Donnerstag, 27. April 2017

Brief 243 vom 26.4.1942


Meine liebe, gute Annie !                                                26.4.42                                                                                
Heute habe ich nun meinen neuen Einsatzbefehl bekommen. Ich bin zu einer Feldkommandantur etwa 80 km nördlich von hier beordert worden. Meine neue Feldpostnummer habe ich schon auf dem gestrigen Brief draufgeschrieben, sie lautet 23 552. Nun kannst Du doch wieder an mich schreiben, worauf ich bestimmt warte, denn jetzt bin ich schon lange Zeit ohne Nachricht von Euch. Morgen sind schon 2 Wochen vorbei.  Wie lang wir an dem neuen Ort bleiben, hängt ganz und gar von den Verhältnissen ab und wie lange es noch dauert bis es wieder vorwärts geht, dann rücken wir auch wieder weiter. Ich sollte erst hier vorerst am Ort bleiben, doch die Einheit behauptet, keine Arbeit für mich zu haben, darum hat sich diese Sache zerschlagen.
Nachher ½ 4 Uhr fahre ich wieder ein Stück weiter. Wahrscheinlich werde ich nicht ganz an den Ort kommen und muß evtl. noch einmal übernachten, um dann mit einem Kraftwagen oder sonstwie weiter zu kommen.  Vorhin habe ich noch den Kameraden getroffen, der vorher in dem Zimmer gewohnt hat. Er fragte mich, ob ich habe schlafen können, denn in dem Bett wären Wanzen gewesen. Ich muß sagen, in der Nacht habe ich nicht gemerkt, aber seit man mir das gesagt hat, beißt es mich am ganzen Körper. In der vergangenen Nacht hatten wir hier Fliegeralarm.  Ich habe zwar nur die Flak schießen hören, so daß ich annehmen mußte, daß welche da waren.
Hier ist eine große Brücke über den Dnjepr, die schon ein lohnendes Ziel bieten würde. Für uns sind das immerhin ein ziemlicher Ausfall, wenn sie getroffen würde.  Wie es mir scheint, sind aber keine Bomben geworfen worden.  Heute schreibe ich nicht mehr, weil ich dann fort muß. Ich sende Dir und den Kindern viele Grüße und vor allem sehr viel Küsse.  Dein Ernst.

Meine liebe, gute Annie !                                                        26.4.42             

Innerhalb 14 Tagen sollen zu normalen Zeiten schon Menschen eine Weltreise unternommen haben und auch fest herumgekommen sein. Ich habe es nur von Nordfrankreich bis hinter den Dnjepr während dieser Zeit geschafft. Also ich bin gestern in Krementschug weggefahren, denn dort erhielt ich noch den Befehl, von dem ich Dir gestern schon schrieb. Etwa 80 km konnte ich dann in einem Stück mit der Bahn fahren. Als ich dann in der Umsteigstation eintraf, sagte man mir, ja, die Strecke ist wohl fertig bis zu dem Ort, wo ich hin will, doch für Zwecke des Weiterausbaus und zur Fertigstellung der ganzen Strecke fährt heute Nacht wahrscheinlich ein Bauzug zwischen 1 und 2 Uhr. Ich habe mich dann in den Wartesaal gesetzt, soweit man unter den hiesigen Verhältnissen überhaupt davon reden kann und habe mich auf einer Bank eingerichtet. Den Koffer als Kopfkissen und die Gasmaske als Zwischenstück, damit man nicht ein gar zu hohles Kreuz bekommt. Es kam dann noch ein größerer Haufen Landser, die für reichlich Radau sorgten. Der Ofen, der zum Heizen bestimmt war, konnte seinen Zweck aber nicht erfüllen, weil er nur zum Qualmen kam.  Durch solche Erlebnisse wird man nach und nach aber mit Nachdruck an die hiesigen Verhältnisse gewöhnt. In der Verpflegungsstelle habe ich mir noch Tee gekocht, dort liefen die Ratten durch die Stube, daß es direkt eine Freude war. So habe ich dann die Wartezeit zwischen Dämmern und Wachen zugebracht. Verschiedentlich habe ich mich nach dem Zuge erkundigt, wurde aber immer wieder vertröstet, bis der Zug dann tatsächlich gegen ½ 5 Uhr hier wegfuhr. Etwas erschrocken war ich schon, als ich diesen „Zug“ stehen sah. Eine Lokomotive und ein offenere Wagen, das war der ganze Zug. Mit den anderen Soldaten und den Russen, die auch an meinen Bestimmungsort wollten, habe ich mich dann auf diesen seltenen Wagen geschwungen und los ging die Fahrt. Fast eine Stunde sind wir dann in diesem Expreß durch die Gegend gebraust und nun bin ich endgültig bei dem Haufen gelandet, bei dem ich jetzt bleiben soll.
Erst heute früh erinnerte ich mich, daß ja eigentlich Sonntag sei. Ich hatte erst Bedenken, ob überhaupt jemand auf der Dienststelle sei. Auf dem Bahnhof traf ich dann gerade einen Soldaten, der auch zur Feldkommandantur gehörte und der auf einen Lastkraftwagen wartete, weil der Weg vom Bahnhof bis zur Kommandantur auch fast drei km weit weg ist. Zu so früher Stunde traf ich nur den Unteroffizier vom Dienst, den ich aus dem Schlaf wecken mußte. Der nahm mich dann mit bis zur Unterkunft für die Einheit. Das sieht nun alles hier wesentlich anders aus wie in Frankreich. Diese Vergleiche zwingen sich dann gleich unwillkürlich auf und das wird mir noch eine ganze Weile so gehen. Ein anderer Assistent, der jetzt zwar in Urlaub ist, wird mit mir das Zimmer teilen. Die Hauptsache ist mir ja, wenn die Zimmer hier ungezieferfrei sind, das andere wird dann schon gehen. Das scheint hier nun der Fall zu sein.
Erst habe ich Frühstück mit eingenommen. Das war sehr ordentlich. Kaffee und Kuchen gab es. Was will man noch mehr. Weil ich gerade beim Essen bin, das Mittagessen war auch sehr gut, das kann ich wohl sagen.  Es gab erst eine kräftige Suppe, hinterher Kartoffeln, Fleisch und gemischten Salat. Als Nachspeise Pudding mit Erdbeersoße. Das war doch prima. Wenn das Essen immer so ist, kann man es ja aushalten. Nach dem Frühstück bin ich dann mit auf die Dienststelle. Nach längerem Warten kam dann der Oberkriegsverwaltungsrat, der mir nach dem ersten Eindruck zu schließen ein ordentlicher Mann zu sein scheint. Dem habe ich mich dann vorgestellt.  Ich habe mich dann später dem Kommandanten, einem Oberst, vorgestellt, der ein älterer Herr ist und einen etwas verschrobenen Eindruck macht. In irgendeiner Form wird sich schon auskommen lassen. Man kann eben nicht alles nach Wunsch haben. Was ich nun für ein Arbeitsgebiet bekomme, weiß ich noch nicht, doch darüber schreibe ich Dir dann später. Morgen werde ich erst einmal meine Ausrüstung vervollständigen, denn wie ich sage, reicht diese für die hiesigen Verhältnisse bei weitem nicht aus.  Heute möchte ich Dich nun bitten, mir aus meinen mitgebrachten Sachen, die ich mir früher schon einmal zugelegt hatte, Messer, Gabel und Löffel zu senden. Wenn Du es ermöglichen kannst, so kaufe mir doch eine Butterdose aus Bakelit, wenn Du sie nicht bekommen kannst, ist es auch nicht schlimm. Wie das mit dem Gewicht sich machen läßt, mußt Du Dich einmal erkundigen. Kuchen oder ähnliches zum Essen schicke mir bitte nicht und zwar deshalb, weil der Transport so lange dauert, daß dann alles nicht mehr verwerten ist, wenn es hier ankommt. Auch Cognac oder ähnliches lasse bitte dort, denn man weiß nicht, wie und wann man das bekommt. Wie lange wir hier noch am Ort bleiben, hängt ja ganz von den Verhältnissen ab, wie sie sich hier weiter entwickeln. Sollte ich in dieser Beziehung noch etwas brauchen, gebe ich Dir noch Mitteilung. 
Am Nachmittag habe ich mich erst einmal eine Stunde schlafen gelegt. Dann haben wir die Führerrede angehört. Radioapparat, denke einmal welcher Komfort, ist sogar auf dem Zimmer vorhanden. Es ist zwar etwas schwach auf der Brust, aber die Rede des Führers haben wir ganz gut gehört. Anschließend sind wir in das Soldatenheim gegangen, das einen ganz sauberen Eindruck macht und haben dort auch Kaffee und Kuchen bekommen. Beide waren ganz ordentlich. Der Preis dafür war 30 Pfennig. In dieser Beziehung habe ich es sicherlich ganz gut getroffen hier.  Das Licht geht abends im ganzen Ort um 10 Uhr aus. Ich kann das heute ganz gut vertragen, denn ich bin nach der langen Reiserei und dem Spaziergang von heute Nachmittag ziemlich müde. Über alles Wichtige habe ich Dich heute nun unterrichtet, was sonst noch zu schreiben ist, hebe ich mir für morgen und die anderen Tage auf. Hoffentlich hast Du alle meine andere Post auch bekommen und meine Nummer kennst Du ja. Mit der schlechten Unterbringung und der Fahrerei heute früh mit dem Expreß habe ich mich etwas erkältet, so daß ich auch davon müde bin.  Ich sende Dir und den Kindern recht viele Grüße und ebenso viele Küsse. Dein Ernst. 
Briefumschläge fehlen mir auch sehr.  Schicke mir diese doch bitte umgehend, denn sonst hänge ich fest mir meiner Schreiberei und das willst Du doch auch nicht haben.  Feldpostnummer 23 552.

Sonntag, 23. April 2017

Brief 242e vom 24.4.1942


Mein liebes, bestes Mädel !                                          24.4.42                                                  

Nach nochmaligem Umsteigen in Suamenke und Übernachtung soll es heute wieder weitergehen. Ich hoffe, daß es nun endgültig bis zum Bestimmungsort reichen wird. Das Nachtlager war reichlich primitiv, aber unter diesen Verhältnissen kann man nicht mit etwas Besonderem rechnen. Wenn man die immerhin ordentliche Unterbringung in Frankreich zum Vergleich heranzieht, dann kommt einem das schon etwas eigenartig vor. Schließlich ist aber Krieg und man muß sich dann damit abfinden.
Gestern Abend hatte ich noch ein drolliges Erlebnis. In der Unterkunft hieß es, im hiesigen Theater würde ein Filmlaufen. Ich ging also auch hin, um mir das einmal anzusehen. Von Theater kann keine Rede sein, das war ein ganz primitiver Saal. Eintritt kostete 70 Pfennige, was mich schon verwunderte. Erst ging mindestens 15 Mal das Licht aus und an. Alles hoffte, daß es dann auch einmal anfangen würde. Dann sprach eine Dolmetscherin über den Inhalt des Films, der in russischer Sprache lief. Schließlich fing er doch an. Der Film war aber so dunkel, daß man kaum etwas sah. Trotz Geschrei, Getrampel und Pfeiferei wurde es aber nicht besser. Daß ich da feste mitgemischt habe, kannst Du Dir wohl denken. Das war aber auch kaum zum Ansehen. Eine Frechheit war es ohne Zweifel für unser teures Geld, uns so was vorzusetzen. Mit einem Male war allgemeiner Aufbruch. Am meisten Spaß hat es mir gemacht, wie dann die Kasse gestürmt wurde und jeder sein Geld wiederhaben wollte.
Nach diesem unterhaltungsreichen Zwischenfall bin ich dann in das Soldatenheim, habe dort für 50 Pfennig Rührei gegessen und noch etwas Tee dazu getrunken, bin ich dann auf direktem Wege bei stockdunkler Nacht in die Unterkunft, um mich dann auf mein Strohlager zu legen. Ohne Decke war es etwas kühl, aber überstanden habe ich es auch.  Genau um 2 Uhr traf ich nun an meinem Bestimmungsort ein. Bei der Dienststelle habe ich mich nun vorgestellt, wo mir mitgeteilt wurde, daß ich morgen nun zu einer anderen Dienststelle weitergeleitet würde. Wohin es dann geht, weiß man noch nicht. Ich habe mir hier ein Quartier für diese Nacht gesucht. Die Leute leben ja mehr wie einfach, aber ich denke, daß es für diese Nacht gehen wird. Sollte ich tatsächlich noch einen weiteren Tag hier bleiben müssen, werde ich mich schon einzurichten wissen. 
Im Sowjetparadies sieht es wirklich fabelhaft aus. Die Straßen verwahrlost. Anfang von öffentlichen Anlagen, die in den Anfängen steckengeblieben sind. Man kann es nicht beschreiben. Auch die Häuser, die als besser angesehen werden können, im Gegensatz zu den anderen, sind genau so verlottert wie alles andere auch. Es ist fast undenkbar, wie es hier aussieht, man kann nur  staunen, wenn man das gesehen hat.  Ich hatte doch noch Geld an jemand zu schicken. Ehe ich nun noch weiter warte, bis ich weiß, wohin ich komme und bis ich rückgefragt habe, was meine Schulden machen, wird zuviel Zeit vergehen. Ich glaube darum, Du sendest an meine alte Feldpostnummer etwa 68,-RM mit der Bitte um Weiterleitung an L. Henkes, Montignyen Ostrevent, rue de la Chapelle. Ich werde dann mit ihm weiter abrechnen, was dann noch offen steht und wie ich das noch regeln kann.
Die Pakete hast Du sicherlich alle bekommen. Hoffentlich auch die aus Frankfurt und den Koffer, den ich von Leipzig ab gesandt habe.  Wenn man so lange ohne Nachricht ist, macht man sich Gedanken, was nun daheim los ist. Deine letzten Briefe an mich hast Du wohl auch zurückbekommen. Den Schlüssel zum Koffer konnte ich immer noch nicht mit senden, weil ich keinen festen Briefumschlag habe. Denn ich möchte doch nicht, daß er verloren geht. Wenn Du aber doch noch einen anderen Schlüssel gefunden hast, dann hast du ja den Koffer noch auspacken können, damit die Wäsche wieder herauskommt.
Hier soll es auch ein Kino geben. Ich will einmal sehen, ob ich hier auch einen Reinfall erlebe wie gestern. Aber die Zeit muß man doch irgendwie herumbringen. Gegenwärtig sitze ich im Soldatenheim und habe eine „ganz kräftige“ Wassersuppe zu mir genommen. Der Kaffee ist genau so dünn wie die Suppe, aber es war etwas Warmes. Das Quartier habe ich nun doch allein. Ich habe auch noch einen festen Briefumschlag gefunden, so daß ich Dir heute den Schlüssen doch noch mitschicke.
Es ist hier ja schon bedeutend zeitiger dunkel, dafür aber umso eher hell. Gegen 7 Uhr wird es schon langsam Nacht und früh gegen 5 Uhr fängt es schon wieder an zu dämmern. Auch in dieser Beziehung muß man sich umstellen. Entgegengesetzte Tageseinteilung wie in Frankreich.  Ich will versuchen, mich bald schlafen zu legen, wenn es geht, denn ich bin von den vielen Reisetagen sehr müde. Bis jetzt war es immer nur halbe Sache. Ich schließe deshalb für heute mit vielen und recht herzlichen Grüßen für Dich und die Kinder Dein Ernst.

Brief 242d vom 21.4.1942


Mein liebes gutes Mädel !     unterwegs, den 21.4.42                                                                            

Gestern kam ich nicht zum Schreiben, dafür hatte ich Dir vorgestern schon zwei Briefe geschrieben. Also um Mitternacht bin ich in Krakau weitergefahren. Ich hatte erst gehofft, ein Großstück weiter zu kommen, doch daraus wurde nichts. Bis nach Lemberg hat es nun gelangt und hier sitze ich wieder fest. Schließlich muß man sich an dieses Tempo gewöhnen. In Frankreich war es bestimmt schon gemächlich, aber doch immer noch ging es dort schneller vorwärts wie hier. Ich bin nun zwar durch ganz Polen durchgefahren und stehe nun nahe der früheren russischen Grenze. Wohin es geht, habe ich Dir ja schon mitgeteilt, ob ich zwar dort bleibe, ist noch nicht ganz raus, denn hier muß man ja immer mit Änderungen rechnen.
Gestern habe ich Dir irrtümlich mitgeteilt, daß es westlich Kiew liegt. Das stimmt aber nicht, denn ich habe jetzt gesehen, daß es etwa 200 km westlich Chrakow am Dnjepr liegt. Hoffentlich kommst Du mit diesen schwierigen Namen zurecht, die sich so schlecht schreiben lassen, wenn nicht, so kannst Du mir das ja dann mitteilen.  Die Fahrt ging anfangs vorwärts. Der Zug kam schon überfüllt in Krakau an, mit etwas Glück hatte ich noch einen Platz bekommen. Eine Luft war zwar in dem Abteil, da wäre man fast drin stecken geblieben, und dick war sie. Einige Soldaten hatten ihre Stiefel ausgezogen, so daß ihre Füße ganz wunderbar ausdünsten konnten. Ich dachte mir, das ist immerhin schon ein Vorgeschmack von dem, was noch kommen kann. Es war aber auch so, je weiter man nach Osten kommt, desto schlimmer wird es. 
Bevor ich in Krakau wegfuhr, sah ich einen Transport von Flüchtlingen. Woher sie kamen, weiß ich nicht. Der Anblick war jedoch erschütternd. Man kann es gar nicht beschreiben, wie elend die Leute angezogen waren. Einige haben Pelzmäntel an, andere eine gefütterte Weste. Alles schon lange nicht mehr gewaschen oder gereinigt. Manche haben Schuhe an, andere nur Lappen um die Füße und welche gehen sogar barfuß.
Männer, Frauen und Kinder, alles liegt beieinander. Die Frauen schleppen das Wenige, was sie mitgenommen haben. Ich kann nur sagen, was sind das für Verhältnisse. In dieser Beziehung ist es hier nun noch schlechter.  Auffallend sind hier die vielen Juden, die alle durch Armbinden gekennzeichnet sind, die früher einmal weiß waren. Diese Armbinde trägt einen blauen Zionsstern. Man hat sie teilweise zu Arbeiten eingesetzt, sofern sie Wert auf zu Essen legen. So was Ungeschicktes und so was Dreckiges beim Arbeiten hast Du sicher noch nicht gesehen. Zusehen kann man nicht, denn sonst läuft einem die Galle über. Schmutz und immer wieder Schmutz ist aber oberstes Gebot, man weiß gar nicht, wo der immer wieder herkommt. 
Am Abend vor der Abfahrt in Krakau war ich noch im Kino und habe mir den Film „Der verkaufte Großvater“ angesehen. Selten habe ich so einen Schmarren gesehen wie diesen. Aber ich wollte mich nicht die ganze Zeit in der Wirtschaft oder auf dem Bahnhof sitzen. Es ist mir nicht unangenehmer, wie nicht zu wissen, wohin man gehört.  Ich bin erst wieder zufrieden, wenn mein Zug wieder rollt, oder wenn ich an Ort und Stelle bin. Die Preise sind hier derart überhöht, daß man sich einesteils nicht wundert, daß sich die Leute nichts kaufen können. Wir haben hier zu unserer Löhnung einen Teuerungszuschlag von 50 %, den man aber bei diesen unnormalen Verhältnissen braucht.
Auffallend war mir noch, als ich aus dem Kino kam, brannte auf den Hauptstraßen noch die ganze Straßenbeleuchtung.  Ich lege Dir noch meine gesparten Urlaubsmarken bei, die bis Ende dieses Monats verbraucht sein müssen. Du wirst Verwendung dafür haben. Außerdem ist noch eine kleine Fettmarke dabei, die Du auch verbrauchen sollst. Das Wetter wird nun nach langen Tagen schönen Wetters bewölkt, wahrscheinlich wird es bald Regen geben.  Auffallend ist, daß hier schon viele Deutsche leben. Ich hörte von 25 000, das ist doch enorm. Wenn man sich vorstellt, das ist allerhand Leistung, daß wir während des Krieges so viele Menschen schon hier herüber tun können.  Mit dem Geld muß man sich auch hier erst wieder umstellen. Man staunt nur immer wieder, was das für Leistungen sind, die wir während des Krieges vollbringen. 
Ich mache jetzt wieder Schluß, denn nun weißt Du wieder Bescheid, was ich nun mache und wohin es geht.  Das wird Dich nun auch wieder beruhigen. Ich grüße und küsse Dich wiederum recht herzlich und hoffe, daß mein Brief von heute morgen, den ich einer Rotkreuzschwester abgegeben habe, Dich auch erreicht hat. Dein Ernst.

Brief 242c vom 19.4.1942


Mein liebes Mädel !                                                     19.4.42                                                 

Vorhin habe ich erst einen Brief an Dich abgesandt und nun will ich Dir gleich nochmals schreiben, da ich jetzt weiß, wohin es geht. Der Ort liegt schon in Rußland und heißt Krementschug, der westlich Kiew liegt. Die Reise von hier kann unter Umständen bis 6 Tage dauern. Die Fahrt geht von hier aus über Lemberg.  Sobald ich kann, werde ich Dir wieder darüber Genaueres berichten. Ich bin ja jetzt erst auch annähernd eine Woche unterwegs.  Die Dienststelle heißt „der Befehlshaber der rückwärtigen besetzten Gebiete Süd“. Das ist in dieser Beziehung alles. Vorhin habe ich Verpflegung für 6 Tage gefaßt. Mir wurde ganz Angst, als ich alles beieinander hatte. Im Koffer habe ich dann doch noch alles untergebracht. Ich hatte mich erst geärgert, daß ich meine Mappe nicht mehr dabei hatte, es wird aber nun auch so gehen.  Ich habe nun, nachdem ich meine Sachen in Ordnung gebracht habe, einen Bummel durch die Stadt gemacht. Die Stadt bietet trotz des reichlichen Schmutzes, viele schöne und alte Bauten, die auf Tradition schließen lassen. Das Polnische wirkt wieder ganz anders, Hier sind im großen Durchschnitt die Leute ärmer wie in Frankreich, sie sehen vielfach auch zerlumpt aus. Der Eindruck, den ich jetzt zuerst gewonnen habe, ist nicht der beste.
In Rußland soll es ja noch schlimmer sein, es wird sich aber auch wieder auf eine Art einrichten lassen. Bis ich nun hier wegfahre, werde ich mich in der Stadt herumtreiben bis mein Zug heute Nacht um 1 Uhr geht. Jetzt habe ich mich in ein Kaffeehaus gesetzt, wo ein richtiger Großstadtbetrieb ist. Wie lange ich es hier aushalte, muß ich erst einmal sehen. Wie ich schon schrieb, traf ich gestern mit etwa 3 Stunden Verspätung hier ein. Ich erkundigte mich, wann mein nächster Zug weiterfährt und mir wurde dann mitgeteilt, daß ich gegen 9 Uhr weiterfahren könnte. Ich verließ also den Bahnhof, habe mich erst einmal um Essen umgesehen, denn das ist immer sehr wichtig. Ich bekam wenigstens eine Suppe, denn mit der Marschverpflegung allein kann man wohl auskommen, aber man braucht auch zwischendurch warmes Essen. Man hatte mir in Krakau für 6 Tage Marschverpflegung mitgegeben, die mir ziemlichen Kummer bereitete, weil ich nicht wußte, wo und wie ich diese unterbringen sollte. Einen Teil habe ich nun schon verbraucht und mit der anderen werde ich auch noch zu Wege kommen. Nach der Einweisung habe ich mich hier auf der Frontsammelstelle gemeldet, was sich nun zu meinem Verhängnis ausgewirkt hat.
Wir haben bereits wieder Nachmittag und ich sitze seit gestern Mittag immer noch hier. Mir geht es zwar nicht allein so, denn hunderte von Kameraden warten auch auf weiteren Anschluß. Das beruhigt mich einigermaßen. Nachdem man hier nun die verschiedenen umständlichen Formalitäten erfüllt hatte, habe ich mich mit noch einem Kameraden auf den Weg durch die Stadt gemacht. Schon als man hier zum Bahnhof herauskam und überall, wo viele Soldaten verkehren, sitzen die Schuhputzjungen, die einen förmlich überfallen. Ich habe mir auch die Schuhe reinigen lassen wollen. Das Geschreidurcheinander der vielen Jungen kann einem bald auf die Nerven fallen. Doch man muß da immer zeigen, daß man über ihnen steht.  Als mir der Kerl die Schnürsenkel mit einschmierte und nicht gleich begriff, daß das eine Schweinerei ist, habe ich ihm eins an den Kopf gegeben, das half dann gleich. Als sie dann fertig waren, verlangten sie zuerst Brot, als ich das nicht bei mir hatte, Zigaretten und dann zuletzt, als ich das auch verneinte, das Geld. Erst wollten sie 50 Pfennig haben, aber mit 10 Pfennig waren sie dann auch zufrieden.
Wir sind dann weiter durch die Stadt gezogen und haben uns etwas umgesehen. Die Hauptstraßen sind schon nicht sauber, aber in den Nebenstraßen getraut man sich schon nicht hineinzusehen, geschweige denn durchzulaufen. Im Soldatenheim gab es dann Kaffee und Kuchen zu anständigen Preisen.  Gegen Abend bin ich dann wieder ins Kino gegangen, wo der Film „Liebe streng verboten“ gespielt wurde. Der war so einigermaßen, aber auch nichts Besonderes. Man sagt, daß hier Lemberg die letzte Kulturstation sei und daß es nachdem aufhört. Darum nimmt man in dieser Hinsicht noch alles mit, was man bekommen kann.  Doch mir ist alles zu teuer, darum trinke ich nur zum Essen noch ein Bier und halte mich an den Kuchen oder an das Sonntagsessen.  Die Unterbringung ist hier schon sehr primitiv, aber man wird sich hier damit abfinden müssen.
Interessant war am Abend, als wir durch die Hauptstraße gingen, als da elternlose Kinder auf der Straße standen, barfuß oder notdürftig bekleidet und sangen mit zitternder Stimme. Der Anblick ist ja grausig, wenn man die Kinder so auf der Straße sieht und weiß, daß sie irgendwo in einem Dreckwinkel nächtigen. Was sind das für schöne Verhältnisse bei uns in Deutschland. Was haben es unsere Kinder schön. Hier lebt und wächst aber alles durcheinander, trotz Krankheiten und sonstigen Einflüssen vermehren sich diese Menschen hier, das ist ja unglaublich. Hier kommt es deshalb auch auf den einzelnen nicht an, weil sich das Grobzeug so schnell vermehrt.
Die Zerstörungen, vor allem in der Bahnhofgegend sind ziemlich groß, doch man ist mit der Ausbesserung schon stark beschäftigt. Auch an großen Gebäuden ist hier wirklich kein Mangel und sie machen keinen schlechten Eindruck, doch es fehlt zu allem der Zusammenhang. Dann ist eben alles nicht Instand gehalten, so daß es schade um dieses alles ist. An einem Kirchturm hat man das Kupferdach halb heruntergerissen. Wahrscheinlich waren das die Russen, die ja die Stadt eine ganze Weile unter ihrer Verwaltung hatten.  Ich habe noch von vielen Eindrücken zu berichten, doch für heute langt es wohl.
Post kann ich ja noch nicht von Dir erhalten, damit wird es noch eine ganze Weile dauern, bis  ich Dir meine neue Adresse bekannt geben kann und bis dann die Briefe hier ankommen. Ich hoffe, daß Ihr alle gesund seid und sende Dir und den Kindern recht viele herzliche Grüße und Küsse Dein Ernst.

Brief 242b vom 18./19.4.1942


Mein liebes, gutes Mädel !                                            18.4.42                                                 

Gestern Abend kamen Alice und Paul. Sie fragten mich schon am Vormittag, ob ich Zigaretten hätte, denn dann würden sie mir welche mitbringen. Ich bedankte mich dafür und sagte ihr aber, daß ich nicht abgeneigt wäre, wenn sie einen guten Cognac mitbringen würde. Tatsächlich brachte sie dann einen Likör mit,  den wir uns dann nach dem Abendessen zu Gemüte gezogen haben Wir haben uns dann über alle Dinge die uns gemeinsam berühren, unterhalten. Daß Du mit den Kindern nicht aus dem Spiel gelassen wurdest, kannst du Dir ja vorstellen. Was liegt mir denn näher, wie gerade in diesem Kreise immer wieder von Euch zu erzählen.  Alle wollten ja auch wissen, was Ihr macht und wie Ihr lebt und wie es Euch geht. Nachdem ich nun erst kürzlich im Urlaub war, hatte ich reichlich Gesprächsstoff.
Dein Vater holte dann noch einen Rest Steinhäger, den wir dann auch noch wegmachten. Ich hatte mir aus Frankreich 2 Flaschen Cognac mitgebracht, die ich mir für spätere Zwecke aufheben wollte und Dir mitschicken wollte. Ich dachte, wenn die Stimmung so angenehm und angeregt ist, da werde ich eine von den zweien opfern. Dein Vater und auch Alice sowie Paul sagten erst, ich solle sie aufheben. Als ich sie dann aufgemacht hatte, hat dann keine mehr widerstanden. Als wir noch einige Cognacs getrunken hatten, gingen dann Alice und Paul heim. Den Brief den ich Dir gestern sandte, hatten dann alle noch unterschrieben. Wir 3 saßen dann noch beieinander und wir kamen dann ins Gespräch auf meinen Brief und auch auf Deinen. Erst meinte er, mein Brief sei ziemlich scharf gewesen. Wir haben uns dann des Langen und Breiten darüber unterhalten, und ich habe nochmals unser aller Meinung zum Ausdruck gebracht, der er anfänglich entgegentrat und versuchte, unsere Ansichten zu entkräften. Ich ließ mich nicht davon abbringen und sagte ihm offen, meine Meinung mit der Begründung, daß ich ihm in der gleichen Weise entgegentrete wie er es auch an sich hat. Es handelt sich hierbei nicht mehr um die Frau Böhler sondern um das Fräulein Ludwig, mit der er früher im Geschäft tätig war. Ich sagte ihm dann, daß wir ihm nicht im Wege stehen, keiner von uns, aber wir wollen und können es auch nicht dulden, daß er jetzt nach so kurzer Zeit schon derartige Pläne hat und habe ihm das richtig vor Augen gehalten. Er sagte dann, daß er während des Krieges auch nicht daran dächte wieder zu heiraten, weil er nicht wüßte, wie und wann wir aus dem Kriege heimkommen würden. Wenn wir zwar gesund heimkämen, dann halte er es nicht für ausgeschlossen, daß er an eine Verbindung noch einmal denken würde. Unsere Stellungnahme dazu habe ich dann wieder dahin formuliert, daß die Beziehungen dann sich zwischen uns allen sehr abkühlen würden, denn das ist unser aller Auffassung. Wie gesagt, wie er mir das schon vorher bestätigte, denkt er während der Dauer des Krieges nicht daran. Neu war mir allerdings, daß er auch an Dora geschrieben hat, ob sie zu ihm kommen würde. Er sagte auch, daß das gewissermaßen Mamas Wunsch gewesen sei. Er las mir dann auch einen Brief von Dora vor in dem sie ihm mitteilte, daß sie das im gegenwärtigen Moment wegen des Haushalts, dem sie gegenwärtig vorsteht, nicht könnte. Im übrigen sagte er, daß er mit Dir schon darüber gesprochen hätte und daß Du darüber Bescheid wissen würdest, was ich aber verneinte, weil Du mir davon noch nie etwas gesagt hattest. Er fragte mich dann, was wir wohl dazu sagen würden, wenn Dora ins Haus käme, worauf in ihm erklärte, daß dies eine ganz andere Version sei, über die ich erst nochmals nachdenken müßte und die ich nicht gleich beantworten könne. Wir haben uns dann über diese Dinge noch bis gegen 2 Uhr unterhalten. Daß dabei fast die ganze Flasche Cognac draufgegangen ist, hat mir dann auch nicht leid getan, denn ich habe mit ihm über diese Dinge in alle Ruhe reden können. Gut war, daß Erna dabei war, die ja schließlich auch mit zur Familie gehört und die jederzeit das bestätigen kann und Siegfried meine Meinung auch mitteilen kann, wie ich über alle diese Dinge denke. Ich denke, daß Du jetzt in soweit beruhigt bist, daß ich in aller Ruhe mit Deinem Vater auseinander gekommen bin, denn ich gab zu, durch weitere Briefeschreiberei wären die Dinge vielleicht verworrener geworden.  Übrigens über Deinen Brief war er mehr verwundert als über meinen, weil er nach seiner Ansicht schärfer gewesen sei. Aber es ist soweit jetzt ziemlich klar. Ich bin bestimmt froh, daß ich mich mit ihm darüber ausgesprochen habe und daß er auch unsere Meinung weiß.  Ich komme jetzt nicht mehr dazu, Dir noch mehr zu schreiben, was ich noch zu berichten habe, weil mir die weitere Zeit im Moment dazu fehlt. Ich werde aber alles noch nachholen.  Sei darum jetzt vielmals und recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deinem Ernst.

Mein liebes Mädel !                                    Auf der Fahrt, den 19.4.42         

Nun bin ich wieder auf der Fahrt und jetzt hier auf dem Bahnhof von Breslau. Der Zug wird gleich weiterfahren. Ich möchte aber doch noch etwas schreiben, damit Du nicht so lange ohne Post bist. Mittag gegen 12 Uhr werde ich in Krakau ankommen. Was dann wird und wie es dann weitergeht, muß ich abwarten. Gestern früh sind wir etwas spät aufgestanden. Ich habe dann noch gebadet.  Meine Koffer mußte ich doch umpacken, weil ich Dir unseren großen Koffer heimgeschickt habe. Ich bin jetzt nur noch mit dem Koffer von Kurt unterwegs, damit ich nicht soviel Schleiferei habe. Ich weiß nicht, ob Du noch einen Schlüssel davon daheim hast. Ich schicke ihn Dir in diesen Tagen zu, damit Du ihn dann ausräumen und die Sachen versorgen kannst. Die eine Flasche Cognac hebst Du dann noch mit auf. Die übrigen Sachen waren mir alle im Wege.  Einen weiteren Koffer mit Uniformjacken schickt Dir Dein Vater mit der Post noch zu. 2 Bücher wirst Du auch noch von ihm erhalten, weil sie nicht mehr hineinpassen. Das wäre dann alles, was ich noch bei mir hätte, was ich so entbehren kann und was ich jetzt nicht gleich unbedingt brauche, vor allem, weil ich noch nicht weiß, wie ich untergebracht werde. 
Nach dem Mittagessen bin ich mit Erna in die Stadt gefahren, habe auf dem Bahnhof meinen Koffer aufgegeben. Anschließend sind wir dann auf den Friedhof gefahren, wo uns Dein Vater und Alice erwarteten. Ich habe dann noch einige Blumen gekauft, um sie auf das Grab meiner Mutter und auf das Grab von Walter tun zu können. Es war mir eine Notwendigkeit, diese Gräber sowie das von Deiner Mutter zu besuchen. Man fährt beruhigter weiter, wenn man das alles nochmals gesehen hat, wo man so durch die Stadt fährt und hat die Gelegenheit dazu. Wir haben dann alles sauber gemacht, damit alles wieder ordentlich aussieht. Beim Grab meiner Mutter ist der Efeu erfroren, dagegen der  Efeu auf dem Grab meines Bruders noch ganz schön. Wir haben etwas davon umgepflanzt, es wird sich zeigen, ob es anwächst.
Später fuhren wir dann wieder in die Stadt zurück.  Dein Vater wollte sich einen Anzug kaufen. Da bin ich dann noch mitgegangen. Als das erledigt war, haben wir uns noch in eine Wirtschaft gesetzt. ½ 9 Uhr waren wir wieder daheim. Ich zog dann meine alte Kluft für die Reise wieder an, und die andere habe ich wieder verpackt. Nach dem Abendessen war es dann wieder bald Zeit zum Fertigmachen. Erna hatte noch einen Kaffee gekocht, dann haben wir noch den restlichen Cognac getrunken und dann ging es los. Dein Vater wurde wieder etwas weich, aber Du kennst ihn ja wie er da ist, wenn man von ihm Abschied nimmt. Erna war während der Zeit auch sehr nett zu mir, der kurze Aufenthalt war bestimmt angenehm verlaufen.  Nun sitze ich wieder im Zug und fahre jetzt wieder durch das Kohlen und Bergwerksgebiet Oberschlesiens. Jetzt in Glowitz und bald werde ich im polnischen Lande sein.
Die Züge sind so überfüllt und die Gegend ist so interessant, daß ich meinen Schlaf, den ich in der Nacht begonnen habe, weiter fortsetze. Ich habe mich auf die Bank hingelegt, so daß ich verhältnismäßig gut ausgeruht bin. Trotz der langen Reise, die nun schon seit Montag geht.  Interessant war nur der Unterschied, den man jetzt um diese Jahreszeit in der Landschaft erlebt.
Wie ich Dir schon schrieb, war in Paris alles schon in schönster Blüte, in Mitteldeutschland da fingen die Bäume langsam an zu grünen und hier sind erst die Weidenkätzchen herausgekommen und die Birken fangen noch nicht an zu grünen. Man merkt daran schon, daß es hier kälter ist, und daß es noch eine Weile brauchen wird, bis es hier auch zum Blühen kommt.  Auf den Haltestellen schreibe ich immer wieder an meinem Brief weiter, denn während der Fahrt geht das schlecht, weil der Zug so schlingert. Ich glaube, daß ich selten so lange an einem Brief geschrieben habe wie an diesem, schon was die Entfernung anbelangt.  Ich glaube, daß ich für heute erst einmal das persönliche geschrieben habe. Ich habe vorhin erst einmal überlegen müssen, was überhaupt für ein Tag ist, dann merkte ich, daß ja Sonntag sei. Man kommt ganz außer der Reihe.  Nimm Du recht herzliche und viele Grüße und Küsse entgegen. Gib auch unseren beiden Lausern einen herzlichen Kuß von Deinem Ernst.

Brief 242a vom 17.4.1942


Mein liebstes Mädel !                Leipzig, 17.4.42                                                                                       

Ich stelle mir vor, daß Du heute große Augen gemacht haben wirst, als ich Dir das Telegramm von Leipzig aus sandte. Also gestern erhielt ich die Mitteilung, daß ich mich vorerst in Krakau zur Entgegennahme weiterer Weisung zu melden hätte. Ich bleibe wie ich Dir schon mitteilte, bei der Verwaltung im gleichen Rang, nur daß sich jetzt die Dienststelle ändert. Eins kann ich Dir sagen, jetzt, wo ich nun weiß, was wird, bin ich auch wieder ganz anderer Stimmung wie vorher, wo noch alles im Ungewissen lag. Nicht aber etwa deshalb, weil ich nicht zur Truppe zurückkomme, sondern weil ich jetzt weiß, was nun etwa kommen wird, denn vor dem Truppendienst habe ich keine Angst, das weißt Du, wenn es auch für mich am Anfang eine Umstellung bedeutet hätte.  Ich hatte um Beurlaubung für wenige Tage nach Konstanz nachgesucht. Der Major glaubte das aber nicht verantworten zu können. Ich hatte meinen Antrag damit begründet, daß ich so viel Gepäck bei mir hätte, das ich zum großen Teil hier lassen müßte.  Auch als ich ihm sagte, er sollte es als Dienstreise bezeichnen.  Aber, wie gesagt, er hat alles abgelehnt. Da es nun nicht so geht, bin ich jetzt hier in Leipzig einen Tag abgestiegen, weil mich mein Weg hierher führte.
Heute früh bin ich gegen ½ 6 Uhr angekommen, nachdem ich gestern in Marburg ½ 9 Uhr abends wegfuhr. Dort wäre ich nicht mehr lange geblieben, denn man hatte mich  mit noch einem Kameraden wegen Quartiermangel in der Kaserne untergebracht. Wie die Nacht vorher, war wieder Fliegeralarm.  Diesmal mußte ich aber aus der Falle heraus und in den Keller gehen. Dort konnte man auf einer Holzpritsche weiterschlafen, soweit man eben dazu in der Lage war. 
Ich fuhr also über Erfurt, Naumburg nach Halle, dort mußte ich auf einen Anschlußzug nach Leipzig warten. Meine Geburtsstadt hat mich aus Freude des Wiedersehens auch ganz gut bewirtet. Ich ging zum Roten Kreuz und bekam da Bratkartoffeln und Sauerkraut. In dem Sauerkraut war sogar Fleisch drin. Das hat mir ganz gut getan. Vor allem, wenn man die Kofferschleiferei hinter sich hat. Als ich hier nun ankam, bin ich dann gleich mit der Straßenbahn hinausgefahren.  Dein Vater war nicht schlecht verwundert ebenso Erna. Ich glaube aber, daß sich beide gefreut haben, daß ich mit vorgesprochen habe. Meine Koffer hatte ich vorsichtshalber auf der Bahn gelassen, denn ich wußte ja noch nicht, wie sich Dein Vater nach unseren Briefen zu uns eingestellt hat. Ich denke aber, daß es richtiger sein wird, wir sprechen über die Dinge und ich hoffe, daß ich mit ihm schon zu Recht kommen werde. Bis heute früh ist er noch nicht darauf zurückgekommen. Ich habe mit Erna darüber gesprochen, denn ich halte es für meine Pflicht, diese Sache anzurühren. Erstens teilt sie vollkommen unsere Ansicht, was ja schließlich nach der Äußerung von Siegfried nicht anders zu erwarten war. Sie sagte mir nun, als sie von Karlsruhe zurückkam, daß er in einer ganz veränderten Stimmung war. Siegfried hat sich dann mit ihm offenbar ausgesprochen über die ganze Angelegenheit.
Erna ist der Ansicht, daß das Fräulein aus seinem früheren Geschäft sicherlich gehetzt habe, daß er sich so was bieten ließe, daß seine Schwiegertochter so herumreise, während er im kalten Zimmer sitzt. Ebenso hat die Frau Böhler noch mit dazu beigetragen, seine Stimmung in dieser Richtung zu beeinflussen. Wie die Dinge sich nun weiter entwickeln, muß man abwarten, was ich noch erfahre. Ich werde Dir aber dann noch berichten.
Nachdem Dein Vater weggegangen ist, bin ich nochmals in die Stadt gefahren um mein Gepäck zu holen um das umzupacken, was ich nicht mitnehmen will.  Ich hatte mich dann umgezogen und bin dann mit Erna in die Stadt gefahren, um Alice zu besuchen. Die hat mir dann erst Vorhaltungen gemacht, daß ich nicht geschrieben habe. Ich habe ihr dann gesagt, daß es besser sei, ich käme selbst. Dann sind wir noch ein wenig durch die Stadt gebummelt und sind ins Cafe Genant gegangen. Ich mußte doch meine Schwägerin auch einmal ausführen.  Doch hier muß ich etwas einflechten. Das Geld habe ich mir dazu geborgt. Ich habe mir von Erna ebenfalls 20,-RM geben lassen, die Du ihr bitte überweisen willst, denn ich hatte fast kein Geld mehr in der Hand. Ganz schäbig konnte ich mich auch nicht zeigen.  Vorhin sind wir nun nach hause gekommen. Ich muß sagen, daß Erna sich sehr viel Mühe gibt, um mir unter den Verhältnissen der Lebensmittelbewirtschaftung etwas vorzustellen. Sie ist sehr freundlich zu mir. Wir haben uns über alle Familiendinge unterhalten, die uns nun einmal alle angehen. Ich habe sie nun auf diesem Wege auch kennen gelernt, was mir doch bisher immer noch als Mangel für einen vollständigen Menschen anhing.  Vorhin hat sie noch Mittagessen fertiggemacht, in der Zwischenzeit kam Herr Wigram und hat mich gleich begrüßt, was sehr nett von diesem Mann war. Eines kann ich ihm nur nicht vergessen, daß er mich immer mit „Kroschel“ angesprochen hat.
Heute Abend haben wir Alice und Paul hergebeten, die gegen 6 Uhr kommen werden.  Ich fahre morgen weiter nach Krakau. Mein Zug fährt um 19 Uhr, so daß ich dann am anderen Morgen 8,30 Uhr dort sein werde. Ich müßte eigentlich heute schon fahren, aber ich bin bis jetzt immer zu zeitig gekommen, so daß ich sehen muß, was ich sage, wenn ich einmal etwas später komme. Ich werde es diesmal auf mich nehmen.  Du brauchst Dir deshalb keine Sorgen zu machen.  Die Sachen, die ich an Dich zurückschicken will, mache ich noch fertig. Hoffentlich kommen sie gut an.
Meine neue Anschrift wird sicherlich 12960 lauten, sobald das feststeht, gebe ich Dir genaueren Bescheid.  Jetzt möchte ich aber schließen und sende Dir sowie auch den Kindern recht viele herzliche Grüße und Küsse Dein Ernst.  Dein Geld für den Kranz ist auch schon eingegangen.  Abschrift eines Briefes an Kurt, den ich vor Tagen schon geschrieben hatte, lege ich bei. Ebenfalls eine Abschrift eines Briefes an Siegfried, den ich heute schrieb.

Brief 242 vom 22./23.4.1942


Mein liebes Mädel !    Auf der Weiterfahrt                                           22.4.42 

Gestern Abend 9 Uhr ging es von Lemberg weiter. Am späten Nachmittag hieß es, daß ein Transport weitergeht. Wir wurden schnell zusammengestellt. Als wir auf dem Bahnhof ankamen, war erst eine große Drängelei, aber Platz hat dann jeder bekommen. Jetzt liegen wir auf einer Bahnstation und warten bis der Zug weitergeht. Die Bevölkerung kommt an den Zug heran und versucht den Soldaten Eier anzudrehen. Alles geht im Tauschhandel. Für eine Schachtel Streichhölzer oder für eine Zigarette gibt es ein Ei. Obwohl Posten mit der Peitsche oder mit aufgepflanztem Gewehr vorbeilaufen, um die Leute davon abzuhalten, läßt sich doch immer wieder ein Geschäft machen.  Sämtliche Bahnhöfe, die wir bis jetzt passierten, waren zerstört. Meist ausgebrannt. Die Häuser machen alle einen ärmlichen Eindruck. Dachziegel sind eine Seltenheit, die Leute sehen zerlumpt und verdreckt aus. In Lemberg war es noch eine Stadt, da sah es schon schlimm aus, aber hier ist es noch schlimmer. Die Straßen sehen verschlammt und verwahrlost aus, die Felder sind noch nicht bestellt, alles macht einen trostlosen Eindruck. Man wird sich mit der Zeit an diesen Anblick gewöhnen müssen, wie man sich als Soldat in den zwei Jahren schon an so vieles gewöhnt hat. In Lemberg kamen wir gestern zufällig auf einen Markt. Der Eindruck, den man da gewinnen konnte war der, daß die Leute auf dem Standpunkt stehen, lieber etwas gehandelt als gearbeitet. Man wundert sich, was da alles verkauft wird. Etwas erinnerte mich dieser gesamte Markt an den Flohmarkt, den ich seinerzeit in Lille sah. Alte, wieder gerade gebogene Nägel, alte Wecker, Kleider, die schon etliche Jahre getragen waren, Sämereien, Farben, Stoffreste usw. Man könnte da eine lange Liste aufstellen, dazwischen sieht man immer wieder Juden, Juden und immer wieder Juden. Daß man die bald in ein Ghetto tut, wird nichts schaden.
Übrigens fällt mir da ein, daß mir Erna sagte, daß ein Mädchen aus dem Elternverein auch Jüdin sei, von der man es bis jetzt nicht gewußt hatte. Mir ist nur der Name entfallen, Du kennst sie aber gut, denn sie war etwa in Deinem Alter. Mit Vornamen hieß sie Marianne und der Familienname fing glaub ich mit W an. Man sieht es auch hier vielen nicht gleich an, daß sie Juden sind, darum ist es gut, daß man sie kennzeichnet.  Wir sind nun wieder fast 19 Stunden unterwegs immer durch weite Felder, die jetzt teilweise umgepflügt werden. Mit Gespannen von 5 bis 6 Pferden geht es über den Acker. Wenn da auch große Massen eingesetzt werden, man kann sich gar nicht vorstellen, daß das alles einmal bearbeitet wird. Dazwischen gibt es einmal Bilder, die auch eine große Ausdehnung haben. Manchmal bemerkt man Obstplantagen, die auch wieder riesige Ausmaße haben.  Es geht hier alles im Großen.

23.4.42                                                              Guten Morgen liebes Mädel.

Wieder sind wir eine Nacht gefahren und noch sieht man kein Ende dieser Fahrt. Jetzt richtet man sich bald im Zuge hier ein und an das Schlafen gewöhnt man sich schon. Die letzte Nacht war es zwar ziemlich kühl, aber der Schnee ist ja hier soweit überall weg, nur wo die Schneezäune standen, da befinden sich noch kleine Schneehalden. Aber wir fahren immer weiter durch die Gegend. Wir sind schon soweit nach Süden gefahren, daß wir in Richtung Odessa nur wenige hundert Kilometer entfernt sind. An den Stationen geht der Handel lustig weiter. Man wundert sich, wie sie sich an diesen Handel gewöhnen und wie sie die Preise in die Höhe schrauben. Mit unglaublicher Frechheit verlangen sie immer mehr. Die Soldaten sind aber auch selbst daran schuld, denn sie zahlen das was verlangt wird, weil sie es meistens zahlen.
Vorhin kamen aber Soldaten, die schon lange auf dem Transport sind und nichts zu rauchen hatten, die boten für eine Zigarette Fünfzig Pfennig.  Ich bot ihm 3 Stück, dafür wollte er mir 5, geben. Ich habe sie aber nicht genommen. Dafür brachte er mir aber 3 Eier. Der Tauschhandel treibt hier seine tollsten Blüten.  Über diese Riesenentfernungen von einem Ort zum anderen und über diese Riesenflächen kann man sich immer nur wieder wundern. Wenn man das alles richtig landschaftlich nutzen könnte, so wäre für ganz Europa allein Brot vorhanden. Abgesehen von den vielen anderen Möglichkeiten. Doch beim Arbeiten sieht man meistens nur Frauen, im Übrigen machen mir alle einen reichlich faulen Eindruck.  Stellenweise sind die Bahnhöfe und verschiedene Ortschaften zerstört, meist aber scheint es mir als hätten das die Russen selbst angezündet. Brücken oder sonstwelche Kunstbauten sind hier nicht viele vorhanden, bis jetzt haben wir erst eine große Brücke passiert, die ist aber schon ganz schön instandgesetzt. Kriegsgefangene waren mit an der Arbeit. Das sind aber schon die reinsten Mongolen. Einen vertierten Eindruck machen sie einem.
Obwohl man aus dem Lande so viel herausholen könnte, machen die Leute einen verarmten Eindruck, erstens weil sie nichts arbeiten wollen und dann weil man sie mit Absicht unten gehalten hat.  Mit der Wascherei auf der Fahrt hat das so seine Schwierigkeiten. Auf den Bahnhöfen hat man Leitungsrohre gelegt, in die man Löcher gebohrt hat, aus denen das Wasser dann herausläuft.
In dieser Beziehung, was also die Reinlichkeit anbelangt,, habe ich verschiedenes nicht bei mir. Ein richtiger Spiegel zum Rasieren fehlt mir. Man muß sich eben auf das Geradewohl rasieren und hinterher muß man sich befühlen, ob man alles wegbekommen hat. Das wird dann noch nachgeschafft. Es geht alles, nur macht es etwas mehr Umstand. Mit dem Eßbesteck ist es bis jetzt auch so. Ich hoffe, daß ich an meinem Bestimmungsort etwas bekomme, sonst sitze ich auf. Froh bin ich nur, daß ich mein Taschenmesser bei mir habe.
Mit der Zahnpasta und mit den Briefumschlägen wird es auch hapern. Einen Ausweg werde ich aber auch da finden. Du brauchst Dir deshalb keine Gedanken zu machen. Mit dem Briefpapier habe ich mich in Frankreich noch etwas eingedeckt gehabt, weil ich schon gedacht hatte, daß das Schererei machen wird. Im Tauschhandel wird man schon etwas bekommen und da hoffe ich auf die Zigaretten, die ich ja doch nicht rauche. 
Wenn ich nachher Gelegenheit habe, den Brief mit aufzugeben, geht er zur Post, denn jetzt wirst Du wohl länger warten müssen und sicherlich nicht so laufend Post bekommen wie früher. Soweit es aber möglich ist, werde ich immer in altgewohnter Weise weiter schreiben. Dagegen werde ich noch eine ganze Weile warten müssen bis ich etwas bekomme.  Jetzt kann ich wieder Post aufgeben, darum will ich für heute schließen. Ich grüße Dich und die Kinder wieder recht herzlich und oft und sende auch recht viele Küsse Dein Ernst.

Samstag, 15. April 2017

Brief 241 vom 15.04.1942

Mein liebes Mädel !                                                                                    15.4.42                                                     

Es tut mir leid, daß ich Dir nicht Genaues schreiben kann, was später so vor sich geht. Ich bin gestern  noch in einem Hotel hier untergebracht worden. Gestern bin ich noch ein wenig durch die Stadt gestiegen. Aber wirklich gestiegen, denn bis zum Schloß hinauf war doch ein ziemlicher Buckel. Man hat dann einen schönen Rundblick auf die Stadt und einen Teil des Tales der Lahn sieht man auch. Heute bin ich nun zum Schreiben eingespannt worden. Das war etwa eine Stunde Arbeit, dann hat man mich wieder in Gnaden entlassen. Gleichzeitig werde ich aus dem Hotel wieder herausgeschmissen, wahrscheinlich weil es zu vornehm für uns ist. Wir bekommen eine Unterkunft in der Kaserne. Das ist mir zwar weniger angenehm, aber schließlich muß man sich daran gewöhnen. Ich werde also erst heute nochmal umziehen. Das ist ja nicht so schlimm, denn ich bin ja schon den zweiten Tag hier. Ich bin nur gespannt, was man noch alles Gute für uns in Vorbereitung hat.
Interessant ist nur, daß ein ganzer Teil dieser Leute in Zivil herumläuft und den geschlagenen Tag nicht weiß, was er vor Langeweile anfangen soll. Man hätte uns auf unserer Stelle wenigstens so lange sitzen lassen können, bis man endgültig weiß, was los ist. Aber beim Militär kommt es ja nicht so genau drauf an. Vorhin war ich nochmals spazieren und dann will ich mich einmal um meine neue Unterkunft umsehen. Vielleicht erfahre ich heute Nachmittag noch etwas mehr, was nun eigentlich geschieht.  Zur Zeit habe ich eine scheußliche Stimmung. Man weiß noch nicht was nun kommt und alles ist so ungewiß. Das ist wieder wie vor einem Jahr, als ich auch nicht wußte, wohin ich kommen soll. Man wird doch etwas hin und hergeschoben. Schreiben kannst Du mir vorerst noch nicht, weil ich erst abwarten will, was sich hier ergibt. Ich denke, daß ich Dir in ein bis zwei Tagen mehr schreiben kann.  Für heute grüßt Dich und die Kinder recht herzlich. Außerdem sende ich Dir recht viele Küsse. Dein Ernst.

Brief 240 vom 14.04.1942


Mein liebes Mädel !                                 Marburg, den 14.4.42                                        

Nach beschwerlicher Fahrt bin ich heute Mittag gegen 12 Uhr hier eingetroffen. Doch ich will einmal schön der Reihe nach erzählen. Am Sonntag sollte ich ja in Frankreich wegfahren. Ich kam zur Bahn, hatte alle meine Sachen schön aufgebaut und ausgerichtet und wartete auf den Zug. Der Zug sollte so kurz nach 2 Uhr fahren. Ich wunderte mich, als gegen 2 Uhr immer noch niemand auf dem Bahnsteig erschien. Ich fragte dann und man sagte mir, daß dieser Zug am Sonntag nicht fahre. Ich dachte, wenn es nicht sein soll, dann ist es auch gut und bin, nachdem ich mich telefonisch zurückgemeldet hatte, wieder nach hause gefahren. Wenn man aber so auf dem Sprung sitzt, dann hat man zu nichts weiter große Lust, so kam es dann auch, daß ich nicht viel geschrieben habe. An dem Tag habe ich dann nicht mehr viel angestellt, weil ich auch zum Ausgehen keine besondere Lust verspürte. Am Montagvormittag hatte ich mich dann nochmals persönlich auf der Kommandantur gemeldet, habe nochmals wegen eines Wagens gefragt, der mich zur Bahn bringen sollte und dann noch mein Mittagessen eingenommen. Als ich hinkam, glaubte man erst, ich sei es nicht selbst, weil man mich schon über alle Berge wähnte. Dem Spieß war es unangenehm, daß er das übersehen hatte. Von da an hat dann alles fahrplanmäßig geklappt. Ich bin dann mit dem Schnellzug Lille-Paris nach 2 Uhr abgefahren. Das Wetter war wirklich sehr schön zum Reisen. Wunderbarer Sonnenschein lag über der Landschaft. Fast genau 4 Wochen nach meinem Urlaub und etwa 1 Jahr nach Ablegung meiner Prüfung und Versetzung nach Douai sind vergangen, als ich abrückte. Wenn man zurückdenkt, so will es einem nicht so lange scheinen und doch ist es an dem. 
Bei schönem Wetter fuhr ich ab. Die Landschaft erschien einem dadurch in mildem Licht, als beispielsweise vor einem Jahr, als ich ankam und es regnete und war trübes, unfreundliches Wetter. Von Fern grüßten noch einmal die Schutthalden der Kohlengruben herüber.  Wenn man so Abschied nimmt, sieht man alles mit anderen Augen als sonst. Je weiter man dann nach Süden kommt, desto belebter wird die Landschaft, doch die Häuser haben alle den gleichen eintönigen Charakter.
Etwa ½ 7 Uhr war ich dann in Paris. Dort habe ich mir erst einmal einen Gepäckträger geschnappt, denn es ist doch allerhand Zeug zusammengekommen, was man zu tragen hat.  Außer meinen 2 Koffern hatte ich noch 2 Pakete und meine Mappe.  Ich hatte mir dann einen Passierschein besorgt, um nach dem anderen Bahnhof überwechseln zu können. Mit noch anderen Soldaten bin ich dann losgezogen. Es ist nur gut, daß der Weg nicht so weit war, denn bei diesem warmen, fast sommerlichen Wetter mit dem Mantel durch die Stadt laufen, ist kein Vergnügen. Das hatte ich dann auch geschafft. Als ich jedoch dort feststellte, daß sich etwa 70 bis 80 Sechserreihen aufgestellt hatten, um mit dem Zug nach Frankfurt mitgenommen zu werden, wurde es mir etwas anders zumute, doch ich stellte mich mit an und wartete mit. Das ging über eine Stunde. Schließlich ging es auch vorbei. Kurz vor 9 Uhr fuhren wir dann aus dem Bahnhof heraus. Im Zentrum wieder die engen, hochstöckigen Häuser. Verrußt und unfreundlich. Auf der Höhe der Stadt sah man nochmals die Kirche Montmartre in der Abendsonne und in der Ferne sah das wirklich sehr nett aus. Wir fuhren dann durch die Vorstädte von Paris und ich mußte feststellen, daß ich da das erste Mal angenehm enttäuscht wurde.  Offenbar waren da Wohnungen von Leuten, die etwas sich erworben hatten.  Aber die Häuser sahen meist freundlich aus und was das Bild besonders schön machte war, daß in sämtlichen Gärten die Blumen und die Obstbäume blühten. Es war wirklich eine Pracht. Es war so mit das letzte, was ich von Frankreich sah und das war nicht das schlechteste. Ich weiß, daß das selten ist und daß man das wenig antrifft, aber gewundert hat es mich doch, so nahe bei der Riesenstadt, solche Wohnungen zu treffen. Wir fuhren dann über Epinal, Metz, Saarbrücken nach Frankfurt.
Am Morgen war das Wetter genau so schön, wie am Tage vorher, doch man merkte, daß es noch nicht so warm war bei uns in Deutschland und daß dadurch auch alles weiter zurück war. Die Landschaft war dann auch schön, die wir durchreisten. Aber von der Schlaferei auf der Bank im überfüllten Zuge und von der Schüttelei war man etwas abgespannt und auch nicht so aufnahmefähig. Weiterhin kam dazu, daß die meisten Männer, die im Zuge saßen, in Urlaub fuhren und ich hatte wieder ein unbestimmtes Ziel vor mir. Denn es ist nun mal eine ziemliche Umstellung, die von einem da wieder verlangt wird. Man war schließlich bald zwei Jahre in einer rangmäßig höheren Stellung und nun soll man wieder zurück in die Umgebung, aus der man herausgenommen wurde. Aber was nutzt das Hadern mit dem Schicksal, man muß es eben durchstehen.  In Frankfurt mußte ich dann auch wieder vom Ost nach dem Hauptbahnhof. Glücklicherweise war gleich bei der Straßenbahnhaltestelle ein Postamt, das mir die zwei Pakete entgegennahm, die mir für den weiteren Transport handlicher waren. Die habe ich dann an Dich aufgegeben. Ich hoffe, daß Du sie bald erhältst. In dem einen habe ich meine Stiefel und ein Paar Schuhe verpackt. Im anderen habe ich 2 Kisten Keks, die ich noch drüben kaufen konnte, verpackt. Hoffentlich kommt alles gut in Deine Hände.  Als ich alles erledigt hatte, bin ich dann zum Bahnhof gefahren und bekam auch gleich einen Anschluß nach hier. Einesteils war ich froh, denn ich sitze nicht gern auf den Bahnhöfen herum, doch andererseits drängt es einem, nun endlich zu einem Ziele zu kommen, um zu wissen, was es nun gibt. Wie gesagt, gegen 2 Uhr war ich dann hier. Ich habe mich nun nach der Dienststelle durchgefragt, doch wie ich hinkam, wußte noch keiner etwas von meiner Ankunft und was sonst mit mir nun geschehen soll. Von den maßgebenden Herren war keiner da. Die Soldaten wußten von nichts. Ich traf dann noch einige Leidensgenossen. Von diesen erfuhr ich, daß sie schon seit 14 Tagen hier herumsitzen und daß es vielleicht nochmals so lange dauern könnte oder noch länger, bevor sie wüßten, was nun eigentlich mit ihnen geschieht. Das sind natürlich weniger erfreuliche Dinge. Andere dagegen wurden wieder zu ihrem früheren Truppenteil zurückversetzt. Was nun eigentlich geschieht, weiß also bis jetzt keiner.

Brief 239 vom 10./12./13.04.1942


Meine liebe Annie !               10.4.42                                                                                

Die Stunde des Abrückens kommt nun immer näher. Ich bin schon fest beim Packen. Ich bin froh, daß ich noch den zweiten größeren Koffer mitgenommen habe, denn sonst würde ich nicht hier wegkommen. Ich habe noch einiges gekauft, das ich noch zusammengepackt habe, ebenfalls meine Stiefel. Jetzt habe ich außer den 2 Koffern meine Mappe und noch 2 Pakete. Ich denke, daß es dann so geht.  Was so noch herumliegt, das schicke ich in Päckchen an Dich ab, dann wird das Feld hier geräumt sein. Man wundert sich immer nur, wie viel Zeug sich innerhalb des Zeitraums ansammelt. Erst braucht man es, aber beim Wegfahren ist alles im Wege. Wenn ich aber alles passend beieinander habe, ist schon allerhand zu tragen, aber es wird schon klappen. 
Post habe ich ja keine von Dir erhalten. Es wird hoffentlich morgen noch etwas ankommen. Das andere geht ja dann alles zurück, was später ankommt. Was verständlich ist, so muß ich sagen, daß mich die Arbeit hier nicht mehr interessiert. Ich werde dann sehen, was mich dann erwartet, gespannt bin ich, was ich nächste Woche um diese Zeit tun werde. 
Bei uns im Garten wird es jetzt aber mit aller Gewalt Frühjahr. Die Blumen kommen schon aus dem Boden. Es ist direkt schön, schön vor allem deshalb, weil doch hier sonst alles so eintönig ist.
Das Wetter ist aber auch direkt danach. Kräftige Frühlingswinde, schöner Sonnenschein und im Allgemeinen ziemlich warm. Abends ist meist ein wunderbarer Sternenhimmel. Man sieht alle Sterne so deutlich. Aber was nutzen alle diese Betrachtungen, die raue Wirklichkeit stört ja immer wieder dieses Bild.  Darum scheint es einem manchmal, es hätte keinen Zweck und man fragt sich, warum dies alles, doch zur Selbsterhaltung ist es nun einmal notwendig.  Ich bin im Augenblick nicht in der Stimmung, an diese Betrachtung weitere Gedanken zu knüpfen. Ich bitte Dich, sei mit diesem Gruß heute zufrieden. Grüße und küsse unsere Kinder von mir herzlich und sei Du selbst vielmals herzlich gegrüßt und geküßt von Deinem Ernst.

Mein liebes Mädel !                  12.4.42          

Einen Gruß sende ich Dir noch von hier. Das ist der letzte Brief.  Ich habe noch viel zu packen gehabt. 11 Päckchen habe ich noch fertig gemacht. Es sind die Nummern 37 bis 46. Das andere habe ich im Koffer verwahrt und in 2 weiteren Paketen. Das ist immer noch genug zum Tragen.  Nachher fahre ich weg. Es ist nicht mehr viel Zeit, doch ich möchte diesen Brief nicht ohne Gruß abschicken.  Herzliche Grüße und viele Küsse Dir und unsren Kindern Dein Ernst.

Mein liebes, gutes Mädel !              13.4.42        

Gestern habe ich hier wegfahren wollen, aber der Zug fährt nur werktags, so daß ich also noch bis heute hier bleiben und auf den anderen Zug warten mußte. In der richtigen Schreibstimmung bin ich zwar immer noch nicht, was Du wohl verstehen wirst, aber das gibt sich ja wieder, wenn man wieder sein Gleichgewicht erlangt hat.  Morgen werde ich nun bestimmt in Marburg landen. Gestern ertönte zum Abschied gerade die Sirene. Ich dachte, das ist doch ein ganz kräftiger Abschied, aber da wurde nichts draus.
Das Wetter ist hier jetzt direkt sommerlich, so daß ich mir schon Gedanken mache, wie ich mit meinem Mantel zurechtkomme, der nicht mehr in dem Koffer Platz hatte und den ich nun anziehen muß. Es wird aber schon gehen. Ich werde nachher mit dem Wagen zur Bahn gebracht werden. Dann ist es hier in Dauerkeit Schluß. Abgesehen von wenigen Tagen, war ich dann genau ein Jahr hier. Wie bloß die Zeit vergeht.  Was nun die Päckchen anbelangt, so habe ich Dir gestern schon mitgeteilt, daß es 11 Stück sind. In 3 oder 4 ist Zwieback verpackt, in einem Orangen und im anderen Zitronen und Honig. Weiterhin Schokolade und Sämereien und sonstiger Kleinkram. Ich hoffe, daß alles gut ankommen wird.  Ich grüße Dich und unsere Kinder recht herzlich und sende Euch wiederum viele ebenso herzliche Küsse. Dein Ernst. Übrigens habe ich Deine 3 Briefe vom 6.7. und 8. erhalten, für die ich Dir wiederum herzlich danke. Ich werde noch drauf zurückkommen. Für heute will ich sie Dir wenigstens bestätigen. Nochmals vielen Dank dafür. Dein Ernst.

Sonntag, 9. April 2017

Brief 238 vom 8./9.4.1942


Mein liebstes Mädel !                                                         8.4.42                                                                                   
Nun will ich erst einmal Deine beiden Briefe beantworten. Mit beiden Briefen hast Du mir den Eingang von 7 weiteren Päckchen bestätigt. Nun habe ich fast ziemlich allen Zucker daheim. Schade ist nur, daß man keinen mehr besorgen kann. Schade ist ebenfalls, daß ich nicht gewußt habe, daß ich heute noch hier bin, denn dann hättest Du mir noch Geld schicken und ich hätte noch verschiedenes kaufen können. Nun muß es aber so gehen. Der Brief von Nannie ist nett geschrieben, aber ich habe auch den Eindruck, als wenn sie der Krieg ganz und gar zermürbt.
Daß sich das mit dem Mantelstoff für Erna nicht anders machen ließ, hat mir selbst leid getan und hätte das gern besorgt, aber ändern kann ich es nicht mehr.
Über die Bilder, die Du für Kurt hast abziehen lassen, wird er sich sicherlich gefreut haben.
Deinen Osterputz oder Frühjahrsputz hast Du rechtzeitig begonnen. Das hat man hier schon verschiedentlich sehen können, daß vor Ostern die Frauen die Wohnung nach dem langen Winter einer gründlicheren Reinigung unterzogen. Da dachte ich, genau wie  bei uns in Deutschland, kaum werden die ersten warmen Sonnenstrahlen fühlbar, dann fangen die Frauen mit putzen an. 
Daß Du die Butter noch zum Teil hast frisch verwerten können, hat mich sehr gefreut. Den Rest hast Du ja in Reserve nehmen können. Viel ist es zwar nicht, aber man hat doch einen kleinen Rückhalt. Daß Frau Dietz immer so pünktlich an den Jungen denkt, ist sehr nett von ihr. Man muß doch bedenken, daß sie ihn nun eigentlich ganz und gar aus den Augen verloren hat. Du hast ihr ja gleich wieder geantwortet, dann merkt sie auch, daß man nicht ganz so uninteressiert ist.  Mein Vater gibt Dir aber allerhand Vertrauensaufträge. Daß Du sogar das Geld vom Los holen darfst, das will doch allerhand heißen. Aber solange Dir die Zeit zur Verfügung steht, wird er froh sein, wenn Du ihm das abnehmen kannst. Genau so wenn Du ihm die anderen Besorgungen, abgesehen von den Lebensmitteleinkäufen, machst.
Für Kurt hat er sich ja wieder Mühe gegeben, ich denke, daß ihm das schon gefallen hat, als er das Päckchen bekommen hat.  Mit der Krankenkasse hast Du nun überhaupt keine Lauferei mehr. Wegen der Rückkürzung des Betrags warst Du gewiß nicht böse.
Der Radioapparat hat also auch bei Vater Anklang gefunden. Daß Du mehrere Sender hereinbekommst, ist ja schön, denn diese Quälerei mit dem anderen Apparat hat mir auch immer nicht gefallen. 
An den jungen Berger kann ich mich schon noch erinnern. Der wohnte doch erst im Hause vor uns, später sind sie dann hintergezogen ins letzte Haus. Den Heller aus Leipzig habe ich nur dem Namen nach und von Erzählen her gekannt. Dagegen kann ich mich noch schwach an den Auerswald, die in der Ewaldstraße wohnten, entsinnen. Besser zwar noch an seine Mutter, denn die hatte doch einen Buckel. Der Junge war aber ein ganz strammer Kerl. 
Daß Helga so fleißig bei den Handarbeiten ist und das nun durch vermehrten Besuch der Unterrichtstunden ausgleicht, was ihr an Geschicke oder Schnelligkeit fehlt, das freut mich sehr und ich muß ihr mein ganzes Lob aussprechen. Daß das die Lehrerin auch anerkennt, ist ja auch schön, denn das wird ihren Eifer ohne weiteres noch steigern.  Vorhin habe ich nun erfahren, daß ich nunmehr endgültig am Sonntagmittag um 2 Uhr hier wegfahre. Meine Fahrt geht über Paris, von da nach Frankfurt und von da nach Marburg. In Frankfurt werde ich dann am Montag früh 8 Uhr sein, so daß ich evtl. gegen Mittag wieder in Marburg sein werde. Jetzt steht es also endgültig fest.
Der Kommandant hat mir für 1 bis 2 Tage Urlaub geben wollen, um nochmals nach hause zu fahren. Ich habe mir das hin und her überlegt, bin aber zu dem Entschluß gekommen, daß es vielleicht besser ist, ich fahre direkt, denn diese lange Reise lohnt sich nicht. Es wäre schön gewesen, wenn es 3 oder 4 Tage wären, aber das ist ja kaum, daß man sich daheim ausruhen kann. Außer diesen Bedenken ist es doch so, daß es für uns so wesentlich leichter ist, denn der Abschied ist dann doppelt schmerzlich, wenn man sich erst wiedergesehen hat. Sobald ich dann dort Näheres erfahre, schreibe ich Dir sofort Bescheid.  Meinen Brief wirst Du nun so rechtzeitig bekommen, daß ich Dir nicht mehr besonders schreiben brauche. Du weißt jetzt ziemlich genau Bescheid, wann ich hier abfahre und wann ich ankomme. Mehr kann ich andererseits, wenn ich telegrafieren würde, auch nicht tun. Es ist mir nun, nachdem ich jetzt fast ein Jahr hier war, auch nicht so ganz einerlei, hier jetzt wegzufahren, aber schließlich , wenn man erst einmal die Umstellung hinter sich hat und man aus der augenblicklichen Gewohnheit heraus ist, dann wird es auch wieder gehen. Den Kopf braucht man deshalb nicht zu verlieren, das andere ergibt sich von selbst. Du wirst hoffentlich meinen Standpunkt wegen des kurzen Wiedersehens verstehen und ich glaube, daß Du mit mir einer Meinung bist.  Vielmals grüße ich Dich und die Kinder und sende Euch recht viele Küsse. Grüße ebenfalls Vater von mir recht herzlich und nimm Du nochmals viele Grüße und Küsse entgegen von Deinem Ernst.

Mein liebstes Mädel !                                                  9.4.42          

Für Deine beiden Briefe vom 4. und 5. danke ich Dir wieder vielmals. Den Eingang von 5 Päckchen hast Du mir damit wieder bestätigt. Die Apfelsinen trafen also noch rechtzeitig für Ostern ein.  Da waren sie ja ganz zur rechten Zeit zum Mitverstecken da. Die Kinder waren sicher nicht böse darum. Daß Du das Osterfest vergessen hast um mir gute Wünsche dazu zu übermitteln, das will ich diesmal nicht so hingehen lassen.
Wenn es noch einmal vorkommt, dann darf es nicht mehr vorkommen. Nun habe ich auch noch ein wenig geschimpft, dann wirst Du sicherlich ganz zufrieden sein.  Die Sämereien schicke ich noch mit ab. Es ist noch einiges, auch nochmal Möhren. Gerade was Zwiebeln anbelangt, so habe ich mir gedacht, man muß in diesem Jahr einige Zwiebeln stehen lassen und versamen lassen, dann hat man im kommenden Jahr doch etwas, wenn es auch nicht viel ist. 
Den Brief von Kurt habe ich erhalten. Er ist der Ansicht, daß er bald entlassen wird und dann drüben in Rußland wieder eingesetzt wird. Daß ihm die gesandten Hefte und Romane eine willkommene Abwechslung sind, wird Dir auch eine Freude gemacht haben.
Das Wetter ist hier auch nicht gerade überwältigend. Gegenwärtig herrscht ein ziemlich starker Wind seit gestern. Das gehört aber auch mit zum Frühjahr, deshalb muß man es eben mit hinnehmen.
Post brauchst Du mir ja nun nicht mehr senden. Ich werde sämtliche Sachen wieder zurückschicken lassen, die nach meiner Abreise hier eintreffen sollten.  Mit dem Osterfest waren unsere beiden Lauser zufrieden. Das weiß ich ja noch von früheren Jahren und in unserer Kindheit war das auch nicht anders. Die Erwartung ist dann zu groß. Daß sie so eine feine Idee hatten und Dir trotz der Unmöglichkeit, etwas zu kaufen, eine kleine Überraschung gemacht haben, ist doch sehr nett. Man sieht, wie sie sich Gedanken gemacht haben, um auch Dir eine Freude zu bereiten. Dafür gib ihnen von mir jedem einen besonderen und herzlichen Kuß. Ich muß nur staunen, was sie immer für Einfälle haben. Daß sie sich nach dem erfolgreichen Suchen gleich über Verschiedenes Eßbares hergemacht haben, ist nur zu verständlich. 
Für den Gruß von Siegfried danke ich vielmals. Ich hatte ihm schon geschrieben, habe aber unglücklicherweise seine neue Adresse nicht aufgeschrieben. Ich bitte Dich, ihm bei Deinem nächsten Schreiben an ihn, das ihm mitzuteilen. Mir gibst Du aber bei Deiner nächsten Gelegenheit seine neue Anschrift bekannt.
Diese Änderung fällt mir nicht gerade leicht, wie ich Dir gestern schon schrieb. Schließlich ist es aber so, daß der Krieg noch nicht bald aus ist und daß man immer damit rechnen müßte, daß man vielleicht nicht ewig hier sitzen bleibt. Also außer der Entlassung nach der Heimat müßte man mit solchen Veränderungen jederzeit rechnen. Hoffen wir aber, daß das alles bald mal ein Ende nehmen wird.
Daß Du an den Sonntagen nun nicht gerade mit Fleiß arbeitest, das ist zwar auch mein Wunsch, denn man muß ja merken, daß einmal die Woche zu Ende ist und man ausspannen und sich auf die neue Arbeitswoche vorbereiten kann. Wenn Du an diesem Tage Dir etwas zu lesen nimmst, dann handelst Du bestimmt auch in meinem Sinne.  Herzliche Grüße an Dich und unsere beiden Schlawanzer, gebe Euch Dreien viele herzliche Küsse und bin immer Dein Ernst.

Donnerstag, 6. April 2017

Brief 237 vom 6./7.4.1942


Mein liebes Mädel, liebe Annie !                                         6.4.42                                

Recht herzlichen Dank für Deine Briefe vom 1., 2. und 3.4. Diese 3 Briefe erhielt ich heute als Osterpräsent. Ich habe mich sehr über Deine Zeilen gefreut, denn ich habe wieder gelesen, daß es Euch gesundheitlich gut geht. Außerdem habe ich auch lesen müssen, daß Du gegenwärtig wieder viel Arbeit hast. Ich bitte Dich, sei doch vorsichtig und gib Obacht, daß Du Dir nichts zuziehst und mir dann zu unpassender Zeit auf der Nase liegst.  Die Zeit ist zwar immer unpassend, aber wenn Du so allein bist, dann ist das doppelt schwierig. Wenn ich daheim bin, dann ist es nicht so schwer, denn dann kann man ja immer noch helfen. Bei Dir ist aber sonst niemand da und das macht mir Sorgen. Sieh Dich also bitte vor und mache keine Gewaltleistungen, die Deine Kräfte womöglich übersteigen.
Das Schild mit meinem Namen hängt noch an meiner Bürotür, das andere habe ich mit gesandt. Das hat also nichts mehr zu bedeuten. Für die Kinder hast Du ja doch wieder allerlei zusammengespart, ich denke, daß sie ihre Freude gehabt haben. In Gedanken war ich jedenfalls bei Euch, vor allem am Morgen. Ich denke da noch an letzte Ostern, wo ich daheim war und wie jeder in seinem angestammten Zimmer gesucht hat. Dann die Freude bei jedem was sie fanden. Ich denke, daß sie trotzdem auf ihre Rechnung gekommen sind.  Du hast es also auch so verstanden, als die Antwort Deines Vaters auf meinen Brief eintraf. Denn ich finde es auch zu offensichtlich als daß man erst hätte glauben sollen, er hätte es anders gemeint. Daß wir in der Beurteilung der Verhältnisse in Leipzig gleicher Meinung sind, hatte ich mir zwar schon gedacht. Wie nun die Interessen der einzelnen Damen liegen, will ich dabei ganz außer acht lassen, wesentlich ist doch für mich nur, wie ich es, abgesehen von den persönlichen Gefühlen, für ganz und gar unschicklich halte und zwar deshalb schon, weil doch Dein Vater sonst auf Äußerlichkeiten so großen Wert legt. Daß ich Deinem Wunsch, zu dieser Angelegenheit noch nicht Stellung zu nehmen, schon vorgegriffen habe, wirst Du wohl verstehen, denn mir hat das keine Ruhe gelassen. Was Dein Vater nun macht, soll auch mir gleich sein. Im Großen und Ganzen decken sich unsere Ansichten und die Schreiben sollen ihm zeigen, daß wir der gleichen Ansicht sind.
Daß mein Vater nach Deiner Rücksprache mit ihm unsere Auffassung ebenfalls teilt, freut mich. Da nicht alle Menschen gleich sind, daß die Gefühle und Auffassungen verschieden sind, aber daß Dein Vater nach 30 jähriger Ehe schon wieder Heiratsgedanken hegt, das kann ich nicht verstehen. Die Eselsbrücke, wie Du sie nennst, habe ich ja auch gebaut, wenn er will, kann er sie ja benutzen, wenn nicht, dann läßt er es bleiben. Seine Regungen hat er jedenfalls zu erkennen gegeben. 
Daß die Knolle bei Helga nach und nach zurückgeht ist immerhin beruhigend, doch scheint es ziemlich langwierig zu sein. Wenn es sich aber stetig bessert, dann wollen wir zufrieden sein. Ich hoffe, daß sich das noch ganz gibt. Im Allgemeinen haben wir ja mit unseren Kinder keine großen Schwierigkeiten gehabt, denn sie waren, von Kleinigkeiten abgesehen, immer gesund. Ich bin ja auch sehr froh darum, Du ja nicht minder. 
Mit den Sämereien habe ich jetzt so ziemlich alles beieinander. Möhrensamen habe ich schon einmal ab gesandt und heute habe ich nochmals welchen bekommen, ebenfalls Erbsensamen. Es ist nicht einfach, das zu erhalten, doch wichtig ist, daß man es bekommt. Daß der eine Brief erst an die andere Feldpostnummer gegangen ist, war bestimmt nicht Deine Schuld, denn die Adresse war sehr genau geschrieben. Aber beim Aussortieren kann das passiert sein. Hauptsache ist, daß ich ihn doch noch nach diesem Irrweg erhalten habe. 
Die Ferien für die Kinder sind nun auch bald wieder vorbei. Nachdem sie aber vorher so lange Zeit gehabt haben, müssen sie schon wieder einmal ran. Daß sie nicht schulscheu sind, freut mich ja sehr. Doch das ist es nicht allein, sie lernen ja auch gut und fleißig, das erhöht ja zweifellos die Freude. Ich sende Dir recht viele herzliche Grüße und ebensoviel Küsse. Dein Ernst. 

Meine liebste Annie !                                                          7.4.42          

Heute war ich im Kino und habe nochmals den Film gesehen “Schwedische Nachtigall“. Ich sah ihn einmal während des Urlaubs mit Dir. Es handelt sich da um den Märchendichter Andersen und die Sängerin Lindt. Ich habe ihn mir vor allem deshalb angesehen, weil wir seinerzeit gemeinsam uns diesen Film ansahen.
Am Morgen bekam ich nun Deine beiden Briefe vom 30. und 31.3. ausgehändigt, die irgendwo liegengeblieben waren. Die wollte ich nun heute Abend beantworten. Ich hatte sie in die Mappe gepackt und sie bei uns auf der Kommandantur hinterlegt mit der Absicht, sie nach der Vorstellung abzuholen. Als ich dann heimkam, waren, entgegen den früheren Gewohnheiten, alle Türen verschlossen. Ich kam also nicht mehr an die Briefe heran. Du wirst Dir denken können, daß ich da ein langes Gesicht gemacht habe. Ändern ließ es sich nun aber nicht mehr, und ich habe eben wieder abziehen müssen. Beantworten kann ich nun eigentlich nichts. Ich bin etwas übermüdet, von was, weiß ich eigentlich nicht, denn mit der Arbeit ist es nicht mehr so wild. Mein Nachfolger soll sich ja auch daran gewöhnen, so daß ich ihm mehr oder weniger alles überlasse. Nur wenn ihm etwas nicht klar ist, dann kommt er und fragt. Im Übrigen macht er sich alles viel leichter als ich. Mir soll das aber gleich sein, denn er muß ja schließlich seinen Dienst so erfüllen, wie er ihn auch anderen gegenüber vertreten kann. Wenn ihm niemand an den Wagen fährt, dann hat er eben mehr Glück wie ich. Passiert aber einmal etwas, dann muß er es vertreten und er muß sich dann auch entsprechend verantworten. Ich weiß, daß ich vielleicht zu gewissenhaft bin. Wenn man immer wieder sieht und hört, wie weitherzig andere sind, dann könnte man sich einen Idioten schimpfen. Aber lieber bleibe ich in diesem Fahrwasser, dann erfülle ich meine Pflicht und mein Gewissen ist unbelastet.  Heute sende ich wieder einige Zeitungen mit. Sonst habe ich im Moment nicht weiter da. Ich sende Dir und unseren Kindern recht herzliche und viele Grüße und Küsse. Dein Ernst.

Montag, 3. April 2017

Brief 236 vom 2./3./5.4.1942


Mein bestes, liebstes Mädel !                                         2.4.42                                                          

So nach und nach habe ich jetzt nun alles weggeschickt. Ich habe jetzt nun ziemlich sämtliche Briefschaften zurückgesandt. Wenn man so auf dem Absprung steht, dann hat man gern diese Sachen aus der Hand. In diesen Tagen konnte ich so wenige Sachen kaufen, daß mir für die morgigen Päckchenpost nichts verbleibt zum Wegschicken. Ich bedauere das aufrichtig, vor allem wenn ich bedenke, daß man mir letzte Woche noch einige Kekse angeboten hatte, wie ich sie letzthin mitbrachte und daß ich sie nicht gleich mitnahm, weil ich dachte, ich könnte das diese Woche besser erledigen. Inzwischen sind aber diese Leute wegen irgendwelchen Machenschaften eingesperrt worden, so daß ich also nichts mehr kaufen kann.
Ändern kann ich es nun leider nicht mehr und ärgern darf ich mich nicht mehr, weil Du mir den Spruch geschickt hast, daß ich mich nur wundern soll. Ich weiß nur nicht, ob ich mich über meine Dummheit und meine Ungeschicklichkeit wundern soll. In meinem Zwiebackladen ist es im Augenblick auch leer, ich glaube aber, daß die wieder etwas hereinbekommen. 
Dein lieber Brief vom 27.3. ging heute bei mir ein. Vielen herzlichen Dank dafür. Wenn ich Dir in einem meiner Briefe schreibe, daß ich zum letzten Male OvD hatte, so ist das eine Mutmaßung, denn ich bin einfach der Ansicht, daß man mich zur Truppe zurückschickt. Da ich dann zu solchen Ehren nicht mehr gelange, ist ja ohne  weiteres klar. Aber das macht ja alles nichts. Es wird schon werden. Über die Filme habe ich mich ja nun geäußert, da weißt Du ja Bescheid. Der Brief Deines Vaters macht mir auch Sorge. Ich werde morgen, da habe ich ja Feiertag, gleich an ihn schreiben. Ich will das nicht länger hinausziehen. 

Meine liebe Annie !                                                         3.4.42

Den Brief habe ich an Deinen Vater nun geschrieben. Abschrift davon lege ich Dir bei. Hoffentlich ist es auch so geschrieben, daß er in Deinem Sinn geschrieben ist. Ich habe ihm das mitgeteilt, was ich für richtig gefunden habe. Er soll tun und antworten, was er für richtig hält. Ich bin der Meinung, daß wir diesen Standpunkt, wie ich ihn niedergelegt habe, Deiner Mutter schuldig sind, ganz gleich, was Dein Vater ins Auge gefaßt hat. Einen Brief an Kurt habe ich auch gleich geschrieben, den ich in Abschrift beifüge.  Sei Du nun recht herzlich gegrüßt und vielmals geküßt von Deinem Ernst.

Mein liebstes Mädel !                                                        5.4.42        

Gestern und auch vorgestern bin ich nicht dazu gekommen, Dir zu schreiben. Ich hatte telefonisch bei dem Bekannten angerufen, von dem ich Dir schon erzählte, der Reichsdeutscher ist. Er hat mir dann auch zugesagt, daß er mich mit dem Auto abholt. Das hat er dann auch am Mittag gemacht. Ich bin dann bis gestern bei ihm geblieben. Dort habe ich mir ein paar schöne Stunden gemacht. Ich hatte erst die Absicht, am Freitag wieder hier zurückzukommen, was ich mir aber nachher auf Bitten dieser Leute aus dem Kopf schlagen mußte. Erstens habe ich mich wieder einmal richtig satt gegessen und das Richtige zu Trinken habe ich auch noch dazugegeben. Dort habe ich aber auch gesehen, wie man schon mit einem kleinen Geschäft Geld machen kann. Die Leute müssen zwar arbeiten dafür, aber da habe ich gesehen, daß es auf nichts ankommt. Ich habe mir deshalb auch keine Gedanken gemacht, daß ich bei diesen Leuten vielleicht in der Schuld stünde, denn er rechnete mir einen Verdienst von etwa eintausend Mark vor, den er in der letzten Woche gehabt hat. Das sieht man diesem Laden nicht an. Wir haben uns dann lang unterhalten.
Ich bin dann auch nochmals mit dem Wagen über Land gefahren. Wir kamen dann zu einem Bauern. Dort wurden offenbar Soldaten sehr selten gesehen. Die Kinder hatten Angst und dachten, ich wollte ihren Vater holen.  Als sie sich dann von meiner Harmlosigkeit überzeugt hatten, wurden sie zutraulicher, Ich wurde aber doch immer noch mit einer gewissen Scheu beobachtet. Auch da hat man wieder gesehen, daß sich noch allerhand auf dem Land kaufen läßt, wenn die Bauern merken. daß es ihnen nicht an den Kragen geht. Gestern bin ich nun wieder mit dem Wagen hergebracht worden. Das geht alles bequemer und schneller und ist dabei angenehmer als die Bahnfahrerei, zwar auch nur solange als der Wagen in Ordnung ist.
Als ich heimkam, erhielt ich Deinen lieben Brief vom 29., in dem Du mir Eure Erlebnisse vom vergangenen Sonntag schilderst. Ich habe daraus gesehen, daß Ihr Euch gut unterhalten habt. Ihr werdet da wieder allerhand gesehen und erlebt haben und für die Kinder war das sicher auch wieder etwas. Das sie nun ihre Schlauchbootfahrt hinter sich haben, die sogar zweimal hin und hergegangen ist, wird auch nach ihrem Geschmack gewesen sein. Euer Besuch war also ziemlich ausgiebig.  Daß Dir der Radioapparat immer wieder gefällt, freut mich sehr. Nun werde ich den Rest noch bezahlen. Ich hatte das Geld schon zurückgelegt, doch ich wollte erst abwarten, ob er nun wenigstens läuft. Das scheint nach Deiner Schilderung der Fall zu sein. 
Den ersten Osterfeiertag habe ich nun auch noch hinter mir. Ich bin diesmal daheim geblieben, auch morgen werde ich daheim bleiben. Ich habe keine Lust gehabt, nach Lille zu fahren. Ich habe heute so daran denken müssen, wie wir früher mit den Kindern Ostern immer verlebt haben und auch das letzte Ostern. Im Wals haben sie dann immer noch Eier suchen dürfen. Ja so vieles muß man jetzt hintanstellen. Aber diese Erinnerung ist immer so schön. Nimm aber viele Grüße und herzliche Küsse entgegen von Deinem Ernst.