Donnerstag, 18. Oktober 2018

Brief 471 vom 21./22.10.1943


Liebste Frau !                                                                                     21.10.43 
            
Diesmal habe ich wirklich auf das Geld gewartet, was schon seit langem nicht mehr der Fall war. Ich habe mir nun bei uns in der Kantine Cognac gekauft. Das ist für mich der letzte Versuch, ehe ich mich endgültig in die Hände des Arztes begebe. Ich habe einen kräftigen Schluck genommen und ich habe das Empfinden, daß mir das doch eine Besserung meiner Magen und Darmverstimmung bringen wird. Du wirst ja lachen und sagen, das ist doch ein Säufer geworden der meint, seine Hilfe im Alkohol zu finden. Ich muß dem aber entgegnen, daß ich bisher hier sehr mäßig gelebt habe. Mit Ausnahme von zwei Abenden, an denen ich teilnehmen musste und die etwas mehr Alkohol brachten, genieße ich ab und zu einmal ein glas Wein oder eine Flasche Bier. Das ist doch bestimmt sehr mäßig. Vorgestern haben wir unseren Chef verabschiedet, der heute in die Heimat abgereist ist. Da war es ziemlich spät geworden. Aber wenn man sonst regelmäßig zu Bett geht, dann ist das ja nicht schlimm, denn dann spürt man das doch nicht so. Wie ich Dir schon einmal schrieb, besuche ich meist zweimal in der Woche das Kino, dann ist es schon mit der Unterhaltung ziemlich aus. Allzu vergnügungssüchtig bin ich ja auch nicht, aber etwas Unterhaltung und Ablenkung muß man haben. Weil ich gerade vom Kino erzähle, da habe ich Dir einen Artikel aus einer unserer Zeitungen beigelegt, die etwas „Erlauschtes“ aus dem Kino preisgibt. Daß diese Sache nicht von ungefähr kommt, läßt sich wohl denken.  Aber die Wanzen sind vielfach durch die Italiener so verbreitet worden. Das sind alles so nette Andenken, die sie uns hinterlassen haben.
Vorhin habe ich nun Siegfried geschrieben, ich denke, daß ich nun langsam die Reihe herum bekomme. Jetzt habe ich noch an den Tommi und an Wittenburg in Frankreich zu schreiben, dann habe ich es soweit geschafft. Ich vermute, daß sie womöglich inzwischen geschrieben haben und daß von meiner alten Einheit aus alles wieder zurückgegangen ist. Ich werde ja sehen. Durchschlag meines Briefes an Siegfried liegt mit bei. Ich habe diesmal allerhand beigelegt, denn die Bilder habe ich heute bekommen. Es sind doch noch nicht alle, aber der größte Teil. Ich schreibe wieder hinten drauf, was es ist, damit Du es auseinanderhalten kannst. Das eine Bild von mir ist sehr unscharf, aber man muß dabei berücksichtigen, daß diese Bilder nur mit einer  ?  gemacht sind. Es ist bei uns auf der Dachterrasse gemacht worden. Du siehst, daß die Akropolis gleich wieder im Hintergrund steht. Wenn wir zum Balkon hinaustreten, kann man sie gleich sehen, insofern ist das Bild ganz interessant. Die Personen bei den anderen Bildern kommen nicht so groß heraus, aber einigermaßen kann man sie bei gutem Willen erkennen.
