Sonntag, 30. Juni 2019

Brief 547 vom 18.06.1944


Mein geliebter Schatz!                                                                         18.6.44               

Es ist sonnig, und ich habe wieder einmal die Ehre gehabt, das Pumpwerk der Eisenbahn bewachen zu dürfen. Binnen kurzer Zeit werden wir abgelöst wer den. Vorher will ich aber noch die restliche Zeit dazu benutzen, um meinen Brief an Dich anzufangen. Schön war es heute hier deshalb, weil wir diesmal recht sonniges Wetter hatte, was die ganze Angelegenheit doch viel freundlicher gestaltet. Wenn wir auch unsere Sachen nicht während unserer Freizeit ausziehen dürfen, damit wir jederzeit einsatzbereit sind, do ist das ganze, von der Nacht zwar abgesehen, so eine Art Erholung. Die letzte Nacht war es hier ziemlich unruhig, weil der Iwan verschiedene Städte in unserer Nachbarschaft heimgesucht hat. Unter anderem auch die Großstadt, in der ich mich vor meinem Eintreffen hier aufhielt. Es war wieder einmal ein mächtiger Feuerzauber am Himmel, aber das sind ja Sachen, die in der Heimat zur Genüge bekannt sind. Vielleicht wird diesem Treiben in der Heimat nun auch ein Ende gesetzt. Durch die Ereignisse im Westen ist doch in gewisser Hinsicht eine Minderung der Einflüge zu beobachten. Wie lange das anhält, kann man noch nicht voraussehen. Wie auch alles sei, die jetzt eingeleiteten Kampfhandlungen geben doch allen Deutschen wieder einen neuen Auftrieb und aus dem untätigen Abwarten sind wir doch nun wieder mit Gegenaktionen auf dem Plan.
Du schriebst einmal auf meine Mitteilung, daß Du das nicht verstehen kannst, wenn jemand 75 RM für ein kg Butter bezahlt. Wenn man die Dinge von der Heimat aus betrachtet, dann ist dieser Standpunkt durchaus richtig. Die Verhältnisse im Ausland sind aber kaum mit denen in der Heimat zu vergleichen oder doch nur mit denen, die für den Schwarzen Markt überall gelten. Du mußt hier, wie ich schon einmal schrieb, für ein Ei 1,50 RM bezahlen. Dagegen erhält man für ein Stück Kriegsseife  3 Eier. Die Seife kostet doch daheim etwas über 10 Pfennig. Für ein Brot bekommt 8/9 RM, für eine Rolle Bonbons kann man 2 Eier und für 3 Zigaretten ebenfalls 2 Eier tauschen. Wenn man dann die anderen Preise dafür betrachtet, so hält sich alles in einem gewissen Rahmen. Man kann die Preise aber nur von dieser Seite ansehen, weil schließlich keine geordneten Verhältnisse sind, wie wir sie in der Heimat kennen. Ich dachte, daß ich Dir das einmal mit schreiben muß, auch schon deshalb, damit Du nicht denkst, ich würde diesen Unfug der Preisüberteuerung mitmachen. _ Wenn man hier so draußen ist, dann hat man immer Gelegenheit, etwa das Wachsen zu beobachten. Radieschen gibt es jetzt hier auch. Die Kartoffeln und die Bohnen kommen jetzt heraus. Das Getreide steht dagegen ganz schön da. Hier geht das Wachsen im Grunde genommen schneller vonstatten wie bei und. Die Leute haben vor einigen Tagen hier Kraut gesetzt. Die Stare, die hier in diesem Pumpwerk nisteten, haben ihre Brut inzwischen schon flügge. Die machen sich nicht viel aus den Witterungsgebilden. Die Störche, die es hier wieder in größerer Anzahl gibt, sind mit der Aufzucht ihrer Jungen auch bald soweit. Man lebt in dieser Beziehung noch stärker mit der Natur, doch das hängt wohl mehr damit zusammen, daß man hier mehr Gelegenheit und Zeit zum Beobachten hat.
An Nannie habe ich heute auch geschrieben. Ihren Brief lege ich Dir zur Kenntnis bei. Ich hatte Dir ja schon mitgeteilt, in welchem sinn ich ihr antworten würde. Das habe ich nun heute getan.
Als ich von der Wache heimkam, fand ich auch heute keine Post vor. Es ist zwar allgemein wenig eingetroffen. Das sind aber hin und wieder Störungen, mit denen man rechnen muß.
Ich grüße Dich und die Kinder recht herzlich. Nimm einen recht lieben und herzlichen Kuss entgegen von Deinem Ernst.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen