Sonntag, 16. Juni 2019

Brief 543 vom 11.06.1944


Mein lieber Schatz!                                                                 11.6.44      

Es ist wieder einmal der Sonntag herangekommen. Diesmal habe ich am Nachmittag frei, während ich am vergangenen Sonntag auf Wache stand. Zu tun gibt es zwar immer etwas und wenn man etwas über Mittag schlafen kann, dann ist man bestimmt nicht böse darum. Gerade bin  ich beim Kartoffelnkochen, damit ich mein Abendbrot strecken kann. Wenn ich auch auf das Feuer Obacht geben muß, so kann ich doch bequem nebenher meinen Brief an Dich beginnen. Die nächste Streife fängt für mich erst um Mitternacht an. Bis dahin denke ich, daß ich einiges geschafft habe.
Du hast wohl geschrieben, daß im Garten alles soweit gemacht sei. Was machen denn die Radieschen, die wir noch längs der Brombeerhecke ausgesät haben? Sind sie etwas geworden und habt Ihr schon davon geholt? Der Spinat muß doch wohl auch soweit sein. Wie haben denn die Johannisbeeren und die Stachelbeeren angesetzt? Ist da eine ordentliche Ernte zu erwarten? Die Erdbeeren müssen wohl jetzt auch schon reif sein. Was machen denn die Setzlinge, die wir noch zusammen hineingetan haben? Es ist nur gut, daß der Stock beim Stachelbeerstrauch noch um die jetzige Zeit weggebrochen ist. Wenn der Beerenbehang dann weiter fortgeschritten ist, dann läßt sich das schlechter machen. Hat sich denn der eine Stachelbeerbusch im Garten, der so mickerig war, wieder erholt oder ist er ganz eingegangen?  Das hätte ich sehen mögen, wie unser Junge mit seinem Affen losgezogen ist. Da muß er ja doch ziemlich zu buckeln gehabt haben. Mit der Verpflegung ist das jetzt nicht so einfach. Im Frieden läßt sich das ohne große Schwierigkeiten einrichten, aber bei der Markenwirtschaft macht das schon einige Kopfschmerzen. Er kann aber nur froh sein, daß sein Mutterle sich so sehr um die Sachen kümmert. Denn er hat doch gleich so ziemlich alles zusammen was er braucht. Erst hatte er gleich eine Uniform bekommen und alles was damit zusammenhängt. Nun hast Du ihm noch den Affen fertiggemacht. Da wird er selbst wohl froh gewesen sein. _ Wie aus dem letzten Brief Deines Vaters hervorgeht, hat Siegfried einmal kurz eine Nachricht an Erna geschickt, aus der hervorgeht, daß er mit Glück der Gefangenschaft entronnen sei. Zwar ist es schon eine Weile her, seit er diese Zeilen geschrieben hatte und wir hoffen, daß er noch gesund bei seinem Haufen ist. Aus Nannies Brief habe ich gelesen, daß der Sohn ihres Mannes auch dort in diesem Abschnitt eingesetzt sei. Auch dessen Sohn, der 18 Jahre alt ist, tut nun schon als Soldat seine Pflicht. Jungens, die in diesem Alter stehen, werden auch hier in unserem Abschnitt eingesetzt. Man merkt aber, daß diese Bengels doch noch die reinen Kinder sind. Nannie hat mich in ihrem Brief eingeladen, anläßlich eines Urlaubs einmal bei ihr vorbeizukommen. Das ist sehr nett, aber die wenigen Tagen, die man dann hat, die will ich dann doch lieber mit Euch verleben. Ihr werde ich das in einer passenden Form mitteilen. Zudem ist es ja so, daß ich vorerst nicht damit rechnen kann, denn nach den Bestimmungen könnte ich frühestens mit Weihnachten rechnen und bis dahin braucht es noch eine Weile.
Gerade in meinen Essensvorbereitungen erhalte ich Deine Briefe vom 29., 30.5. und 2.6. Recht herzlich habe ich mich darüber gefreut, denn wenn man sonst nichts weiter hat, dann wartet man sehr auf die Zeilen, die man von seinen Lieben erhält. Es ist ein richtiger Sonntagsabschluss. Denn heute Vormittag waren wir alle im Wald, Holz holen, damit wir in unserer Küche kochen können. Das geht ja hier in einer Hinsicht recht einfach. Es liegen allerhand Stämme im Wald herum, die man sich nur zurechthauen braucht. Fünf Panjewagen tragen dann schon ein ganz schönen Teil. Was gefehlt hat, das wurde noch gefällt. Nur der Aufzug wirkt recht schlimme. Mit einem MG ausgerüstet und jeder Mann mit seinem geladenen Gewehr. Es ist an sich notwendig, denn man weiß ja nicht, ob sich doch etwas ereignet. Denn die Burschen nutzen doch jede sich bietende Gelegenheit aus, um uns Schaden zuzufügen.  Leichtsinnig kann man dabei nicht sein, denn dadurch hat es schon manches Opfer gegeben. Als wir nach hause kamen, gab es dann Mittagessen. Das war recht sonntäglich.  Kraut und Kartoffeln mit nichts drin. Das hat nun einen langen Magen geben. Unsere Verpflegung war noch nicht angekommen, so daß es ziemlich schmal herging. Dafür habe ich mich heute Abend entschädigt. Ich habe mir Bratkartoffeln und drei Eier gemacht. Das hat wohl gut geschmeckt, aber durch das viele im Freien Herumtreiben hat man dauernd Hunger. Aber wie ich schon früher schrieb, Du brauchst Dir um mich keine Sorgen zu machen, denn ich helfe mir schon. Bald ist nun wieder Nacht. Unser Licht brennt heute wieder einmal nicht. Da muß ich es mit Kerzenbeleuchtung noch etwas halten, denn ich will den Brief Deines Vaters noch beantworten. Deine Briefe kommen nach Möglichkeit morgen dran. Eines kann ich aber gleich noch feststellen, daß Du einen Teil meiner Fragen wegen des Gartens mit Deinen heutigen Zeilen beantwortet hast. Was sonst noch ist, darüber wirst Du mich so nach und nach auf dem Laufenden halten.
Ich grüße Dich, mein liebes Mädel, und gebe Dir sowie den Kindern jedem einen recht lieben Kuss. Bleibt gesund und denkt wie immer an mich. Dein Ernst.

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