Mein
liebster Schatz!
19.11.43
Das war gestern noch eine flut von Zeitungen, die sich gegen mich wälzte. Einige von Dir und ein größerer Schwung von Deinem Vater. Für die Grüne Post und die Konstanzer Zeitungen danke ich Dir. Dann kam noch Dein liebes Päckchen vom 25.10. an. Ich habe gleich einmal probiert, wie Deine neuen Erzeugnisse schmecken. Ich bin zu den Ergebnis gekommen, daß sie sich würdig an die schon bekannten Backwaren einreihen. Mein Kompliment und vielen Dank dafür. Es ist alles gut angekommen und schmeckt noch ganz frisch. Dann kam aber noch die Überraschung von unserem Jungen an.. Das war aber wirklich eine Überraschung. Ganz ahnungslos öffne ich den großen Umschlag. Mein Erstaunen war nicht gering, als dann der Adventskalender herauskam. Ich habe ich nur äußerlich angesehen und mich ganz an die Weisung gehalten, daß ich nur für den betreffenden Tag das entsprechende Fenster auch machen darf. Das will ich getreulich einhalten. Ich werde ihn in meinem Hotelzimmer aufhängen und während der Vorweihnachtszeit besonders an Euch und an unseren Jungen denken, der mir das gebastelt hat. Ich werde mich bei ihm noch persönlich bedanken. _ Deine Ansicht, daß den Russen die Zerstörung der Stadt zu schaffen machen würde, ist durchaus richtig. Ich muß nur daran denken, wie es uns gegangen ist, einen größeren Nachschubapparat unterzubringen und aufzubauen. Das ist nicht so einfach. Wenn dort nicht das Äußerste von den Menschen verlangt wird, dann läßt sich das nach meiner Ansicht nicht durchführen. Man kann ja nicht alles in Kraftwagen unterbringen und im Freien können die Leute im Winter auch nicht immer bleiben. Es kann schon sein, daß es da manche Schwierigkeiten geben kann, wenn wir alles so restlos zerstört habe, was in dieser Beziehung einigermaßen brauchbar war.
Ich habe jetzt nun angefangen, die Bilderserie von uns in Raten wieder zurückzusenden. Wie ich las, hast Du die Vergrößerungen inzwischen erhalten. Ich bitte Dich, daß Du mir diese auch nach und nach je einmal mit herschickst, wie wir dann über die anderen verfügen, das werden wir ja sehen. Du schreibst, daß es bei Euch schon Frost gegeben hat. Die Mitte des Novembers haben wir auch schon überschritten. Da muß man schon damit rechnen. Wenn bei uns die Dahlien aus dem Garten heraus sind, dann ist für uns eigentlich die Gartenarbeit im großen und ganzen abgeschlossen. Diese Stücke hast Du ja auch schon umgegraben, dann bleibt ja nicht mehr viel. Die Unterstützung der beiden Jungens hast Du ja auch dabei gehabt. Ich muß mich immer wieder wundern, wie die beiden Bengels doch zusammenhängen. Ich habe auch nichts dagegen, wenn unser Jörg mit diesem Richard zusammen spielt, denn meist hält er ja zum Jörg. Schlecht ist dieser Bengel an sich nicht. Die Verhältnisse in seiner näheren Umgebung sind es aber und die notwendige Aufsicht fehlt auch. Dann ist es ja so, daß es gut möglich ist, wenn Jörg einmal in eine andere Schule kommen sollte, daß er dort einen Kameradenkreis findet, der ihn dann mehr in Anspruch nimmt. Wenn sie sich einmal prügeln, das ist nicht weiter schlimm, das gehört nun bei Jungens einmal dazu. _ Für Helga war das also eine Überraschung, als ich ihr den Brief in Englisch geschrieben hatte. Ich stelle mir ihr erst verdutztes Gesicht vor. Ich hoffe, hier demnächst einige Unterlagen zu bekommen, dann kann ich einmal etwas mehr schreiben. Meinst Du nicht auch, daß es für sie eine Anregung ist ? Mit Sprachen kann man nur vorwärts kommen, wenn man übt und immer wieder übt. Diese kleinen Fehler, die sie in der Schule gemacht hatte, hätte sie vermeiden können, wenn sie überlegt hätte. Denn sie weiß ja was Einzahl und was Mehrzahl ist. Daß dann mein anderer Brief wieder Anklang gefunden hat, ist ja nur recht. Ich kann mir vorstellen, daß ich etwas anderes hineingeschrieben hat, was es vielleicht im englischen nicht gibt, aber es kann ja auch auf einem Fehler von mir beruhen.
