Meine liebe Annie ! 29.8.41
Heute muß ich einmal mit Tinte schreiben, denn ich habe kein anderes Papier dabei, weil ich daheim in der Wohnung bin. Ich bin das noch nicht so gewohnt, aber ich denke, wenn ich 200 Briefe so geschrieben habe, daß ich es dann auch kann. Heute im Laufe des Tages bin ich nicht dazu gekommen und heute Abend sitze ich nun daheim und höre mir die Lössendung an. Du wirst wahrscheinlich das gleich tun. Nebenher schreibe ich nun gleich an Dich, Damit die Zeit richtig ausgenutzt ist. Als ich um 7 Uhr aus dem Dienst ging, war noch keine Post da. Deinen lieben Brief von gestern habe ich zwar nicht bei mir, aber danken tue ich Dir trotzdem dafür. Die Arbeit war wieder für diesen Tag ausreichend, doch wenn ich so den ganzen Tag überblicke, habe ich eigentlich keine positive Arbeit geleistet, sondern den Tag über weiter nichts gemacht wie Auskünfte geben, verhandelt, Anweisungen erteilt. Es ist ja interessant, wenn man so im Mittelpunkt steht und alles sich um einen selbst dreht. Wenn dann aber der Abend herankommt, man übersieht einmal den Tag, soweit man dann Zeit und Muße dazu hat, so ist man nicht zufrieden mit dem, was man geleistet hat. Aber alle diese Anweisungen und Regelungen sind alle notwendig für den richtigen Lauf des Betriebs, vor allem auch deshalb, wenn dann Leute Mitbeschäftigte sind, die kein Gefühl für die Dinge haben. Ein Mitarbeiter ist ja gut, den ich habe, auf den kann ich mich restlos verlassen, denn er sieht auch alles lieber dreimal an, ehe er es aus der Hand gibt, die anderen 2 Hilfen sind dagegen nicht so gewissenhaft. Schließlich müssen wir sie aber mitschleppen und sie auf ihre Art verwenden. Ich würde manchmal lieber mich in anderer Weise einsetzten, doch es muß auch einer da sein, der alles entgegennimmt und den Schwung im Getriebe beibehält. Ich muß zwar auch manches hinnehmen, doch bei passender Gelegenheit schlage ich eben wieder zurück. Heute hatte ich in einem Fall lachen müssen. Da hat einer auf einer deutschen Dienststelle eine Anforderung wegen Ankaufs einiger Zentner Kartoffeln geschrieben, die ein Bauer hier liefern sollte. Der Ankauf im freien Handel ist nun untersagt und zieht Bestrafung nach sich. Wir hätten nun diesen Fall gleich unserer Oberfeldkommandantur mitteilen können. Nun haben wir diesen Leuten erst geschrieben, daß sie zu ihrem unstatthaften Verhalten Stellung nehmen könnten. Wir könnten die Angelegenheit für diesmal niederschlagen und diesen Leuten den Bescheid geben, daß sie sich nicht wieder mit unseren Bescheinigungen bei uns in der Gegend sehen lassen dürften. Nun rief mich der Kriegsverwaltungsrat, wie so oft, zu sich und fragte, sehen sie eine Möglichkeit, daß wir diesmal von einer Meldung absehen können. Ich sagte ihm daraufhin, denn das erwartet er von mir, daß da eigentlich zwingende Bestimmungen dem entgegen stünden und daß das unverzüglich gemeldet werden müßte.
Großmütig hat dann mein Chef gesagt, er will es für heute noch einmal auf sich nehmen und sie sollten schriftlich zu unserem Schreiben Stellung nehmen, dann würden wir versuchen, bei der Oberkommandantur die Angelegenheit grade zubiegen. Die waren uns natürlich sehr dankbar, weiterhin werden die den illegalen Kauf von Lebensmitteln bleiben lassen, im übrigen wird das diesen Leuten eine Lehre sein und sie haben gemerkt, daß wir als Deutsche auch dann gegen unsere Leute vorgehen müssen, wenn sie sich nicht an das halten, was für die Ernährungslage dieses Landes unbedingt erforderlich ist, geordnete Zustände. Gefreut hat es mich aber, daß diese Herren, die erst ziemlich großspurig hermachen, mit abgesägten Hosen abziehen. Ich habe Dir heute im Wesentlichen vom Dienst geschrieben. Ich bin zwar 2mal unterbrochen worden. Zuerst war unser Doktor bei mir, der heute aus dem Urlaub wieder zurückgekommen ist, der hat sich über eine Stunde bei mir aufgehalten und auch mit mir etwas erzählt. Als ich dann wieder eine Weile geschrieben hatte, kam der Kriegsverwaltungsrat und hatte verschiedene Wünsche. Inzwischen ist es nun Mitternacht geworden. Ich denke, daß ich mich nun zu Bett begebe. Recht gute Nachtgrüße sende ich Dir. Vorhin hat zwar wieder einmal die Sirene geheult, doch wir können hier ja nichts weiter unternehmen als uns im Haus unterhalten, weil sonst keine anderen Maßnahmen getroffen sind. Bisher hatten wir Ruhe vor dem Alarm, aber seit einiger Zeit geht das Ding bei Tag und auch bei Nacht los. Bei Tag stört es wenigstens nicht so, aber in der Nacht kann man ja dann nicht mehr weiter schlafen.
30.8.41
Bevor ich diesen Brief zum Abschluß bringe, will ich wenigstens
noch einen Gruß darunter setzen. Wegen
Deiner Durchleuchtung, das fällt mir bei Deinem Schreiben noch ein, muß Du aber
doch noch einmal etwas tun, Damit festgestellt wird, ob sich Dein Zustand
wieder gebessert hat oder nicht. Wenn Du auch einen anderen Arzt aufsuchen musst,
und wenn es auch Zeit kostet, aber ich halte das für unbedingt notwendig. Gib
mir darüber Auskunft, was Du in dieser Sache gemacht hast. Die anliegenden Zeitungsausschnitte zeigen
Dir, wie jetzt gegen die Saboteure vorgegangen wird. Vor allem siehst Du daraus,
daß wir jetzt nicht mehr zusehen und uns von den Brüdern auf der Nase
herumtanzen lassen. Heute bekommst du
wieder einen langen Brief von mir. Doch nun will ich schließen und Dir recht
herzliche Grüße und viele Küsse übermitteln Dein Ernst
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