Dienstag, 13. November 2018

Brief 482 vom 12./13.11.1943


Meine liebste Annie !                                                                12.11.43     
        
In der Postzustellung scheint eine Ruhepause eingetreten zu sein.  Heute kam nichts an. Ob etwas für morgen in Aussicht steht, das weiß man noch nicht.
Ich will mich aber noch über den Rest der gestern eingegangenen Briefe hermachen und noch beantworten. Also die Weihnachtsbücherbestellung für die Kinder hast Du schon aufgegeben. Ja, man muss sich in diesen Zeiten rechtzeitig dranhalten, damit man diese wenigen Sachen noch bekommt. Vielleicht hast du Glück mit dem, was Du dann erhältst. Die Zulassungsmarken hast Du wohl von mir erhalten. Es sind die für November und Dezember zusammen. Die nächsten erhalten wir erst im Januar. Wie ich höre, sollen ja auch die Paketsendungen im Reich gesperrt sein. Das wäre recht ungeschickt. Ich hatte doch wieder ein Paket aufgegeben. Wenn der Betreffende das Paket nicht los wird, dann gingen wahrscheinlich die Zitronen kaputt. Ich bin nur froh, daß ich das entsprechend verpackt habe, so daß aller Aussicht nach die anderen Sachen nicht verderben. Wollen wir das beste hoffen. Ich hätte wieder eine Kleinigkeit, die ich in diesen Tagen aufgeben könnte, aber ich werde davon absehen, denn das Risiko ist mir dann doch zu groß.
Daß Du keinen Dünger für den Garten erhalten kannst, das ist sehr schade. Die Arbeit des Heranholens von Mist ist ja nicht so schwer wie das Gülleschleppen. Ich weiß, daß das auch kein Kinderspiel ist, diesen Mist heranzukarren, aber immerhin es ist doch etwas anderes, ganz abgesehen davon, daß der Wert für den Boden unbedingt größer ist. Vielleicht hast Du doch noch Erfolg. An was liegt denn das, daß Du das nicht bekommst. Muß man dazu auch schon Beziehungen haben ? Eine Schachtel Zigaretten würde da vielleicht Wunder tun. Man kennt das ja, wie das so in der Heimat üblich ist. Ich bin gespannt, ob Du aus dem Mantel für unseren Jungen einen Lodenmantel herausbekommst. Es wäre sicherlich nicht schlecht und auch ganz warm. Man muß sich durchhelfen und ich weiß ja, daß Du darin Meister bist.  Protzig konnten und haben wir unsere Kinder nicht angezogen, aber sauber und ordentlich waren sie immer gekleidet. Besonders jetzt in den Kriegszeiten ist man froh, wenn man weiß, daß das möglich ist und daß die Frau sich zu helfen weiß.
Für Deinen Vater habe ich heute einige Rauchwaren zusammengepackt. Ich habe noch eine Schachtel Zigaretten gekauft. Wenn er das Päckchen erhält, dann käme es nach meiner Berechnung etwa kurz vor Weihnachten an. Dann kann er sich nicht beklagen, denn dann hat er etwas über die Feiertag zu rauchen.  Die Abrechnung der Sparkasse habe ich mir durchgesehen. Die Zahlungen sind ja jeden Monat immer die gleichen. Trotz der einzelnen Sonderausgaben hast Du nun noch einen kleinen Betrag gespart. Das ist eine kleine Rücklag, auf die Du immer zurückgreifen kannst, wenn Di einmal etwas besonderes zu bezahlen hast. Dadurch brauchst Du die anderen Sparbeträge nicht anzugreifen.
Vor einigen Tagen erhielt ich ja von Dir den Brief, in dem Du mir mitteiltest, was Paula an mir bemangelt. Wenn ich die ganze Angelegenheit als unwichtig betrachte  ich meine in Bezug auf unser Verhältnis zu ihr  so hat sie mir doch Anlass zum Dank gegeben. Du mußt das richtig verstehen, wie ich das meine. Sie sagt beispielsweise, sie hätte mich gekannt, als ich noch Kind war. Das stimmt durchaus. Dann braucht sie nicht so überheblich zu tun, denn ihr Kurt und unser Kurt waren ja in ihrer Art gleich geblieben. Das stimmt und es stimmt auch nicht. Ich habe meine Charakterzüge nochmals überprüft und glaube, keine Änderung grundsätzlicher Art bei mir entdecken zu können. Du kennst mich ja auch schon seit einer Reihe von Jahren. Ist Dir vielleicht aufgefallen, daß ich mich überheblicher zeige, als ich es früher war oder daß ich anderen Menschen gegenüber überhaupt mich überheblich gebe? Wenn ich mich nicht jedem anschließe und nicht gleich mit jedem Menschen gut Freund bin, wenn ich mir nicht in meinem Laden hineinsehen lasse und nicht jede Person in die Wohnung nehme, so ist das doch keine geringe Schätzung der anderen, sondern nach meinem Dafürhalten nur eine Absonderung und eine Art Selbstschutz gegen nun einmal gemacht schlechte Erfahrungen. Wir wollen uns doch an die Praxis halten und uns einmal hineindenken, wie es geworden wäre, wenn meine liebe Tante öfter Gelegenheit gehabt hätte, uns in unserem Kram hineinzureden. Wir haben es ja jetzt erst wieder erlebt, daß sie versucht hat, auf meinen Vater einen Einfluss auszuüben, um wieder einen Keil zwischen unser Verhältnis zu ihm zu treiben. Ist das etwa ein schöner Charakterzug? Na, und wenn ich an dem Ton , der nun bei ihr herrscht und den sie ihren Äußerungen auch über uns verwendet, nicht festhalte sonder mich befleißige, in unserer Familie so was nicht aufkommen zu lassen, so ist das doch keine Herabsetzung ihrer Person. Ich habe ja seinerzeit den Verkehr zu ihr abgebrochen nicht etwa wegen diesen nicht gerade hervorstechenden Qualifikationen, sondern lediglich deshalb, weil sie in meinem Verhältnis zu Dir eine Standpunkt einnahm, der mit nicht zusagte. Wir haben doch schon manchmal versucht, diese ganze Angelegenheit etwas auszugleichen. Ich musste aber immer wieder feststellen, daß nur Paula hochnäsig war. Ich habe ja keine Veranlassung zu Kreuze zu kriechen, denn sie hat mir ja in all den schweren Jahren, die wir durchgemacht haben, nicht weiter zur Seite gestanden Das, was ich jetzt erreicht habe, musste ich ja alles ohne fremde Hilfe schaffen. Ich bin ihr also in keiner Weise zu Dank verpflichtet. Wir wollen die Dinge doch nicht auf den Kopf stellen, sondern so sehen, wie sie sind. Eher fühle ich mich Nannie gegenüber noch in der Schuld, denn sie hat die Jahre vorher immer mit uns durchgehalten. Es waren Jahre, die für sie nach meiner Auffassung nicht leicht waren. Ich denke nur an die Inflation und an die Arbeitslosigkeit meines Vaters. An den Fall mit unserem Walter, an die Zeit, wo wir allein waren und mein Vater damals schon in Konstanz eine Arbeit hatte.  Das Haushaltsgeld war nicht riesig. Man hat es ja nicht von ihr verlangen können, sie hat es ja freiwillig oder aus einer inneren Verpflichtung heraus getan. Ich sage dies nur, um einmal diese Dinge gegeneinander abzuwägen und sie gegenüberzustellen. Wenn ich auch immer schon gewusst habe, wie ihre Einstellung zu uns ist, und wenn ich auch manchmal schon Anlass gehabt hatte, mich früher über das eine oder andere zu ärgern, so lässt mich diese Sache hier ganz kalt. Du wirst das ja auch aus meinen Zeilen herausmerken. Ich stelle diese Dinge ganz nüchtern fest. Eine andere Sache wird mir aber auch jetzt klarer und das ist die Stellung unseres Kurt zu uns. Sie muß ihm das doch in gleicher Weise klargemacht haben und ihn kopfscheu dazu. Daher kam es, daß er auf Vorschläge von ihr viel eher einging und unsere Meinung meist beiseite schob. Daß sie ihm damit nicht immer die besten Dienste geleistet hat, das ist ihr wahrscheinlich nicht weiter zu Bewusstsein gekommen. Wir ändern an dem Vergangenen nichts mehr, aber es lohnt sich doch, dies einmal in diesem Zusammenhang festzustellen. Ich glaube, daß Du Dich meiner Meinung anschließen kannst, denn ich habe dies, wie ich schon eben erwähnte, ganz ohne Schärfe überlegt und niedergeschrieben.
Lasse mich schließen, denn heute habe ich nichts weiter zu berichten. Ob Du mit Vater über diese von mir eben ausgeführten Sachen sprechen willst, das überlasse ich ganz Dir, denn es ist ja nichts dabei, was nicht so ist, wie es sich tatsächlich gegeben hat. Recht viele liebe Grüße sende ich Dir, den Kindern und auch Vater. Einen kräftigen, herzhaften Kuss gebe ich Dir, allerdings nur einen geschriebenen. Dein Ernst.


Mein lieber Schatz !                 13.11.43

Ich setze meinen Gruß an Dich meinem heutigen Schreiben voran.  Mir geht es soweit ganz ordentlich. Den Durchmarsch werde ich zwar nicht ganz los, aber ich fühle mich nicht schlecht dabei. Wenn es nicht schlimmer kommt, dann kann man es noch aushalten.
Post ist auch leider heute nicht angekommen. Für morgen ist welche zugesagt, hoffen wir, daß sie durchkommt.
Heute Nachmittag habe ich an eine Führung, die durch einen Kamerad auf der Akropolis stattfand, teilgenommen. Man kann sich diese Sachen schon mehrere Male ansehen und man wird immer wieder neue Eindrücke gewinnen. Der Betreffende ist hier als Archäologe tätig und kennt sich etwas in diesen Dingen aus. Man bekam doch wieder so einige neue Hinweise, die ganz interessant waren. Bei Gelegenheit gehe ich nun einmal allein hinauf, um mir das alles in Ruhe anzusehen. Bei solchen Führungen ist doch immer eine gewisse Hastigkeit. Dann wird immer der Besuch der Akropolis bei Nacht und Mondschein so gerühmt. Das werde ich mir auch einmal vornehmen.
Ich bitte Dich, heute mein Schreiben schon schließen zu dürfen, denn ich bin mir den Gedanken nicht ganz bei der Sache. Morgen, zum Sonntag, werde ich dann wieder wie üblich schreiben. Es muß ja schließlich nicht immer das genau festgelegt Maß sein. Der Gruß und das Zeichen dafür, daß ich Diner gedacht habe, genügen ja schließlich auch einmal. Mit vielen Küssen und recht lieben Grüßen bin ich Dein Ernst.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen