Sonntag, 23. April 2017

Brief 242d vom 21.4.1942


Mein liebes gutes Mädel !     unterwegs, den 21.4.42                                                                            

Gestern kam ich nicht zum Schreiben, dafür hatte ich Dir vorgestern schon zwei Briefe geschrieben. Also um Mitternacht bin ich in Krakau weitergefahren. Ich hatte erst gehofft, ein Großstück weiter zu kommen, doch daraus wurde nichts. Bis nach Lemberg hat es nun gelangt und hier sitze ich wieder fest. Schließlich muß man sich an dieses Tempo gewöhnen. In Frankreich war es bestimmt schon gemächlich, aber doch immer noch ging es dort schneller vorwärts wie hier. Ich bin nun zwar durch ganz Polen durchgefahren und stehe nun nahe der früheren russischen Grenze. Wohin es geht, habe ich Dir ja schon mitgeteilt, ob ich zwar dort bleibe, ist noch nicht ganz raus, denn hier muß man ja immer mit Änderungen rechnen.
Gestern habe ich Dir irrtümlich mitgeteilt, daß es westlich Kiew liegt. Das stimmt aber nicht, denn ich habe jetzt gesehen, daß es etwa 200 km westlich Chrakow am Dnjepr liegt. Hoffentlich kommst Du mit diesen schwierigen Namen zurecht, die sich so schlecht schreiben lassen, wenn nicht, so kannst Du mir das ja dann mitteilen.  Die Fahrt ging anfangs vorwärts. Der Zug kam schon überfüllt in Krakau an, mit etwas Glück hatte ich noch einen Platz bekommen. Eine Luft war zwar in dem Abteil, da wäre man fast drin stecken geblieben, und dick war sie. Einige Soldaten hatten ihre Stiefel ausgezogen, so daß ihre Füße ganz wunderbar ausdünsten konnten. Ich dachte mir, das ist immerhin schon ein Vorgeschmack von dem, was noch kommen kann. Es war aber auch so, je weiter man nach Osten kommt, desto schlimmer wird es. 
Bevor ich in Krakau wegfuhr, sah ich einen Transport von Flüchtlingen. Woher sie kamen, weiß ich nicht. Der Anblick war jedoch erschütternd. Man kann es gar nicht beschreiben, wie elend die Leute angezogen waren. Einige haben Pelzmäntel an, andere eine gefütterte Weste. Alles schon lange nicht mehr gewaschen oder gereinigt. Manche haben Schuhe an, andere nur Lappen um die Füße und welche gehen sogar barfuß.
Männer, Frauen und Kinder, alles liegt beieinander. Die Frauen schleppen das Wenige, was sie mitgenommen haben. Ich kann nur sagen, was sind das für Verhältnisse. In dieser Beziehung ist es hier nun noch schlechter.  Auffallend sind hier die vielen Juden, die alle durch Armbinden gekennzeichnet sind, die früher einmal weiß waren. Diese Armbinde trägt einen blauen Zionsstern. Man hat sie teilweise zu Arbeiten eingesetzt, sofern sie Wert auf zu Essen legen. So was Ungeschicktes und so was Dreckiges beim Arbeiten hast Du sicher noch nicht gesehen. Zusehen kann man nicht, denn sonst läuft einem die Galle über. Schmutz und immer wieder Schmutz ist aber oberstes Gebot, man weiß gar nicht, wo der immer wieder herkommt. 
Am Abend vor der Abfahrt in Krakau war ich noch im Kino und habe mir den Film „Der verkaufte Großvater“ angesehen. Selten habe ich so einen Schmarren gesehen wie diesen. Aber ich wollte mich nicht die ganze Zeit in der Wirtschaft oder auf dem Bahnhof sitzen. Es ist mir nicht unangenehmer, wie nicht zu wissen, wohin man gehört.  Ich bin erst wieder zufrieden, wenn mein Zug wieder rollt, oder wenn ich an Ort und Stelle bin. Die Preise sind hier derart überhöht, daß man sich einesteils nicht wundert, daß sich die Leute nichts kaufen können. Wir haben hier zu unserer Löhnung einen Teuerungszuschlag von 50 %, den man aber bei diesen unnormalen Verhältnissen braucht.
Auffallend war mir noch, als ich aus dem Kino kam, brannte auf den Hauptstraßen noch die ganze Straßenbeleuchtung.  Ich lege Dir noch meine gesparten Urlaubsmarken bei, die bis Ende dieses Monats verbraucht sein müssen. Du wirst Verwendung dafür haben. Außerdem ist noch eine kleine Fettmarke dabei, die Du auch verbrauchen sollst. Das Wetter wird nun nach langen Tagen schönen Wetters bewölkt, wahrscheinlich wird es bald Regen geben.  Auffallend ist, daß hier schon viele Deutsche leben. Ich hörte von 25 000, das ist doch enorm. Wenn man sich vorstellt, das ist allerhand Leistung, daß wir während des Krieges so viele Menschen schon hier herüber tun können.  Mit dem Geld muß man sich auch hier erst wieder umstellen. Man staunt nur immer wieder, was das für Leistungen sind, die wir während des Krieges vollbringen. 
Ich mache jetzt wieder Schluß, denn nun weißt Du wieder Bescheid, was ich nun mache und wohin es geht.  Das wird Dich nun auch wieder beruhigen. Ich grüße und küsse Dich wiederum recht herzlich und hoffe, daß mein Brief von heute morgen, den ich einer Rotkreuzschwester abgegeben habe, Dich auch erreicht hat. Dein Ernst.

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