Donnerstag, 6. April 2017

Brief 237 vom 6./7.4.1942


Mein liebes Mädel, liebe Annie !                                         6.4.42                                

Recht herzlichen Dank für Deine Briefe vom 1., 2. und 3.4. Diese 3 Briefe erhielt ich heute als Osterpräsent. Ich habe mich sehr über Deine Zeilen gefreut, denn ich habe wieder gelesen, daß es Euch gesundheitlich gut geht. Außerdem habe ich auch lesen müssen, daß Du gegenwärtig wieder viel Arbeit hast. Ich bitte Dich, sei doch vorsichtig und gib Obacht, daß Du Dir nichts zuziehst und mir dann zu unpassender Zeit auf der Nase liegst.  Die Zeit ist zwar immer unpassend, aber wenn Du so allein bist, dann ist das doppelt schwierig. Wenn ich daheim bin, dann ist es nicht so schwer, denn dann kann man ja immer noch helfen. Bei Dir ist aber sonst niemand da und das macht mir Sorgen. Sieh Dich also bitte vor und mache keine Gewaltleistungen, die Deine Kräfte womöglich übersteigen.
Das Schild mit meinem Namen hängt noch an meiner Bürotür, das andere habe ich mit gesandt. Das hat also nichts mehr zu bedeuten. Für die Kinder hast Du ja doch wieder allerlei zusammengespart, ich denke, daß sie ihre Freude gehabt haben. In Gedanken war ich jedenfalls bei Euch, vor allem am Morgen. Ich denke da noch an letzte Ostern, wo ich daheim war und wie jeder in seinem angestammten Zimmer gesucht hat. Dann die Freude bei jedem was sie fanden. Ich denke, daß sie trotzdem auf ihre Rechnung gekommen sind.  Du hast es also auch so verstanden, als die Antwort Deines Vaters auf meinen Brief eintraf. Denn ich finde es auch zu offensichtlich als daß man erst hätte glauben sollen, er hätte es anders gemeint. Daß wir in der Beurteilung der Verhältnisse in Leipzig gleicher Meinung sind, hatte ich mir zwar schon gedacht. Wie nun die Interessen der einzelnen Damen liegen, will ich dabei ganz außer acht lassen, wesentlich ist doch für mich nur, wie ich es, abgesehen von den persönlichen Gefühlen, für ganz und gar unschicklich halte und zwar deshalb schon, weil doch Dein Vater sonst auf Äußerlichkeiten so großen Wert legt. Daß ich Deinem Wunsch, zu dieser Angelegenheit noch nicht Stellung zu nehmen, schon vorgegriffen habe, wirst Du wohl verstehen, denn mir hat das keine Ruhe gelassen. Was Dein Vater nun macht, soll auch mir gleich sein. Im Großen und Ganzen decken sich unsere Ansichten und die Schreiben sollen ihm zeigen, daß wir der gleichen Ansicht sind.
Daß mein Vater nach Deiner Rücksprache mit ihm unsere Auffassung ebenfalls teilt, freut mich. Da nicht alle Menschen gleich sind, daß die Gefühle und Auffassungen verschieden sind, aber daß Dein Vater nach 30 jähriger Ehe schon wieder Heiratsgedanken hegt, das kann ich nicht verstehen. Die Eselsbrücke, wie Du sie nennst, habe ich ja auch gebaut, wenn er will, kann er sie ja benutzen, wenn nicht, dann läßt er es bleiben. Seine Regungen hat er jedenfalls zu erkennen gegeben. 
Daß die Knolle bei Helga nach und nach zurückgeht ist immerhin beruhigend, doch scheint es ziemlich langwierig zu sein. Wenn es sich aber stetig bessert, dann wollen wir zufrieden sein. Ich hoffe, daß sich das noch ganz gibt. Im Allgemeinen haben wir ja mit unseren Kinder keine großen Schwierigkeiten gehabt, denn sie waren, von Kleinigkeiten abgesehen, immer gesund. Ich bin ja auch sehr froh darum, Du ja nicht minder. 
Mit den Sämereien habe ich jetzt so ziemlich alles beieinander. Möhrensamen habe ich schon einmal ab gesandt und heute habe ich nochmals welchen bekommen, ebenfalls Erbsensamen. Es ist nicht einfach, das zu erhalten, doch wichtig ist, daß man es bekommt. Daß der eine Brief erst an die andere Feldpostnummer gegangen ist, war bestimmt nicht Deine Schuld, denn die Adresse war sehr genau geschrieben. Aber beim Aussortieren kann das passiert sein. Hauptsache ist, daß ich ihn doch noch nach diesem Irrweg erhalten habe. 
Die Ferien für die Kinder sind nun auch bald wieder vorbei. Nachdem sie aber vorher so lange Zeit gehabt haben, müssen sie schon wieder einmal ran. Daß sie nicht schulscheu sind, freut mich ja sehr. Doch das ist es nicht allein, sie lernen ja auch gut und fleißig, das erhöht ja zweifellos die Freude. Ich sende Dir recht viele herzliche Grüße und ebensoviel Küsse. Dein Ernst. 

Meine liebste Annie !                                                          7.4.42          

Heute war ich im Kino und habe nochmals den Film gesehen “Schwedische Nachtigall“. Ich sah ihn einmal während des Urlaubs mit Dir. Es handelt sich da um den Märchendichter Andersen und die Sängerin Lindt. Ich habe ihn mir vor allem deshalb angesehen, weil wir seinerzeit gemeinsam uns diesen Film ansahen.
Am Morgen bekam ich nun Deine beiden Briefe vom 30. und 31.3. ausgehändigt, die irgendwo liegengeblieben waren. Die wollte ich nun heute Abend beantworten. Ich hatte sie in die Mappe gepackt und sie bei uns auf der Kommandantur hinterlegt mit der Absicht, sie nach der Vorstellung abzuholen. Als ich dann heimkam, waren, entgegen den früheren Gewohnheiten, alle Türen verschlossen. Ich kam also nicht mehr an die Briefe heran. Du wirst Dir denken können, daß ich da ein langes Gesicht gemacht habe. Ändern ließ es sich nun aber nicht mehr, und ich habe eben wieder abziehen müssen. Beantworten kann ich nun eigentlich nichts. Ich bin etwas übermüdet, von was, weiß ich eigentlich nicht, denn mit der Arbeit ist es nicht mehr so wild. Mein Nachfolger soll sich ja auch daran gewöhnen, so daß ich ihm mehr oder weniger alles überlasse. Nur wenn ihm etwas nicht klar ist, dann kommt er und fragt. Im Übrigen macht er sich alles viel leichter als ich. Mir soll das aber gleich sein, denn er muß ja schließlich seinen Dienst so erfüllen, wie er ihn auch anderen gegenüber vertreten kann. Wenn ihm niemand an den Wagen fährt, dann hat er eben mehr Glück wie ich. Passiert aber einmal etwas, dann muß er es vertreten und er muß sich dann auch entsprechend verantworten. Ich weiß, daß ich vielleicht zu gewissenhaft bin. Wenn man immer wieder sieht und hört, wie weitherzig andere sind, dann könnte man sich einen Idioten schimpfen. Aber lieber bleibe ich in diesem Fahrwasser, dann erfülle ich meine Pflicht und mein Gewissen ist unbelastet.  Heute sende ich wieder einige Zeitungen mit. Sonst habe ich im Moment nicht weiter da. Ich sende Dir und unseren Kindern recht herzliche und viele Grüße und Küsse. Dein Ernst.

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