Freitag, 5. August 2016

Brief 165 vom 15./16.8.1941


Meine liebe Annie !                                                                 15.8.41             

Heute haben die Franzosen Feiertag. Wenn man sie fragt, was das für ein Fest sei, sagen sie, daß das ein kirchlicher Feiertag sei. Warum dieser Tag gefeiert wird, ist zwar hier niemand bekannt. Manche sind der Ansicht, daß es etwas wie Maria Himmelfahrt sei. Lassen wir ihnen das Vergnügen und lassen sie ruhig feiern.  Deine beiden Briefe die ich gestern erhielt, habe ich Dir in meinem letzten Schreiben bestätigt. Vater hat Dir also nach Leipzig Bescheid gegeben wie es ihm geht. Scheinbar geht es im noch nicht so rosig. Du schreibst mir ja sicher in einem Deiner nächsten Briefe, wie es ihm geht, denn es interessiert mich, was er macht. Mit meiner Post habe ich es richtig getroffen, denn mein letzter Brief, den ich nach Leipzig gerichtet habe, ist auch am letzten Tag dort eingetroffen. Ich freue mich immer wieder, aus Deinen Schreiben herauslesen zu können, daß es zu keinen Meinungsverschiedenheiten in Leipzig gekommen ist. Da hast Du ja allerhand in Leipzig eingeheimst, wenn Du 3 Pakete vorher wegschicken mußtest. Dein Regenmantel ist Dir dann bei diesen regenreichen Tagen sicher sehr zustatten gekommen. Ich glaube, daß Du Dich mit dem schon hast sehen lassen können. Paul und Alice sowie auch Erna haben sich Dir und den Kindern sehr entgegenkommend gezeigt. Jörg hat aber für die nächste Zeit genug Spielzeug, wenn er jetzt noch diesen Bauernhof dazu bekommen hat. Vorher von Siegfried diesen Metallbaukasten. Ob er mich auch einmal damit spielen läßt. 
Deine Briefe hatte ich im Wesentlichen beantwortet. Von was soll ich Dir heute noch schreiben, vom Dienst, vom Essen, vom Wetter und von was sonst. Das wären ja die Hauptmerkmale, die unser Leben hier beeinflussen. Das Wetter will scheinbar schöner werden, doch wenn sich ein Stückchen blauer Himmel zeigt, treibt der starke Wind wieder neue Wolken heran, so daß es bald wieder Essig ist mit dem Sonnenschein. Das Essen stellt an den Gaumen und an den Magen manchmal ziemliche Anforderungen. Fleisch ist zwar so gut wie jeden Tag dabei. Doch die Abwechslung läßt zu wünschen übrig. Montags gibt es grundsätzlich Nudeln.  Meist zwei Sorten zusammen. Die eine ist ganz zerkocht und die andere kann noch eine Weile kochen vertragen. Mit der Zeit gewöhnt man sich daran. Gestern war nun einmal eine Ausnahme. Hier sind einige Schweine fettgefüttert worden, die dieser Tage geschlachtet wurden. Nun gab es gestern Kartoffelsalat und Bratwurst. Das war wirklich ein schönes Essen. Sonst gibt es die übrigen Tage aber meist auch in einer bestimmten Reihenfolge Bratlinge. Die werden mit Kartoffeln vorgesetzt. Sie werden aus dem Mehl der Sojabohnen gemacht.
Unsere Küche hat dabei noch etwas Geschick, denn die machen sie so, daß man sie immerhin noch essen kann. Erbseneintopf und Reiseintopf kommt jede Woche auch einmal vor. An den Tagen, die dann noch übrig bleiben, gibt es Kartoffeln und Fleisch und Soße.  Gemüse manchmal. Nach diesem Essen hat man ja bald wieder Hunger, und da ist es nur gut, daß man sich noch etwas nebenbei beschaffen kann, sonst wäre es ja schlecht mit uns bestellt. Das Frühstück  und das Abendessen nehmen wir ja daheim in der Wohnung ein.  Wenn ich mir nicht immer noch Butter dazu kaufen würde, hätte ich zum Frühstück meist nur Kunsthonig oder Marmelade und zum Abendbrot sehr oft Schweineschmalz. Das sind keinesfalls Klagen, die ich da laut werden lassen will, denn mir geht es im Verhältnis noch nicht schlecht, aber wenn ich schon einmal beim Speisezettel bin, muß ich auch diese Seite schildern. Am schlimmsten ist eben nur, daß so wenig Abwechslung herrscht. Ich weiß auch, daß wir von Lille her und vom letzten Jahr noch sehr verwöhnt sind, aber schließlich muß man sich umstellen Jetzt habe ich wieder eine Quelle ausfindig gemacht, wo ich noch Käse her bekomme. Das ist schon ein weiterer Schritt zur Abwechslung. Wenn ich richtigen habe, werde ich Euch auch einmal welchen schicken, denn ich weiß, daß Ihr ihn gern eßt. Jetzt will ich aber Schluß machen mit meiner Gastronomie.  Über den Dienst kann ich für heute nur sagen, daß man den Feiertag gemerkt hat, denn es ist eine Ruhe wie an einem Sonntag. Franzosen haben sich hier nicht sehen lasen.  Das ist wirklich einmal angenehm.  Diesmal ist der Brief durch meine viele Esserei wieder einmal länger geworden. Dir wird es hoffentlich nichts ausmachen. Recht viele herzliche Grüße und Küsse sendet Dir und den Kindern Dein Ernst.

Mein liebes Mädel!                                                              16.8.41

Ein Samstag um den andren rückt an und geht. Wupp, schon wieder ist eine Woche vorbei. Die Sonntage sind ja meist wenig eindrucksvoll, denn man weiß ja hier nicht, was man viel anstellen soll, vor allem, wenn es noch regnet, wie es jetzt meist der Fall ist. Man steht etwas später auf als gewöhnlich, macht sich’s gemütlich und sachte fertig, um dann gegen 10 Uhr Kaffee zu trinken. Dann hört man noch etwas Radio. Inzwischen hat dann die „femme de menage“, also die Frau, die bei uns alles in Ordnung halten soll, das Zimmer gemacht und die Schuhe geputzt.  Meist kann ich dann noch die Zeitung lesen. Dann ist nicht mehr weit vom Mittagessen. So nach dem Mittagessen, gegen ½ 2 Uhr kommt meist die Post, wenn welche dabei ist. Die nehme ich dann mit nach hause und lese sie in aller Ruhe. Entweder geht man dann in das französische Kino oder man setzt sich in eine Gastwirtschaft.
Du siehst also, daß die Sonntage nicht gerade gewinnbringend sind. Wenn das Wetter ein bißchen besser ist, kann man am Kanal ein bißchen Spazierengehen. Das ist zwar keine große Sache, aber man muß sich damit zufriedengeben. Man kann dort dem Schiffsverkehr ein wenig zusehen. Man sieht, in welch primitiven Verhältnissen diese Leute meist leben müssen. Die Wohnräume sich ja nicht groß, wenn dann noch Kinder da sind, bleibt nicht viel Platz zum  rumdrehen. Meist wird ja hier Kohle geladen, die dann nach vielen Teilen Frankreichs verfrachtet werden.
Das ist wohl ein billiges Transportmittel, aber ich finde eine sehr langweilige Angelegenheit. Der Verkehr auf den Kanälen ist  ziemlich rege und wenn man bedenkt, daß in so ein Schiff 20 Eisenbahnwaggons geladen werden können, dann ist das eine erhebliche Ersparnis an Eisenbahnmaterial. 
Heute war ich bei einem mir bekannten Lederhändler und habe Leder gekauft. Ich habe es zwar noch nicht mitgenommen, aber auch noch nicht bezahlt. Immerhin ist es reserviert. Es ist sehr starkes Leder, aber, soweit ich beurteilen kann, sehr gut. Jetzt hätte ich gern noch etwas Dünneres für Deine Schuhe. Ich muß einmal sehen, wie ich noch drankomme.  Für heute sende ich Dir viele herzliche Grüße und Küsse. Grüße unsere zwei Stromer herzlich von mir und sei Du selbst nochmals gegrüßt und geküßt von Deinem Ernst

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