Sonntag, 30. Juni 2019

Brief 550 vom 28.06.1944


Mein lieber guter Schatz!                                                                        28.6.44

 Mit meinem heutigen Brief kann ich Dir den Eingang von 4 Briefen bestätigen, die gestern Abend von Dir eingingen. Außerdem erhielt ich noch drei Zeitungssendungen.  die mich ebenfalls erfreut haben. Über die ersten mitgesandten Bilder habe ich mich mächtig amüsiert. Sie sind alle samt und sonders gut gelungen und recht treffende Momentaufnahmen. Das war doch eine kraftvolle Bombe, die Du in die Luft gejagt hast. (Es ist das Bild, wo meine Mutter den Fußball kickt) Du siehst ihr selbst ganz erstaunt nach. Daß ich Dir auf dem einen Bild eine Fratze schneiden wollte, das ist mir zwar  gar nicht mehr in Erinnerung, aber wenn Du es noch weißt, dann wird es wohl so sein Die aufnahmen von meiner gärtnerischen Tätigkeit sind auch gut geworden. Ich muß ja überhaupt sagen, daß Deine fotografischen Fähigkeiten innerhalb unserer Familie unangefochten dastehen.  Auch die anderen Bilder von dem unvergesslichen Nachmittag auf der Wiese im Wald sind sehr nett, denn sie spiegeln so richtig die frohe Stimmung wieder, die bei uns dabei herrschte. Sie werden uns immer eine dauernde Erinnerung an diese Urlaubstage sein und bleiben. Die anderen Bilder werden ja in den nächsten Tagen auch ankommen, auch auf diese bin ich wieder gespannt. Wie gesagt, ich bin recht zufrieden damit. Wenn zwei nichts geworden sind, so ist das nun einmal so, daß man mit solchen Ausfällen rechnen muß. Im allgemeinen sind sie einmal etwas anderes wie sonst und das macht sie wieder interessant.
In einem dieser Briefe erwähnst Du, daß es wohl nicht so üppig zuginge. Im Gegensatz zu Griechenland sind die Mahlzeiten reichlicher bemessen. Auch im Zubrot komme ich ganz gut hin. Das liegt wohl auch mit daran, daß wir ab und zu uns extra etwas besorgen. Gestern erhielten wir jeder acht Eier und ein Viertel Butter. Alles zusammen kostet zwar sechs RM, aber das hilft ja alles mit, die normale Verpflegung aufzubessern. Wie ich Dir schon einmal schrieb, Gedanken mußt Du Dir nicht um mich machen, denn ich helfe mir schon.
Wenn Du Deine Briefe nicht mit Tinte schreibst, so macht mir das wenig aus, im Gegenteil, denn ich weiß, daß Dir das eine gewisse Erleichterung verschafft., dann man zu. Aber ich habe ja schon kürzlich darauf hingewiesen, daß Du ebenso mit der Maschine schreiben kannst, wenn Dir das leichter ist.  Vater soll doch noch einmal in Freiburg nachfragen, wenn die Rentenangelegenheit noch nicht erledigt sein sollte. Er muß es nur nicht gar zu lange hinausschieben, denn es könnte vielleicht der Eindruck entstehen, er braucht es nicht. _ Deine Frage wegen der Ruhe nach der Sauna ist wohl berechtigt, aber die Ruhe danach kommt mir nicht in Frage. Wenn die Badezeit herum ist, dann geht es eisern weiter mit dem Dienst. Schöner wäre es zwar anders, aber man muß sich eben in die Verhältnisse schicken. Daß wir nicht so zum Schlafen kommen, ist wohl bei den dienstlichen Anforderungen nicht anders durchführbar, aber etwas stellt sich der Körper auch darauf um.  Daß sich die Kartoffeln so gut herausgemacht haben, ist ja sehr erfreulich. Dann kannst Du doch immerhin mit einer ordentlichen Ernte rechnen, wenn sic h nicht sonst etwas ereignet. Die Erdbeeren leiden eben gleich unter dem vielen Regen. Vielleicht hat sich das Wetter doch noch soweit gemacht, daß Du immerhin noch einiges davon ernten konntest.
Daß Du nun Deine Sommerschuhe erhalten hast, ist Dir selbst wohl auch eine Beruhigung. Dadurch ist es Dir doch möglich, die anderen Schuhe zu sparen, denn es wird ja immer schwieriger statt leichter.
Unser kleiner Ingenieur hat sich also wieder einmal ein Geschütz gebaut. Nach Deiner Zeichnung muß es ganz ordentlich geworden sein. Das ist nun einmal sein Element. Da kann er sich stundenlang damit beschäftigen.  Basteln und Zusammenbauen, da kann er seine Erfindungsgabe frei spielen lassen. Es ist gut, daß er da immer freien Spielraum hat, um seine Ideen zu entwickeln.
Erwähnen will ich noch, daß ich gestern an Dich ein Päckchen Nummer 3 abgesandt habe. Ich teilte Dir ja schon vor einigen Tagen den Inhalt mit. Nachdem ich gestern von Deinem Vater einigen Bindfaden erhielt, konnte ich es fertig machen. Ich hoffe, daß es gut in Deine Hände kommt. Es sind verschiedene Kleinigkeiten, für die Du Verwendung haben wirst. Die übrigen noch zu beantwortenden Dinge, erledige ich mit meinem nächsten Brief. Dich und die Kinder grüße ich recht herzlich. Viele liebe Küsse schließe ich an und bin wie immer Dein Ernst.
Stelle doch bitte vorerst einmal die Zusendung von Feldpostbriefen ein, denn ich habe schon zuviel davon hier, was mich belastet. Ich schreibe dann schon wieder einmal darum.



Dieser Brief wurde erst am 24.07. eingeworfen und der nächste datiert tatsächlich erst vom 01.09.1944.


Brief 549 vom 22.06.1944


Du mein liebstes Mädel!                                                                        22.6.44     

Recht mächtig habe ich mich gefreut, als ich heute früh Deine beiden Briefe vom 6. und 7.6. sowie Deine drei Zeitungssendungen erhielt. Ich habe wieder aus Deinen Zeilen ersehen können, daß Ihr wohlauf seid und daß es Euch den Zeitumständen entsprechend geht. Von Deinem Vater erhielt ich den Rundbrief 14. Das war alles zusammen eine willkommene Abwechslung. Ich hatte zwar reichlich Beschäftigung, denn wie ich Dir gestern schon mitteilte, ist für mich wieder einmal der Waschtag herangekommen. Das muß nun einmal sein. wenn man nicht ganz und gar verludern und verdrecken will. Es ist nur schade, daß man die Sachen nicht bügeln kann. Wenn ich die Sachen auch nicht kochen kann, es hilft mir das heiße Wasser doch recht viel. Wenn, wie heute, die Sonne scheint, dann kann ich die Sachen bleichen lassen, dann kommt das schon so einigermaßen hin. Das Wetter ist seit einigen Tagen etwas beständiger geworden, so daß man tagsüber recht ins Schwitzen kommen kann. Nachts ist es aber trotz der Wärme am Tage beträchtlich kühl. Man muß sich öfter umziehen, um die jeweils gemäße Kleidung anzuhaben. Der laufende Dienst zwingt ja dazu, daß man auch damit seine Ordnung hat, denn am Tage kann man die dicke Feldbluse nicht ragen, da nimmt man dann den Drillichrock, für die Nacht braucht man schon die dicke re Bluse und den Pullover.
Ich kann Dir nur sagen, daß ich über das Verhalten von Resi sehr erstaunt bin. Die Bindungen waren früher nicht schlecht, aber doch recht lose und das besonders in letzter Zeit. Jetzt mit einem Male läßt sie das aufleben, was einem schon in Verwunderung versetzen kann, weil es so plötzlich geht. Mit selbst ist das schon wegen Dir sehr recht, wenn Du dadurch etwas Ablenkung und Abwechslung erfährst. Daß sie Dich zum Strümpfe stopfen einlädt, ist doch ganz nett. So sitzt du doch nicht Abend für Abend allein daheim oder hast als einzigen Unterhalter Vater da. Etwas kannst Du Dich doch bei den Arbeiten auch unterhalten. Was vor allem gut ist, ist, daß sie nicht so weit weg von uns wohnt, dann bist Du doch bei Alarm oder überhaupt bald wieder daheim. Helga und Ingrid sind ja z.Zt. so Clowns, die ich mir gut vorstellen kann, wenn sie ihren Verkleidungsnachmittag haben. Ich denke nur daran, wie wir sie im Wagen nach Wollmatingen fuhren und wie sie immer etwas zu ?  hatten, und wie plötzlich trat die Ernüchterung ein, als sie aus dem Wagen fielen, als er umkippte. Daß Vater sich über meinen Brief gefreut hat, ist ja recht und das sollte ja schließlich auch der Zweck sein.   Du erwähnst, das Wollgras in Deinem letzten Brief. Ich habe schon einige Tage wieder ganz aufgeblühtes Wollgras in meinem Notizbuch, das ich Dir heute mit zusenden kann. Es sieht sehr schön aus. die Wiesen haben große weiße Flecken, wo das Gras blüht. Es sieht schön aus.  Mit dem zusätzlichen Essen hast Du ja vollkommen recht. Es ist wiederholt vorgekommen, daß wir hier Quark erhalten haben. Den kann man mit Ei und Zucker anrühren, dann hat man ein kräftiges Zubrot, damit kann man wieder seine Butterration sparen und man hat doch etwas anderes im Magen. Jetzt haben wir wieder Gelegenheit gehabt, Öfter Magermilch zu bekommen. Das trifft dann fest einen Liter pro Mann. Ich habe mir jetzt einige Male die Hälfte davon sauer werden lassen, das ist dann auch ein prima Essen mit trockenem Brot. Man muß sich die Sachen nur recht einteilen.
Wie ich aus Deinem Schreiben entnehme, sind die großen Ferien diesmal recht reichlich bemessen, allerdings unter der Berücksichtigung dessen, daß die Pfingst- und Herbstferien ausfallen. Wenn das so ist, dann kann Jörg wohl getrost einige Zeit mit zu dem Lager nach dem Vorarlberg gehen, denn dann hast Du ihn ja noch eine Weile daheim. Der Auszug aus Doberlug  ist nun doch noch angekommen. Das Geld ist allerdings schon von mir ausbezahlt worden. Ich sandte es seinerzeit von Athen nach dorthin. Wir müssen einmal sehen, daß wir vielleicht dort noch eine Urkunde anfordern können. Ich nehme jedenfalls an, daß Du das Geld inzwischen nach dort gesandt hast.
An Deinen Vater habe ich vor einigen Tagen ein Päckchen mit Tabak und heute auch wieder eins abgesandt. Das hat mir 10,RM gekostet. Nun habe ich hier wieder eine Menge Tabakwaren, die mir viel Geld kosten, was ich nicht habe. Ich habe vielleicht an 60,RM ausgegeben, die ich mir besser für Verpflegung kaufen einsetzen könnte. Ich kaufe diese Sachen gern, weil ich weiß, daß ich damit jemand eine Freude bereiten kann. Aber hier ist das doch schwierig mit dem Geld, vor allem, wo doch mein Wehrsold jetzt sowieso viel knapper bemessen ist wie früher. Denn ich erhalte ja jetzt nur noch die Hälfte von dem, was ich früher bekam. Ich weiß nun nicht, soll ich das Deinem Vater in Rechnung stellen oder was rätst Du mir zu tun. Auf alle Fälle bitte ich Dich, daß Du mir so nach und nach 30/40 Rm zusendest. Stecke sie in Deine Briefe in Raten, denn auf die Dauer komme ich sonst nicht aus. _ Ich lege Dir heute einige Marken mit bei, die Du jetzt nach Belieben verwenden kannst. Ich glaube, daß das so ziemlich alles wäre, was ich Dir heute zu erzählen hatte. Ich hoffe Euch meine Lieben immer gesund und füre meinen Zeilen wie immer recht herzliche Grüße und viele liebe Küsse bei. In treuem Gedenken Dein Ernst. Liebste Frau, meine liebste Annie! Auch der heutige Sonntag hat wenig Änderung in unserem täglichen leben gebracht. Nach Mitternacht kan ich von der Streife nach hause und um 4 Uhr mußte ich schon wieder auf Posten stehen. Das geht hier so hier wie an Wochentagen. Kleine Erlebnisse und Beobachtungen bringen hier eigentlich die Abwechslung im täglichen Einerlei. Radio oder Kino haben wir ja nicht, was uns etwas ablenken könnte.  Andererseits ist es so, daß man froh ist, wenn man sein Bisschen Freizeit dazu verwenden kann, um die immer anfällige Post zu erledigen und daß man das, was noch übrig bleibt in Schlaf anlegt. Bei der Eigenart des Postenstehens läßt es sich einrichten, daß man hin und wieder aus der Zeitung einen Abschnitt lesen kann, doch diesen Posten steht man ja nicht regelmäßig, aber man hat immerhin Zeit, daß man sich darauf einrichten kann. Heute früh hatte ich von meinem Standort aus beobachtet, wie ein Elsternpaar (denkst Du noch an die Libelle, wie jener kluge Leipziger einmal sagte ?) in meiner Nähe immer hin und herflog und ihr nicht gerade schönes Gekreisch ertönen ließ. Diese Biester gibt es hier ja in rauen Mengen. Außerdem sind sie ja im Zusammenleben mit der anderen Vogelwelt nicht besonders nützlich. Bekanntlich sind sie ja Nesträuber. Als die eine der Beiden in Schussnähe kam, hatte ich erst einmal angelegt, um sie abzuschießen, doch bis ich mein Gewehr entsichert hatte, flog sie wieder weg.  Doch kurze Zeit danach kam sie noch näher zu mir heran und sie setzte sich auf ein Telegrafenmast. Ich hatte mein Gewehr sofort in Anschlag gebracht und Knall, hatte ich sie getroffen. Sie kugelte durch die Luft und plumpste herunter. Das war auf eine Entfernung von 30 m. Wie es scheint, ist es mit meiner Schießerei doch nicht so schlecht bestellt, wie ich mir immer einbilde. Es ist dies mein erstes Tier, das ich abgeschossen habe. Man spricht von einem Jagdfieber, was einem da packt. Wenn das die Spannung ist, die einem packt zwischen Anlegen und Abschießen, so muß ich sagen , daß das ein eigenartiges Gefühl ist, denn wenn man sich schon einmal dazu entschlossen hat, zu schießen, dann will man ja auch treffen. Man lebt dann in dem Glauben, daß der Vogel gerade in dem Moment wegfliegt, wenn man abdrückt. Ich weiß nicht, ob das allen Menschen so geht, doch ich konnte mich dieses Gefühls nicht erwehren. Vor einigen Tagen saß etwas weiter von diesem Standort aus ein Hase in meiner Nähe. Ich hatte auch die Absicht, ihn zu schießen, damit man einmal seine Mahlzeit strecken kann. Aber von mir aus gesehen kam unglücklicherweise ein Schienenfahrzeug, so daß ich diesen Schuss unterlassen mußte. Du mußt nun nicht denken, daß mich jetzt die Jagdleidenschaft packt. Aber immerhin, für mich war es ein Erlebnis. Schade ist nur, daß man die Elster nicht essen kann, oder besser gesagt, daß es sich nicht lohnt, sie fertig zu machen. Am Vormittag war ich nun noch arbeiten und über die Mittagszeit hatte ich wieder Streife und nachdem ich mein Mittagessen fertiggemacht hatte, habe ich seit etwa 16 Uhr Freizeit. Um 20 Uhr geht es wieder auf Streife, so daß ich auch diesen Sonntag herumgebracht habe.
Ich habe wieder einige Kleinigkeiten bekommen, so daß ich in meinem Päckchen Nr. 3, was ich schon seit einigen Tagen vorbereitet habe, einige kleine Umgruppierungen vorgenommen habe Ich habe zwei Zahnbürsten erhalten und auch etwas Zahncreme. Eine von den Bürsten hebe bitte für mich auf. Die andere kannst Du bei Eintreffen und Bedarf verwenden. Es mangelt mir nur an Bindfaden, dann könnte es schon längst weggehen. Ich denke aber, daß von Deinem Vater bald etwas ein treffen wird, denn ich hatte ihm kürzlich darum geschrieben. Ich habe auch noch allerhand Rauchwaren hier liegen, die ich gern lossein will. Man weiß ja nicht, was plötzlich kommen kann, dann möchte ich mein Lager gern geräumt haben. Die Ereignisse hier in unserer Gegend sind ja nach dem Wehrmachtsbericht auch nicht gerade rosig anzusehen. Das Gedonner ist ja auch seit einigen Tagen recht deutlich zu hören, doch die Zuversicht brauchen wir trotz allem noch nicht verlieren. Ich grüße Euch Drei und auch Vater recht herzlich. Laßt es Euch wohl gehen und bleibt nur immer gesund. Meine Gedanken lenke ich täglich zu Euch, denn mit Eurer Umgebung bin ich so vertraut und verwachsen, daß mir alles gegenwärtig ist. Dir mein Schatz schnipse ich einen lieben Kuss zu und gebe noch einen festen Schmatz drauf, den Kindern ebenfalls. Das ist immer Dein Ernst.

Brief 548 vom 21.06.1944


Du mein liebster Schatz!                                                   21.6.44      

Das ist in den vergangenen Tagen ein Betrieb bei uns. Ich bin einfach nicht zu Schreiben gekommen. Wenn ich heute Abend nicht wieder Wache bei uns im Pumpwerk hätte, dann würde es mir auch zu diesem Brief nicht reichen. Die Kleider bekommen wir schon seit über einer Woche nicht mehr vom Leib herunter. Die Schuhe dürfen wir nicht ausziehen, der Dienst geht in solch scharfer Form, daß wir kaum zum Schlafen kommen. Seit vorgestern früh, das sind 60 Stunden, haben wir etwa 8  9 Stunden geschlafen. Wenn es gut geht, dann kann ich in dieser Nacht vier Stunden mich hinlegen. Durch erhöhte Alarmbereitschaft ist es schon wiederholt vorgekommen, daß wir von unserer Streife nicht abgelöst werden konnten und daß wir, nach dem wir über sechs Stunden Nachtstreife gestanden hatten, gleich zur Tagesstreife mit einer Stunde Zwischenpause übergehen mußten. Am Tag war auch keine Zeit zum Schlafen, aber ich muß schon sagen, daß mir von dem stundenlangen Marschieren auf den Eisenbahnschwellen die Füße doch schmerzen. Vielleicht gibt sich das in einigen Tagen, denn das muß man nun einfach überstehen. Ich habe zwar einiges vor für die Zeit der Wache hier im Pumpwerk, denn meine Wäsche ist auch wieder dran, denn ich kann ja nicht wie ein Igel herumlaufen. _ Außer Deinem Luftpostbrief vom 11., den ich vorgestern erhielt, habe ich seit einiger Zeit keine Post mehr von Dir erhalten. Die gegenseitigen Besuche mit Resi scheinen sich wohl einzuspielen. Ich freue mich nur, wenn Du Dich dabei etwas nett unterhalten kannst und Dich schließlich auch etwas ablenkst. Auch die Kinder haben ja etwas davon, denn ich muß sagen, Ingrid mag sonst sein wie sie will, aber Helga hat doch in ihr so die einzige Spielgefährtin. Jörg hat es ja etwas leichter, denn mit den Jungens auf der Straße kommt er doch ganz gut hin. 
Ich teile auch durchaus Deine Ansicht, daß es jetzt das Wichtigste ist, daß ich an einem Offizierslehrgang teilnehme. Wichtiger ist, daß ich gesund wieder zu Euch zurückkehren kann. Das habe ich auch in ähnlicher Form in meinem Brief an Nannie zum Ausdruck gebracht, denn es ist ja nicht ausgeschlossen, daß Paula ihr Mitteilung gegeben hat von dem, was ihr Vetter davon erzählt hat. Ich habe gleich vorgebeugt, denn es kann ja möglich sein, daß sie es wieder zurückschreibt. Mit den Fotos warte ich selbstverständlich solange, bis sie fertig sind, denn ich kann ja nichts beschleunigen. Ich hoffe, daß es mir möglich ist, morgen wieder zu schreiben. Ich wollte Dich aber nicht unnütz warten lassen, denn Du sollst doch bald wieder Nachricht von mir bekommen.
Dir, den Kindern und Vater einen recht herzlichen Gruß. Euch Dreien aber jedem einen herzlichen Kuss von Deinem Ernst.

Brief 547 vom 18.06.1944


Mein geliebter Schatz!                                                                         18.6.44               

Es ist sonnig, und ich habe wieder einmal die Ehre gehabt, das Pumpwerk der Eisenbahn bewachen zu dürfen. Binnen kurzer Zeit werden wir abgelöst wer den. Vorher will ich aber noch die restliche Zeit dazu benutzen, um meinen Brief an Dich anzufangen. Schön war es heute hier deshalb, weil wir diesmal recht sonniges Wetter hatte, was die ganze Angelegenheit doch viel freundlicher gestaltet. Wenn wir auch unsere Sachen nicht während unserer Freizeit ausziehen dürfen, damit wir jederzeit einsatzbereit sind, do ist das ganze, von der Nacht zwar abgesehen, so eine Art Erholung. Die letzte Nacht war es hier ziemlich unruhig, weil der Iwan verschiedene Städte in unserer Nachbarschaft heimgesucht hat. Unter anderem auch die Großstadt, in der ich mich vor meinem Eintreffen hier aufhielt. Es war wieder einmal ein mächtiger Feuerzauber am Himmel, aber das sind ja Sachen, die in der Heimat zur Genüge bekannt sind. Vielleicht wird diesem Treiben in der Heimat nun auch ein Ende gesetzt. Durch die Ereignisse im Westen ist doch in gewisser Hinsicht eine Minderung der Einflüge zu beobachten. Wie lange das anhält, kann man noch nicht voraussehen. Wie auch alles sei, die jetzt eingeleiteten Kampfhandlungen geben doch allen Deutschen wieder einen neuen Auftrieb und aus dem untätigen Abwarten sind wir doch nun wieder mit Gegenaktionen auf dem Plan.
Du schriebst einmal auf meine Mitteilung, daß Du das nicht verstehen kannst, wenn jemand 75 RM für ein kg Butter bezahlt. Wenn man die Dinge von der Heimat aus betrachtet, dann ist dieser Standpunkt durchaus richtig. Die Verhältnisse im Ausland sind aber kaum mit denen in der Heimat zu vergleichen oder doch nur mit denen, die für den Schwarzen Markt überall gelten. Du mußt hier, wie ich schon einmal schrieb, für ein Ei 1,50 RM bezahlen. Dagegen erhält man für ein Stück Kriegsseife  3 Eier. Die Seife kostet doch daheim etwas über 10 Pfennig. Für ein Brot bekommt 8/9 RM, für eine Rolle Bonbons kann man 2 Eier und für 3 Zigaretten ebenfalls 2 Eier tauschen. Wenn man dann die anderen Preise dafür betrachtet, so hält sich alles in einem gewissen Rahmen. Man kann die Preise aber nur von dieser Seite ansehen, weil schließlich keine geordneten Verhältnisse sind, wie wir sie in der Heimat kennen. Ich dachte, daß ich Dir das einmal mit schreiben muß, auch schon deshalb, damit Du nicht denkst, ich würde diesen Unfug der Preisüberteuerung mitmachen. _ Wenn man hier so draußen ist, dann hat man immer Gelegenheit, etwa das Wachsen zu beobachten. Radieschen gibt es jetzt hier auch. Die Kartoffeln und die Bohnen kommen jetzt heraus. Das Getreide steht dagegen ganz schön da. Hier geht das Wachsen im Grunde genommen schneller vonstatten wie bei und. Die Leute haben vor einigen Tagen hier Kraut gesetzt. Die Stare, die hier in diesem Pumpwerk nisteten, haben ihre Brut inzwischen schon flügge. Die machen sich nicht viel aus den Witterungsgebilden. Die Störche, die es hier wieder in größerer Anzahl gibt, sind mit der Aufzucht ihrer Jungen auch bald soweit. Man lebt in dieser Beziehung noch stärker mit der Natur, doch das hängt wohl mehr damit zusammen, daß man hier mehr Gelegenheit und Zeit zum Beobachten hat.
An Nannie habe ich heute auch geschrieben. Ihren Brief lege ich Dir zur Kenntnis bei. Ich hatte Dir ja schon mitgeteilt, in welchem sinn ich ihr antworten würde. Das habe ich nun heute getan.
Als ich von der Wache heimkam, fand ich auch heute keine Post vor. Es ist zwar allgemein wenig eingetroffen. Das sind aber hin und wieder Störungen, mit denen man rechnen muß.
Ich grüße Dich und die Kinder recht herzlich. Nimm einen recht lieben und herzlichen Kuss entgegen von Deinem Ernst.

Brief 546 vom 17.6.1944


Mein liebstes Mädel!                                                    17.6.44      

Von Dir habe ich keine Post zu beantworten, denn ich habe gestern nichts erhalten. Es ist nun wahrscheinlich, daß mit der morgigen Abendpost etwas ankommt. Ich muß mich darum wieder mehr oder weniger auf das Tagesgeschehen beschränken, denn es liegt sonst nichts weiter vor. Jetzt hatte ich einen Brief an unseren Jungen beendet, denn er soll doch, nachdem er mir pünktlich geschrieben hatte, auch dafür belohnt werden. Mir war es eine Freude, wie er noch in einer kindlichen Art, aber doch schon recht fließend, von dem berichtet, was er auf seiner Fahrt erlebt hatte. Zu der Frage, ob er am Jungzuglager teilnehmen darf, habe ich schon Stellung genommen. Ich schrieb Dir ja schon in einem meiner letzten Briefe davon, wie ich dar über denke. Ich will nur nicht haben, daß er während der großen Ferien überhaupt nicht daheim zu sprechen ist, denn Du wirst auch über ihn mit verfügen wollen. Ich nehme an, daß Du mir darüber noch schreiben wirst. Es braucht ja noch einige Zeit, bis das soweit ist. Wohin soll denn die Fahrt gehen? Das würde mich auch interessieren.
Gegenwärtig haben sich in den letzten Tagen Dinge entwickelt, die für den Ausgang des Krieges nun eine entschiedene Bedeutung haben werden. Die Landung, an die ich immer glaubte, ist erfolgt. Gestern ist nun die Vergeltung oder besser gesagt, die Einleitung dazu gestiegen. Hier bei uns hat das allgemein große Genugtuung hervorgerufen und ich glaube auch an einen Erfolg dieser Maßnahmen. Wenn auch auf der Feindseite jetzt ein grässliches Gezeter anfängt, so werden wir unseren beschrittenen Weg weitergehen und ein Erfolg wird uns dann auch nicht versagt bleiben. Diejenigen, die unter dem Bombenterror gelitten haben, werden wohl sehen, daß ihren berechtigten Rachegefühlen entsprochen worden ist. Dem Glauben an unsere Stärke wird auch hie und da wieder etwas nachgeholfen werden, soweit das in einzelnen Fällen notwendig war.
Ich lege wieder einige Sachen zum Rücksenden bei, damit ich mich hier nicht über ein normales Maß unnötig belaste. Ich habe hier Machorka kaufen können, den ich jetzt mit verpackt habe, um ihn an Deinen Vater abzuschicken. Ich hoffe, daß er diesen russischen Tabak auch rauchen wird, wie ich es im empfohlen habe. Ich habe jedenfalls teures Geld dafür bezahlt. Auch für Dich habe ich ein Päckchen mit verschiedenen Kleinigkeiten vorbereitet. Es ist eine Büchse mit Hautcreme, dann ein Glasteller, etwas Kopfwaschpulver , einen kleinen Blechnapf und einige Zigaretten oder Stumpen.  Hoffentlich kommt dann alles gut an. Es sind alles keine Raritäten, aber ich nehme an,daß Du dafür Verwendung haben wirst.
Mit dem Wetter kann man hier eine große Pleite erleben. Wenn man hier auf Wache oder Streife geht, die sich über einige Stunden erstreckt, dann weiß man nie, ob man noch trocken heimkommt. Es kann aber auch passieren, obwohl wir in der warmen Jahreszeit leben, daß man ins Bett steigen möchte und keine warmen Füße erhält. Dabei haben wir den Pullover an und die dicken Bekleidungsstücke. Außerdem ziehen wir mit Mantel und Zeltbahn los. Klimatisch ist es hier im Gegensatz zur Ukraine ein großer Unterschied. Man kann sich das nicht so recht vorstellen. Seit Tagen dürfen wir hier unsere Sachen nicht mehr ausziehen. Die Kleider und Stiefel müssen wir anbehalten, wenn wir uns auf unsere Falle legen, ein Zustand, den man mit der Zeit auch gewohnt wird. Wie lange das so anhält, müssen wir sehen, aber vorerst wird es wohl so bleiben.
Dich und die Kinder grüße ich recht herzlich. Richte auch an Vater einen herzlichen Gruß aus. Du und die Kinder küsse ich in Liebe, leider nur wieder auf weite Entfernung. Denke du auch, wie sonst, immer an Deinen Ernst.


Sonntag, 16. Juni 2019

Brief 545 vom 16.06.1944


Du mein liebster Schatz !                                         ohne Datum, vermutlich 16.6.    

Das ist doch nahe zu toll mit dem Wetter. Gestern konnte ich Dir doch berichten, daß wir schönes und Sonntagswetter hatte. Über Nacht hat sich das geändert. Auf unserer Streife, die gleich nach Mitternacht anfing, bekamen wir schon das erste Nass ab. Heute über die Mittagszeit waren wir wieder auf Streife, da sind wir so richtig zugedeckt worden. Auch jetzt, in den Nachmittagsstunden, sieht es noch nicht sehr verheißungsvoll aus. Heute Abend get es wieder auf Streife bis gegen Mitternacht und dann morgen am Tage sind wir auch zweimal dran. Die Strecke, die wir immer zu begehen haben, kenne ich nun schon in und auswendig. Das ist aber im Interesse der Aufrechterhaltung der Transportwege notwendig und darum findet man sich auch ohne weiteres hinein. Seit gestern hat sich bei uns eine starke Umstellung des Dienstbetriebs ergeben. Unsere Ausbildung ist für einige Zeit an den Nagel gehängt worden, weil jetzt aufgrund besonderer Umstände verstärkt Streifendienst gegangen werden muß. Mit der Tageseinteilung kommt man dabei ganz aus dem Konzept.  Frühstück haben wir nach 10 Uhr eingenommen und Mittag essen konnten wir gegen 15 Uhr. Das Abendessen ist für uns zur normalen zeit und wie sich das am folgenden Tag gestaltet, das ist immer ungewiss. Das sind aber Sachen, die man vorerst aushalten kann. Wenn sie sich zu einem Dauerzustand entwickeln sollten, dann wird man sich auch daran gewöhnen.
Vorgestern bekam ich meine in Griechenland liegegebliebene Post. Unter anderem die Antwort auf mein Schreiben an Kurts frühere Einheit, die ich Dir gleich beifüge. Nachdem aus seinem Wehrpass hervorgeht, daß er die Ostmedaille verliehen bekommen hat, ist gegenwärtig eine weitere Verfolgung der Angelegenheit nicht erforderlich. Die Stadtverwaltung hat mir auf mein letztes Gesuch hin auch geantwortet. Ich habe nur den ersten und den letzten Satz einer langatmigen Ausführung meines Freundes Lang gelesen, aus der die Ablehnung zu entnehmen ist. Wenn ich einmal mehr Zeit habe, werde ich auch den anderen Teil studieren. Es sind Auszüge aus Bestimmungen des Reichsinnenministers, die mir schon zum Hals heraushängen, wenn ich diesen Mist nur von Weitem sehe. Das ganze hat ja so ziemlich meinen Erwartungen entsprochen, so daß ich nicht weiter überrascht bin. Außer einigen Zeitungen von Deinem Vater und einer Karte von Alfred erhielt ich noch einige Briefe von Dir, die Du noch dorthin gesandt hattest. Damit ist dieser Tisch auch abgeräumt. _ Aus Deinen Briefen, die ich in der letzten Zeit erhielt, konnte ich ersehen, daß Du auch immer Nachtschicht machtest. Du mußt schon an Dich halten und schon täglich mehr Schlaf einschalten, denn sonst kommst Du mir noch ganz herunter. Ich hoffe, daß das kein Dauerzustand bei Dir ist, und daß Du Dich am Tag öfter einmal ausruhst. Also bitte, beachte meine Meinung und übernimm Dich nicht. Unser Gasmaskendienst wurde vor einigen Tagen wieder einmal aufgenommen. Wir mußten bei sonnigem Wetter längere Zeit erst marschieren und dann Sprünge mache, wobei man japsen mußte wie ein alter Hund. Wenn man das nicht gewohnt ist, dieses in Stellung gehen und dann Sprung auf, dann bleibt einem schon manchmal die Luft weg. Weniger schön dabei ist, daß man den Stahlhelm dabei auf haben muß. Mit der Maske sieht man schon fast nichts und unter dem Helm hört man fast nichts. Da kommt man sich ganz hilflos vor.
Eines ist mir in letzter Zeit aufgefallen. Du schreibst sämtliche Post mit der Hand,. Wenn es Dir eine Erleichterung ist, dann benutze doch die Maschine, denn mir macht das bestimmt nichts aus. Das äußere Kleid ist doch nicht maßgebend, wesentlich und von Bedeutung ist der Inhalt. Mit der Zusendung von Feldpostbriefen bitte ich Dich erst einmal zu warten, denn ich habe jetzt einen genügend großen Vorrat, der mir über die nächste Zeit hinweghilft.
Hast Du eigentlich Bilder von Deinem Vater erhalten, die während unseres Aufenthalts gemacht worden sind. Ich würde mich jedenfalls dafür interessieren, wenn sie etwas geworden sind. Deine Frage wegen der Fotoplatten will ich Dir dahingehend beantworten, daß Du die Platten , denen Du weniger Bedeutung zumisst, ruhig wegtun kannst. Andere, von denen Du meinst, daß man sie vielleicht noch einmal verwenden kann, kannst Du ja aufheben. Da werden sicherlich nicht viel mehr zurückbleiben.  Wenn etwas passieren würde, dann hätten wir schließlich auch nicht mehr davon.
Ich grüße Dich heute recht herzlich. Ich gebe jedem von Euch einen lieben und festen Kuss. In Gedanken bin ich sowieso immer bei Euch. Dein Ernst. 

Brief 544 vom 14.06.1944


Mein liebstes Mädel!                                                       14.6.44    

Obwohl ich gestern und vorgestern Post von Dir bekommen habe, war es mir nicht möglich, Dir gestern einen Brief zu schreiben, denn dazu hatte ich keine Zeit. In der Nacht vorher war ich auf Streife. Kam nach Mitternacht nach hause. 6,30 Uhr war Wecken und nach ¾ Stunden Fertigmachen rückten wir ab. Wir nahmen geschlossen an einem Lehrgang für Panzernahbekämpfung teil. Am Vormittag hatten wir theoretischen Unterricht und am Nachmittag hatten wir dann Gelände sprengen.  Es wurden Sprengladungen und Minen zur Explosion gebracht, was recht interessant war. Zu einer anständigen Mittagspause marschierten wir nach hause, und der Nachmittag war dann auch bis 19 Uhr beansprucht. Als wir nach hause kamen, mußte ich dann gleich auf Wache ziehen. Es ist wieder die Wache, die sich über 24 Stunden hinzieht. Ich habe diesmal dabei Glück, denn ich bin von den 4 Mann Wachhabender, so daß ich nur auf Posten sitzen brauche, während die anderen wechselseitig auf Wache stehen müssen. Wenn es auch mit dem Schlaf in diesem Fall knapp bestellt ist, so muß ich doch nicht bei Runden marschieren. Diese günstige Gelegenheit habe ich gleich wieder benutzt und meine Wäsche in Ordnung gebracht. Wir hatten hier eine Art Waschpulver bekommen, womit ich meine Sachen über Nacht eingeweicht hatte. Das hat den Dreck ganz schön gelockert. Da wir hier immer heißes Wasser zur Verfügung haben kommt es ganz gut hin. Gegenwärtig liegt der ganze Kram auf der Wiese zum Trocknen und Bleichen. Die weißen Sachen sind wieder schön sauber geworden. Man kann direkt den Stolz einer Hausfrau nachfühlen, wenn sie auf ihre Sachen so Obacht gibt. Man merkt aber auch, allerdings muß man hier die erschwerten Verhältnisse  berücksichtigen, daß das Waschen  keine Kleinigkeit ist. Ich will deshalb Dein Mitgefühl, bei dem Du ein spöttisches Lächeln nicht ganz unterdrücken könntest, diesmal mehr als ein fachmännisches und als das eines Kollegen betrachten. Die Grenzen dafür wollen wir aber gleich festlegen. Innerhalb Deines häuslichen Kreises will ich Dir die Krone dieser Würde unumstritten lassen, denn in einem Wettstreit bekenne ich mich geschlagen, bevor es überhaupt begonnen hat,. Ich nehme an, daß Du das nicht gleich als Herausforderung betrachtest Eins ist zwar nicht notwendig, daß Du Dich von meiner Kunst gleich hingerissen zeigst, aber ich glaube auch so, Dich zu verstehen. Mit Deinen Briefen habe ich gestern auch den mir zugesandten Zuckerbeutel erhalten, wie auch das Stückchen Wollstoff. Ich danke Dir dafür. Verwendung werde ich wohl bald wieder dafür haben.
Mit dem Garten hast Du, wie ich aus Deinen Zeilen lese, doch viel Freude, vor allem wo Du jetzt verschiedenes ernten kannst, was doch bestimmt eine beachtliche Hilfe bedeutet. Für mich selbst ist das ja auch eine Beruhigung, wenn ich weiß, daß Euch damit noch manches zuwächst, was man jetzt nicht zugeteilt erhält. Gewundert hat mich Deine Mitteilung über die Unverfrorenheit des Rebholz. Nach der sonstigen Einstellung dieser Familie zu uns ist es doch schon ein starkes Stück, an Dich heranzutreten und von Dir den Rhabarber zu verlangen. Ich weiß, daß Du ihn leider nicht selbst ganz verwenden kannst, weil Du nicht genügend Zucker hast. Es ist schließlich auch besser, wenn er unter die Leute kommt, als daß er bei uns wieder eingeht. Das Geld selbst ic ja heute nicht so von Bedeutung, aber immerhin hast Du einen Teil der Pacht damit heraus, die wir für den Garten zahlen. Es ist ja nun nicht so, daß wir für das Herausholen der Pacht arbeiten müssen.
Über den Brief von Jörg, der auch mit ankam, hatte ich mich sehr gefreut. Er schreibt ziemlich ursprünglich und ich muß ebenfalls zu meiner Freude gestehen, fast fehlerlos. Aus Deiner Mitteilung, daß er einmal aus Heimweh geweint habe, kann man sehen, daß er noch ein kleiner Bengel ist.  Dann war es auch das erste Mal, daß er allein von daheim weg war. Das merkt er eben doch, was für ein Unterschied herrscht, wenn man daheim alles vorgesetzt bekommt und wenn man in jeder Hinsicht bereut wird. Es ist schon ein erster Schritt ins Leben und in die Freiheit, aber wie man sieht, ist auch dieser mit Schmerz verbunden wie vieles Schöne im Leben, was man zum ersten Mal erlebt. Ich muß darum erst einmal mit Dir kurz reden, was Du meinst, ob wir ihn zum Lager des Jungenzuges schicken. An sich möchte ich ihm dieses Erlebnis schon gönnen, doch ich müßte wissen, wie lange das dauert. Ich will nicht haben, daß er nun die ganzen Ferien außerhalb des Hauses verbringt. Wenn es 14 Tage geht, dann würde ich meine Einwilligung dazu nicht versagen. Du selbst würdest ihn ja auch vermissen, wenn er zulange von daheim weg wäre.
Du fragst mich, ob ich zu Resi etwas gesagt habe, daß sie sich um Dich mehr oder besser gesagt kümmern sollte. Weder bewusst noch unbewusst glaube ich davon ein Wort gesprochen zu haben. Ich bin selbst verwundert, wie sie sich an Dich in letzter Zeit anschließt. Trotz der verschiedenen Fehler, die sie hat, ist sie mit von allen Bekannten immer noch die liebste. In mancher Hinsicht geht sie nicht immer ganz aus sich heraus, aber das kann man schließlich nicht verlangen. Denn jeder von uns hat sein eigenes Leben und das muß man respektieren. Daß Du ganz gut mir ihr auskommst, sehe ich wieder aus Deinen Zeilen. Du hast doch wenigstens etwas Ablenkung. Im Grunde ist sie ja auch nicht streitsüchtig veranlagt, so daß man in dieser Richtung wohl keine Bedenken haben braucht. Ich schrieb ja auch schon früher einmal, daß mir der Umgang unserer Helga mit Ingrid deshalb recht ist, weil man weiß, wer die Familie ist, und daß dort alles so seine Ordnung hat. Nach den zwei vorangegangenen Einladungen kannst Du selbstverständlich nicht umhin, sie auch einmal zu Dir zu bitten.  Da hat seine Richtigkeit und ich freue mich, daß Du dabei nicht zurückzustehen brauchst.
Unsere beiden Stromer sind nun auch soweit, daß sie allen ins Hornbad gehen.  Ohne Aufsicht gehen sie doch nicht zu weit hinaus. Ich weiß ja, daß sie im Schwimmen recht sicher sind, aber ich habe immer das Gefühl, daß sie übermütig werden wie das nun einmal so ist. Ich weiß allerdings auch, daß unser Mädel so einsichtig ist und weiß, daß sie sich nicht zuviel vornehmen darf. Wenn es ihnen aber Spaß gemacht hat, dann haben sie ja auch etwas davon gehabt. Daß das Wetter bei Euch so schön geworden ist, entspricht ja an sich auch der Jahrezeit. Hier sind wir auch soweit, daß ich heute den ganzen Tag draußen im Freien und in der Sonne sitzen konnte.  Aber solche Unbeständigkeit des Wetters, wie ich sie hier bisher erlebte, ist mir wohl noch nicht begegnet. Man kann fast an jedem Tag mit Regen rechnen. Dies wird aber durch die vielen Wälder und Sümpfe hervorgerufen, die die hohe Niederschlagsmenge bewirken.
Daß dieser junge Emil Leimenstoll solch qualvolles Ende hatte, das ist doch sehr bedauerlich. Wenn es aber so kommen mußte, dann ist es besser, er hat es überstanden. Denn das langsame Dahinsiechen ist doch schrecklich.
Ich schließe nun für heute und hoffe immer wieder, daß auch Ihr gesund seid. Denn das ist für mich das Wichtigste, alles andere kann man wieder ins Geleise bringen. Aber bleiben wir wie immer voller Zuversicht, das andere wird sich von selbst finden. Herzliche Grüße und viele liebe Küsse sende ich Dir und den Kinder. Dein Ernst.

Brief 543 vom 11.06.1944


Mein lieber Schatz!                                                                 11.6.44      

Es ist wieder einmal der Sonntag herangekommen. Diesmal habe ich am Nachmittag frei, während ich am vergangenen Sonntag auf Wache stand. Zu tun gibt es zwar immer etwas und wenn man etwas über Mittag schlafen kann, dann ist man bestimmt nicht böse darum. Gerade bin  ich beim Kartoffelnkochen, damit ich mein Abendbrot strecken kann. Wenn ich auch auf das Feuer Obacht geben muß, so kann ich doch bequem nebenher meinen Brief an Dich beginnen. Die nächste Streife fängt für mich erst um Mitternacht an. Bis dahin denke ich, daß ich einiges geschafft habe.
Du hast wohl geschrieben, daß im Garten alles soweit gemacht sei. Was machen denn die Radieschen, die wir noch längs der Brombeerhecke ausgesät haben? Sind sie etwas geworden und habt Ihr schon davon geholt? Der Spinat muß doch wohl auch soweit sein. Wie haben denn die Johannisbeeren und die Stachelbeeren angesetzt? Ist da eine ordentliche Ernte zu erwarten? Die Erdbeeren müssen wohl jetzt auch schon reif sein. Was machen denn die Setzlinge, die wir noch zusammen hineingetan haben? Es ist nur gut, daß der Stock beim Stachelbeerstrauch noch um die jetzige Zeit weggebrochen ist. Wenn der Beerenbehang dann weiter fortgeschritten ist, dann läßt sich das schlechter machen. Hat sich denn der eine Stachelbeerbusch im Garten, der so mickerig war, wieder erholt oder ist er ganz eingegangen?  Das hätte ich sehen mögen, wie unser Junge mit seinem Affen losgezogen ist. Da muß er ja doch ziemlich zu buckeln gehabt haben. Mit der Verpflegung ist das jetzt nicht so einfach. Im Frieden läßt sich das ohne große Schwierigkeiten einrichten, aber bei der Markenwirtschaft macht das schon einige Kopfschmerzen. Er kann aber nur froh sein, daß sein Mutterle sich so sehr um die Sachen kümmert. Denn er hat doch gleich so ziemlich alles zusammen was er braucht. Erst hatte er gleich eine Uniform bekommen und alles was damit zusammenhängt. Nun hast Du ihm noch den Affen fertiggemacht. Da wird er selbst wohl froh gewesen sein. _ Wie aus dem letzten Brief Deines Vaters hervorgeht, hat Siegfried einmal kurz eine Nachricht an Erna geschickt, aus der hervorgeht, daß er mit Glück der Gefangenschaft entronnen sei. Zwar ist es schon eine Weile her, seit er diese Zeilen geschrieben hatte und wir hoffen, daß er noch gesund bei seinem Haufen ist. Aus Nannies Brief habe ich gelesen, daß der Sohn ihres Mannes auch dort in diesem Abschnitt eingesetzt sei. Auch dessen Sohn, der 18 Jahre alt ist, tut nun schon als Soldat seine Pflicht. Jungens, die in diesem Alter stehen, werden auch hier in unserem Abschnitt eingesetzt. Man merkt aber, daß diese Bengels doch noch die reinen Kinder sind. Nannie hat mich in ihrem Brief eingeladen, anläßlich eines Urlaubs einmal bei ihr vorbeizukommen. Das ist sehr nett, aber die wenigen Tagen, die man dann hat, die will ich dann doch lieber mit Euch verleben. Ihr werde ich das in einer passenden Form mitteilen. Zudem ist es ja so, daß ich vorerst nicht damit rechnen kann, denn nach den Bestimmungen könnte ich frühestens mit Weihnachten rechnen und bis dahin braucht es noch eine Weile.
Gerade in meinen Essensvorbereitungen erhalte ich Deine Briefe vom 29., 30.5. und 2.6. Recht herzlich habe ich mich darüber gefreut, denn wenn man sonst nichts weiter hat, dann wartet man sehr auf die Zeilen, die man von seinen Lieben erhält. Es ist ein richtiger Sonntagsabschluss. Denn heute Vormittag waren wir alle im Wald, Holz holen, damit wir in unserer Küche kochen können. Das geht ja hier in einer Hinsicht recht einfach. Es liegen allerhand Stämme im Wald herum, die man sich nur zurechthauen braucht. Fünf Panjewagen tragen dann schon ein ganz schönen Teil. Was gefehlt hat, das wurde noch gefällt. Nur der Aufzug wirkt recht schlimme. Mit einem MG ausgerüstet und jeder Mann mit seinem geladenen Gewehr. Es ist an sich notwendig, denn man weiß ja nicht, ob sich doch etwas ereignet. Denn die Burschen nutzen doch jede sich bietende Gelegenheit aus, um uns Schaden zuzufügen.  Leichtsinnig kann man dabei nicht sein, denn dadurch hat es schon manches Opfer gegeben. Als wir nach hause kamen, gab es dann Mittagessen. Das war recht sonntäglich.  Kraut und Kartoffeln mit nichts drin. Das hat nun einen langen Magen geben. Unsere Verpflegung war noch nicht angekommen, so daß es ziemlich schmal herging. Dafür habe ich mich heute Abend entschädigt. Ich habe mir Bratkartoffeln und drei Eier gemacht. Das hat wohl gut geschmeckt, aber durch das viele im Freien Herumtreiben hat man dauernd Hunger. Aber wie ich schon früher schrieb, Du brauchst Dir um mich keine Sorgen zu machen, denn ich helfe mir schon. Bald ist nun wieder Nacht. Unser Licht brennt heute wieder einmal nicht. Da muß ich es mit Kerzenbeleuchtung noch etwas halten, denn ich will den Brief Deines Vaters noch beantworten. Deine Briefe kommen nach Möglichkeit morgen dran. Eines kann ich aber gleich noch feststellen, daß Du einen Teil meiner Fragen wegen des Gartens mit Deinen heutigen Zeilen beantwortet hast. Was sonst noch ist, darüber wirst Du mich so nach und nach auf dem Laufenden halten.
Ich grüße Dich, mein liebes Mädel, und gebe Dir sowie den Kindern jedem einen recht lieben Kuss. Bleibt gesund und denkt wie immer an mich. Dein Ernst.

Brief 542 vom 10.06.1944


 Mein liebstes Mädel!                                                                                10.6.44  
 
Meine viele Schreiberei, die ich trotz der eingeschränkten Zeit aufrechterhalten habe, fängt jetzt an Früchte zu tragen. Heute bekam ich von Dir gleich früh drei Briefe ausgehändigt. Es sind die vom 23., 24. und 28.5. Außerdem erhielt ich eine Postkarte von unserem Jungen, über die ich mich auch mächtig gefreut habe. Zuletzt traf dann noch ein Brief vom Gerhard Legler ein. Das war ein erfreulicher Auftakt. Mit der normalen Post erhielt ich nun noch Deinen Brief vom 27., dann kam von Deinem Vater ein Antwortbrief, einige Zeitungen mit einem Rundbrief an alle Kameraden des Elternvereins und Nanni hat mir auf meinen Brief auch geschrieben. Das ist doch für einen Tag eine reiche Ausbeute. Unserem Jörg habe ich vorhin gleich geantwortet, damit er sieht, daß ich seine Briefe auch für voll nehme. Er hat sehr nett ge schrieben. Ich habe vor allem darüber lachen müssen, daß man den Jungens eine Geistergeschichte erzählte, um sie vielleicht zum Fürchten zu bringen. Die muß aber anscheinend so spannend gewesen sein, daß Jörg darüber eingeschlafen ist. Daß diese Erzählungen auf sein Gemüt solchen schwerwiegenden Erschütterungen hervorrufen würde, das war ja nicht zu erwarten. Seine Karte lege ich Dir gleich mit bei. Für das Kleeblatt, was anscheinend unser Helga gefunden hatte, lege ich heute eine Blume bei, die ich gestern gefunden hatte. Sie ist, vornehmlich auf der Rückseite, so schön symmetrisch, daß ich glauben darf, daß auch Ihr Euren Gefallen daran haben werdet. Ihr könnt ja auch weiter daran ersehen, daß ich nicht nur während des Briefeschreibens, sondern auch sonst immer an Euch denke. Ehe ich es vergesse, habe ich gleich noch eine Frage: Hast du mir schon die früher erbetenen Rasierklingen zugesandt? Wenn nicht, dann bitte ich Dich nochmals darum. _ Gefreut hat es mich, daß unsere beiden Stromer so sinnig des Muttertags gedachten. Das haben sie wirklich ordentlich gemacht. Es ist ja jetzt so schwer, etwas zu bekommen. Ich bedauere nur, daß ich nicht, wie in vergangenen Jahren, habe daran denken können. Es ist aber durch die Herumreiserei gekommen, die mich voll und ganz in Anspruch nahm. Ich hoffe auf Dein verständnisvolles Einsehen und nehme an, daß Du mir das nicht weiter übel anrechnest.
Daß Vater über die Reise anderer Ansicht ist wie wir, das ist ja nicht weiter tragisch,. Für uns ist es wichtig, daß wir uns noch eine schöne Tage gemacht haben. Zudem hatten wir Gelegenheit, den Betrieb bei Deinem Vater kennen zulernen. Außerdem war es ja so, das betonte ich schon früher einmal, da wir während meines letzten Urlaub nirgends waren, daß wir nun diesen Betrag mit dafür verwendet haben, das ist nicht nur so in Ordnung, sondern das hatte alles so seine Richtigkeit. Warum sollen wir uns das nicht gönnen, wenn wir die Gelegenheit dazu haben. Anders wäre es, wenn wir um jeden Pfennig  springen müßten, um ihn dazu zusammenzubringen. Du mußt Dir keine Gedanken machen, denn wenn ich immer wieder höre, was die anderen Kameraden während ihres Aufenthalts in Marburg verbraucht haben, so sind wir die reinen Waisenknaben dagegen. Ich glaube nicht, daß sie angeben, wenn sie sagen, das 5 bis 600 RM draufgegangen sind. Wir sparen übrigens das ganze Jahr, so daß wir uns diese einmalige Ausgabe leisten können. Wenn mir das zuviel gewesen wäre, dann hätte ich ja nicht an Dich schreiben brauchen, daß Ihr dorthin kommen sollt. Diese Reise ist nun abgeschlossen, sie war schön und ist als bleibende Erinnerung zurückgeblieben, das ist wesentlich und daran kann niemand mehr rütteln. Die paar Mark mache uns auch nicht glücklicher, das darf man auch nicht außer Acht lassen. Vater fühlt nun einmal in diesen Dingen anders wie wir, daran läßt sich auch nichts mehr ändern.
Meines Briefmarkenalbums hast Du Dich auch wieder besonders angenommen. Ich danke Dir jedenfalls für die Mühe, die Du wieder damit gehabt hast. Dann ist es doch für die nächste Zeit versorgt und aufgehoben. Wenn Du die Aufstellung gemacht hast, dann gib nur eine bei Kuster ab, damit er mir für die griechischen Marken, die ich ihm gab, etwas herausrückt. _ Es ist gut, daß Ihr das getrocknete Brot so gut verwenden könnte. Ich bedaure sehr, daß ich Euch jetzt so gar nichts mehr zukommen lassen kann. Es ist hier aber wirklich unmöglich. Außer den Tabakwaren, die ich nicht für mich verwenden kann, ist hier nichts abzuschicken. Manchmal mache ich mir Gedanken um Euch, ob Ihr auch auskommt. Aber leider kann ich nicht helfend eingreifen.
Wie ich aus Deinem Brief vom 24. entnehme, ist der Verschlag inzwischen fertiggestellt. Es ist mir innerlich eine Beruhigung, daß Du nun so manches aus der Hand bekommst und im Keller einigen Platz erhalten hast. Es war doch gut, daß ich den Anstoß dazu gab, denn nun mußt Du Dich doch nicht gar so sehr herumklemmen. Wie steht es eigentlich mit dem Kinderwagen, den wir tauschen wollten? War es eigentlich nicht noch etwas, was wir lossein wollten? Wenn Du das Leinensäckchen noch nicht abgesandt hast, dann ist das nicht so wichtig, ich habe mir inzwischen anders geholfen. Wenn Du schon etwas mit Zulassungsmarke hersenden willst, dann lasse mir bitte ein Handtuch zugehen. Die Maße davon schreibe ich Dir noch auf. Mir ist hier eine abhanden gekommen, so daß ich nicht ganz klarkomme. Daß das Osterpäckchen an Dich zurückgekommen ist, ist einesteils recht. Andernteils hätte ich es selbstverständlich auch gerne in Empfang genommen, denn von Griechenland aus, also von einer Feldpostnummer zur anderen, kann man ohne weiteres diese Kilopäckchen versenden. Nun soll es aber auch so recht sein. Dass das Geld angekommen ist, ist mir auch eine Beruhigung, damit diese Sache nun auch erledigt ist.. Wozu Dir der Marinesturm gratuliert hat, ist mir nicht ganz erklärlich. Ich nehme zwar an zum Muttertag, doch das geht aus Deinem Schreiben nicht ganz hervor.
Wenn Jörg nach Deinem Dafürhalten soviel mit dem Dienst in Anspruch genommen wird und für Dich keine Zeit mehr hat, dann mußt Du schon einmal eingreifen und den Jungens begreiflich machen, daß er auch ab und zu für Dich da sein muß. Ich pflichte Dir darum in Deiner Ansicht vollkommen bei.
Die Patronenkiste hat nun auch ihre Verwendung gefunden. Hatte ich Dir das gesagt, oder hatte ich es nur gedacht, daß man sie für solche Zwecke verwenden kann. Jedenfalls zeigt sich, daß Du den richtigen Riecher gehabt hast und sie nun so eingerichtet hast.   Meine Erkundigungen wegen Kurts Grab bezogen sich auf Erkundigungen, die ich bei Kameraden eingezogen hatte, die sich in dieser Gegend aufgehalten hatten. Wenn aber diese Nachricht  von dem Gräberoffizier vorliegt, dann läßt sich daran nichts mehr deuteln. Ich bedauere das sehr, denn ich hatte mich im Stillen schon mit dem Gedanken getragen, hier Schritte einzuleiten, die es mir möglich machen sollten, dorthin zu fahren. Wenn der Friedhof aber als solcher noch besteht, dann ist das ja auch eine Beruhigung.
Wenn auch Eure Fahrt zum Hohentwiel nicht so abwechslungsreich und schön war wie unsere gemeinsame Fahrt im vergangenen Jahr, so war es doch immerhin eine Ablenkung. Daß Ihr erst Hemmungen gehabt habt und nicht gleich in das Zentralhotel gegangen seid, ist mir nicht ganz erklärlich. Ihr bezahlt doch Euer Essen genau so wie die anderen Leute auch.  Anscheinend muß es aber ganz ordentlich gewesen sein, was Ihr bekommen habt. Wie hat es denn Resi und ihren Kindern gefallen? Ihr seid ja  schon alte Kämpen dort oben, denn man kann Euch ja nicht viel Neues mehr bieten. Wenn es auch sonst nicht viel anderes zu sehen gibt, als was man schon kennt, dann kann man doch immer wieder in Erinnerungen schwelgen und sie auffrischen. Wenn Ihr Euch einigen Kuchen geleistet habt, dann ist das nicht weiter schlimm. Ich würde es auch so gemacht haben.  Aber hier bietet sich ja nicht die Gelegenheit dazu. Daran kannst Du Dich nicht stoßen, wenn ich das nicht habe. Daß Dir das seltsam vorkommt, wenn unser Junge nicht im Hause ist, das kann ich Dir schon nachfühlen. Das kann in nächster Zeit ab und zu einmal passieren, daß er über die Ferien so auf Fahrt geht. Als ich seine Karte las, mußte ich daran denken, wie Kurt immer davon schwärmte, wenn sie nach Mühlhofen an den Killenweiher gingen. Dort hat es ihm doch immer ausnehmend gut gefallen. Die Pfadfinder hatten doch dort zuerst ihre Zelte aufgeschlagen. Nun macht es die HJ nach. Hauptsache ist, daß es den Jungens gefällt. Ich hatte Kurt einmal ein Bild noch mitgeschickt, das ich in der Zeitung fand. Es war ein Holzschnitt vom Killenweiher. Er hatte sich damals darüber gefreut und bedankte sich extra dafür.  Heute habe ich einmal etwas mehr Zeit gehabt, die ich nun gleich zur Beantwortung Deiner Briefe benutzen konnte. Es gibt doch gleich mehr zu schreiben. Außerdem muß man ja auf einige Dinge besonders eingehen. Ich kann es jedenfalls nicht, daß ich nur so kurz die Sachen hinhaue, denn dann bin ich innerlich nicht ganz zufrieden.
Doch jetzt schließe ich erst einmal ab und komme morgen auf die weiteren unbeantworteten Zeilen zurück. Bis dahin grüße und küsse ich Dich recht herzlich. Bleibt mir gesund, das ist mir von größter Bedeutung. Nehme Du auch noch einen lieben Kuß von Deinem Ernst. 

Brieef 541 vom 08.06.1944


 Meine liebste Annie!                                                                                    8.6.44   
 
 Heute will ich die Beantwortung Deiner beiden ersten Briefe fortsetzen, denn andere Post ist inzwischen noch nicht eingegangen. Wie ich aus Deinen Zeilen entnehme, hast Du Deinen Garten soweit wieder in Schwung. Ich denke, daß alles noch rechtzeitig gemacht werden konnte, trotz der Unterbrechung, die durch die Reise nach Leipzig eingetreten war. Diesmal hast Du Dich ja reichlich mit Tomaten eingedeckt, hoffen wir, daß Du auch einen schönen Erfolg damit hast. Wenn der Baum schon geblüht hat, dann sollte man ja annehmen, daß er doch wieder einiges tragen würde. Bevor man eben die Sachen noch nicht heimgetragen hat, kann man noch nichts sagen. Halten wir alle miteinander den Daumen und im übrigen tut man, was man dabei machen kann.  Die Bestäubung der Blüten findet ja nicht allein durch die Bienen statt, obwohl sie die Bestäubung sehr begünstigen, zum Teil wird sie ja auch durch den Wind bewirkt. Wie machen denn die Kartoffeln, nachdem Du doch einen ganzen Teil von den kleinen verwendet hast? Hoffentlich werden sie kräftig genug. Wenn Du aber mehrere in ein Loch geworfen hast, dann sollte das eigentlich schon reichen.
Die Zigarettenlieferungen an den Gaugel kannst Du schon etwas stärker einschränken. Die Verdienste dieses Mannes um uns sind nicht gerade so hoch, daß wir nun Hauptlieferant werden.
Es hat mich sehr gefreut, als ich las, daß Du nochmals einen Zentner Kartoffeln erhalten hast. Da kommst Du doch wieder ein ganz schönes Stück hin. Du hast in Deinen Briefen noch nichts erwähnt, ob die Kartoffeln, die ich von Marburg abgesandt hatte, bei Dir angekommen sind. Ich nehme das zwar an und vermute, daß Du das nur vergessen hast, mir mitzuteilen. Eins macht mir auch wieder Spaß. Der Kaufladen hat bei Dir wieder neue Ideen entwickelt. Daß Du ihn nun gleich als Bücherregal verwenden kannst, ist ja recht praktisch. Damit sind ja auch zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen worden. Das habt Ihr recht gemacht, daß Ihr über die Pfingsttage nicht daheim gesessen seid. Über diesen Ausflug habe ich zwar noch nichts erfahren, aber über die Vorbereitungen. So seid Ihr doch wieder einmal aus der Wohnung herausgekommen. Doch über den eigentlichen Verlauf erhalte ich ja noch Bescheid.
Wie es scheint, ist Jörg durch den Dienst recht in Anspruch genommen. Denn zum mit badengehen hat es ihm auch nicht gelangt. Wir baden hier auch jeden Donnerstag. Bei uns geht das aber gleich am Vormittag vonstatten. Es ist zwar kein Hallenbad, aber immerhin eine heiße Brause. Vorher kann man aber noch in die Sauna  gehen, was sich  recht wohltuend auf den Körper auswirkt. Durch das Schwitzen ist man zwar hinterher recht müde, aber trotz allem fühlt man sich recht frisch.  Das Verhalten von Helgas Lehrer ist doch recht sonderbar. Wenn nun die Tasche  verloren gegangen wäre, dann wäre das diesem Herrn recht gleichgültig gewesen. Ich bedaure, daß ich diesen sturen Bock nicht kennen gelernt habe, es ist nur gut, daß Ihr die Tasche noch vorfandet.
Hat Jörg, als er auf Fahrt ging, schon den Tornister mit genommen? Der muß ihm doch recht schwer geworden sein auf die Dauer. Mein Schienbein ist, nachdem es ziemlich geeitert hatte, jetzt soweit wieder gut geworden, daß nur noch eine Beule zu sehen ist. Ich hoffe, daß dies sich auch nach und nach zurückbilden wird. Ja, mit Wachdienst sind wir reichlich versehen. Seit meiner Ankunft habe ich nur die ersten zwei Nächte durchgeschlafen. seither kenne ich das nicht mehr. Einen Teil der Nacht treibe ich mich entweder auf den Schienen vor unserer Unterkunft oder beim Pumpwerk herum. Ein Unterschied liegt nur darin, daß ich einmal vor Mitternacht oder nach Mitternacht dran bin. Ein Teil fehlt also vom Nachtschlaf immer, aber man gewöhnt sich mit der Zeit wohl auch daran. Zum Abend stehe ich wieder auf 24 Stundenwache. Wie haben ein Pumpwerk, das den Wasserturm für die Eisenbahn speist zu bewachen. Damit von Seiten der Banditen Überfälle abgewehrt werden können. Wenn schönes Wetter herrscht, ist das kein schlechter Dienst. Man kann sich in seiner Freizeit sonnen oder man kann sich sonst im Freien irgendwie beschäftigen. Wenn es regnet, dann ist es schlecht, denn es ist kein Aufenthaltsraum da, wo man sich hinsetzen kann. Mit dem Schlafen ist es etwas primitiv. Auf zwei Holzböcken sind einige Bretter darüber gelegt. Dann legt man sich seinen Mantel unter den Kopf und die Schlafstätte ist fertig. Wenn man müde ist, merkt man nicht, daß es hart zum liegen ist. Nebenan etwas tiefer liegt dann gleich der russische Heizer, der den Dampfkessel während der Nacht zu überwachen hat. Von seiner Schlafstätte kann man gleich zu den Pumpen hinüberreichen. Bezüglich der Unterkunft ist es ja ein himmelweiter Unterschied zwischen Athen und hier. Das ist aber nun einmal unser Soldatenlos. Froh will ich aber noch sein, wenn ich ein Dach über dem Kopf habe. Das ist bis jetzt noch der Fall gewesen, und darum habe ich auch keinen Grund zum Klagen.
Ich sende Dir und den Kindern recht herzliche liebe Grüße und küsse Auch Drei recht fest im Geiste. Denkt auch an mich, wie ich in Gedanken immer bei Euch bin. Dein Ernst.