Das Gepäckaufbewahrungsgeld willst Du also nicht zurückerstattet haben. Ich möchte zwar gern einmal sehen, wenn Du einen furchtbaren Zorn bekommst. Es hat nur insofern keinen Zweck, es jetzt zu schicken, weil ich dann die Auswirkungen Deines Zorns nur von weiter Ferne her verspüren könnte. Ich will mir diesen Spaß deshalb für später aufbewahren. Du kannst nun erkennen, daß meine Angst noch nicht soweit gediehen ist, daß ich mich nicht mehr nach hause getraue.
Du schreibst in einem Deiner Briefe von Quarkkuchen, den Du hast backen können, weil Ihr mit den Euch zugeteilten Mengen so sparsam umgegangen seid. Den könnt Ihr ja nun auch wieder mit den Rosinen verbessern, wenn Ihr Euch welchen machen könnt. Ich erhalte hier heute wieder welche zugeteilt, die ich wieder für Dich reserviert habe. Aber ich denke doch, daß Du sie mit verwenden wirst.
Heute bin ich nun schon 4 Wochen hier und ich denke daran, wie ich ver schwitzt und verdreckt ankam. Aber doch war ich froh, mein Ziel erreicht zu haben. Ja, die Zeit vergeht und wenn ich weiter zurückdenke, dann war ich vor einem Jahr bei Euch in Urlaub. Das waren auch recht schöne Tage, die wir damals miteinander verleb ten. Da konnte ich noch das schöne Paket mitbringen und Butter hatte ich auch noch im Koffer. Damit ist es hier ja sehr schmal bestellt. Vor zwei Monaten ging der letzte Urlaub seinem Ende entgegen. So verschmilzt eins ins andere, wenn man sich so zurück erinnert. Ja, mit dem Radiohören ist das hier so eine Sache. einen eigenen Apparat habe ich nicht und hier kann ich nur bei uns in der Kantine hören. Andere Möglichkeiten gibt es nun einmal nicht. Das ist aber nicht so schlimm. Wir haben hier ja einen eigenen Sender. Belgrad liegt dann schon wieder zu weit und wird nicht so gehört. Das wollte ich dir nur zu Deiner Unterrichtung schreiben.
Die Zeichen auf dem Kochgeschirr habe ich wohl gesehen, aber was sie zu sagen haben, weiß ich selbst nicht, denn das habe ich ja nur gefunden. Da kann ich leider nicht aufklärend wirken. Ich muß mich wundern, wie schön Du diese Sachen nachgezeichnet hast. Daß Du nun eine Verwendung dafür hast, ist ja gut. Ich hatte schon immer damals die Absicht gehabt, es wegzuwerfen.
Lasse mich wieder für heute schließen und nimm dazu recht herzliche Grüße und viele liebe Küsse entgegen von Deinem Ernst. 

