Mittwoch, 24. Oktober 2018

Brief 473 vom 25./26.10.1943


Mein liebstes Mädel !                                                                        25.10.43  
         
Zwei Monate sind nun schon wieder vergangen, seit ich meinen letzten Urlaub beendet hatte. Ich sehe noch allesamt auf dem Schiff sitzen. Es wurde ziemlich windig, aber schließlich haben wir es doch noch bis nach Lindau auf dem Deck ausgehalten. Es war eben einmal anders als sonst auf dem Bahnhof in Konstanz.  Auch für die Kinder war es noch eine schöne Überfahrt. Ich sehe noch unser Mädel von der Schule vorzeitig auf unseren Anruf hin nach hause kommen. Wie hatte sie sich gefreut, daß sie noch essen konnte und ihr Schulzeug nicht tragen musste. Das ist nun schon wieder alles zwei Monate her. Wir sagten uns, auch bis nach Belgrad ist es nicht gar so weit. Das Schicksal hat es aber anders gewollt. Aber solange es noch so geht, dann wollen wir immer noch zufrieden sein. Man muß sich immer mit dem Gedanken trösten, es könnte noch schlimmer sein. Aber Trost ist zwar manchmal billig, aber es ist wenigstens einer.
Ganz Athen ist heute auf den Beinen. Zwei Großhändler, die vorsätzlich Waren zurückgehalten haben und sie dann zu einem sehr überhöhten Preis nach einer Weile abgegeben haben, sind aufgehängt worden. Ich selbst habe mir das nicht angesehen, aber das muß in unmittelbarer Nähe meines Hotels sein, denn dort war ein recht großer Menschenauflauf. Wie man so hört, nimmt die Bevölkerung diese Maßnahme ruhig, man kann sogar sagen, mit einer Befriedigung auf. Die beschlagnahmten Waren werden nun zu verbilligten Preisen an die Einwohner abgegeben.
Auch heute ging keine Post von Dir ein. Eine Drucksache von der SA und ein Durchschlag eines Briefes Deines Vaters an Dich ging ein. Man sieht doch, das etwas geschieht.  Sonst würde man denken, die Post hat ihren Betrieb eingestellt.
Auf einige von mir unbeantwortete Sachen will ich heute bei dieser Gelegenheit noch zurückkommen. Dein Bedarf an weiteren Sämereien habe ich mir vorgemerkt. Soweit ich ihn erfüllen kann, werde ich das gern tun. Es ist ja schöner, wenn man frei verfügen kann über das, was man selbst braucht. Blumenkohl oder ähnliche Sachen werde ich dabei auch mit berück sichtigen. Sobald ich etwas bekomme, schicke ich es Dir.  Deine Ansicht darüber, welche Sprachen ich schon verstehe, ist wohl etwas leicht zuviel gesagt. Ich habe schon ein Teil Sprache gehört, aber wenn ich einmal so einen Brocken aufgeschnappt habe, dann heißt das doch noch lange nicht, daß ich die Sprache verstehe. Einzig von französisch und zur Not etwas von englisch verstehe ich etwas. Das letzte ist schon so in Vergessenheit geraten, daß ich mir auch schon nicht mehr zu sagen wage, daß ich es verstehe. Mit der hiesigen Sprache werde ich mich wohl recht wenig befassen.  Zwar etwas wirkt immer sehr auf mich, und das war schon im Osten so. Die Buchstaben sind doch im Russischen anderes wie bei uns. Dort habe ich es immerhin soweit gebracht, daß ich etwas lesen konnte, wenn ich es auch nicht verstand, was es heißt. Aber so ziemlich brachte ich das immer zusammen. Hierher gekommen, freute ich mich, daß ich mich im Osten so befleißigt hatte, denn die Schriftzeichen sehen fast ähnlich aus, aber zu meiner Enttäuschung muß ich feststellen, daß das nicht der Fall ist. Nun habe ich wieder angefangen mit dem Lernen. Die vielen Geschäftsaufschriften und die Reklame bietet mir auf meinem Weg reichlich Gelegenheit. Das kommt mir an mir schon direkt krankhaft vor, wenn ich an jeder Aufschrift herumbuchstabiere. Aber bis auf einige Buchstaben habe ich es heraus. Kannst Du Dir darunter etwas vorstellen, wenn Du etwas folgendes liest?  griechische Buchstaben  Das sieht erst sehr geheimnisvoll aus, heißt aber weiter nichts wie Philipps Radio. eines freut mich aber, daß Du nun auch wieder Deine englischen Kenntnisse auskramst und mit Helga lernen kannst. Für sie ist es bestimmt eine Hilfe, denn uns hat doch kein Mensch daheim in dieser Beziehung helfen können. Daß aber Helga ihre erste fremdsprachliche Arbeit so gut geschrieben hat, ist sehr erfreulich und Du kannst mir glauben, daß das schon sehr mit darauf zurückzuführen ist, daß Du ihr in mancher Beziehung behilflich sein kannst. Das hättest Du Dir früher auch nicht träumen lassen, daß Du Deine Kenntnisse auf diese Art nützlich verwerten kannst.  Ja, die Quallen sind eine gallertartige Masse. Mir sind sie also nicht sehr sympathisch. Daß Du mir aber schreibst, daß Du staunen musst, daß ich vom Sprungbrett springe, das verletzt ja bald meinen männlichen Stolz. Das ist ja eine Selbstverständlichkeit daß man so was macht. Also bitte nicht mehr staunen. Aufhören damit! Bitte nur noch als Selbstverständlichkeit werten. Jetzt wirst Du denken, bei dem hat es geschnappt. Ich glaube es auch bald. Ich würde gern auch einmal hier im Stadionbad vom großen Turm springen, aber ich habe es nicht gern, wenn man mir die ersten Male dabei zusieht. Auch sonst würde ich ganz gern etwas üben. Aber dazu muß ich mich erst noch überwinden. Wenn ich es zwar von den Kindern verlangen würde, dann würde ich es ohne weiteres gleich vormachen. Aber so liegt ja kein eigentlicher Anlass dazu vor.
Ein Artikel, den ich in der Zeitung fand, und der mir ganz gut gefallen hat, schließe ich mit bei. Vielleicht hast Du auch Deinen Spaß daran.  Herzliche Grüße und viele, viele Küsse fügt für Dich und die Kinder wieder bei Dein Ernst.

Mein liebstes Mädel !                                                                          26.10.43 
         
Die Post ist heute noch nicht angekommen, aber ich fange schon gleich jetzt an zu schreiben, weil es gerade mit der Zeit ganz gut klappt. Es sind ja noch so verschiedene Sachen aus Deinen letzten Briefen zu beantworten, über die ich mich gleich einmal hermachen will. _ Unser Sohn hält sich ja wohl schon gern bei den Erwachsenen auf. Erst schreibst Du mir schon einmal, daß er sich mit den Grenzern unterhalten hatte und daß sie durch das Fernglas sehen durften. Jetzt ist ihm das Arbeiten mir dem Kies eine schöne Tätigkeit gewesen. Ja  in der Hinsicht haben es die Kinder noch schön, sie können solche Beschäftigungen abbrechen, wenn sie nicht mehr wollen. Aber sie tun es ja nicht allein um der Arbeit willen, sondern weil sie es als eine Spielerei betrachten. Daß sie sich gern dabei der Gepflogenheiten der Erwachsenen bedienen dürfen, das ist ja ein besonderes Vergnügen. Ich hätte ihn sehen mögen, unseren Schlawiner, wie er so wichtig „Guten Abend“ gesagt hat, als er nach seiner Feststellung genau wusste, daß Feierabend sei.  Deine Mitteilung über die Anmerkung in dem Buch von dem Ralf Ross hat mich schon interessiert. Ich habe das nicht gewußt, was Du mir da schreibst. Das ist doch sehr typisch, wie mancher so ums Leben kommt.
Du schreibst, daß Du bei den vielen „Hinfallen“ unserer Kinder einen großen Bedarf an Heftpflaster hast. Das kann ich mir vorstellen, wenn unser Junge immer so beschädigt ankommt. Sage einmal, hatte Dein Vater nicht immer solche Sachen?  Du kannst ja vielleicht einmal an ihn schreiben. Er ist ja mit dem Äußern seiner Wünsche auch nicht so, und ich denke, daß er das ganz gerne tun würde, wenn er das da hätte. Was macht denn der Fuß von unserer Helga. Hat sich die Verstauchung wieder gegeben? Das Fahrrad war ihr ja nach Deiner Mitteilung eine große Hilfe.  So hat sie doch ohne große Beschwerden die Schule besuchen können. Als der eine Fliegerangriff bei Euch in der Nähe war und wo es so gewummert hat, war das in Singen? Du mußt ja nicht den ganzen Ort schreiben, wenn Du den Anfangsbuchstaben mitteilst, dann weiß ich es schon
Wenn Du an Vater einige Rosinen abgeben willst, dann bin ich schon damit einverstanden. Ich denke, daß Du schon auf Deine Rechnung bis jetzt gekommen bist. Er backt sich ja ab und zu einen Kuchen und dazu kann er sie ja ganz gut verwenden.
Was meinst Du denn da für neue dicke Filzschuhe? Die Stiefel etwa? Das glaube ich, daß die warm halten. Ich bin froh, daß ich die besorgt habe und sie für Dich nun eine solche praktische Verwendung finden. Ich könnte sie hier ja doch nicht gebrauchen. Das wird Dich sicher auch interessieren. Da lese ich in einer der Zeitungen, die Dein Vater mir zugehen ließ, daß die Frau Kloße von der Bäckerei in der Elisabethstraße gestorben ist. Ich sehe mich heute noch, wie ich als kleiner Bengel dort Brötchen geholt habe. Später haben wir dort nicht mehr gekauft, doch dann sind wir doch lange Zeit samstags zusammen dort hingegangen und haben dort Brötchen geholt.
Heute war ich einmal ziemlich aktiv. An Deinen Vater habe ich einen Brief geschrieben und auch an meine Kameraden Thomas und Wittenburg. Dem Marinesturm habe ich auch gleich auf die beiliegenden Zeilen geantwortet. Ich glaube, daß ich nun mehr auf dem Laufenden bin. An die Kinder will ich zwar auch wieder schreiben, doch das gibt sich in den nächsten Tagen. Nachdem ich am Vormittag Deinen Brief vom 20. erhielt, bekam ich jetzt noch den vom 18. zugestellt. Ich freue mich und bedanke mich sehr dafür. Der Äpfelkauf ist nun getätigt. Das ist ja schön, daß Ihr jetzt noch etwas frisches Obst für den Winter habt. In dieser Hinsicht seid Ihr diesmal wohl nicht schlecht gestellt, denn von Deinem Geschäft hast Du ja auch noch eine Zuteilung erhalten. Das Heranholen ist keine leichte Arbeit, das weiß ich, denn ich kenne das noch von früher her, wenn ich mit meinem Vater auf das Land gegangen bin, um etwas heranzuholen. Eines hatte mich dann immer gefuchst, wenn wir dann nach hause kamen und mein Vater sagte, daß das eine Plackerei sei, dann meinte Nannie immer: „Ach, andere Leute müssen das auch machen, wenn sie etwas essen wollen.“ Das war alles schön und recht, aber dafür hatte sie nie ein Wort der Anerkennung. Für die Kinder war es sicher etwas Neues, wenn sie mitgehen konnten. Daß sie mit auf dem Wagen fahren konnte, das wird ihnen sicher auch gefallen haben. Daß Vater wieder den alten Kampf mit der Zeit führte, das gehört ja eigentlich dazu. Ich kann mir denken, daß Du wie auf Kohlen  gesessen hast, als er erst wieder auf die letzte Minute ankam. Das Verhandeln mit den Leuten, das ist kein Geschäft für dich. Meinem Vater liegt das schon eher.  das weiß ich noch von früher her. Ich kann mir vorstellen, wie Dir das peinlich war, aber man muss sich eben sagen, daß einem das Hemd näher sitzt wie der Rock. Müde sollt Ihr tüchtig gewesen sein, denn das seid Ihr doch nicht gewohnt. Dein Vorschlag, die Post aller zwei Tage abzusenden, wird von mir angenommen, wenn es so ist, wie Du schreibst. Diesen Brief sende ich erst nochmals so ab. Ich kann auf diese Weise auch noch Umschläge sparen, denn die werden etwas knapp. Ich fange auch schon an, die Umschläge zu sammeln, die Du mir zugehen lässt. Einmal kannst Du sie gewiss noch verwenden. Es ist ja schade, wenn man sie gleich wegwirft.  Lasse Dich recht herzlich grüßen und einen festen Kuß füge ich noch hinzu. Dein Ernst.

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