Brief 540 vom 07.06.1944


Mein liebster Schatz!                                                                              7.6.44   
                    
Wie ich in meinem Brief von gestern noch kurz erwähnen konnte, habe ich nun nach langer Wartezeit Briefe von Dir erhalten. Wenn im Verhältnis zu der Zeit gesehen, die ich in Griechenland auf die erste Post gewartet habe, der Zeitraum bei weitem nicht so lang gewesen ist, so mußte ich mich dort auf längere Zeit einstellen. Nach den Berechnungen zu schließen, die die Postbeförderung braucht von hier zur Heimat und zurück, hätte ich ja schon längst Bescheid von Dir haben müssen. Nachdem ich nun den Anschluß zu Euch wieder gewonnen habe, hat ja nun auch alles seine Klärung gefunden. Andere Befürchtungen, die durch das lange Ausbleiben Deiner Antwort sich eingestellt hatten, haben sich, darum bin ich froh, als nichtig erwiesen. Ich weiß ja, das teilte ich Dir ja schon kürzlich mit, daß Du mir alsbald schreiben würdest, wenn Du im Besitz meiner Feldpostnummer bist. Meine Stimmung war in den letzten Tagen sehr gespannt und gedrückt. Jetzt fühle ich mich wieder einigermaßen erleichtert, wo ich nun weiß, daß alles daheim in Ordnung ist. Über die Vorgänge, die sich hier immer ereignen, habe ich Dich immer unterrichtet, diesmal kann ich nun auf Deine Schreiben eingehen.
Aus dem einen Brief Deines Vaters hatte ich ja erfahren, daß Ihr gesund daheim angekommen seid. Die Bestätigung habe ich nun auch von Dir persönlich erhalten. Ich hatte mich nur etwas gewundert, daß Du diesmal nicht, wie sonst früher, täglich einige Zeilen niedergelegt hattest, die Du mir dann geschlossen zugehen ließest. Das ist aber an sich nicht weiter schlimm, denn ich nehme an, daß Du genügend Arbeit daheim vorfandest. Ich weiß, daß auch Du nicht immer die Zeit oder den Stoff zum schreiben hast, , wenn ich vielleicht nicht mehr so ganz regelmäßig schreibe, aber an eine gewisse Regelmäßigkeit wollen wir uns doch halten. Bei mir ist es ja so, daß ich meist die Mittagsruhe zum Schreiben verwende, weil ich sonst ja keine Möglichkeit am Tage mehr habe.
Die Entwicklung der Krankheit bei dem Jungen aus dem Haus ist sehr schmerzlich für die Eltern. Ich weiß mich noch so gut zu erinnern. mit welcher Hoffnung der Junge nach Ostern daheim nach Heiligenberg ging.  Bedauerlich ist nur, daß man die Ursache so spät erkannt hat. Wenn ihm dieses Schicksal einmal bestimmt ist, in diesem jungen Alter zu sterben, dann wäre es gut, wenn er es bald überstehen könnte.
Daß die beiden Briefe an den Obergefreiten Hirscher wieder zurückgekommen sind, bedauere ich selbst. Ich habe aber nur die Feldpostnummer, die ich Dir seinerzeit angegeben hatte. Es bleibt daher nichts weiter übrig, als die Sachen vorerst aufzuheben. Vielleicht gibt es irgendeine Regelung.
Daß der Verschlag von Vater so ordentlich gemacht wird, das gibt mir eine gewisse Beruhigung. Wenn er fertig ist, hast Du doch die Möglichkeit, einige Sachen aus der Hand zu bekommen und im Keller bekommst Du damit einigen Platz. Wie hat das mit dem Holz geklappt. Hast das überhaupt gereicht, oder hast Du noch welches heranholen müssen? Dadurch, daß Du Vater so verschiedene Handreichungen gemacht hast, wird ihm die Arbeit auch etwas schmackhafter gewesen sein. Ich bin wirklich froh, daß ich während meines Urlaubs dazu noch die Anregung gab. Du wolltest Vater zwar nicht gern in Anspruch nehmen, aber ich denke, daß Du mit dem Erfolg zufrieden sein wirst.
Daß sich Paula in so gehässiger Weise über uns äußert, ist nun einmal ein Charakterfehler von ihr, den wir aber schon immer erkannt haben. Da wir das wissen, ist es für uns ja ein Leichtes, uns darauf einzurichten und innerlich dagegen Stellung zu nehmen. Daß aus allem nur der Neid blickt, ist klar erkenntlich. Ein gewisser Ärger geht auch aus allen ihren Handlungen hervor, der sich bei der Behandlung irgendwelcher Fragen unserer Familie ergibt.  Wir tun so, als ging uns das alles nichts an. Wenn sie sich einmal soweit vergessen würde, was ich zwar nicht annehme, daß das öffentlichen Charakter annehmen würde, dann müßte man allerdings etwas dagegen unternehmen. Wenn sie will, soll sie ihren inneren Ärger haben, wir haben sie nicht dazu angehalten. Das muß sie mit sich selbst abmachen. Wenn sich die Dinge zwischen Vater und ihr wieder zu zuspitzen, so tut mir eigentlich nur Vater leid, daß er wieder unter ihrem „anmaßenden Wesen“, wie er immer sagt leiden muß. Denn auch an ihm geht doch diese Reiberei nicht spurlos vorüber. Wenn Du Dich nicht weiter gerührt hast zu ihrer Silberhochzeit, so ist das für Dich nicht grundlos gewesen. Die Dinge liegen hier nun einmal so, daß wir keine Bindung mehr zu ihr haben, nachdem sie sich in einer solchen falschen Weise uns gegenüber gezeigt hat. Was sie sonst über mich zu sagen hat, läßt mich im allgemeinen ganz kalt, wenn ich es weiß oder nicht weiß.  Wie hat denn Jörg seine Pimpfenprobe bestanden? War er ein Scheißkerl oder ein ganzer Kerl? Ich hoffe, daß das letzte der Fall war. Hat es ihm denn auf Fahrt gefallen. Dazu kann er sich einmal persönlich äußern. Er soll nur auch dort auf sich halten und Obacht geben, daß ihn die anderen nicht an die Wand drücken. Aber nicht nur dort, sondern auch in der Schule. Im allgemeinen habe ich zwar bei seiner Veranlagung wenig Angst, denn ich glaube, daß er sich seiner Haut wehren wird.
Ich schicke Dir noch ein Bild mit, daß ich mir in Marburg hatte machen lassen. Es sieht zwar sehr finster aus. Aber vielleicht hängt das mit der damaligen Umstellung zusammen. Euch Drei grüße ich recht herzlich. Ich bitte Dich, auch Vater einen herzlichen Gruß auszurichten. Ihr, meine drei Trabanten, bekommt aber jeder einen lieben Kuß, denn ich denke immer an Euch. Dein Ernst.   
Die Blumen heißen Katzenpfötchen und wachsen hier im Sumpfgebiet.

Brief 539 vom 01.06.1944



Meine liebe, gute Annie!                  (Datum unklar, aber wohl Anfang Juni 1944)

Mit dem heutigen Tag liegen schon 23 Tage hinter mir, seit ich Dir den ersten Bescheid von hier aus zugehen ließ. Von Deinem Vater habe ich schon zwei Briefe erhalten, auch von Marburg erhielt ich gestern meine angeforderten Bilder zugesandt, obwohl ich dorthin einige Tage später geschrieben hatte. Ich finde keine Erklärung für das lange Ausbleiben Deiner Antwort. Von einem Abend hoffe ich auf den anderen und bis jetzt bin ich leider immer enttäuscht worden. Heute hoffe ich auch wieder auf einen Brief von Dir, ob sich die Hoffnung aber bestätigen wird, das wird sich erst heute Abend herausstellen.
Bei uns sind einige Veränderungen eingetreten. Unser bisheriger Ausbilder, der sich teilweise in einer üblen Form aufgeführt hatte, ist, nachdem er letzte Woche uns in besoffenem Zustand ins Gelände führen wollte, plötzlich von uns versetzt worden. Er hatte sich zu diesem Ausmarsch ein Pferd besorgt und wollte wie ein Offizier vor uns herreiten. Unser Oberleutnant kam rechtzeitig dazu, um diesen Unfug abzustellen. Der Mann, der uns verschiedenes unserer Verpflegung vorenthalten hat, hat damit ein schönes Leben aufgeben müssen. Unser neuer Lehrgangleiter, ein Oberfeldwebel, gibt sich nun richtige Mühe mit uns, nur wie das sich auf die Dauer auswirkt, werden wir ja sehen. Der Dienst ist seither strammer geworden und er nimmt auch den ganzen Mann mehr in Anspruch wie das schon vorher der Fall war. Mit etwas gutem Willen und zwar auch etwas Zusammenreißen wird es schon gehen. Eins ist jedenfalls festzustellen, das ist nicht nur bei mir, sondern auch bei allen anderen Kameraden der Fall, daß die zurückliegenden vier Jahre spürbar werden. Wir sind älter geworden und dieses unstete Leben und alles andere, was damit zusammenhängt, wirkt sich eben doch auf den Körper aus. Ob man nun wieder so elastisch wird, wie man es mit 25 Jahren war, das ist wohl kaum zu glauben. Dieses dauernde Herumtreiben Nacht für Nacht auf den Eisenbahnschienen merkt man selbstverständlich auch. Aber es heißt hier nur, die Zähne zusammenbeißen, denn einmal wird sich dieser Zeitabschnitt hinter uns liegen.
Mein langes Warten ist nun heute mit zwei Briefen von Dir belohnt worden. Es sind Deine beiden Briefe vom 22. und 26.5., der erste war ja reichlich lange unterwegs. Nun weiß ich doch wieder, was daheim während der vergangenen Zeit los war. Ich hatte mir schon Gedanken in jeder Richtung gemacht und konnte keine Erklärung finden, an was das liegen konnte. Zwischendurch fehlen ja noch einige Briefe, aber das ist ja nicht so entscheidend. Der Tag des Anfangs der Invasion findet damit für mich einen schönen Abschluß. Zur Beantwortung der einzelnen Sachen komme ich jetzt nicht mehr, das werde ich mir für morgen aufsparen. Ich grüße Euch recht herzlich. Hoffentlich bringt uns der heutige Tag den Anfang einer entscheidenden Wendung um gegenwärtigen Geschehen. Euch allen einen herzlichen Kuß in Liebe von Deinem Ernst.

Sonntag, 2. Juni 2019

Brief 538 vom 31.05.1944


Mein liebstes Mädel!                   31.5.44  /angekommen 9.6.44/10    

Als erstes muß ich wieder den Schwanengesang anstimmen. Es ist noch keine Post von Dir eingegangen. Ich kann mir das nur damit erklären, daß von uns aus die Briefe irgendwie hängenbleiben. Denn der Kamerad, der aus Bregenz ist, hatte zehn Tage auf Post waren müssen, bis er wieder Nachricht von daheim erhielt. Ich gebe aber die Hoffnung und das WArten nicht auf, denn einmal muß es ja doch klappen. Dagegen kam gestern ein Brief Deines VAters an, dem ein Durchschlag eines Schreibens an Dich mit beigefügt war. Mein erstes Schreiben traf danach am 23.  in Leipzig ein. Aus diesem Schreiben habe ich immerhin ersehen, daß Ihr gesund nach unseren gemeinsamen Aufenthalt in Leipzig nach Konstanz gekommen sei. Daß es mit dem Platz für Euch geklappt hatte, war ja recht erfreulich. Der Brief Deines Vaters ist ja in dem üblichen Ton gehalten. Es klingt diesmal nur daraus hervor , daß er an sich froh ist, daß ein gewisser Trennungsstrich , der zwischen uns und ihm stand , etwas verblaßt ist. Er gab ja selbst zu, daß das Verhältnis zu ihr nicht das sein kann, wie es zwischen uns allen bestand, als Deine Mutter noch lebte. Er meinte ja auch, daß ihm in erster Linie daran gelegen ist, daß er versorgt ist. Er behauptete ja, daß dies der Fall sei. Er mußt sich sein Leben so einrichten, wie er es haben will. Das war ja auch früher unser Standpunkt und daran hat sich für uns nicht geändert. Daß wir ohne weiteres einen Pflock zurückgesteckt haben und die Lotte als eine Haushaltsführerin anerkennen, das ist eine Notwendigkeit, die sich im Rahmen dieser Erkenntnis ergibt. Entsprechend ihrer charakterlichen Veranlagung hat sie sich Mühe geben, um uns den Aufenthalt immerhin angenehm zu gestalten. Daß ihr dieser ungewohnte Betrieb am Anfang schwer gefallen ist, ist verständlich. Mit meinem Eintreffen hat sich das ja insofern gebessert, daß es Dir nicht weiter spürbar war. Lachen muß ich im Stillen noch, wie Du gemeutert hattest, als wir Beiden entgegen dem früher gefaßten Plan umquartiert werden sollten. Du hattest Dich, das muß ich mit Anerkennung geststellen, gegen diesen in Deinen Augen teuflischen Pöan mit Erfolg durchgesetzt. Ich hatte zuerst nicht die Absicht erkannt, doch Dich versetzte Ansinnen in einen Zorbn, der in dieser Art lange Jahre in Dir geschlummert hatte und bei dieser Gelegenheit zum Ausbruch kam. Für mich war das ein köstlicher Spaß, Dich in Deiner zu sehen. Meine Anerkennung habe ich Dir ja schon im voraus gegeben. so ist es mit wohl gestattet, daß ich im Hintergrund ein wenig lächle. Oder darf ich das nicht? Trotz all diesen Widerwärtigkeiten bist Du ja zu Deinem Recht gekommen. Deinem Vater habe ich seinen Brief gestern auf Wache gleich erledigt, damit sich nicht erst Postschulden anhäufen. Heute lese ich nun im Wehrmachtsbericht, daß Leipzig angegriffen worden sei. Nun bin ich wieder in Sorge, bis die Eilnachricht hier eintrifft. Daß auch von Siegfried keine Nachricht eintrifft, gibt einem immer Anlaß zur Sorge. Hoffentlich ist alles gut vorübergegangen. Daß es dem Emil von Leimenstolls so schlecht geht, tut mir sehr leid. Dieser Junge ging doch mit solch einer Zuversicht nach Heiligenberg, um die neue Kur anzutreten. _ Meinem heutigen Brief füge ich das Wollgras mit bei, das ich in einem meiner letzten Briefe mit erwähnte. Betrachtet es als einen Gruß an Euch und des Gedenkens der schön verbrachten Stunden während des letzten Urlaubs. _ Bei uns geht an sich alles seinen gewohnten Gang. Ich mußte heute zur Abwechslung mit noch mehreren Kameraden zum Impfen marschieren. Ich habe es diesmal mit Helga gehalten, die ja auch erst kürzlich gegen Pocken geimpft worden ist. Um aber dazu zu kommen, mußten wir erst 12 km marschieren. Das ist mir auch das erste Mal passiert.  Aber das sind nun einmal alles so Kleinigkeiten, um uns zu zeigen, wie klein wir hier geworden sind. Mich selbst kann man mit diesen Sprüchen nicht aus dem Konzept bringen. Ich gehe meinen Weg, wie ich ihn für richtig finde und alles andere kann mich gern haben. _ Haltet mir den Daumen, daß ich nun bald con Euch Nachricht erhalte. Sonst wünsche ich Euch alles Gute. Ich hoffe, daß Ihr gesund seid und gebe Euch in dieser Erwartung jedem einen herzlichen und kräftigen Kuß verbunden mit vielen lieben Grüßen von Deinem Ernst. Meine liebe, gute Annie!                  13                     38 Mit dem heutigen Tag liegen schon 23 Tage hinter mir, seit ich Dir den ersten Bescheid von hier aus zugehen ließ. Von Deinem Vater habe ich schon zwei Briefe erhalten, auch von Marburg erhielt ich gestern meine angeforderten Bilder zugesandt, obwohl ich dorthin einige Tage später geschrieben hatte. Ich finde keine Erklärung für das lange Ausbleiben Deiner Antwort. Von einem Abend hoffe ich auf den anderen und bis jetzt bin ich leider immer enttäuscht worden. Heute hoffe ich auch wieder auf einen Brief von Dir, ob sich die Hoffnung aber bestätigen wird, das wird sich erst heute abend herausstellen. _ Bei uns sind einige Veränderungen eingetreten. Unser bisheriger Ausbilder, der sich teilweise in einer üblen Form aufgeführt hatte, ist, nachdem er letzte Woche uns in besoffenem Zustand ins Gelände führen wollte, plötzlich von uns versetzt worden. Er hatte sich zu diesem Ausmarsch ein Pferd besorgt und wollte wie ein Offizier vor uns herreiten. Unser Oberleutnant kam rechtzeitig dazu, um diesen Unfug abzustellen. Der Mann, der uns verschiedenes unserer VErpflegung vorenthalten hat, hat damit ein schönes Leben aufgeben müssen. Unser neuer Lehrgangleiter, ein Oberfeldwebel, gibt sich nun richtige Mühe mit uns, nur wie das sich auf die Dauer auswirkt, werden wir ja sehen. Der Dienst ist seither strammer geworden und er nimmt auch den ganzen Mann mehr in Anspruch wie das schon vorher der Fall war. Mit etwas gutem Willen und zwar auch etwas Zusammenreißen wird es schon gehen. Eins ist jedenfalls festzustellen, das ist nich nur bei mir, sondern auch bei allen anderen Kameraden der Fall, daß die zurückliegenden vier Jahre spürbar werden. Wir sind älter geworden und dieses unstete Leben und alles andere, was damit zusammenhängt, wirkt sich eben doch auf den Körper aus. Ob man nun wieder so elastisch wird, wie man es mit 25 Jahren war, das ist wohl kaum zu glauben. Dieses dauernde Herumtreiben Nacht für Nacht auf den Eisenbahnschienen merkt man selbstverständlich auch. Aber es heißt hier nur, die Zähne zusammenbeißen, denn einmal wird sich dieser Zeitabschnitt hinter uns liegen. _ Mein langes Warten ist nun heute mit zwei Briefen von Dir belohnt worden. Es sind Deine beiden Briefe vom 22. und 26.5., der erste war ja reichlich lange unterwegs. Nun weiß ich doch wieder, was daheim während der vergangenen Zeit los war. Ich hatte mir schon Gedanken in jeder Richtung gemacht und konnte keine Erklärung finden, an was das liegen konnte. Zwischendurch fehlen ja noch einige Briefe, aber das ist ja nicht so entscheidend. Der Tag des Anfangs der Invasion findet damit für mich einen schönen Abschluß. Zur Beantwortung der einzelnen Sachen komme ich jetzt nicht mehr, das werde ich mir für morgen aufsparen. Ich grüße Euch recht herzlich. Hoffentlich bringt uns der heutige Tag den Anfang einer entscheidenden Wendung um gegenwärtigen Geschehen. Euch allen einen herzlichen Kuß in Liebe von Deinem Ernst.

Brief 537 vom 15.05.1944


 Mein liebster Schatz !                                                                        15.5.44 
          
Mit dem heutigen Tag habe ich ein neues Jahr meinr Soldatenzeitbegonnen. Aber das ist nicht nur ein Tag der Erinnerung, sondern das macht sich auch nach aussen hin bemerkbar. Heute früh ½ 6 Uhr war Wecken und vorhin 18 Uhr ist Dienstschluß. Mittags wird der Dienst 12 Uhr abgebrochen. Bis 14 Uhr war dann dienstfrei. Ich muß schon feststellen, dass das einen langen Tag gibt. Aber es hilft alles nichts, ich muß mich hineinfinden, wenn auch die Kameraden keine Stimmung dazu machen. Ich darf mich aber nicht so sehr darum scheren, denn sonst mache ich mir das Leben schwerer. Die Anfeindungen sind selbstverständlich größer wie in früherer Zeit, denn es ist ja hier nich nur am Tage Dienst zu machen, sondern nachts muß Streife gegangen werden. Morgen früh bezw. über Nacht habe ich 2 Stunden Wache, die auf den normalen Dienst keinen Einfluß haben. Mit der Zeit werde ich hier in den Apparat eingeschaltet sein, ohne daß ich dass ich da ernstlich mich dagegegn wehren kann und ohne daß ich etwas machen kann,. Man muß alles wieder von Anfang an lernen, denn die vielen Jahre, die dazwischenliegen haben fast alles in Vergessenehti geraten lassen. Ich glaube aber, daß ich es schaffen werde, wenn ich dabei aufpasse. Wenn ich heute noch schreiben kann, so bin ich wirklich froh, denn ich hoffe, ihn etwas länger gestalten zu können, wie es während der meisten Zeit nicht möglich sein wird. Aber Du wirst schon so zzfrieden sein, wenn Du hin und wieder von mir Nachricht erhältst, denn Du weißtja, daß ich schreibe, sobald ich irgendwie Gelegenheit dazu habe. Ich hoffe zwar, daß das Dein Briefschreiben nicht beeinträchtigt und Du mir auch weiterhin Deine Nachrichten zukommen läßt. Wenn ich auch nicht immer gleich zum Lesen kommen werde, ich werde mich so oder so schon dazu schlängeln. Für mich ist es hier ja auch in dieser Hinsicht nich so einfach, denn wir sind zu 8 Kameraden auf einer Stube, die etwas größer und höher ist wie unser Schlafzimmer. Schränke usw. sind nicht vorhanden. Alles ist äußerst primitiv. Dann sitzt alles um den Tisch herum, zum Teil essend und dann spricht alles durcheinander. Man kann sich nicht sammeln, um einen richtigen Gedanken zu fassen. Ich sage ja, Umstellung auf der ganzen Linie.  _ Vor einer Woche haben wir uns nun bald trennen müssen. Wie schön waren doch diese Tage, die wir beieinander waren. Ich wünschte mir nur, daß ich sie bald wieder erleben könnte, denn es ist doch merklich anders, daheim zu leben auch unter heute nicht so einfachen Umständen, als hier diesen Rummel mitzumachen. Unsere Spaziergänge, waren sie auch nicht immer von so schönem Wetter begünstigt, sie haben doch manche alte Erinnerung wachgerufen. Ausserdem konnten wir wieder einmal die Gräber unserer Lieben besuchen, was mir wieder eine innere Beruhigung war. Ich glaube auch, daß Dein Vater sich gefreut hat, daß wir mit ihm zusammen waren. Er ist manchmal nicht einfach zu verstehen aber ich glaube, daß ihn die letzten Jahre etwas weicher gemacht haben, ich habe das auch an seinem letzten Brief gemerkt, den er uns beiden geschrieben hat. Ich habe ihm gestern gleich geschrieben. Einen langen Brief kann ich ja nicht schreiben, denn sonst komme ich nicht herum. Auch an meine alte Dienststelle, damit ich evtl.  dort eingegangene Post hierher kommen lassen kann. _ Hast Du den Ölkanister abgesandt? Auch die Marken sind wohl an den Kameraden abgegangen. Ich werde von hier aus noch kurz schreiben, damit diese Sachen in Ordnung gehen. Aber allzuviel darf ich mir nicht vornehmen. Ich muß eben eins nach dem anderen tun, je nachdem, wie ich dazu komme. _ Gestern war gleich nach meiner Ankunft Kinobesuch. Die Räume sind hier nun wenig prunkvoll. Zum wiederholten Male sah ich den Fihlm „Hab mich lieb“, der auch während meines Urlaubs daheim lief. Dieser Filmbesuch wurd aber als Dienst angesehen, da kann man nichts dagegen machen. Eine Wochenschau lief dazu, die vom Sommer vergangenen Jahres stammte. Sie ist zwar nicht mehr aktu ell, aber für die Soldaten geht ja so etwas. Für die besten Soldaten der Welt müssen auch die besten Filme sein.Mich stört das ja nicht weiter, ich denke, daß ich ein dickes Fell mit der Zeit bekommen werde. _ Mein liebes Mädel! Herzlich will ich Dir, wie ich schon in meinem Brief nach dem ersten Abschied von Konstanz erwähnte, für all die Liebe danken, die Dur mir während der Urlaubstage zukommen ließest. Heute will ich die schönen Tage von Leipzig nich mit einschließen. Ich hoffe, daß wowohl Du als auch die Kinder mit allem zufrieden waren. Ich von mir aus habe versucht, alls das zu tun, was mit möglich war, um Euch eine kleine Freude zu bereiten. Wenn ich auch unserem Mädel einmal etwas näher treten mußte, wie ich es sonst nicht beabsich tigt hatte, so glaube ich, daß sie es mir nicht nachtragen wird. Grüße sie alle Beide von mir, unsere beiden lieben Stromer. Du selbst nim ware viele liebe Grüße und Küsse entgegen. Es ist jetzt 21 Uhr und wir müssen ins Bett gehen, denn es ist für uns Zap fenstreich. Schlaf auch Du schön und lasse Dich herzlich küssen von Deinem im Geiste immer bei Euch weilenden Ernst. _ Luftpostbriefe senden hat hier wenig Zweck nach Aussagen der Kameraden, weil die Post nicht schneller geht wie die übrige Post. Einige Marken lege ich wieder mit bei. 

Montag, 13. Mai 2019

Brief 536 vom 13.05.1944


Du mein gutes, liebes Mädel !                                                                     13.5.44    
      
Gestern war ich den ganzen Tag auf Achse und kam deshalb nicht zum Schreiben. Ich fuhr von Brestlitowsk nach Beranowitsch, um dort die gesuchte Einheit zu finden. Der Zug hielt dort ziemlich lange, so daß ich mir meine Auskunft holen konnte und zur Weiterfahrt nach Minsk in meinen vorherigen Zug einstieg.  Gegen 7 Uhr erreichte ich nach 13 Stunden Fahrt diese Ziel. Es ist an sich eine langweilige Angelegenheit, es ist jedoch anzunehmen, daß mir die kommenden Tage ziemlich kurzweilig gestaltet werden, dafür werden dann die Vorgesetzten schon sorgen. Ich muß es eben hinnehmen, wie die anderen Soldaten, auch wenn es schwer fällt. Der Unterschied macht sich allenthalben bemerkbar. Wenn ich den Unterkünften gedenke und die anderen Vorzüge, die ich bisher genaß trotz aller kriegsnotwendigen Erscheinungen, so kann ich nur feststellen, daß es ein schlechter Tausch ist, den ich eingegangen bin. Hier gab es anscheinend Wanzen im Quartier, doch ich glaube annehmen zu dürfen, daß mir diese Biester nichts machen, denn die anderen Kameraden jammerten alle, während ich nichts merkte. Ich wünsche mir nur, daß es auch ferner so bleibt. Es ist jetzt Frühkonzert.  Die Zeit bis zur Öffnung der Dienststellen benutze ich gleich, um Dir diesen Morgengruß zu senden. Ob die Einheit nun hier liegt, weiß ich noch nicht genau, das erfahre ich erst später. Wenn ich dann meine neue Anschrift bekommen sollte, dann lasse ich sie Dir gleich wissen, damit auch ich nicht allzu lange auf Nachricht von Dir warten muß.  Es interessiert mich ja auch, wie Ihr zurecht gekommen seid, wenn ich auch fest hoffe, daß alles geklappt hat. Da habe ich bei Durchsicht meiner Papiere noch einige Marken gefunden, die Du mir in Leipzig gabst zum Einkauf von Schwarzgebäck. Du kannst sie sicherlich gebrauchen und mir sind sie hier im Wege. Soweit ich Zeit dazu habe, begleiten Euch stets meine Gedanken. Sicherlich seid Ihr schon baden gewesen.  Das Wochenende wird nun noch Zeit und Gelegenheit geben, manches, was aus dem Geleise gekommen war, in Ordnung zu bringen. Die Kinder sind jetzt wahrscheinlich auf dem Wege zur Schule und Du hast Deine eigentlichen Arbeiten, die ja immer wieder anfallen. Im Garten wirst Du nun auch langsam die Übersicht wieder bekommen haben, was am vordringlichsten zu machen ist. Aber immer schön eins nach dem anderen.
Da fällt mir noch etwas ein. Vater hatte ein Feuerzeug, bei dem er nicht wußte, wie es aufgeht. An der einen Seite befindet sich ein Druckknopf, den muß er nur niederdrücken, dann kann er die Hülse herausziehen. Ich habe es mir von einem Kameraden zeigen lassen, als ich das gleiche Feuerzeug sah.
Jetzt habe ich wieder eine neue Auskunft in der Tasche. 40 km in westlicher Richtung heißt es nach dem neuen Marschbefehl, Koidanow nennt sich das neue Nest. Ich werde wohl auch dort nicht endgültig bleiben. Morgen früh setze ich mich in Marsch. Das ist alles nicht so einfach, aber mit der Zeit werde ich es schon noch schaffen. Ich habe im Gefühl, daß wir für die Bewachung der Bahnlinie Beranowitsch/Minsk verwendet werden. Aber erst heißt es abwarten, bis alles soweit ist. Ich habe mir vorhin noch einen Satz Briefmarken besorgt, den ich Dir gleich mit zuleite. Du hebst ihn bitte für mich mit auf.
Das Wetter ist auch hier recht heiß geworden, obwohl die Bäume, Wiesen und Felder noch einen Zustand aufweisen wie bei uns, als ich in Urlaub kam. Mir kommt es so vor, als wenn ich dem Frühling nachreise. Der Hahnenfuß streckt hier erst seine Blüten heraus und auch die Küchenschelle blüht wunderbar.
Doch das ist alles kein Anlaß, mich über meine gegenwärtige Lage hinwegzutäuschen. Ich bin zwar nicht trostlos, aber immerhin innerlich wenig zufrieden, wenn ich es auch nicht so schlecht habe, daß es nicht zum Aushalten wäre. Denn ich werde es schon schaffen, darauf kannst Du dich verlassen.
Bleibt mir, Ihr meine Lieben, ganz fest gesund und denkt wie immer an mich, wie ich das jederzeit an Euch tue. An alle anderen werde ich erst schreiben, wenn ich meinen neuen Aufenthaltsort habe.
Lasse Du Dich und die Kinder vielmals grüßen und recht herzlich küssen von Deinem immer im Geiste bei Euch weilenden Ernst.

Brief 535 vom 02.05.1944


Du mein ganz lieber Schatz!                                                                               2.5.44  
      
 Manchmal kann ich es mir nicht so richtig zusammenreimen, daß nun tatsächlich schon wieder eine Woche vergangen ist seit ich mich nach dem letzten Urlaub von Euch trennen mußte. Doch wenn ich in meinem Kalender nachsehe, dann ist doch so. Ich muß aber außerdem noch feststellen, daß ich heute vor einem Monat bei Euch ankam. Was war das für ein Jubel und für eine Freude bei uns allen. Aber es ist nun einmal alles vergänglich und leider auch jeder Urlaub. Hoffen wir, daß es mit dem Kriege auch bald soweit sei wird. Wunderbar ist es, wenn man immer mit einer stillen Freude an die herrlichen Tage zurückdenken kann, die wir miteinander verbracht haben und das ist es schließlich immer wieder, was mich hochhält, wenn ich mir sage, daß ich dafür all dieses auf mich nehme, wenn es in der Hauptsache auch durchaus nicht erfreulich ist. Das sind aber Dinge, an denen wir nicht viel ändern können, darum müssen wir ihnen im großen und ganzen ihren Lauf lassen.  Aber auch die Angelegenheiten die hier abzuwiegeln sind, gehen, ich möchte schon fast sagen, grundlegend einen anderen Lauf, wie ich sie mir anfänglich ausgemalt habe. Heute will es mir fast scheinen, als sei ich etwas voreilig gewesen, als ich Dir am 27. das Telegramm sandte, denn ich sitze vorerst noch hier, und ich kann heute immer noch nicht absehen, wie sich alles regelt. Ich kam hierher und wurde gleich aufgefordert, mich mit einer neuen Kluft zu versehen. Das ist ja inzwischen geschehen. Aber wie das nun einmal so ist, es zeigen sich so Dinge, die man jetzt noch erledigen kann, wozu ich bisher immer keine Zeit hatte, weil ich mir meinen Urlaub dachte nicht verlaufen wollte und andernteils, weil man mir dafür auch sonst keine Gelegenheit gegeben hätte.  Ich will mir hier noch meine Zähne nachsehen lassen. Vor allem vielleicht auch die Krone, die mir vor einiger Zeit zersprungen war. Ob das möglich ist, das stellt sich erst morgen heraus Davon hängt wohl dann auch die Dauer meines weiteren Aufenthalts hier ab. Wenn das nicht so geht, wie ich mir das vorstelle, dann kann es sein, daß ich noch im Laufe dieser Woche von hier abrolle, andererseits kann es erst im Laufe der kommenden Woche soweit sei. Ich hatte nach meinem letzten Schreiben die Absicht, Dir heute zu telefonieren. Nach Lage der Dinge ist es aber so, daß ich heute nicht gewußt habe, was ich Dir heute hätte sagen sollen. Außerdem bestehen große Schwierigkeiten mit der Erreichung der Anschlüsse, so daß man sich fast den halben Tag versitzt. Mit einem Telegramm ist meist auch fast nichts erreicht, so daß ich mir dachte, ich werde Dir die gegenwärtige Lage doch schriftlich auseinandersetzen.   Es ist gleich Mitternacht. Ich komme gerade vom Luftschutzdienst zurück. Es war jetzt nur kurz und wir können froh sein, daß wir in den letzten beiden Nächten verschont wurden. Aber man ist oben keine Minute sicher ob es wieder anfängt. Das ist an sich auch gleichgültig, denn ich will auf die Dinge zurückkommen, die uns berühren.
Wenn ich noch einige Tage hier bleibe, dann wollte ich Dich erst bitten, daß Du von Leipzig zu mir herüberkommst. Es besteht aber eine Schwierigkeit und das ist die der Quartierbeschaffung. Wenn ich etwas mehr über meine Zukunft weiß, dann könnte ich über die hiesige Dienststelle wahrscheinlich eine Unterkunft erhalten. Wenn ma nso ein Bett erhält, dann hat man das einem großen Zufall zu verdanken. Ich frage mich nur, soll ich Dich weiter in Leipzig lassen, oder bist Du dort im Wege? Du kannst mir an die Adresse nach hier Post senden, die wird mir schon ausgehändigt. Ich hätte Dich gerade in diesen Tagen gern bei mir gehabt, um mich mit Dir über verschiedene Dinge zu besprechen, die mir sehr am Herzen liegen. Da dies aber nicht geht, so muß ich mich schon selbst entscheiden und allein mit allem Drumrum. Sobald alles einigermaßen durchsichtiger wird, dann gebe ich Dir weiteren Bescheid. Ich habe hier sonderbaren Dienst zu versehen. Ich mußte heute beim Major im Garten Misthaufen umsetzen. Das ist doch eines Soldaten durchaus würdig. Mit etwas muß man ja wiederum beschäftigt werden. Aber ich muß mir auch sagen, daß ich vielleicht um jeden Tag froh sein kann, den ich noch hier sein kann.
Rosig wird es im Osten wohl auch nicht sein. Als ich mit der Frau sprach, kam auch auf die mangelnden Kartoffeln die Rede. Sie erbot sich gleich bereit, mir einen Karton voll abzugeben. Ich habe ihn ohne große Widerrede angenommen. Ich weiß nicht, wie weit Du durch mein plötzliches Telegramm mit den Gartenarbeiten weitergekommen bist. Ich denke, daß Du sie vielleicht noch mit verwenden kannst. Ich habe alles eingepackt und werde vorsichtshalber das Paket an Vater senden, damit er es vorläufig in Empfang nimmt. Ich gebe ihm von mir aus noch Bescheid. Morgen will ich das Paket als Express aufgeben, dann wird es bald daheim sein. Wenn Du die Kartoffeln nicht für den Garten brauchst, dann kannst Du sie ja zum sonstigen Gebrauch verwenden.
Das wäre heute so alle, was ich Dir erst einmal mitzuteilen hätte. Sei mir bitte nicht böse, daß ich immer noch im negativen Sinne schreiben muß, aber ich komme selbst nicht umhin. Lasse Dich recht herzlich grüßen. Küsse die Kinder fest von mir und grüße Deinen Vater, sowie die anderen alle. Dir gebe ich einen ganz festen lieben Kuss und bin in treuem Gedenken an schöne Tage Dein Ernst. Wir waren nach Leipzig gefahren und haben dann auch unseren Vater noch getroffen. Der Aufenthalt war ein wenig schwierig, weil die zweite Frau meines Großvaters mit uns nichts anfangen konnte. Wir sind dann praktisch den ganzen Tag in dem zerstörten Leipzig herumgelaufen und haben auch ein paar Verwandte oder Bekannte besucht.