Mein liebster Schatz !                                                                                22.10.43 
          
Ich kann hier von meinem Platz zum Fenster hinaussehen und die Berge betrachten die gleich am Ende der Stadt anfangen. Sie schimmern in der späten Nachmittagssonne rosig wie die Wolken, die darüber hängen. Doch die Schatten auf den kahlen Bergen, die jetzt erst gegen Abend hervortreten und die Schluchten und Einschnitte erkennen lassen, sie werden länger. Bald werden die Berge anfangen zu blauen, und wenn dann der Dämmer heraufkommt, dann werden sie mit dem Verglühen des Tageslichts verschwimmen, so daß sie kaum noch hervortreten. Diese kahlen Berge bieten für das Auge nicht die Wohltat, wie sie der Norden sie uns gibt. Die Wälder und auch die Felder auf den Hängen bei uns geben unseren Bergen das Leben, was hier nicht mehr sein kann, weil man die fruchtbare Erde  hat verkommen lassen. Der Regen hat sie heruntergewaschen. Wenn auch der Tag zur Neige geht; die Stadt pulsiert unter mir weiter. Die Stimmung, die die Ferne wohl aufkommen läßt, sie wird untermalt durch das Toben auf der Straße, das noch eine ganze Weile anhalten wird., bis dann die Sperrstunde für die Zivilbevölkerung eintritt. Dann erst geht diese Stadt schlafen. Abends stehen dann prächtig die Sterne über den Straßen. Sie flimmern und glitzern wie bei us in einer klaren kalten Winternacht. Groß und breit ausladend steht dann am Nordhimmel der Große Bär, der mich immer daran erinnert, wie wir im ersten Urlaub zusammen waren, wie wir ihn gemeinsam betrachteten und uns sagten, daß wir ihn uns als gemeinsamen festen Blickpunkt festhalten, wenn wir getrennt sein müssen. Hier steht er groß und prächtig da. Auch die anderen bekannten Sternbilder prangen in ihrem Glanz. Der Orion tritt dabei ganz besonders hervor. Wenn ich so von den Sternen spreche, dann fällt mir immer wieder die Zeltnacht ein, die wir mit den Kindern am Klausenhorn verbrachten. Unser Junge mußte nachts raus und sah mit Staunen, dem nur ein Kind fähig ist, die Größe einer herrlichen Sternennacht. Aber noch ist nicht die Nacht gekommen. Der Berg der Akropolis steht schwarz gegen den Himmel und die Säulen des Parthenon und des Archeion zeichnen sich ebenfalls mit ihren dunklen Konturen dagegen ab. Aus dem Dunst in der Ferne kann man jetzt nur das Meer erahnen, doch morgen am Tag wird es wieder hier herüberschimmern. Mit der heutigen Post kam Dein lieber Brief vom 13. an, für den ich Dir recht herzlich danke. Wie ich sehe, benutzt Du fleißig mein Rad und Du hast dich auch schon damit zurechgefunden. Helga ist jetzt vielfach Deine Begleiterin und manchen Weg kann sie Dir nun auch wieder mit abnehmen. Das macht ihr jetzt Vergnügen und gefällt ihr anscheinend besser wie das Laufen und sie soll nur richtig Obacht geben auf der Straße , aber auch auf das Rad, damit es ihr nicht wegkommt. Ja, mit den Fotos glaube ich, daß wir uns ein bisschen übernehmen. Wem wollen wir die vielen Bilder schicken? Ich denke, daß die Hälfte genügt, denn wir brauchen doch nicht überall hin die gleichen Bilder schicken, wenn wir welche verschicken wollen. Ich glaube auch nicht, daß wir den ganzen Bogen noch einmal brauchen. Ich will bestimmt nicht knauserig sein, aber ich denke, daß wir uns damit helfen können, daß wir die Bilder streifenweise übersenden. Eher könnte man vielleicht noch einige Bilder 6 ½ X 9 bestellen. Den Text habe ich Dir unten nochmals aufgesetzt, wie ich mir das dachte. Wenn Du in dieser Hinsicht noch Wünsche hast, dann kannst Du ja Dir, wie ich schon eben erwähnte, einige 6 ½ X 9 Bilder kommen lassen. Die Auswahl bleibt ja wieder bei Dir.
Die Melodien aus „Tiefland“ sind auch sehr schön und als ich das las, fielen mit auch so einige Takte ein. Ich sah diese Oper ja in Frankreich. Man sollte solche Sachen doch wieder einmal öfter sehen. Aber die Empfindungen, die unser Mädel beim Hören dieser Musik hat, sind doch ziemlich ausgeprägt und ich glaube, daß sie womöglich nicht ungeschickt wäre, ein Instrument zu lernen, denn das Gehör spielt ja eine gewichtige Rolle.
Die Brombeeren hast Du Dir nun auch schon vorgenommen und sie frisiert. Das ist und bleibt eine sehr stachelige Angelegenheit. Aber bis das Schreiben bei hier bei Dir ankommt, ist ja für Dich dieser Schmerz wieder überstanden. Ich hoffe, daß Du nun mit diesen rauen Arbeiten ganz fertig bist, und daß Du auch Glück damit gehabt hast, daß es im nächsten Jahrrichtig klappt. Man ist doch um alles froh, was einem dann wieder zuwächst.
Ich habe heute ein Paar Socken, wie schon angekündigt, auf den Weg geschickt. Ich bitte Dich, mir diese mit fertig zumachen und dann wieder zugehen zu lassen. Bis jetzt habe ich noch etwas an den Füßen, Du musst Dir darum keine Gedanken machen.
Bleibe recht schön mit den Kindern gesund und grüße Vater herzlich von mir. Dir sende ich viele Küsse. Ich bin immer Dein Ernst.
Ein Bild, das mir hier noch herumfährt, lege ich noch mit bei. Ein scharfes lasse ich mir noch abziehen. Das ist das Meer bei der Insel Salamis. Zwischendrin sieht man überall kleine Inseln.

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