Sonntag, 16. Juni 2019

Brief 542 vom 10.06.1944


 Mein liebstes Mädel!                                                                                10.6.44  
 
Meine viele Schreiberei, die ich trotz der eingeschränkten Zeit aufrechterhalten habe, fängt jetzt an Früchte zu tragen. Heute bekam ich von Dir gleich früh drei Briefe ausgehändigt. Es sind die vom 23., 24. und 28.5. Außerdem erhielt ich eine Postkarte von unserem Jungen, über die ich mich auch mächtig gefreut habe. Zuletzt traf dann noch ein Brief vom Gerhard Legler ein. Das war ein erfreulicher Auftakt. Mit der normalen Post erhielt ich nun noch Deinen Brief vom 27., dann kam von Deinem Vater ein Antwortbrief, einige Zeitungen mit einem Rundbrief an alle Kameraden des Elternvereins und Nanni hat mir auf meinen Brief auch geschrieben. Das ist doch für einen Tag eine reiche Ausbeute. Unserem Jörg habe ich vorhin gleich geantwortet, damit er sieht, daß ich seine Briefe auch für voll nehme. Er hat sehr nett ge schrieben. Ich habe vor allem darüber lachen müssen, daß man den Jungens eine Geistergeschichte erzählte, um sie vielleicht zum Fürchten zu bringen. Die muß aber anscheinend so spannend gewesen sein, daß Jörg darüber eingeschlafen ist. Daß diese Erzählungen auf sein Gemüt solchen schwerwiegenden Erschütterungen hervorrufen würde, das war ja nicht zu erwarten. Seine Karte lege ich Dir gleich mit bei. Für das Kleeblatt, was anscheinend unser Helga gefunden hatte, lege ich heute eine Blume bei, die ich gestern gefunden hatte. Sie ist, vornehmlich auf der Rückseite, so schön symmetrisch, daß ich glauben darf, daß auch Ihr Euren Gefallen daran haben werdet. Ihr könnt ja auch weiter daran ersehen, daß ich nicht nur während des Briefeschreibens, sondern auch sonst immer an Euch denke. Ehe ich es vergesse, habe ich gleich noch eine Frage: Hast du mir schon die früher erbetenen Rasierklingen zugesandt? Wenn nicht, dann bitte ich Dich nochmals darum. _ Gefreut hat es mich, daß unsere beiden Stromer so sinnig des Muttertags gedachten. Das haben sie wirklich ordentlich gemacht. Es ist ja jetzt so schwer, etwas zu bekommen. Ich bedauere nur, daß ich nicht, wie in vergangenen Jahren, habe daran denken können. Es ist aber durch die Herumreiserei gekommen, die mich voll und ganz in Anspruch nahm. Ich hoffe auf Dein verständnisvolles Einsehen und nehme an, daß Du mir das nicht weiter übel anrechnest.
Daß Vater über die Reise anderer Ansicht ist wie wir, das ist ja nicht weiter tragisch,. Für uns ist es wichtig, daß wir uns noch eine schöne Tage gemacht haben. Zudem hatten wir Gelegenheit, den Betrieb bei Deinem Vater kennen zulernen. Außerdem war es ja so, das betonte ich schon früher einmal, da wir während meines letzten Urlaub nirgends waren, daß wir nun diesen Betrag mit dafür verwendet haben, das ist nicht nur so in Ordnung, sondern das hatte alles so seine Richtigkeit. Warum sollen wir uns das nicht gönnen, wenn wir die Gelegenheit dazu haben. Anders wäre es, wenn wir um jeden Pfennig  springen müßten, um ihn dazu zusammenzubringen. Du mußt Dir keine Gedanken machen, denn wenn ich immer wieder höre, was die anderen Kameraden während ihres Aufenthalts in Marburg verbraucht haben, so sind wir die reinen Waisenknaben dagegen. Ich glaube nicht, daß sie angeben, wenn sie sagen, das 5 bis 600 RM draufgegangen sind. Wir sparen übrigens das ganze Jahr, so daß wir uns diese einmalige Ausgabe leisten können. Wenn mir das zuviel gewesen wäre, dann hätte ich ja nicht an Dich schreiben brauchen, daß Ihr dorthin kommen sollt. Diese Reise ist nun abgeschlossen, sie war schön und ist als bleibende Erinnerung zurückgeblieben, das ist wesentlich und daran kann niemand mehr rütteln. Die paar Mark mache uns auch nicht glücklicher, das darf man auch nicht außer Acht lassen. Vater fühlt nun einmal in diesen Dingen anders wie wir, daran läßt sich auch nichts mehr ändern.
Meines Briefmarkenalbums hast Du Dich auch wieder besonders angenommen. Ich danke Dir jedenfalls für die Mühe, die Du wieder damit gehabt hast. Dann ist es doch für die nächste Zeit versorgt und aufgehoben. Wenn Du die Aufstellung gemacht hast, dann gib nur eine bei Kuster ab, damit er mir für die griechischen Marken, die ich ihm gab, etwas herausrückt. _ Es ist gut, daß Ihr das getrocknete Brot so gut verwenden könnte. Ich bedaure sehr, daß ich Euch jetzt so gar nichts mehr zukommen lassen kann. Es ist hier aber wirklich unmöglich. Außer den Tabakwaren, die ich nicht für mich verwenden kann, ist hier nichts abzuschicken. Manchmal mache ich mir Gedanken um Euch, ob Ihr auch auskommt. Aber leider kann ich nicht helfend eingreifen.
Wie ich aus Deinem Brief vom 24. entnehme, ist der Verschlag inzwischen fertiggestellt. Es ist mir innerlich eine Beruhigung, daß Du nun so manches aus der Hand bekommst und im Keller einigen Platz erhalten hast. Es war doch gut, daß ich den Anstoß dazu gab, denn nun mußt Du Dich doch nicht gar so sehr herumklemmen. Wie steht es eigentlich mit dem Kinderwagen, den wir tauschen wollten? War es eigentlich nicht noch etwas, was wir lossein wollten? Wenn Du das Leinensäckchen noch nicht abgesandt hast, dann ist das nicht so wichtig, ich habe mir inzwischen anders geholfen. Wenn Du schon etwas mit Zulassungsmarke hersenden willst, dann lasse mir bitte ein Handtuch zugehen. Die Maße davon schreibe ich Dir noch auf. Mir ist hier eine abhanden gekommen, so daß ich nicht ganz klarkomme. Daß das Osterpäckchen an Dich zurückgekommen ist, ist einesteils recht. Andernteils hätte ich es selbstverständlich auch gerne in Empfang genommen, denn von Griechenland aus, also von einer Feldpostnummer zur anderen, kann man ohne weiteres diese Kilopäckchen versenden. Nun soll es aber auch so recht sein. Dass das Geld angekommen ist, ist mir auch eine Beruhigung, damit diese Sache nun auch erledigt ist.. Wozu Dir der Marinesturm gratuliert hat, ist mir nicht ganz erklärlich. Ich nehme zwar an zum Muttertag, doch das geht aus Deinem Schreiben nicht ganz hervor.
Wenn Jörg nach Deinem Dafürhalten soviel mit dem Dienst in Anspruch genommen wird und für Dich keine Zeit mehr hat, dann mußt Du schon einmal eingreifen und den Jungens begreiflich machen, daß er auch ab und zu für Dich da sein muß. Ich pflichte Dir darum in Deiner Ansicht vollkommen bei.
Die Patronenkiste hat nun auch ihre Verwendung gefunden. Hatte ich Dir das gesagt, oder hatte ich es nur gedacht, daß man sie für solche Zwecke verwenden kann. Jedenfalls zeigt sich, daß Du den richtigen Riecher gehabt hast und sie nun so eingerichtet hast.   Meine Erkundigungen wegen Kurts Grab bezogen sich auf Erkundigungen, die ich bei Kameraden eingezogen hatte, die sich in dieser Gegend aufgehalten hatten. Wenn aber diese Nachricht  von dem Gräberoffizier vorliegt, dann läßt sich daran nichts mehr deuteln. Ich bedauere das sehr, denn ich hatte mich im Stillen schon mit dem Gedanken getragen, hier Schritte einzuleiten, die es mir möglich machen sollten, dorthin zu fahren. Wenn der Friedhof aber als solcher noch besteht, dann ist das ja auch eine Beruhigung.
Wenn auch Eure Fahrt zum Hohentwiel nicht so abwechslungsreich und schön war wie unsere gemeinsame Fahrt im vergangenen Jahr, so war es doch immerhin eine Ablenkung. Daß Ihr erst Hemmungen gehabt habt und nicht gleich in das Zentralhotel gegangen seid, ist mir nicht ganz erklärlich. Ihr bezahlt doch Euer Essen genau so wie die anderen Leute auch.  Anscheinend muß es aber ganz ordentlich gewesen sein, was Ihr bekommen habt. Wie hat es denn Resi und ihren Kindern gefallen? Ihr seid ja  schon alte Kämpen dort oben, denn man kann Euch ja nicht viel Neues mehr bieten. Wenn es auch sonst nicht viel anderes zu sehen gibt, als was man schon kennt, dann kann man doch immer wieder in Erinnerungen schwelgen und sie auffrischen. Wenn Ihr Euch einigen Kuchen geleistet habt, dann ist das nicht weiter schlimm. Ich würde es auch so gemacht haben.  Aber hier bietet sich ja nicht die Gelegenheit dazu. Daran kannst Du Dich nicht stoßen, wenn ich das nicht habe. Daß Dir das seltsam vorkommt, wenn unser Junge nicht im Hause ist, das kann ich Dir schon nachfühlen. Das kann in nächster Zeit ab und zu einmal passieren, daß er über die Ferien so auf Fahrt geht. Als ich seine Karte las, mußte ich daran denken, wie Kurt immer davon schwärmte, wenn sie nach Mühlhofen an den Killenweiher gingen. Dort hat es ihm doch immer ausnehmend gut gefallen. Die Pfadfinder hatten doch dort zuerst ihre Zelte aufgeschlagen. Nun macht es die HJ nach. Hauptsache ist, daß es den Jungens gefällt. Ich hatte Kurt einmal ein Bild noch mitgeschickt, das ich in der Zeitung fand. Es war ein Holzschnitt vom Killenweiher. Er hatte sich damals darüber gefreut und bedankte sich extra dafür.  Heute habe ich einmal etwas mehr Zeit gehabt, die ich nun gleich zur Beantwortung Deiner Briefe benutzen konnte. Es gibt doch gleich mehr zu schreiben. Außerdem muß man ja auf einige Dinge besonders eingehen. Ich kann es jedenfalls nicht, daß ich nur so kurz die Sachen hinhaue, denn dann bin ich innerlich nicht ganz zufrieden.
Doch jetzt schließe ich erst einmal ab und komme morgen auf die weiteren unbeantworteten Zeilen zurück. Bis dahin grüße und küsse ich Dich recht herzlich. Bleibt mir gesund, das ist mir von größter Bedeutung. Nehme Du auch noch einen lieben Kuß von Deinem Ernst. 

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