinen Platz hier hergeben, wenn ist sonst meine Ordnung daheim hätte. Ich gebe zu, daß unsere Verpflegung auch nach dem Wechsel immer noch als gut bis jetzt angesprochen werden kann. Aber die meisten Kameraden und ich auch würden gern auf sie verzichten, wenn das Leben sich etwas leichter gestalten ließe.  Man findet sich wohl damit ab und hofft auf eine Änderung. Doch wenn wir uns hier auf den Winter einrichten sollen, dann wäre die Aussicht auf eine Änderung sehr gering. Wenn wir erst wieder Licht und etwas Radio im Bau hätten, dann ginge es schon. Aber so muß man sich bei Einbruch der Nacht ins Bett legen, denn bei Kerzenbeleuchtung kann man nicht gut Briefe schreiben oder lesen.  Man spürt bald die Augen und das hat keinen Wert. Solange wir aber mit unserer Einrichtung zu tun haben, sind wir froh, wenn wir uns in die Falle legen können. Später wird man sich wohl wieder mehr aufs Lesen verlegen, damit man sich in der Freizeit etwas ablenkt. Wie ich schon schrieb, ist man von der Außenwelt ziemlich abgetrennt, und man muß sich mehr oder weniger auf das beschränken, was man von den hier durchfahrenden Kameraden erfährt, die entweder von der Front kommen oder die von der Heimat wieder zur Front wollen. Du brauchst Dir aber um mich keine Sorge zu machen, ich denke, wenn ich mich hier eingewöhnt habe, daß es dann auch wieder erträglich ist.  Wenn hier wieder Feldpostpäckchen angenommen werden, habe ich verschiedene Kleinigkeiten, die ich Euch mit zugehen lassen kann. Vorerst muß ich sie aber noch aufheben. Heute grüße und küsse ich Euch alle, Ihr Lieben und hoffe, daß Ihr alle gesund seid. Dein Ernst.

Meine liebe Frau !                                                                     29.7.42      

Tag um Tag vergeht und wir sind schon wieder eine Woche hier in diesem elenden Nest. In dieser Nacht hatte ich wieder Wache.  Ortsstreife. Es läßt sich nicht vermeiden, solange unsere Einheit so schwach besetzt ist. Ich denke, daß wir im Laufe einer Woche vollständig sein werden. Bis jetzt haben wir noch trockenes Wetter gehabt, wenn es aber einmal regnet, dann wird es ungemütlich werden bei diesen Wegeverhältnissen. In den Straßen sind Schlaglöcher, das sind die reinsten Schützenlöcher, in denen man in Deckung gehen kann. Mit Hilfe der Einwohner werden die Straßen in Ordnung gebracht werden. Männer sind keine vorhanden. Höchstens Jungens oder ganz alte Männer, die zum Kriegsdienst nicht mehr tauglich sind. So wird man sich hauptsächlich auf die Frauen beschränken müssen. Die waren hier auch erst beim Eisenbahnbau eingesetzt. Man wundert sich, daß es bei den primitiven Werkzeugen, die diese Leute mitbringen, noch vorwärts geht. Das Wichtigste ist der Spaten. Mit dem wird alles gemacht. Damit wurde bei der Eisenbahn das Bett für die Schienen geschaufelt, bei uns wurde der Hof eingeebnet. Unkraut beseitigt und die Räume, die voller Schutt waren, wieder soweit hergerichtet, daß man erst einmal die Dielen sah. Besen kennt man hier offenbar nicht. Von dem hochgewachsenen Unkraut, wie Beifuß oder Kamille, wird ein ordentlicher Strauß gemacht und damit wird ausgekehrt. Ich habe mir schon Gedanken gemacht, wie das im Winter wird, wenn das Unkraut nicht mehr wächst. Wenn wir tatsächlich im kommenden Winter noch hier sein müssen, dann werde ich es ja erleben. Ich bin zwar nicht so neugierig und würde gern  auf diese Wissen verzichten. So wie man allgemein erzählt und wie es auch in der Heimat bekannt ist, soll ja der Winkel hier bei Woronesch bleiben. Die Operationen sollen wahrscheinlich erst im Südabschnitt abgeschlossen werden. Wenn dem so sein sollte, dann können wir schwer mit einer Ablösung hier rechnen. Es wird aber auch am besten sei, wenn wir wieder abwarten, denn wir leicht kann es anders kommen. Unsere Einrichtung zeigt langsam aber stetig Front. Ich fürchte, daß es passieren kann, daß wir auch, wenn wir alle, oder besser gesagt, das schlimmste beseitigt haben, wieder wegkommen. Gestern haben wir Heu gemacht, damit wir endlich einmal ein anderes Lager bekamen. Wir haben einen Wagen losgeschickt, der uns Gras geholt hat. Das muß man hier alles selbst in die Wege leiten, denn sonst würde dieser Zustand noch wochenlang so fortgesetzt. Das haben wir am Tage ein paarmal gewendet und jetzt dient es uns als Unterlage. Seit unserer Versetzung habe ich jetzt das erste Mal wieder richtig geschlafen. Bisher waren einem die Glieder wie zerschlagen. Alle Knochen taten einem weh. Es ist doch ein anderes Gefühl, wenn man wieder ausgeruht ist. Seit unserer Abreise habe ich auch das erste Mal wieder die Uniform ausziehen können. Das war auch eine Wohltat. Das war vorher nicht möglich, weil man sonst gefroren hätte. Man kommt sich ja vor wie ein Schwein, wenn man die Sachen nicht mehr vom Leib herunterbekommt. Ich vergesse nicht, daß es wohl den meisten Kameraden so geht, die im direkten Einsatz stehen. Bei uns ist es aber doch so, daß wir uns für längere Zeit an einem Ort einrichten müssen und arbeiten sollen. In diesem Punkte unterscheiden wir uns eben wesentlich. Ich will dabei schon ganz und gar vergessen haben, wie es die Kameraden im Westen haben. Wir sind ja nun wieder so weit beim Kampfgebiet, daß wir jetzt wieder für berechtigt angesehen werden, Frontzulage zu empfangen. Du brauchst aber deshalb keine Angst zu haben, dadß wir , abgesehen von den Dingen, die ich Dir bis jetzt geschildert habe, mehr vom Krieg merken wie bisher. Wenn ich ehrlich sein soll, dann kann ich sagen, daß mir das zwar schon reicht. Was nutzt aber das ganze Geld, wenn man zwar gesund ist, aber wenig Aussicht hat, wenigstens einmal in Urlaub zu kommen. Ich weiß nicht, ob man auf ein größeres Wunder warten soll, oder ob man realistisch weiterdenken soll.  Recht herzliche und viele Grüße sende ich Dir und den Kindern. Bleibt mir gesund und nimm besonders herzliche Grüße und Küsse entgegen von Deinem Ernst.

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