Sonntag, 16. Juni 2019

Brief 544 vom 14.06.1944


Mein liebstes Mädel!                                                       14.6.44    

Obwohl ich gestern und vorgestern Post von Dir bekommen habe, war es mir nicht möglich, Dir gestern einen Brief zu schreiben, denn dazu hatte ich keine Zeit. In der Nacht vorher war ich auf Streife. Kam nach Mitternacht nach hause. 6,30 Uhr war Wecken und nach ¾ Stunden Fertigmachen rückten wir ab. Wir nahmen geschlossen an einem Lehrgang für Panzernahbekämpfung teil. Am Vormittag hatten wir theoretischen Unterricht und am Nachmittag hatten wir dann Gelände sprengen.  Es wurden Sprengladungen und Minen zur Explosion gebracht, was recht interessant war. Zu einer anständigen Mittagspause marschierten wir nach hause, und der Nachmittag war dann auch bis 19 Uhr beansprucht. Als wir nach hause kamen, mußte ich dann gleich auf Wache ziehen. Es ist wieder die Wache, die sich über 24 Stunden hinzieht. Ich habe diesmal dabei Glück, denn ich bin von den 4 Mann Wachhabender, so daß ich nur auf Posten sitzen brauche, während die anderen wechselseitig auf Wache stehen müssen. Wenn es auch mit dem Schlaf in diesem Fall knapp bestellt ist, so muß ich doch nicht bei Runden marschieren. Diese günstige Gelegenheit habe ich gleich wieder benutzt und meine Wäsche in Ordnung gebracht. Wir hatten hier eine Art Waschpulver bekommen, womit ich meine Sachen über Nacht eingeweicht hatte. Das hat den Dreck ganz schön gelockert. Da wir hier immer heißes Wasser zur Verfügung haben kommt es ganz gut hin. Gegenwärtig liegt der ganze Kram auf der Wiese zum Trocknen und Bleichen. Die weißen Sachen sind wieder schön sauber geworden. Man kann direkt den Stolz einer Hausfrau nachfühlen, wenn sie auf ihre Sachen so Obacht gibt. Man merkt aber auch, allerdings muß man hier die erschwerten Verhältnisse  berücksichtigen, daß das Waschen  keine Kleinigkeit ist. Ich will deshalb Dein Mitgefühl, bei dem Du ein spöttisches Lächeln nicht ganz unterdrücken könntest, diesmal mehr als ein fachmännisches und als das eines Kollegen betrachten. Die Grenzen dafür wollen wir aber gleich festlegen. Innerhalb Deines häuslichen Kreises will ich Dir die Krone dieser Würde unumstritten lassen, denn in einem Wettstreit bekenne ich mich geschlagen, bevor es überhaupt begonnen hat,. Ich nehme an, daß Du das nicht gleich als Herausforderung betrachtest Eins ist zwar nicht notwendig, daß Du Dich von meiner Kunst gleich hingerissen zeigst, aber ich glaube auch so, Dich zu verstehen. Mit Deinen Briefen habe ich gestern auch den mir zugesandten Zuckerbeutel erhalten, wie auch das Stückchen Wollstoff. Ich danke Dir dafür. Verwendung werde ich wohl bald wieder dafür haben.
Mit dem Garten hast Du, wie ich aus Deinen Zeilen lese, doch viel Freude, vor allem wo Du jetzt verschiedenes ernten kannst, was doch bestimmt eine beachtliche Hilfe bedeutet. Für mich selbst ist das ja auch eine Beruhigung, wenn ich weiß, daß Euch damit noch manches zuwächst, was man jetzt nicht zugeteilt erhält. Gewundert hat mich Deine Mitteilung über die Unverfrorenheit des Rebholz. Nach der sonstigen Einstellung dieser Familie zu uns ist es doch schon ein starkes Stück, an Dich heranzutreten und von Dir den Rhabarber zu verlangen. Ich weiß, daß Du ihn leider nicht selbst ganz verwenden kannst, weil Du nicht genügend Zucker hast. Es ist schließlich auch besser, wenn er unter die Leute kommt, als daß er bei uns wieder eingeht. Das Geld selbst ic ja heute nicht so von Bedeutung, aber immerhin hast Du einen Teil der Pacht damit heraus, die wir für den Garten zahlen. Es ist ja nun nicht so, daß wir für das Herausholen der Pacht arbeiten müssen.
Über den Brief von Jörg, der auch mit ankam, hatte ich mich sehr gefreut. Er schreibt ziemlich ursprünglich und ich muß ebenfalls zu meiner Freude gestehen, fast fehlerlos. Aus Deiner Mitteilung, daß er einmal aus Heimweh geweint habe, kann man sehen, daß er noch ein kleiner Bengel ist.  Dann war es auch das erste Mal, daß er allein von daheim weg war. Das merkt er eben doch, was für ein Unterschied herrscht, wenn man daheim alles vorgesetzt bekommt und wenn man in jeder Hinsicht bereut wird. Es ist schon ein erster Schritt ins Leben und in die Freiheit, aber wie man sieht, ist auch dieser mit Schmerz verbunden wie vieles Schöne im Leben, was man zum ersten Mal erlebt. Ich muß darum erst einmal mit Dir kurz reden, was Du meinst, ob wir ihn zum Lager des Jungenzuges schicken. An sich möchte ich ihm dieses Erlebnis schon gönnen, doch ich müßte wissen, wie lange das dauert. Ich will nicht haben, daß er nun die ganzen Ferien außerhalb des Hauses verbringt. Wenn es 14 Tage geht, dann würde ich meine Einwilligung dazu nicht versagen. Du selbst würdest ihn ja auch vermissen, wenn er zulange von daheim weg wäre.
Du fragst mich, ob ich zu Resi etwas gesagt habe, daß sie sich um Dich mehr oder besser gesagt kümmern sollte. Weder bewusst noch unbewusst glaube ich davon ein Wort gesprochen zu haben. Ich bin selbst verwundert, wie sie sich an Dich in letzter Zeit anschließt. Trotz der verschiedenen Fehler, die sie hat, ist sie mit von allen Bekannten immer noch die liebste. In mancher Hinsicht geht sie nicht immer ganz aus sich heraus, aber das kann man schließlich nicht verlangen. Denn jeder von uns hat sein eigenes Leben und das muß man respektieren. Daß Du ganz gut mir ihr auskommst, sehe ich wieder aus Deinen Zeilen. Du hast doch wenigstens etwas Ablenkung. Im Grunde ist sie ja auch nicht streitsüchtig veranlagt, so daß man in dieser Richtung wohl keine Bedenken haben braucht. Ich schrieb ja auch schon früher einmal, daß mir der Umgang unserer Helga mit Ingrid deshalb recht ist, weil man weiß, wer die Familie ist, und daß dort alles so seine Ordnung hat. Nach den zwei vorangegangenen Einladungen kannst Du selbstverständlich nicht umhin, sie auch einmal zu Dir zu bitten.  Da hat seine Richtigkeit und ich freue mich, daß Du dabei nicht zurückzustehen brauchst.
Unsere beiden Stromer sind nun auch soweit, daß sie allen ins Hornbad gehen.  Ohne Aufsicht gehen sie doch nicht zu weit hinaus. Ich weiß ja, daß sie im Schwimmen recht sicher sind, aber ich habe immer das Gefühl, daß sie übermütig werden wie das nun einmal so ist. Ich weiß allerdings auch, daß unser Mädel so einsichtig ist und weiß, daß sie sich nicht zuviel vornehmen darf. Wenn es ihnen aber Spaß gemacht hat, dann haben sie ja auch etwas davon gehabt. Daß das Wetter bei Euch so schön geworden ist, entspricht ja an sich auch der Jahrezeit. Hier sind wir auch soweit, daß ich heute den ganzen Tag draußen im Freien und in der Sonne sitzen konnte.  Aber solche Unbeständigkeit des Wetters, wie ich sie hier bisher erlebte, ist mir wohl noch nicht begegnet. Man kann fast an jedem Tag mit Regen rechnen. Dies wird aber durch die vielen Wälder und Sümpfe hervorgerufen, die die hohe Niederschlagsmenge bewirken.
Daß dieser junge Emil Leimenstoll solch qualvolles Ende hatte, das ist doch sehr bedauerlich. Wenn es aber so kommen mußte, dann ist es besser, er hat es überstanden. Denn das langsame Dahinsiechen ist doch schrecklich.
Ich schließe nun für heute und hoffe immer wieder, daß auch Ihr gesund seid. Denn das ist für mich das Wichtigste, alles andere kann man wieder ins Geleise bringen. Aber bleiben wir wie immer voller Zuversicht, das andere wird sich von selbst finden. Herzliche Grüße und viele liebe Küsse sende ich Dir und den Kinder. Dein Ernst.

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