Sonntag, 30. Juni 2019

Brief 549 vom 22.06.1944


Du mein liebstes Mädel!                                                                        22.6.44     

Recht mächtig habe ich mich gefreut, als ich heute früh Deine beiden Briefe vom 6. und 7.6. sowie Deine drei Zeitungssendungen erhielt. Ich habe wieder aus Deinen Zeilen ersehen können, daß Ihr wohlauf seid und daß es Euch den Zeitumständen entsprechend geht. Von Deinem Vater erhielt ich den Rundbrief 14. Das war alles zusammen eine willkommene Abwechslung. Ich hatte zwar reichlich Beschäftigung, denn wie ich Dir gestern schon mitteilte, ist für mich wieder einmal der Waschtag herangekommen. Das muß nun einmal sein. wenn man nicht ganz und gar verludern und verdrecken will. Es ist nur schade, daß man die Sachen nicht bügeln kann. Wenn ich die Sachen auch nicht kochen kann, es hilft mir das heiße Wasser doch recht viel. Wenn, wie heute, die Sonne scheint, dann kann ich die Sachen bleichen lassen, dann kommt das schon so einigermaßen hin. Das Wetter ist seit einigen Tagen etwas beständiger geworden, so daß man tagsüber recht ins Schwitzen kommen kann. Nachts ist es aber trotz der Wärme am Tage beträchtlich kühl. Man muß sich öfter umziehen, um die jeweils gemäße Kleidung anzuhaben. Der laufende Dienst zwingt ja dazu, daß man auch damit seine Ordnung hat, denn am Tage kann man die dicke Feldbluse nicht ragen, da nimmt man dann den Drillichrock, für die Nacht braucht man schon die dicke re Bluse und den Pullover.
Ich kann Dir nur sagen, daß ich über das Verhalten von Resi sehr erstaunt bin. Die Bindungen waren früher nicht schlecht, aber doch recht lose und das besonders in letzter Zeit. Jetzt mit einem Male läßt sie das aufleben, was einem schon in Verwunderung versetzen kann, weil es so plötzlich geht. Mit selbst ist das schon wegen Dir sehr recht, wenn Du dadurch etwas Ablenkung und Abwechslung erfährst. Daß sie Dich zum Strümpfe stopfen einlädt, ist doch ganz nett. So sitzt du doch nicht Abend für Abend allein daheim oder hast als einzigen Unterhalter Vater da. Etwas kannst Du Dich doch bei den Arbeiten auch unterhalten. Was vor allem gut ist, ist, daß sie nicht so weit weg von uns wohnt, dann bist Du doch bei Alarm oder überhaupt bald wieder daheim. Helga und Ingrid sind ja z.Zt. so Clowns, die ich mir gut vorstellen kann, wenn sie ihren Verkleidungsnachmittag haben. Ich denke nur daran, wie wir sie im Wagen nach Wollmatingen fuhren und wie sie immer etwas zu ?  hatten, und wie plötzlich trat die Ernüchterung ein, als sie aus dem Wagen fielen, als er umkippte. Daß Vater sich über meinen Brief gefreut hat, ist ja recht und das sollte ja schließlich auch der Zweck sein.   Du erwähnst, das Wollgras in Deinem letzten Brief. Ich habe schon einige Tage wieder ganz aufgeblühtes Wollgras in meinem Notizbuch, das ich Dir heute mit zusenden kann. Es sieht sehr schön aus. die Wiesen haben große weiße Flecken, wo das Gras blüht. Es sieht schön aus.  Mit dem zusätzlichen Essen hast Du ja vollkommen recht. Es ist wiederholt vorgekommen, daß wir hier Quark erhalten haben. Den kann man mit Ei und Zucker anrühren, dann hat man ein kräftiges Zubrot, damit kann man wieder seine Butterration sparen und man hat doch etwas anderes im Magen. Jetzt haben wir wieder Gelegenheit gehabt, Öfter Magermilch zu bekommen. Das trifft dann fest einen Liter pro Mann. Ich habe mir jetzt einige Male die Hälfte davon sauer werden lassen, das ist dann auch ein prima Essen mit trockenem Brot. Man muß sich die Sachen nur recht einteilen.
Wie ich aus Deinem Schreiben entnehme, sind die großen Ferien diesmal recht reichlich bemessen, allerdings unter der Berücksichtigung dessen, daß die Pfingst- und Herbstferien ausfallen. Wenn das so ist, dann kann Jörg wohl getrost einige Zeit mit zu dem Lager nach dem Vorarlberg gehen, denn dann hast Du ihn ja noch eine Weile daheim. Der Auszug aus Doberlug  ist nun doch noch angekommen. Das Geld ist allerdings schon von mir ausbezahlt worden. Ich sandte es seinerzeit von Athen nach dorthin. Wir müssen einmal sehen, daß wir vielleicht dort noch eine Urkunde anfordern können. Ich nehme jedenfalls an, daß Du das Geld inzwischen nach dort gesandt hast.
An Deinen Vater habe ich vor einigen Tagen ein Päckchen mit Tabak und heute auch wieder eins abgesandt. Das hat mir 10,RM gekostet. Nun habe ich hier wieder eine Menge Tabakwaren, die mir viel Geld kosten, was ich nicht habe. Ich habe vielleicht an 60,RM ausgegeben, die ich mir besser für Verpflegung kaufen einsetzen könnte. Ich kaufe diese Sachen gern, weil ich weiß, daß ich damit jemand eine Freude bereiten kann. Aber hier ist das doch schwierig mit dem Geld, vor allem, wo doch mein Wehrsold jetzt sowieso viel knapper bemessen ist wie früher. Denn ich erhalte ja jetzt nur noch die Hälfte von dem, was ich früher bekam. Ich weiß nun nicht, soll ich das Deinem Vater in Rechnung stellen oder was rätst Du mir zu tun. Auf alle Fälle bitte ich Dich, daß Du mir so nach und nach 30/40 Rm zusendest. Stecke sie in Deine Briefe in Raten, denn auf die Dauer komme ich sonst nicht aus. _ Ich lege Dir heute einige Marken mit bei, die Du jetzt nach Belieben verwenden kannst. Ich glaube, daß das so ziemlich alles wäre, was ich Dir heute zu erzählen hatte. Ich hoffe Euch meine Lieben immer gesund und füre meinen Zeilen wie immer recht herzliche Grüße und viele liebe Küsse bei. In treuem Gedenken Dein Ernst. Liebste Frau, meine liebste Annie! Auch der heutige Sonntag hat wenig Änderung in unserem täglichen leben gebracht. Nach Mitternacht kan ich von der Streife nach hause und um 4 Uhr mußte ich schon wieder auf Posten stehen. Das geht hier so hier wie an Wochentagen. Kleine Erlebnisse und Beobachtungen bringen hier eigentlich die Abwechslung im täglichen Einerlei. Radio oder Kino haben wir ja nicht, was uns etwas ablenken könnte.  Andererseits ist es so, daß man froh ist, wenn man sein Bisschen Freizeit dazu verwenden kann, um die immer anfällige Post zu erledigen und daß man das, was noch übrig bleibt in Schlaf anlegt. Bei der Eigenart des Postenstehens läßt es sich einrichten, daß man hin und wieder aus der Zeitung einen Abschnitt lesen kann, doch diesen Posten steht man ja nicht regelmäßig, aber man hat immerhin Zeit, daß man sich darauf einrichten kann. Heute früh hatte ich von meinem Standort aus beobachtet, wie ein Elsternpaar (denkst Du noch an die Libelle, wie jener kluge Leipziger einmal sagte ?) in meiner Nähe immer hin und herflog und ihr nicht gerade schönes Gekreisch ertönen ließ. Diese Biester gibt es hier ja in rauen Mengen. Außerdem sind sie ja im Zusammenleben mit der anderen Vogelwelt nicht besonders nützlich. Bekanntlich sind sie ja Nesträuber. Als die eine der Beiden in Schussnähe kam, hatte ich erst einmal angelegt, um sie abzuschießen, doch bis ich mein Gewehr entsichert hatte, flog sie wieder weg.  