Wenn Du keine Maden in den Rosinen gehabt hast, dann ist es ja gut. Ich habe Dich nur mit meinem Schreiben darauf hinweisen wollen. Die Packungen kannst Du ja vorsichtshalber einmal aufmachen und an der Seite nachsehen. Mir ist es hier also passiert, daß ich Offene gekauft habe die voller Madendreck waren und auch sonst nicht sauber. Ich mache sie mir gründlich sauber, dann kann ich sie auch noch essen.
Wegen dem Essen hier musst Du Dir keine Gedanken machen. Ich komme jetzt schon auf meine Rechnung. Am Anfang tut man immer etwas schwer, aber mir der Zeit spielt sich das ein. Ein Kamerad läßt mir ab und zu einmal ein Stück Wurst zukommen, das er von seiner Zusammenarbeit mit den Schlächtereien erhielt. Du siehst, es gibt immer wieder kleine Möglichkeiten, wo man sich helfen kann.
Ich bin ja erstaunt, daß Du einen ganzen Tag gebraucht hast, um Dir zu überlegen, was Du mit mir machen willst, weil ich Dich gefuchst habe. War das ein solches Problem? Ich habe doch Waffenstillstand angeboten. DAß ich das nicht bedingungslos machen kann, das mußt Du ja selbst einsehen, denn dann wäre mir ja nicht mehr die Möglichkeit gegeben, je ein Wort mehr zu geben. Nein, mein lieber Schatz, das kann ich mir nicht leisten. Du hättest mich dann ja vollkommen in Deiner Hand. Es genügt mir schon so, was ich auszuhalten habe, geschweige denn noch eine solche Belastung. Ja, das ist es eben, dieses dauernde Schimpfen, das schmettert mich so nieder, und da ist es keine Kleinigkeit, sich „tapfer“ wie Du schreibst zu verteidigen. Es bleibt mir ja nichts weiter übrig, als mich meiner Haut zu wehren, so gut es geht, denn ich komme ja sowieso ganz und gar unter Deine Fuchtel. Merkst Du nicht, wie ich schon zittrig schreibe vor lauter Aufregung? Das ist ja auch kein Wunder. Nachdem Du mir das Fuchsen nun in ganz engen Grenzen erlaubt hast, überlege ich nun schon den ganzen Tag, wie ich einmal Gelegenheit habe, wieder etwas anzubringen. Mir fällt aber auch absolut nichts ein. Ist das nicht ein Kreuz? Wenn man schon einmal so ein Zugeständnis hat, dann kann man keinen Gebrauch davon machen, weil einem aus angeborener Schüchternheit kein passender Gedanke kommt. Wenn Du es aber erlaubst, dann hole ich das einmal nach, wenn mir so ein spitzer Gedanke kommt. Heute lassen wir es einmal gut sein, wie es geworden ist. einverstanden?
Heute hatten wir einen Regen. Ach, was sage ich. Ein Wolkenbruch im wahrsten Sinn des Wortes. Ich wollte über Mittag nach hause gehen. Es fängt ganze leise an mit regnen. Ich stelle mich unter und warte auf die Straßenbahn. Aber auch unter der Sonnenplane des Geschäfts schlägt nach und nach der Regen durch. Die Straßenbahn kommt angefahren. Ich wage den kühnen Sprung über die Straße, aber ich bin schon durch, fast bis auf die Haut. In der Straßenbahn peitscht der Guss durch die Fensterritzen, daß das Fahren keine reine Freude war. An der Aussteigestelle tobt diese Wetter ungehindert weiter, so daß ich noch den Rest bekomme. Es hilft nicht, ich muß mich nochmals unterstellen. Die Straßen, so breit wie sie sind, sind ein großer Bach, der seine Fluten bis weit über die Bordsteine dahinschließen läßt. Man sagt, daß sei hier so üblich, wenn es einmal richtig regnet. Na, ich muß sagen, das langt mir. Im Hotel habe ich mir erst einmal frische Kleider geholt, dann hatte ich es geschafft. Ich war bis auf die Haut durchnässt.
Jetzt will ich aber schließen. Ich habe jetzt auch wieder viel zu viel über mein sonstiges Maß hinaus geschrieben. Das kannst Du ja nicht verdauen.
Lasse Dich recht herzlich grüßen und grüße und küsse bitte die Kinder von mir. Dich selbst küsse ich in Gedanken fest und bin immer Dein Ernst.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen