Sonntag, 16. Juni 2019

Brieef 541 vom 08.06.1944


 Meine liebste Annie!                                                                                    8.6.44   
 
 Heute will ich die Beantwortung Deiner beiden ersten Briefe fortsetzen, denn andere Post ist inzwischen noch nicht eingegangen. Wie ich aus Deinen Zeilen entnehme, hast Du Deinen Garten soweit wieder in Schwung. Ich denke, daß alles noch rechtzeitig gemacht werden konnte, trotz der Unterbrechung, die durch die Reise nach Leipzig eingetreten war. Diesmal hast Du Dich ja reichlich mit Tomaten eingedeckt, hoffen wir, daß Du auch einen schönen Erfolg damit hast. Wenn der Baum schon geblüht hat, dann sollte man ja annehmen, daß er doch wieder einiges tragen würde. Bevor man eben die Sachen noch nicht heimgetragen hat, kann man noch nichts sagen. Halten wir alle miteinander den Daumen und im übrigen tut man, was man dabei machen kann.  Die Bestäubung der Blüten findet ja nicht allein durch die Bienen statt, obwohl sie die Bestäubung sehr begünstigen, zum Teil wird sie ja auch durch den Wind bewirkt. Wie machen denn die Kartoffeln, nachdem Du doch einen ganzen Teil von den kleinen verwendet hast? Hoffentlich werden sie kräftig genug. Wenn Du aber mehrere in ein Loch geworfen hast, dann sollte das eigentlich schon reichen.
Die Zigarettenlieferungen an den Gaugel kannst Du schon etwas stärker einschränken. Die Verdienste dieses Mannes um uns sind nicht gerade so hoch, daß wir nun Hauptlieferant werden.
Es hat mich sehr gefreut, als ich las, daß Du nochmals einen Zentner Kartoffeln erhalten hast. Da kommst Du doch wieder ein ganz schönes Stück hin. Du hast in Deinen Briefen noch nichts erwähnt, ob die Kartoffeln, die ich von Marburg abgesandt hatte, bei Dir angekommen sind. Ich nehme das zwar an und vermute, daß Du das nur vergessen hast, mir mitzuteilen. Eins macht mir auch wieder Spaß. Der Kaufladen hat bei Dir wieder neue Ideen entwickelt. Daß Du ihn nun gleich als Bücherregal verwenden kannst, ist ja recht praktisch. Damit sind ja auch zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen worden. Das habt Ihr recht gemacht, daß Ihr über die Pfingsttage nicht daheim gesessen seid. Über diesen Ausflug habe ich zwar noch nichts erfahren, aber über die Vorbereitungen. So seid Ihr doch wieder einmal aus der Wohnung herausgekommen. Doch über den eigentlichen Verlauf erhalte ich ja noch Bescheid.
Wie es scheint, ist Jörg durch den Dienst recht in Anspruch genommen. Denn zum mit badengehen hat es ihm auch nicht gelangt. Wir baden hier auch jeden Donnerstag. Bei uns geht das aber gleich am Vormittag vonstatten. Es ist zwar kein Hallenbad, aber immerhin eine heiße Brause. Vorher kann man aber noch in die Sauna  gehen, was sich  recht wohltuend auf den Körper auswirkt. Durch das Schwitzen ist man zwar hinterher recht müde, aber trotz allem fühlt man sich recht frisch.  Das Verhalten von Helgas Lehrer ist doch recht sonderbar. Wenn nun die Tasche  verloren gegangen wäre, dann wäre das diesem Herrn recht gleichgültig gewesen. Ich bedaure, daß ich diesen sturen Bock nicht kennen gelernt habe, es ist nur gut, daß Ihr die Tasche noch vorfandet.
Hat Jörg, als er auf Fahrt ging, schon den Tornister mit genommen? Der muß ihm doch recht schwer geworden sein auf die Dauer. Mein Schienbein ist, nachdem es ziemlich geeitert hatte, jetzt soweit wieder gut geworden, daß nur noch eine Beule zu sehen ist. Ich hoffe, daß dies sich auch nach und nach zurückbilden wird. Ja, mit Wachdienst sind wir reichlich versehen. Seit meiner Ankunft habe ich nur die ersten zwei Nächte durchgeschlafen. seither kenne ich das nicht mehr. Einen Teil der Nacht treibe ich mich entweder auf den Schienen vor unserer Unterkunft oder beim Pumpwerk herum. Ein Unterschied liegt nur darin, daß ich einmal vor Mitternacht oder nach Mitternacht dran bin. Ein Teil fehlt also vom Nachtschlaf immer, aber man gewöhnt sich mit der Zeit wohl auch daran. Zum Abend stehe ich wieder auf 24 Stundenwache. Wie haben ein Pumpwerk, das den Wasserturm für die Eisenbahn speist zu bewachen. Damit von Seiten der Banditen Überfälle abgewehrt werden können. Wenn schönes Wetter herrscht, ist das kein schlechter Dienst. Man kann sich in seiner Freizeit sonnen oder man kann sich sonst im Freien irgendwie beschäftigen. Wenn es regnet, dann ist es schlecht, denn es ist kein Aufenthaltsraum da, wo man sich hinsetzen kann. Mit dem Schlafen ist es etwas primitiv. Auf zwei Holzböcken sind einige Bretter darüber gelegt. Dann legt man sich seinen Mantel unter den Kopf und die Schlafstätte ist fertig. Wenn man müde ist, merkt man nicht, daß es hart zum liegen ist. Nebenan etwas tiefer liegt dann gleich der russische Heizer, der den Dampfkessel während der Nacht zu überwachen hat. Von seiner Schlafstätte kann man gleich zu den Pumpen hinüberreichen. Bezüglich der Unterkunft ist es ja ein himmelweiter Unterschied zwischen Athen und hier. Das ist aber nun einmal unser Soldatenlos. Froh will ich aber noch sein, wenn ich ein Dach über dem Kopf habe. Das ist bis jetzt noch der Fall gewesen, und darum habe ich auch keinen Grund zum Klagen.
Ich sende Dir und den Kindern recht herzliche liebe Grüße und küsse Auch Drei recht fest im Geiste. Denkt auch an mich, wie ich in Gedanken immer bei Euch bin. Dein Ernst.

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