Doch kurze Zeit danach kam sie noch näher zu mir heran und sie setzte sich auf ein Telegrafenmast. Ich hatte mein Gewehr sofort in Anschlag gebracht und Knall, hatte ich sie getroffen. Sie kugelte durch die Luft und plumpste herunter. Das war auf eine Entfernung von 30 m. Wie es scheint, ist es mit meiner Schießerei doch nicht so schlecht bestellt, wie ich mir immer einbilde. Es ist dies mein erstes Tier, das ich abgeschossen habe. Man spricht von einem Jagdfieber, was einem da packt. Wenn das die Spannung ist, die einem packt zwischen Anlegen und Abschießen, so muß ich sagen , daß das ein eigenartiges Gefühl ist, denn wenn man sich schon einmal dazu entschlossen hat, zu schießen, dann will man ja auch treffen. Man lebt dann in dem Glauben, daß der Vogel gerade in dem Moment wegfliegt, wenn man abdrückt. Ich weiß nicht, ob das allen Menschen so geht, doch ich konnte mich dieses Gefühls nicht erwehren. Vor einigen Tagen saß etwas weiter von diesem Standort aus ein Hase in meiner Nähe. Ich hatte auch die Absicht, ihn zu schießen, damit man einmal seine Mahlzeit strecken kann. Aber von mir aus gesehen kam unglücklicherweise ein Schienenfahrzeug, so daß ich diesen Schuss unterlassen mußte. Du mußt nun nicht denken, daß mich jetzt die Jagdleidenschaft packt. Aber immerhin, für mich war es ein Erlebnis. Schade ist nur, daß man die Elster nicht essen kann, oder besser gesagt, daß es sich nicht lohnt, sie fertig zu machen. Am Vormittag war ich nun noch arbeiten und über die Mittagszeit hatte ich wieder Streife und nachdem ich mein Mittagessen fertiggemacht hatte, habe ich seit etwa 16 Uhr Freizeit. Um 20 Uhr geht es wieder auf Streife, so daß ich auch diesen Sonntag herumgebracht habe.
Ich habe wieder einige Kleinigkeiten bekommen, so daß ich in meinem Päckchen Nr. 3, was ich schon seit einigen Tagen vorbereitet habe, einige kleine Umgruppierungen vorgenommen habe Ich habe zwei Zahnbürsten erhalten und auch etwas Zahncreme. Eine von den Bürsten hebe bitte für mich auf. Die andere kannst Du bei Eintreffen und Bedarf verwenden. Es mangelt mir nur an Bindfaden, dann könnte es schon längst weggehen. Ich denke aber, daß von Deinem Vater bald etwas ein treffen wird, denn ich hatte ihm kürzlich darum geschrieben. Ich habe auch noch allerhand Rauchwaren hier liegen, die ich gern lossein will. Man weiß ja nicht, was plötzlich kommen kann, dann möchte ich mein Lager gern geräumt haben. Die Ereignisse hier in unserer Gegend sind ja nach dem Wehrmachtsbericht auch nicht gerade rosig anzusehen. Das Gedonner ist ja auch seit einigen Tagen recht deutlich zu hören, doch die Zuversicht brauchen wir trotz allem noch nicht verlieren. Ich grüße Euch Drei und auch Vater recht herzlich. Laßt es Euch wohl gehen und bleibt nur immer gesund. Meine Gedanken lenke ich täglich zu Euch, denn mit Eurer Umgebung bin ich so vertraut und verwachsen, daß mir alles gegenwärtig ist. Dir mein Schatz schnipse ich einen lieben Kuss zu und gebe noch einen festen Schmatz drauf, den Kindern ebenfalls. Das ist immer Dein Ernst.

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