Samstag, 27. Oktober 2018

Brief 474 vom 27./28.10.1943


Meine liebe Annie !                                                                             27.10.43              
Von Deinem Vater trafen vorhin wieder zwei Sendungen mit Zeitungen ein. Sonst kam für mich keine Post weiter. Ich kann ja schließlich nicht jeden Tag etwas verlangen. Mit geht es meist auch so wie Dir, daß ich an einem Tage mehrere Briefe erhalte. Es freut mich zu hören, daß unser Junge wieder auf dem Posten ist. Solche Erkältungserscheinungen treten um diese Jahreszeit immer wieder auf. Wenn sich nichts Ernsteres daraus entwickelt, dann wollen wir doch schon zufrieden sein. Mein Durchmarsch hatte sich ja nach geraumer Zeit gelegt, aber bald spürte ich im Körper, daß die Erkältung noch nicht heraus war. Eine Art rheumatischer Schmerzen, die ich nun schon seit 3 Jahren um diese Zeit beobachte, hatten sich eingestellt. Das meiste ist wohl auch da überstanden. Früher dachte ich, daß es die Nieren sind, aber ich glaube, daß das wohl weniger der Fall ist, denn das ganze Jahr über habe ich keine Beschwerden. Das Wetter ist sehr wechselhaft, und man weiß tatsächlich nicht, wie man sich anziehen soll. Heute habe ich die kurzen Hosen hervorgeholt, denn gestern und heute ist es so, daß man sie ohne weiteres gut vertragen kann. Aber wie lange wird das so anhalten? Wenn man diese klimatischen Verhältnisse nicht so gewohnt ist, dann braucht es schon eine Zeit, bis man sich darauf eingestellt hat. Bis das der Fall ist, wird es sicher eine Veränderung geben, denn das habe ich immer so erfahren. Wenn ich so bedenke, da gibt es Leute, die sitzen nun schon seit Jahren in Frankreich und wissen nicht, wie gut es ihnen geht. Siehst Du, das ist die Kehrseite dieses Herumvagabundierens. Es ist ganz schön, wenn man so herumkommt, aber andererseits hätte man auch gern einmal wieder seine Ordnung. Dies kommt vielleicht erst wieder einmal im Frieden; oder tritt es überhaupt sein? Ja, ich muß Dir schon sagen, man fühlt sich manchmal recht einsam, wenn man so niemanden hat, mit dem man einmal über etwas sprechen kann. Deine Briefe sind mir dann immer eine Erholung. Genauso wie es mich immer freut, wenn ich an Dich schreiben kann.. Ich will aber immer noch froh sein, wenn ich meine Glieder gesund habe. Einmal aufkommende Stimmung kann man ja, soweit man sonst noch alles beieinander hat, wieder überwinden. _ Dieser Unglücksfall mit dem Mann an der Starkstromleitung hat Euch sicherlich tüchtig erschreckt. Für die Familie ist es auch ein Schlag, wenn der Ernährer weggefallen ist. Da sieht man, wie schnell einem etwas zustoßen kann.
Über die Äpfel hatte ich ja schon geschrieben. Sage einmal, hast Du für alle 35,-RM bezahlt oder nur für Deinen Teil? Wie ich schon einmal schrieb, habt Ihr jetzt doch ganz schön frisches und getrocknetes Obst für diesen Winter, das ist auch etwas wert. Bedauerlich ist nur, daß Ihr bei dem sonst so großen Verbrauch an Kartoffeln für diesen Winter so wenig zugeteilt erhaltet. Ich kann Dir aber sagen, daß ich schon fleißig überzähliges Brot getrocknet habe. Das kannst Du dann sicher im Laufe des Winters ganz gut mit verwenden. Heute habe ich ja schon die angekündigten 4 Päckchen abgeschickt, die Euch etwas Brot und die Mandeln enthalten. Damit habe ich für diesen Monat so ziemlich mein Kontingent ausgenutzt, oder meinst Du nicht? Dann laufen jetzt die Nummern 7b, dagegen ist die Nummer 6 noch bei mir und geht auch bald ab.
Ich lasse Dir wieder einen Teil Deiner Briefe mit zurückgehen, die Du dann wieder mit aufheben kannst. Mit der Zeit sammelt sich doch allerhand an, was dann schon eine Belastung auf die Dauer gesehen bedeutet. In den mir zugesandten Zeitungen fand ich im J.B. ein Bild aus dem Bad, in dem ich mich die ganze Zeit hier aufgehalten habe. Man sieht dabei im Mittelgrund den Zeustempel und dann im Hintergrund die Akropolis. Die Leiter, die man im Vordergrund sieht, die bin ich schon manches Mal herausgestiegen. Ich denke, daß Dich das interessieren wird.  Darum sende ich es Dir heute auch mit. Vor allem kannst Du auch den ganzen Blick wahrnehmen, der sich einem im Bad dort bietet. Ich hatte doch wohl schon einmal davon geschrieben. Ich finde, die Zypressen machen sich ganz gut in diesem Rahmen.
Recht herzlich grüße ich Dich, mein Schatz und herzliche Küsse füge ich noch bei. Dein Ernst.


Meine liebste Annie !                                                                      28.10.43  
   
Das ist heute wieder einmal eine tolle Mittagszeit. Gehe ich da vom Mittagessen nach hause. Erst sehe ich eine Straße abgesperrt und ein Posten mit einem schussbereiten Gewehr. Ich denke nichts weiter und kommen bis zur nächsten Straße, dort ist das gleiche Bild. Wie ich dort so zusehe, kommt schon ein Kamerad auf mich zu und bittet mich um Unterstützung, weil ich eine Pistole bei mir trage. Ich komme in ein großes Bankgebäude hinein und sehe, wie etwa 400 Mann in der großen Halle versammelt sind und alle die Hände hoch haben. Wir waren etwa 3 Mann und standen nun mit unserer schussbereiten Waffe. Es zeigte sich aber, daß das nur ein Teil der gesamten Belegschaft der Staatsbank war. Als noch einige andere Kameraden hinzu kamen, haben wir das Gebäude weiter durchsucht und fanden dann in den verschiedenen Stockwerken noch allerhand Männer und Frauen. Was hatte sich dort ergeben.  Über die Mittagszeit war in der großen Halle eine kommunistische Versammlung abgehalten worden. Aus Anlass des Jahrestags des Kriegseintritts von Griechenland mit Italien. Ich kann Dir sagen, das war ein ziemlicher Rummel, auch das Gefühl war sehr eigenartig, wenn man so unvermutet in eine solche Sache hineingezogen wird. Aber schließlich muß man ja mitmachen, wenn eine Notwendigkeit vorliegt. Wir haben dann Stockwerk um Stockwerk gesäubert. Widerstand hat es nicht mehr groß gegeben, nachdem drei Personen , die nicht gleich den Anordnungen Folge leisteten, angeschossen wurden. Als wir dann einige Male blind abgeschossen hatten, ging dann die Sache auch viel schneller, denn es war immerhin keine Kleinigkeit, wir paar Mann gegenüber etwa 6 bis 700 Personen. Bis ich dann wegging, waren die Urheber noch nicht gefasst. Ich denke aber, daß man mit ihnen kurzen Prozess machen wird, wenn man sie noch herausfindet. Interessant war, daß in den Kellern große Mengen Lebensmittel lagerten. Da gab es Seife und käse, Zucker und Öl. Überall mangelt es und dort liegt das Zeug in Mengen. Stoffe waren auch aufgespeichert. Das war wieder einmal ein Erlebnis.  Der Gesellschaft habe ich es zu verdanken, daß ich um meine Mittagspause gekommen bin.
Ich kann von mit schon sagen, daß ich in dieser Woche recht vergnügungssüchtig war. Am Sonntag im Theater. Am Montag, Dienstag und Mittwoch im Kino. Das ist doch reichlich. Die Programme habe ich nun alle durchgepaukt. Heute will ich etwas daheim lesen und morgen werde ich wahrscheinlich mit einem Verwaltungsrat, den ich aus dem Osten kenne, zusammensein. Dann hätte ich diese Woche wieder so ziemlich herumgebracht. Du willst sicher noch wissen, was ich alle gesehen habe. Die Filme hießen nacheinander: „Der 7. Junge“, Karneval der Liebe“ und „Lache Bajazzo“. Der erst und der letzte Film haben mir ganz nett gefallen. Der andere war nicht besonders wichtig. Der letzte Film lehnt sich an die Oper der „Bajazzo“ an. Er wirkt zwar nach meinem Dafürhalten etwas zerschnitten, aber man kann ihn gut ansehen.
Dein lieber Brief vom 22. kam heute an und ich danke Dir recht dafür. Ja, die Opiumtinktur hat ziemlich gewirkt. Ich habe mir sagen lassen, daß man normalerweise 10 Tropfen bekommt. Ein Esslöffel voll ist dann schon etwas mehr. Ich hatte mich ziemlich unglücklich gefühlt. Ich wusste nicht, sollte ich wachen oder sollte ich schlafen. Das ist ja nun auch alles wieder überstanden. Ich hoffe, daß ich mich nun doch wieder langsam an das veränderte Klima gewöhnt habe. Es sieht zwar noch immer nicht nach Herbst und Winter aus.  Die Bäume verlieren nur zum Teil ihre Blätter und eigenartigerweise fangen die Palmen an zu blühen. Aber das ist nun einmal so, daß diese Bäume sich nach dem Wetter richten müssen. Jetzt in der Regenzeit können sie ja erst ihre Früchte reifen und vor allem erst wachsen lassen.
Deine Mitteilung. daß Du schon 4 Pfund Brot getrocknet da hast, ist mir erfreulich, denn das ist doch ein kleiner Rückhalt. Ich habe hier, wie ich schon schrieb, schon einiges angesammelt. Das geht Dir dann demnächst mit zu. Das schon angekündigte Päckchen Nr. 6 habe ich heute abgeschickt. Es enthält wieder einmal Rosinen. Ich sehe es schon kommen, daß Du mich eines Tages bittest, davon abzusehen, Dir weiterhin Rosinen zuzusenden, weil Du nicht mehr weißt, wohin damit. Mir soll es aber erst gleich sein.
Ich schließe hiermit für heute ab. Es war immer hin, wie ich schon oben schrieb, sehr ereingisreich.                (Unterschrift fehlt  )

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