Freitag, 12. Oktober 2018

Brief 466 vom 09./10.10.1943


Mein liebster Schatz !                                                                       9.10.43   
             
Ich kann mich ja heute nicht beklagen, denn von Dir erhielt ich gleich zwei Briefe, und zwar die vom 2. und 4.. Von Deinem Vater kam ebenfalls ein Brief an und eine Sendung mit einem Heft und eine Zeitung „Das Reich“. Wenn man wochenlang keine Post bekommen hat, dann mutet einem ein solcher Zustrom übermäßig viel an. Ich habe mich jedenfalls sehr darüber gefreut, das kann ich Dir wohl sagen.
Wie ich lesen muß, habt Ihr allerhand unter Fliegeralarm zu leiden. Aber ich bin immer noch froh, wenn Du mir schreibst, daß sie über Euch hinweggeflogen sind und dort keinen Schaden angerichtet haben. In dieser Hinsicht wird man selbstsüchtig, wenn man dabei bestimmt auch niemand anders ein solch hartes Schicksal wünscht.
Wenn Du mir schreibst, daß ich vielleicht den Kinobesuch an zwei Tagen in der Woche für verschwenderisch oder überflüssig halte, so ist dem bestimmt nicht so, Ich habe Dir früher schon einige Male mitgeteilt, daß Du das selbst wissen musst, ob Du es möglich machen kannst oder ob es nicht geht. Ich bin hier in dieser Woche auch zweimal im Kino gewesen, allerdings mit dem Unterschied, daß es nichts kostete. Das werde ich, soweit es mit die Zeit zulässt, auch weiterhin so machen. Denn wenn man abends immer nur in ein Hotelzimmer sitzt, dann bekommt man es mit der Stubenangst zu tun. Diesen Fall will ich nicht erst eintreten lassen. Ich habe hier keine Kameraden, mit denen ich mich unterhalten kann. Die Männer, die hier in der Abteilung sind, mit denen kann man nichts sprechen und die anderen Beamten, die sind im Offizierskasino gebunden, so daß ich gewissermaßen allein auf weiter Flur stehe. Aber auf diese Weise bekomme ich die Abende auch herum. Morgen am Sonntagnachmittag ist hier eine Veranstaltung des hiesigen Senders, der die Winterveranstaltungen des Rundfunks eröffnet. Dafür habe ich mir eine Karte besorgt, dann habe ich auch für diesen Nachmittag eine Ablenkung.
Mit der neuen Uhrzeit ist es mir auch so wie Euch gegangen.  Ich stehe auch jetzt immer noch sehr zeitig auf, denn die Menschen fangen mit ihrem Geschrei auf der Straße an, wenn es hell geworden ist. Festen Schlaf hat man dann nicht mehr und dann kann ich nicht mehr so im Bett liegen. Einen Wecker brauche ich bestimmt nicht. Die Temperatur spielt ja auch noch eine Rolle, denn wenn es so warm ist, dann hat man auch nicht das Bedürfnis, lange im Bett liegen zu bleiben, denn wenn man aufsteht, dann friert man ja nicht gleich.
Das eine Bild von der Akropolis hast Du nun schon erhalten. Heute habe ich die ersten Abzüge von den anderen Aufnahmen bekommen, die wir selbst gemacht haben. Wenn ich dann die anderen Abzüge erhalte, dann schicke ich Dir diese zu. Sie sind einigermaßen ordentlich geworden, vor allem, wenn man bedenkt, daß sie mit einem billigen Apparat gemacht sind. Du schreibst, und auch Dein Vater lässt das aus seinem Schreiben heraus merken, daß es doch schön sei, wenn man soviel von der Welt sieht. Das stimmt wohl, aber glaube mir, ich würde gern darauf verzichten, wenn ich daheim und mit Euch zusammen sein könnte. Dieses Herumkutschen in der Welt mag den ersten Monat ganz schön sein, aber dann hat man doch das Gefühl, daß es schöner wäre, wenn man wieder ein Zuhause hätte. Wenn ich mir mit Dir diese Sache alle ansehen könnte, wie beispielsweise in München, dann wäre das weit besser. Aber wenn man dann nicht den nötigen Gedankenaustausch dazu hat, der durch die vielen neuen Anregungen hervorgerufen wird, dann ist das alles halb so schön. Aber im Kriege soll es ja auch nicht schön sein, denn sonst hätte man ja nicht das Verlangen, wieder nach hause zu wollen. Wenn Du schreibst, daß Du solche Einzelheiten aus der griechischen Geschichte verschwitzt hast, dann ist das wohl zu entschuldigen, denn bei uns in der Volksschule hat man ja nicht diesen Wert auf diese Dinge gelegt, wie es auf den Schulen der Fall ist, wo humanistische Bildung vermittelt wird. Es sind ja auch nur ganz wenige Sachen, die mir noch bekannt sind. Aber die Sache von Leonidas, die kennst Du ja noch. Über den Pass der Thermopylen sind wir mit dem Zuge gefahren. Es war zwar Nacht, doch da Mondschein herrschte, konnte man doch einiges erkennen. Die Schlucht hat dort eine mächtige tiefe, so daß man sich gut vorstellen kann, daß eine schmale Passstraße, vor allem bei den damaligen Verhältnissen, gut gesperrt werden konnte, wenn da einige entschlossene Männer waren. Das weißt Du ja, daß dort die Perser auch eine empfindliche Schlappe erlitten. Das wäre einige zu Deiner Weiterbildung, damit Du mir nicht mehr so dumm in der Welt herumläufst. Was hat man doch alles für Sorgen. Ja, wenn man sich auch nicht um alle kümmert. Das war ja wieder einmal eine günstige Gelegenheit, Dir eins auszuwischen. Ich bin froh, daß ich Dir noch vorher mitgeteilt habe, daß die Salamiwürste auf Salamis nicht wachsen. Aber jetzt will ich doch mit dem Frozzeln aufhören, sonst bist Du mir vielleicht böse.
Ich wünsche Euch, daß die Sachen alle wieder richtig in Deine Hände kommen. Du hast also auch den gleichen Gedanken gehabt, daß Du mit den Rosinen Deine Stollen backen kannst. Hoffentlich reichen sie.  Aber ich werde zusehen, daß ich noch einige schicken kann. Durch einen Trick kann ich in diesem Monat wahrscheinlich doch noch zwei Päckchen absenden.
Aber weil ich gerade von Päckchen rede, ich habe heute vier kleine Päckchen an Dich abgesandt. Sie tragen die Nummern 48a bis d. Für jedes eine volle Nummer zu nehmen, das wollte ich nicht, denn das sieht dann soviel aus. Sie enthalten das Maismehl, von dem ich schon einmal geschrieben hatte. Auch dafür wünsche ich guten Empfang. _ Auf die anderen Dinge gehe ich morgen wahrscheinlich mit ein. Für jetzt ist Schluss. Herzlich grüße ich Dich und  die Kinder und bin immer Dein Ernst.

