Sonntag, 30. Juni 2019

Brief 548 vom 21.06.1944


Du mein liebster Schatz!                                                   21.6.44      

Das ist in den vergangenen Tagen ein Betrieb bei uns. Ich bin einfach nicht zu Schreiben gekommen. Wenn ich heute Abend nicht wieder Wache bei uns im Pumpwerk hätte, dann würde es mir auch zu diesem Brief nicht reichen. Die Kleider bekommen wir schon seit über einer Woche nicht mehr vom Leib herunter. Die Schuhe dürfen wir nicht ausziehen, der Dienst geht in solch scharfer Form, daß wir kaum zum Schlafen kommen. Seit vorgestern früh, das sind 60 Stunden, haben wir etwa 8  9 Stunden geschlafen. Wenn es gut geht, dann kann ich in dieser Nacht vier Stunden mich hinlegen. Durch erhöhte Alarmbereitschaft ist es schon wiederholt vorgekommen, daß wir von unserer Streife nicht abgelöst werden konnten und daß wir, nach dem wir über sechs Stunden Nachtstreife gestanden hatten, gleich zur Tagesstreife mit einer Stunde Zwischenpause übergehen mußten. Am Tag war auch keine Zeit zum Schlafen, aber ich muß schon sagen, daß mir von dem stundenlangen Marschieren auf den Eisenbahnschwellen die Füße doch schmerzen. Vielleicht gibt sich das in einigen Tagen, denn das muß man nun einfach überstehen. Ich habe zwar einiges vor für die Zeit der Wache hier im Pumpwerk, denn meine Wäsche ist auch wieder dran, denn ich kann ja nicht wie ein Igel herumlaufen. _ Außer Deinem Luftpostbrief vom 11., den ich vorgestern erhielt, habe ich seit einiger Zeit keine Post mehr von Dir erhalten. Die gegenseitigen Besuche mit Resi scheinen sich wohl einzuspielen. Ich freue mich nur, wenn Du Dich dabei etwas nett unterhalten kannst und Dich schließlich auch etwas ablenkst. Auch die Kinder haben ja etwas davon, denn ich muß sagen, Ingrid mag sonst sein wie sie will, aber Helga hat doch in ihr so die einzige Spielgefährtin. Jörg hat es ja etwas leichter, denn mit den Jungens auf der Straße kommt er doch ganz gut hin. 
Ich teile auch durchaus Deine Ansicht, daß es jetzt das Wichtigste ist, daß ich an einem Offizierslehrgang teilnehme. Wichtiger ist, daß ich gesund wieder zu Euch zurückkehren kann. Das habe ich auch in ähnlicher Form in meinem Brief an Nannie zum Ausdruck gebracht, denn es ist ja nicht ausgeschlossen, daß Paula ihr Mitteilung gegeben hat von dem, was ihr Vetter davon erzählt hat. Ich habe gleich vorgebeugt, denn es kann ja möglich sein, daß sie es wieder zurückschreibt. Mit den Fotos warte ich selbstverständlich solange, bis sie fertig sind, denn ich kann ja nichts beschleunigen. Ich hoffe, daß es mir möglich ist, morgen wieder zu schreiben. Ich wollte Dich aber nicht unnütz warten lassen, denn Du sollst doch bald wieder Nachricht von mir bekommen.
Dir, den Kindern und Vater einen recht herzlichen Gruß. Euch Dreien aber jedem einen herzlichen Kuss von Deinem Ernst.

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