Montag, 26. November 2018

Brief 484 vom 16.11.1943


Mein liebstes Mädel !                                                                       16.11.43 
          
Über die Mittagszeit habe ich heute einen ausgedehnten Spaziergang gemacht und war auf dem Likawettos. Das ist ein Berg, der mitten aus der Stadt sich erhebt und annähernd 300 m hoch ist. Das hatte ich mir schon immer einmal vorgenommen. Man hatte mir aber erklärt, daß man nicht hinaufgehen kann, weil er militärisch genutzt sei.  Ich habe es aber trotz dieser Meinung versucht und mein Aufstieg ist belohnt worden. Unterhalb des Gipfels ist eine Art Gehölz, das diesem Berge etwas Leben gibt. Ich schrieb ja schon früher, daß die kahlen Berge alle tot wirken, weil eben die Bewaldung fehlt. Weiter oben wachsen dann schon keine Bäume mehr, sondern in den Schrunden und auf den wenigen Stellen, wo sich etwas Erde befindet, da wachsen dann Feigenkakteen und diese Agaven. Von oben hat man dann einen Gesamtüberblick  über die Stadt, die sich bis weit in ein breites Tal hinzieht und von dort aus bis zum Meer. Rechts und links geht sie dann bald bis an die Berghänge heran. Es ist ein ziemliches Häusermeer, das sich um den Berg herum ausbreitet Das Wetter ist ja noch so einladend für solche Spaziergänge. Jetzt kann man es schon eher wagen, etwas zu klettern, denn so heiß ist es nicht und solange es noch nicht regnet, gehe ich noch gern hinaus. _ Auch heute hat mich die Post in Stich gelassen, so daß es eigentlich nichts zu beantworten gibt. Dann wäre es eigentlich einmal an der Zeit, wenn ich noch von dem Rest meiner Reise berichten würde, der ja schon lange fällig gewesen war. Ich habe es nicht vergessen und will es auch der Vollständigkeit wegen nachholen. Beim letzten Mal war ich soweit gekommen, daß wir aus den ersten Bergen herausgekommen waren und durch die weiten Täler fuhren. Wir kamen also gegen Abend an einer kleinen Station an. Meist befinden sich bei den Stationen in der Ebene keine Ortschaften. Die sind, wie ich schon einmal erwähnte, fast alle auf den Höhen. Mitten in der Ebene steht dann eine Station. Jede ist etwas befestigt. Mit einem Bunker versehen und mit Stacheldraht eingefasst als Sicherung gegen Bandenüberfälle. Dort hausen dann einige Deutsche und führen dort ihre Dienste. Tag und Nacht rollen ja die Züge, aber die Möglichkeit der Anschläge und Überfälle ist vielfältig. Am Fuß der Berge mußten wir warten, bis uns eine Schiebelokomotive gestellt werden konnte. Nach etwa 2 Stunden rollten dann eine an und wir fingen unsere Fahrt in die Berge an. Schleife um Schleife wurde gefahren. Tunnels und Brücken zeigten die Schwierigkeit dieser Strecke an. An jedem wichtigen  ? befanden sich Sicherungen, die für den Schutz der Kunstbauten eingesetzt sind. Eingleisig zieht sich die Strecke hin. An einzelnen Ausweichstellen begegnen wir entgegenkommenden Zügen. Die Männer auf ihren Posten hausen in der Einsamkeit und haben ihre Verbindung mit der Welt nur durch die vorüberfahrenden Eisenbahnen. Unser Zug hat die letzten Zeitungen aus Belgrad dabei. Auf jedem Posten werden einige davon hinausgeworfen. Andere Kameraden warfen ihre gekauften Illustrierten Zeitungen hinterher. die mit großer Freude aufgefangen werden. Die Fahrt in die Nacht hinein begann.  Es war die Rede davon, daß eine große Brücke von den Banden gesprengt worden sein sollten, und daß wir nicht mehr weiter könnten. Andere Nachrichten lauteten, daß wir bei Nacht nicht über die Brücke im Paß der Thermopylen fahren würden und bis Tagesanbruch warten müssen. Viel zu sehen gab es nicht mehr, also habe ich versucht, etwas zu schlafen. Das gelang mir den Umständen entsprechend auch ganz gut. Aber kurz nach Mitternacht werde ich munter und gehe in den Gang hinaus. Wie ich dann von einem mitreisenden Kameraden erfahre, sollen wir bald am Pass der Termopylen sein. Der Mond war herausgekommen. Die Berge und die Schluchten sahen gespenstisch aus und man kann alles mögliche vermuten. Wieder fahren wir durch einen Tunnel und da stürzt jäh eine Wand herunter, über diesen Abgrund führt eine Brücke.  tief untern brennt ein Feuer, so daß man sehen kann, wie weit es hinuntergeht. Unser Zug donnert über die Brücke hinweg. Rechts von uns geht der Fels steil in die Höhe. In dem unbestimmten Mondlicht sieht das alles noch geheimnisvoller aus. Die höchste Höhe ist damit überwunden. Brücken und Tunnels wechseln sich immer noch ab, aber die zweite Lok ist abgehängt, so daß man weiß, daß die größte Steigung überwunden ist. Die ersten größeren Orte wie Lerissa  und Theben machen nicht gerade den besten Ein druck auf uns. Die Berge kahl, die Ortschaften sehen genau so leblos aus. Unsere Bahn zieht sich weiter durch das Gebirge, aber mit der Zeit treten die Berge weiter zurück und wir kommen in eine breitere Landschaft. Einige Olivenhaine kann man an der Bahnstrecke sehen. Auch weite Flächen sind mit Wein angebaut. Hin und wieder sieht man Tabak und Baumwolle. Die Baumwollfelder sehen zum Teil sehr kümmerlich aus.  An was das liegt, weiß ich nicht. Viehzucht ist nur sehr gering und Großvieh ist kaum zu sehen. Die Bevölkerung kommt an die Züge und bettelt um Brot. Weintrauben werden gegen Brot eingetauscht und Konserven gegen anderes Obst. Ein Hauptmann aus unserem Abteil bringt einen ganzen Arm voll großer rotbackiger Früchte an und weiß nicht, wie sie heißen. Für eine Dose Fischkonserven, sagt er lachend. Ich sage, daß es Granatäpfel sind und daß ich sie in Frankreich schon gegessen hätte. Ich muß nun vormachen, wie die Geschichte vor sich geht. Die anderen folgen meinem Beispiel. Ich trenne mir die kleineren Zwischenwände, die etwas sehr herb schmecken, heraus. Den anderen ist das zuviel Arbeit und sie essen alles mit Stumpf und Stiel, außer der äußeren Schale. Sie sind sehr süß und löschen auch vorerst den Durst.  Wenn es um das Geschäft geht und um das Verkaufen, dann kann man auch sehen, wie einige Griechen springen könne. Einer hat während der Wartezeit unseres Zuges einen Korb voll Weintrauben verkauft und läuft und kommt nochmals mit einem vollen Korb zurück. Auch davon nehmen ihm die Landser einen großen Teil ab. Der Tauschhandel mit Lebensmitteln blüht aber nur in den entlegenen Orten, je weiter wir nach Athen kommen, desto mehr wird von den Händlern Geld verlangt. Entgegen unseren Erwartungen kommen wir doch schneller unserem Ziele näher. Wir hatte nicht gehofft, nachdem es Anfang der Fahrt so langwierig war, gleich nach Mittag an unserem Ziel zu sein. Nachdem die Weintrauben und das andere Obst so billig waren, hat sich jeder mächtig eingedeckt. Zuletzt waren aber fast jedem die Sachen über. Ich habe aber mein gekauftes Quantum unerschütterlich  verdrückt und von den anderen Kameraden habe ich auch noch ein Teil übernommen, weil es mir leid tat, das Zeug umkommen zu lassen. Ich habe bedauert, daß noch ein großer Teil liegen blieb. Wie gesagt, bald kamen wir unserem Ziel näher. Die Unruhe, die immer mit dem Erreichen eines Zieles anfängt, macht sich bemerkbar. Ein jeder packt und ordnet. Schon kann man von weitem die Akropolis sehen. Die wird entsprechend bewundert, soweit das von der Entfernung möglich ist. Was wird uns wohl in dieser Stadt erwarten. Neue Befehle über das Weiterrücken oder bleibt man gar dort. Alles ist noch ungewiss. Gegen 3 Uhr rollt unser Zug ein und wir haben eine Fahrt von annähernd 100 Stunden hinter uns. Froh sind wir, daß wir das Zwischenziel erreicht haben. Alle Strapazen und Unannehmlichkeiten der Fahrt sind bald vergessen. Ein kleines Erlebnis von unterwegs will ich noch festhalten. Auf dem Bahnsteig einer kleineren Station ist ein Arbeiter beschäftigt. Er bietet ein malerisches Bild von Dreck und Lumpen. Die Hosen  hochgekrempelt und unterhalb des Knies festgebunden. Die freien Körperteile, wie Gesicht , Hände und Beine voller Ruß und Kohlenstaub. Das Gesicht aber ernst. Eine Schwester, die diesen malerischen Menschen im Bild festhalten will, springt und hält ihren Apparat. Sie bedeutet ihm, daß er doch einmal kurz stehen bleiben soll. Aber ohne sie eines Blickes zu würdigen, geht er stolz an ihr vorüber. Als sie sich wieder vor ihm aufgebaut hat, steigt er einfach zwischen den Wagen hindurch und die Schwester hat das Nachsehen. Es ist unglaublich, mit welcher Erhabenheit der Mann mit seinem finsteren Aussehen, das durch einen schwarzen Bart noch verstärkt wurde, an den Deutschen vorbeisah. Man konnte fast meinen, einen Bandenführer vor sich zu haben. Aber nach diesem Abgang von der Bildfläche blieb uns doch weiter nichts übrig, als darüber zu lachen. Damit will ich meinen Bericht über die Reise hierher abschließen. Ich hoffe, daß Du damit schon einen kleinen Einblick in das Land und das Leben bekommen hast. Über die Mensche usw. werde ich bei passender Gelegenheit einmal etwas schreiben. Lasse mich darum für heute schließen mit recht herzlichen und innigen Küssen für Dich und die Kinder.  Dein Ernst. 

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