Samstag, 10. November 2018

Brief 481 vom 10./11.11.1943


Mein liebstes Mädel !                                                                    10.11.43   
        
Außer Deinem Brief vom 31.10., den ich am 8.11. erhielt, habe ich seither keine Post erhalten. Wahrscheinlich kommt dann wieder einmal ein Schwung zusammen. Von Deinem Vater erhielt ich gestern den Rundbrief, auf den ich dann noch mit eingehen und den ich in den nächsten Tagen beantworten werde. Heute habe ich wieder einmal Anlass zurückzudenken und zwar an die Zeit vor einem Jahr. Vor einem Jahr hatte ich meinen Urlaub beendet. Ich kam nach Charkow zurück und musste die Feststellung machen, daß mein quartier abgebrannt war. Das war schon eine weniger angenehme Überraschung und der Eindruck war auch nicht gerade angenehm. Wenige Tage vorher kam ich das erste Mal nach Kiew. Es war dort und auch unterwegs während der Fahrt empfindlich kalt. Daß wir dieses Gebiet ein Jahr später aufgeben müssten, hätte man damals sich nicht träumen lassen. Gerade in diesen Tagen, wo soviel davon die Rede ist, muß man so oft daran denken, wie man sich dort aufgehalten und was man dort geleistet hat. Nach der gestrigen Rede zu schließen, wird sich die Front wohl langsam stabilisieren. Wenn die Vergeltungsschläge für all das, was wir hinnehmen mussten, vorbereitet worden sind, dann wird auch für uns wieder die Zeit kommen, wo wir triumphieren können. Es ist ein tiefes Tal, das wir gegenwärtig durchschreiten müssen, aber da müssen wir die Herzen zusammennehmen und dürfen nicht klein werden. Daß Du keine Ausrichtung von mir nötig hast, das weiß ich, denn Du weißt ja, um was es geht und Du bist ja in den vergangenen Jahren durch die Ereignisse hart geworden, um alles so zu nehmen, wie es nun einmal die Zeit erfordert. Wie ich aus einer kurzen Notiz Deines Vaters erfahre, soll Siegfried nun doch aus Italien mit seiner Einheit herausgezogen worden sein, und sich auf dem Wege nach dem Osten befinden. Ich bedauere das sehr, denn es ist keine erfreuliche Tatsache, von dieser an sich noch gemäßigten Gegend mit einigermaßen warmen Wetter in den beginnenden Ostwinter hineinzukommen. Ich würde gern an seiner Stelle hinübergegangen sein, denn erstens bin ich schon einmal auf diese Verhältnisse eingerichtet und ich kenne mich dabei etwas aus, und dann war ich ja im allgemeinen immer noch so eingesetzt, damit mit einer unmittelbaren Gefahr für mich nicht zu rechnen war. Ich wünsche ihm jedenfalls zu dieser Verwendung alles Gute, denn ich weiß ja, was das heißt, sich dort auf die Dauer aufzuhalten.  Auf Deine Anfrage, ob Du mir Deine Briefe auch nur aller zwei Tage zusenden sollst, kann ich wohl unter den gegebenen Umständen mit ja beantworten. Denn ich sehe, daß sie immer truppenweise hier einmarschieren. Wir können es einmal versuchen, ob sich das als praktisch erweist, wenn das nicht der Fall ist, dann kann man das ja immer noch abändern. Ich habe heute keine Post und gestern gab es auch keine. Ein Beweis, daß sie entweder irgendwo gesammelt wird, oder daß eben nicht alle mit der Luftpost befördert wird.
Gestern war ich wieder im Kino. Ich habe den Film „Die Gattin“ gesehen. Es war ein Film, der sich ganz gut ansehen lässt. Manche Sachen sind etwas stark herausgestellt, aber mir war es so, als sei das mit Absicht geschehen, um zu zeigen, was eine Frau zu opfern und zu leiden imstande ist. Du musst nun nicht denken, daß der ganze Inhalt traurig oder schwer gestaltet ist. Im Gegenteil, etwas flott und im großen ganzen nicht verstaubt. Er bringt wohl einige Lehren aber doch nicht in schulmeisterlicher Art. Das hat mir daran so gut gefallen. Zwei weitere Filme stehen mir in dieser Woche noch offen, die ich auch besuchen werde. Ja, meine Vergnügungssucht treibt schon Blüten, wirst Du denken. Aber man muss ja etwas treiben und wenn sich die Gelegenheit so bietet, dann nehme ich sie wahr.
Hast Du eigentlich einmal an die Abschrift der Nachricht von der Einheit von Kurt gedacht? Da ich dies bis jetzt noch nicht bekommen habe, muss ich wohl annehmen, daß Du diesen Brief bisher nicht erhalten hast.
Das Wetter ist immer noch annehmbar. Fest geregnet hat es noch nicht. Es ist aber anzunehmen, daß dies noch stärker eintreten wird nach dem, was mir hier erzählt wurde. Das ist ja hier in den Hauptverkehrsstraßen sehr günstig. Die Fußsteige sind von den Häusern her meist überdacht, so daß man ziemlich trockenen Fußes bis ins Hotel kommen kann. Wenn Du das Bild ansiehst, das Du von unserem Haus dort hast, dann kannst Du das sicherlich darauf erkennen. Ich betone aber, daß dies nur an den großen Geschäftshäusern  und an den Hotels so ist. Immerhin recht praktisch. Im Sommer spendet das etwas Schatten und in der Regenzeit schützt es auch etwas. Die wenigen Spritzer, die es bis jetzt gegeben hat, die richten ja noch nicht viel an.. Lasse mich nun wieder abschließen. Nimm  viele Grüße entgegen und sei Du recht herzlich geküsst von Deinem Ernst.

