Donnerstag, 4. Oktober 2018

Brief 464 vom 5./6.10.1943


Mein liebes Mädel !                                                                         5.10.43   
     
Jetzt bin ich aber froh, daß ich wieder weiß, woran ich bin.  Gerade habe ich Deinen lieben Brief vom 1.10 erhalten, über den ich mich mächtig gefreut habe. Ich weiß, daß Ihr wohlauf seid und ich weiß jetzt auch, was sich in großen Zügen alle in der Zwischenzeit ereignet hat. Mir ist es eine große Beruhigung, denn ich mache mir schließlich schon die ganze Zeit Sorge, wie es Euch geht und was Ihr treibt. Es ist nur gut, daß die meiste Post mit Flugzeug befördert wird, denn sonst würde ich noch keine Nachricht bekommen haben. Ich kann Dir nicht sagen, wie froh ich bin, wieder Verbindung mit Euch zu haben. Es war eine harte Geduldsprobe, aber die ist ja nun belohnt worden.
Wie ich sehe, sind meine von Serbien abgesandten Päckchen bald alle und nach verhältnismäßig kurzer Zeit bei Dir angekommen. Daß die Eier die Fahrt so gut überstanden haben, freut mich. Ich kann mir vorstellen, daß auch die anderen Sachen Dir eine gute Hilfe bedeuten. Wie ich es schon so oft betont habe. Die Freude über die Beschaffungsmöglichkeit ist erst dann vollkommen, wenn man erfährt, daß alles richtig angekommen ist. Die andere Post, die noch an mich unterwegs ist, kann ja auch nicht mehr allzu lange auf sich warten lassen.
Es ist recht, daß Ich die Äpfel alle aufgegessen habt, denn es wäre schade, wenn sie schlecht geworden wären. Dadurch, daß wir so viele getrocknet haben, hast Du doch einen ganz schönen Teil für den Winter gerettet. Da sieht man doch, daß sich die Mühe gelohnt hat. Wie ich aus Deinem Schreiben weiter ersehe, hat sich unsere Helga anscheinend zu einer tüchtigen Radfahrerin herangebildet. Da war es also auch ganz nützlich, daß sie sich während meiner Urlaubstage drangehalten hat, das zu lernen. Gespannt bin ich ja, wie die Bilder aussehen, die wir in München haben machen lassen. Wie Dur schreibst, sind sie ganz gut geworden und es fällt Dir schwer, welches du vergrößern lassen willst. Ich denke, daß ich Dir diese Entscheidung einmal selbst überlassen kann. Damit Du Dich langsam an das Alleinregieren gewöhnst und den Druck von oben nicht mehr so verspürst. Aber ich nehme an, daß Du Dich in den vergangenen Wochen schon genug allein durchsetzen musstest, so daß Du auf diesen Segen nicht erst hast warten brauchen, bis ich Dir diesen Segen dazu gegeben habe. Es ist schade, daß die Bilder vom Hohentwiel nicht so gut geworden sein sollen. Liegt das an dem Film oder was haben wir da falsch gemacht. Ich kann mir das nicht anders denken, denn wenn auch die vom Bad nichts weiter geworden sind, dann kann das nur so sein. Beim Bad war das Wetter und die Belichtung ordentlich und auch in Singen war die Beleuchtung doch auch sehr gut. Das sind eben auch Dinge, an denen man nichts mehr ändern kann, darum hat es keinen Zweck, wenn man sich darüber ärgert. Beruhigend ist es dann schon, wenn die vom Fenster sich gut machen. Da können wir ja nichts sagen. In letzter Zeit haben wir doch genug Bilder von uns gemacht. Von hier hast Du ja auch schon wieder eins von mir. Ich kann mir vorstellen, daß der bei Euch einsetzende Regen Wunder gewirkt hat. Von den Bohnen habt Ihr nun auch noch essen können, das ist sehr erfreulich. Grüne Bohnen bekommen wir hier auch noch fest vorgesetzt. Es ist schön, wenn man immer noch frisches Gemüse erhält. Aber hier wirkt sich der Vitaminmangel nicht so stark aus, denn mit Obst werden wir in Form von Weintrauben ganz schön versorgt. Bei Euch ist es sicherlich auch merklich kühler geworden. Ich war über die Mittagszeit wieder baden. Jetzt nach der Umstellung der Uhrzeit merkt man schon, daß es eine Stunde später am Tage ist. Es ist wesentlich kühler als in der vergangenen Woche über die Mittagszeit. Das wäre so das richtige Vergnügen für Euch Drei, hier noch ins Wasser zu springen. Bis jetzt ist es noch nicht nötig, daß man eine Wärmflasche braucht wie bei Euch. Die Einrichtung ist hier wirklich sehr schön. Vor allem sehr sauber.  Hier bekommt man am Eingang gleich eine Marke mit einer Nummer. Zu dieser Nummer sucht man sich den dazugehörigen Schrank. In einer Art Kabine, die aber halb offen ist, sind etwa 6 Schränke untergebracht, in die man seine Wäsche und Kleider hineinlegt. Ein Wärter schließt dann zu, und man kann dann unbesorgt baden. Erst muß man sich hier duschen, sonst kommt man nicht ins Bad hinein. Nach der Dusche geht es dann durch ein Fußbad und dann steht einem der Weg  ins klare Wasser offen. Die ganze Fläche des Bades ist dann mit schönen Platten ausgelegt. Leider sind nur einige Bäume da, die Schatten spenden. Zum Tauschen würde es unserer Helga bis auf den Grund nicht langen. Denn die größte Tiefe beträgt 6m. Ein Kamerad, der verschiedene Male Teller heraufgeholt hat, sagte auch, daß der Druck auf die Ohren sehr stark sei. Aber man kann hier überall bis auf den Grund sehen. Die Strecke ist breiter und länger wie bei uns im Hallenbad. Ein Sprungturm und andere Sprungbretter sind auch da.  Wie ich schon schrieb, wird dauernd frisches Wasser und frische Luft ins Becken gepumpt, das trägt zum gesamten guten Eindruck sehr mit bei. Ich habe wieder tüchtig von diesem Bas geschwärmt. Es ist aber auch sehr schön. Als Hintergrund sieht man wieder die Akropolis und gleich in der Nähe ist auch ein schöner Tempel. Aber lasse es mit der Schwärmerei für heute genug sein. Lasse Dich und die Kinder vielmals grüßen und bleibt mir recht gesund. Recht viele Küsse füge ich für Euch, meine Lieben alle, hinzu und bin immer in Liebe Dein Ernst.

Meine liebe gute Annie !                                                                    6.10.43 
        
Die Luftpost ist heute nicht angekommen. Mit anderer Post kann ich ja noch nicht rechnen. Aber wenn es gut geht, dann wird vielleicht morgen wieder ein Brief von Dir einflattern. Jedenfalls bin ich schon sehr froh, daß ich den ersten Brief erhalten habe und nun wieder weiß, wie es Euch geht. Gestern hat es hier den ersten Regen gegeben. Das war aber noch sehr wenig. Erfrischt hat er kaum. Die Witterung ist zwar merklich kühler geworden, aber sie ist immer noch so, daß man mit kurzen Hosen und mit hochgeschlagenen Ärmeln laufen konnte. Es ist mir zwar leider nur möglich, das letzte zu tun, weil ich keine andere Hose habe. Aber man kann es jetzt schon so aushalten, denn ganz so drückend heiß ist es nun auch nicht mehr. Ich muss sagen, daß die Landschaft gleich ganz anders aussieht, wenn einige Wolken so über den Berg ziehen. Bisher sah man nur den einfarbigen blauen Himmel und dahinter die verkarsteten Berge. Ich habe mir sagen lassen, daß die Türken, die ja hier über 600 Jahre geherrscht haben, sämtliches Holz geschlagen haben und neue Anpflanzungen unterließen. Es wird davon gesprochen, daß die Türken die Abholzung vornehmen mussten, weil sie den Banditen keine Unterschlupfsmöglichkeit geben wollten. Das ist zum Teil verständlich, wenn ich unsere Lage in den jetzt von uns besetzten Gebieten betrachte. Auf dem Balkan und auch im Osten haben sich die Banditen immer in den Wäldern gehalten und dort Unterschlupf gefunden. Durch diese Holzarmut ist ja das hiesige Klima wesentlich beeinflusst worden, denn Regen fällt nur während eines Teils des ganzen Jahres und dann ist es aus. Ich wundere mich nur, wie man es hier möglich macht, in den Anlagen, die hier zum Teil vorhanden sind, die Bäume immer noch frisch zu halten. Teilweise hat man Bewässerungsanlagen geschaffen, die dann während der heißen Jahreszeit den Boden feucht halten. Aber auf den Feldern, da wächst der Tabak und die Baumwolle. Olivenhaine und Weingärten stehen immerhin frisch da. Durch künstliche Bewässerung wird teilweise der Gemüseanbau möglich gemacht, aber die Aufforstung des Landes wäre ein großes Problem, doch wie gesagt, die Banditen müssen in Schach gehalten werden, so daß, wenn auch guter Wille vorhanden wäre, an diese Arbeit nicht herangegangen werden kann. Letzten Endes ist dies ja auch nicht unsere Aufgabe, dies während des Krieges zu machen, wo es schon so an Arbeitskräften mangelt. Ganz abgesehen davon ist dies eine Arbeit, die mehrere Jahrzehnte brauchen würde. Walsfrevel wird hier auch nicht so schwer geahndet, außerdem reicht der Arm des Gesetzes nicht so weit. Es ist eben nicht Deutschland. Wenn dort jemand etwas treibt, dann hat ihn meist jemand bald beim Schlawittich. Diese Sachen sind eben im Ausland alle so anders. Manchmal habe ich so das Gefühl, als wäre ich aus der Zeit des Mittelalters hierher versetzt, denn da wäre so etwas auch möglich. Bestechung der Beamten und Unterdrückung von Straftaten, soweit der Betreffende genügend Einfluss oder Geld hat, ist nichts Seltenes. Die Polizei in Deutschland käme aus dem Aufschreiben nicht heraus, wenn sich solche Dinge zutragen würden wie hier.  Die Straßenbahn ist nicht nur innen bis auf den letzten Stehplatz besetzt, sondern in Trauben hängen die Menschen auch noch auf den Trittbrettern. An den Seiten hängen sie sich fest, wo auch nur einigermaßen ein kleiner Anhaltspunkt ist. Auf dem Puffer stehen sie und kein Mensch schert sich darum. Unfälle habe ich noch nicht gesehen und auch noch nicht davon gehört. Mit den Autos und den Motorrädern und Fahrrädern ist es genau so. Ich habe auf einem Motorrad mit Beiwagen 12 Personen gesehen, dabei hat der Fahrer ein Affentempo gehabt. Auf den Omnibusdächern  und auf dem Kotflügel wie auch auf der Motorhauben liegen die Leute, nur um mitzufahren.  Denn laufen wollen die Leute nicht gern. Die unglaublichen Bilder habe ich da schon gesehen und mich gewundert, daß da noch nichts passiert ist. Die Schutzmänner in Deutschland würden vor Schreck sterben, hier winkt der Verkehrsschutzmann nur die Richtung und dann stimmt der Laden. Nein, im Ausland lebt man anders. Wenn die Leute, die einmal über unsere Grenzen hineingesehen haben und davon sprachen, daß überall Verbote stünden , dann haben sie nicht ganz unrecht. Es fragt sich aber nur, was besser ist. Vielleicht müsste man es einmal so ausprobieren. Jedenfalls wenn man solche Ordnung gewohnt ist, dann sticht einem das ins Auge.
Ich grüße Dich vielmals und  recht herzlich und bin in viel Liebe Dein Ernst. 

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