Meine liebste Annie !                                                                                10.10.43 
          
Gestern  habe ich mich gleich noch hingesetzt und an Deinen Vater geschrieben. Den Durchschlag findest Du beigefügt. Wegen der Tafel auf dem Kreuz kannst Du nochmals mit Vater reden. Wenn er anderer Meinung ist, dann musst Du das Deinem Vater mitteilen. Vorerst mehr zu machen, hatten wir ja verabredungsgemäß nicht beabsichtigt. Da wollte ich Dich aus diesem Anlass noch bitten, mir eine Abschrift der Meldung von der Einheit von Kurt zuzusenden. Ich wollte dies schon immer mitteilen, hatte es aber vergessen.
Wegen den Zigaretten für Deinen Vater muß ich kurz treten, denn wir bekommen nicht soviel Geld in die Hand, um da lustig einkaufen zu können.  Ein Raucher würde selbstverständlich sein Geld in dieser Weise anlegen, aber das bin ich ja nicht und dafür kann ich nicht das Verständnis aufbringen. Ich schicke ihm wieder einmal welche und damit muß er sich zufrieden geben. Ich habe ja auch nichts weiter und muß mich noch dazu jahrelang draußen herumtreiben. Ich hätte auch gern einmal ein Stück Schokolade oder sonst etwas zu essen und habe es auch nicht. Also, wie gesagt, damit muß er sich zufrieden geben. Wir bekommen hier, obwohl wir hier in der Tabakgegend uns befinden, nur die halbe Zuteilung an Zigaretten wie sonst. Mir persönlich macht das weiter nichts aus, aber wenn ich so sammle, dann bekomme ich eben nicht mehr soviel zusammen wie früher. Mit den anderen Zigaretten, die ich geschickt habe, tritt erst einmal etwas kurz. Kameraden erzählen hier, daß im Reich für eine Zigarette 1,-RM bezahlt würde. Das ist mir aber schon unverständlich, denn das kann man doch bestimmt nicht abrauchen. Immerhin kann man aber daran erkennen, was für ein begehrenswerter Artikel das geworden ist.
Ich glaube, die Briefträgerin will sich jetzt interessant machen, wenn sie ihre süßen Geheimnisse verrät, die sie mit Kurt gehabt haben will. Es ist recht, wenn Du mir diese Sachen mitteilst, aber man sieht doch gerade wieder daraus, was für eine charakterliche Einstellung dieses Frauenzimmer hat. Mir bedeutet sie nicht, und ich glaube auch nicht, daß Kurt sich etwas dabei gedacht hat. Aber darüber brauchen wir uns keine Kopfschmerzen zu machen, denn uns bedeutet diese Frau nichts und sie kann uns ja auch nicht helfen, was wir von ihr auch nicht wünschen.
Auf den Gedanken bin ich auch nicht gekommen, daß eine Quelle allen Klatsches die Familie Rebholz sein könnte. Es ist aber nicht ausgeschlossen, daß dem so ist. Ich entsinne mich, daß Paula früher einmal erzählt hat, daß Rebholz früher bei Stromeier als Meister tätig gewesen sein soll. Unter Ausnutzung seiner Eigenschaft als Vorgesetzter hätte er ein Mädel missbraucht. Daraufhin sei ein Gerichtsverfahren gegen ihn eingeleitet worden, und weil er für schuldig erklärt wurde, sei er dann auch aus der Firma geflogen. Ich selbst habe das nie weiter nachgeprüft, dazu war mir dieser Mann nicht interessant genug, aber auch das ist schon daraus möglich. Aber lassen wir auch das beiseite.
Sage einmal, kannst Du einen Schwamm gebrauchen? Ich weiß nicht, gibt es das daheim zu kaufen und wie die Preise dort sind, das ist mir nicht bekannt. Hier bekommt man sie von 1,-RM einen kleineren Schwamm. Wenn Du Bedarf hast, dann schreibe es mir bitte, dann werde ich Dir einen kaufen. Heute habe ich wieder ein kleines Päckchen mit getrocknetem Brot fertiggemacht, damit ich dies auch langsam los werde. Es trägt die Nummer 49a. Ein anderes Stück habe ich (ich kam nicht gleich zum Weiterschreiben).
Inzwischen habe ich auch das andere Stückchen fertig verpackt und außerdem noch eine Schachtel mit 100 Zigaretten. Die zwei anderen Sendungen haben nun die Nummern 49b und c erhalten. Die Päckchen mit dem Brot kommen mir ziemlich dürftig vor, aber wenn Du dann alles zusammenlegst, dann kannst Du es wohl auch brauchen. Ich glaube, wenn Du davon eine Suppe machst und nimmst einige Rosinen dazu, dann kann man das schon essen. _ Meinem Schreiben lege ich meine Versetzungsverfügung, die nach Griechenland, bei. Du kannst sie mit zu den anderen Papieren legen. Diese Sachen tragen dann zur Vollständigkeit bei. Das Programm vom heutigen Nachmittag lege ich ebenfalls bei. Es war ein angeregter schöner Nachmittag, der uns dort geboten wurde. Schöne Musik bis zur Schlagermusik wurde geboten. Es war wirklich sehr nett. In dieser Hinsicht bietet eine große Stadt eben mehr. Wenn ich nur an unseren Aufenthalt in Rußland auf dem Land denke. Aber ich muß sagen, so unglücklich haben wir uns dabei nicht einmal gefühlt. Auf irgendeine Art hat man sich dann den Abend schon vertreiben oder die übrige freie Zeit.  In der kommenden Woche soll ich einmal etwas anderes tun. Die Italiener haben vor ihrem Abrücken noch feste Päckchen gepackt. Da ist eine Sendung von sechs Tonnen aufgefangen worden, die jetzt ausgepackt und den Lazaretten zugeführt werden sollen. Die Aufsicht beim Auspacken dieser Sachen soll ich mit noch einem Kameraden dabei übernehmen. Ich will einmal sehen, wie sich diese Sache anlässt.
Recht herzlich grüße ich Euch alle und Dich noch mit besonderen Küssen. Dein Ernst.

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