Mein bester Schatz !                                                                             11.11.43 

In Friedenszeiten galt der heutige Tag als Fastnachtsanfang. Was war das doch immerhin für ein geruhiges Leben, das man damals geführt hat. Man hat es aber nicht so erkannt. Der Ernst der Zeit erfordert, daß man sich nicht lange mit solchen Gedanken befassen kann. Aber zuerst recht vielen Dank für Deine Schreiben vom 2., 3., und 4.11., die ich heute erhielt. Die Socken sind auch wieder angekommen. Wie kommst Du dazu zu fragen, ob Du es recht gemacht hättest. Habe ich je schon Veranlassung gehabt, mich darüber zu beklagen? Die beigefügten Bilder haben mir wieder ganz gut gefallen, und ich muss immer wieder sagen, daß es doch einen Zweck gehabt hat, daß wir deshalb gelaufen sind, wenn wir auch mächtig darum schwitzen mussten.
Ich habe mich heute über Mittag hingesetzt und habe Deinem Vater wieder einmal ausführlich geschrieben. Ich fühle mich dazu verpflichtet schon allein deshalb, weil er mir doch immer die Zeitungen schickt. Wenn dann so ein Schwung zu bestätigen ist, dann habe ich keine Ruhe mehr. Ich hoffe, daß Du mit allem einverstanden bist. Wegen der Zigaretten habe ich mich der Sprache Deines Vaters bedient. Ich habe das mit Absicht in Anführungszeichen gesetzt. Dir hat er ja ziemlich angehängt, als Di in Deinem letzten Brief seine Frau vergessen hattest. Das ist ja kein Beinbruch und so welterschütternd ist das bestimmt nicht. Da sieht man darüber hinweg und der Fall ist erledigt.
Wie ich sehe, bist Du mit dem Garten so ziemlich fertig. Ich meine, was den großen anbelangt. Ich freue mich immer wieder, mit welchem Geschick Du das immer wieder anpackst. Ohne das besonders hervorheben zu wollen, aber ich muß schon sagen, daß Du Dich ja in all de anderen Arbeiten schön hineingefunden hast. Ich denke da vor allem an die Schuhmacherei, die „ich früher immer erledigen musste“  beim Schuster allerdings.
Auch die anderen Sachen, die es im Haushalt zu erledigen gibt, hast Du immer sehr fein fertiggebracht. Du schreinerst und ersetzt den Elektriker. Mit dem Wasserleitungshahn wolltest du ja auch anfangen. Wenn ich Dir nicht davon abgeraten hätte, würdest Du ihn wohl auch noch repariert haben. Mein Loblied brauche ich nicht weiter erschallen zu lassen, denn die Dinge sprechen selbst für Dich.  Daß wieder ein Päckchen eingetroffen ist, freut mich sehr,. Ich dachte schon, daß die Sämereien abhanden gekommen wären. Ich will noch einmal das beste hoffen. Wegen der übrigen Samen will ich zusehen. Die entsprechenden Übersetzungen habe ich mir besorgt. Ich bin gespannt, was Du dann aus diesen Sachen heranziehen kannst. Da wirst Du womöglich Dein blaues Wunder erleben. Reichen die gesandten Sachen oder brauchst Du noch mehr? Ich habe nicht mehr jetzt so die Übersicht. Vorgestern und gestern habe ich je ein Päckchen mit getrocknetem Brot abgesandt, wie ich schon angekündigt hatte. Sie haben die laufende Nummer 9 und 10. Das der Ordnung halber.  Das Rheuma ist inzwischen wieder weggegangen. Ich dachte, als mich im letzten Sommer so fest eine Biene gestochen hatte, daß das jetzt ausbleiben würde, weil man doch sagt, daß das gut dagegen sei, aber anscheinend muß man sich doch einige Bienen selbst halten, damit man dann die nötige Menge in den Körper bekommt.  Die kleinen Päckchen bis 250g, die können wir hier wegschicken , weil ja die anderen Kontingente beschränkt sind. Ich kenne aber den Postmenschen, der mir die Sachen aber auch so abnimmt.
Unser Herr Jörg hat also von einem Soldaten Senge bekommen,. Das wird er wohl verdient haben, nachdem es verboten war, über diese Wiese zu laufen. Nach seiner Veranlagung kann ich mir seinen Zorn vorstellen. Aber sein ganze Protest wird ihm da nicht viel genutzt haben. Die Sparkassenabrechnung sehe ich mir einmal durch . Ich will einmal feststellen, wie Du gewirtschaftet hast. Die Kälte fängt sich an bemerkbar zu machen bei Euch. Wenn Du jetzt die Kartoffeln und die Kohlen da hast, dann hast du ja in dieser Hinsicht keine Sorgen. Das Fenster hat Dir Frau Nußbaumer auch wieder freundlicherweise eingesetzt, dann hast Du diese für Dich schwierige Arbeit auch hinter Dir.
Zur Abwechslung war ich gestern endlich wieder einmal im Kino. Ich muß sagen, daß ich mich sehr nett dabei unterhalten habe. Es wurde der Farbfilm gespielt „Das Bad in der Tenne“. Ich kann nur feststellen, recht spritzig und sehr temperamentvoll. Ich habe wirklich manchmal so recht lachen können, weil alles so schön abgestimmt war. Farben wirken ja ziemlich belebend, aber sie sind doch immer noch etwas sehr hart. Wenn dieser Film dort einmal gespielt werden sollte, dann könnte ich ihn Dir bestimmt empfehlen.
Eigentlich hast du ja heute allerhand zu lesen, denn der Brief an Deinen Vater enthält ja auch noch einige Dinge, über die ich nicht mehr besonders schreiben brauche. Nimm Du recht herzlich Grüße entgegen und grüße auch die Kinder wie Vater. Dich küsse ich ganz fest und bin dann wie immer Dein Ernst.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen