Meine
liebste Annie !
17.10.43
Gestern Abend bekam ich doch noch Post von Dir. Mit Deinen Briefen vom 10., 11. und 12.10. hast du mir wieder eine große Freude gemacht und ich danke Dir recht herzlich dafür. Aber von Deinem Vater kam ein Brief an, der wieder, nachdem er bald hier war, zurückgegangen ist. Es handelt sich um den Rundbrief vom 20.9. Heute kam nun die Lawine, die ich schon lange erwartet hatte. Trotz des großen Andrangs habe ich mich mächtig über alles gefreut. Ich bin dann ins Bad gegangen und habe mich dort in die Sonne gelegt, um dann mir diesen ganzen Segen mit dem großen Behagen zu Gemüte zu führen. Ich denke, daß ich wohl alle Briefe von Dir erhalten habe. Einzeln will ich sie heute nicht aufführen, das kann ich ja noch nachholen. Den größten Teil der Sendung von Deinem Vater erhielt ich auch, dann einen Brief von Deinem Bruder und von meinem früheren Chef war auch ein Schreiben dabei. Die Antwort von der Stadt auf meinen Besuch und meine Reklamation hat mich ja in keiner Weise befriedigt, denn die Art und Weise, wie der ganze Fall behandelt wurde, ist eine Gemeinheit. Ich überlege mir noch, ob ich darauf doch noch antworte. Daß ich diese Sache gleich hier erwähne hat den Grund, daß ich auf meinen früheren Chef zu sprechen kommen will, der in dieser bewussten Angelegenheit auch an die Stadt und an das Wehrbezirkskommando geschrieben hat. Diese beiden Sachen haben mir im Anschluss an diesen leidigen Brief sehr wohlgetan, denn damit hat er, wie man so sagt, ihnen eins reingezündet. Ob das nun hilft, das möchte ich zwar hoffen, daß er nun die Sache langsam ins Rollen bringt. Diese Durchschläge, die er mir mitsandte, lege ich Dir zu Deiner Unterrichtung bei, bitte Dich aber, daß Du sie mir wieder mit zurückschickst. Auf die einzelnen Dinge , die noch zu beantworten sind, gehe ich dann in den nächsten Briefen mit ein, denn ich muß ja diese Sachen erst einmal verdauen. Es geht jetzt zwar sehr schnell, aber in dieser Art will ich mir doch etwas mehr Zeit lassen. Ich will Dir auch gleich das nächste Päckchen ankündigen, das ich heute fertiggemacht habe und morgen an Dich absende. Die laufende Nummer ist 2 und es enthält wieder Rosinen und einige Bonbons, die uns zugeteilt worden sind mit der Verpflegung. Du wirst schon langsam die Hände über die vielen Rosinen über dem Kopf zusammenschlagen, es hilft aber nichts, Du mußt diesen ganzen „Loach“, wie es so schön im Reichenaudialekt heißt, über Dich ergehen lassen. Wenn Du nicht weißt, was das heißt, schreibst Du mir bitte. Ich lege Dir heute wieder einige kleine Sachen bei. Ein Artikel, der das Leben in Belgrad zum Inhalt hat, habe ich für Dich aufgehoben, weil er in viel anschaulicherer Weise, wie ich das kann, das Leben in dieser Stadt ziemlich treffend schildert. Ich habe so fast die gleichen Eindrücke gehabt und darum gedacht, daß dies eine gute Ergänzung meiner Schilderung ist. Das Bild ist von der Burg und Festung, oder, wie es in der einheimischen Sprache heißt: Kalemagdan. Diese Wort stammt noch aus der Türkenzeit und hat sich bis heute auch noch erhalten. Ein Witz, der in die hiesige Gegend ganz gut passt, aber von unseren lieben Landsleuten, den Sachsen , verbrochen wurde, wird Dir sicher auch Spaß machen. Ein weiterer Ausschnitt aus der Zeitung zeigt, daß es nicht immer so gut abläuft, wie es meist scheinen mag, wenn sich die Leute an die Straßenbahn hängen. Im allgemeinen kommen zwar in dieser Richtung wenig Vorfälle vor. Gesammelte Rasierklingen, die ich nicht mehr verwenden kann, liegen ebenfalls wieder bei. Ich sehe schon, das ist ein richtiger Lumpensammlerbrief. Alles mögliche ist beigepackt. Aber einmal muß ich es ja beifügen. Auf diese Art kommt auch einmal etwas Abwechslung in diese Sachen.
Durch einen Zufall wurde ich heute in eine griechische Familie eingeladen. Ein Rat übrigens, der, mit dem ich hierher kam, der hat hier in seinem Dienst einen Industriellen kennen gelernt hat. Zu diesem Mann oder besser gesagt, in dessen Familie, wurde ich mit eingeladen. Ein Mann sprach deutsch, ein Mann und eine Frau sprachen französisch. Da kannst Du Dir denken, wie die Unterhaltung war. Wir haben im Anschluss an unser Abendessen dort nochmals gegessen. Wie man uns erklärte, klingt die Zubereitung und die ganze Art an die türkische Küche an. Es war nicht schlecht und man konnte es genießen. Es war auch nicht überragend, aber das hängt wohl mit den Schwierigkeiten zusammen, die die Leute jetzt zum Teil mit der Ernährung haben. Ich fand wieder, daß man in Frankreich ähnlich ißt. Wir sind dann nicht spät nach hause gegangen, so daß ich noch dieses Schreiben verfassen kann. Es war insofern interessant, daß man die Sorgen und Nöte sowie auch die Einstellung der Leute zu uns kennen lernte. Alles da, was sie über uns sagen, kann man doch nicht glauben, aber wenn man dann das Unwesentliche vom Wesentlichen abzieht, dann kann man doch ungefähr sehen, was los ist.
Sei Du mit den Kindern recht herzlich gegrüßt und vielmals mit lieben Küssen bedacht von Deinem Ernst.
Mein liebes, gutes Mädel ! 18.10.43
Eine neue Arbeitswoche hat ihren Anfang genommen. Doch kaum unterscheidet sich ein Tag vom anderen. Sonntag zwar ausgenommen, weil ja da nur von 9 bis 12 Uhr gearbeitet wird und neuerdings ist es hier so eingerichtet, daß ein Teil am Samstagnachmittag Dienst macht, während dann der andere Teil Sonntagvormittag Dienst leistet. Abwechselnd ist dann in der entsprechenden Form dienstfrei. Wie Du hieraus ohne weiteres feststellen kannst, verfügen wir hier über mehr Freizeit wie im Osten. Aber praktisch kann man damit auch nicht viel anfangen. Meist geht man zweimal in der Woche ins Kino, weil hier zwei Theater für uns in Betrieb sind. Die übrigen Abende beschäftigt man sich so gut es eben geht. Ein Päckchen ist auch einmal zu packen, oder sonstige Kleinigkeiten zu erledigen. Die Dienstzeit deckt sich sonst mit der, wie wir sie in Serbien gehabt haben. Wenn ich so über alle Deine Briefe nochmals hinwegsehe, so muß ich sagen, daß aus fast all den Briefen, die mir nachgesandt wurden, ein feiner Ton der Freude mitklingt über die zusammen in München verlebten Tage. Du kannst Di vielleicht nicht so vorstellen, was mit das für eine Lust ist, dies zu lesen und zu wissen, daß ich damit nicht nur mir, sondern auch Dir mit diesem kurzen Aufenthalt etwas Besonderes bieten konnte. Wenn ich jetzt irgendwo war, immer habe ich mir die Eindrücke von einer Stadt allein oder mit Kameraden zusammen vermitteln müssen. Gewiss, das geht auch, denn es gibt ganz andere Sachen, die auch gehen müssen, aber nach so langer Zeit wieder einmal mit dem liebsten Menschen zusammensein zu können und dann über etwas zu sprechen und gemeinsam dieses Neue auf sich wirken lassen oder erklären können, das ist ja das, was mir soviel Freude macht. Daß auch bei Dir diese kleine Reise neue Eindrücke und allerhand Anregungen hinterlassen haben, das kann ich nun immer und immer wieder aus den verschiedenen Briefen herauslesen. Was nutzt uns das Geld, was wir durch ein Unterlassen einer solchen Reise gespart hätten, nichts. Das sind nun einmal vergängliche Werte. Solch ein gemeinschaftliches Erlebnis, das bleibt einem haften. Wir haben uns ja auch keinen Kummer wegen der paar Groschen gemacht, was schließlich auch eine gewisse Sorglosigkeit aufkommen ließ. Mit Bedauern habe ich davon Kenntnis nehmen müssen, daß meine schöne Seifendose sich doch nicht wiedergefunden hat. Man kann sich deshalb zwar kein Bein ausreißen, aber ärgerlich ist es doch, daß sie auf so dumme Art und Weise verloren gehen musste, wo sie doch von Dir war. Ich kann mich nicht von dem Gedanken abbringen lassen, daß sie einer unserer Männer doch an sich genommen hat und sie für sich behält. Beweise für diese Art hat dieser Mann wiederholt schon erbracht, aber ich kann ihm ja jetzt doch nicht auf die ? knieen. Für die Kinder war ja Deine Abwesenheit insofern eine Lehre, daß sie erst einmal gesehen haben, was eigentlich daheim fehlt, wenn Du nicht da bist. Das Indianergeheul hätte ich sehen mögen, als Du mit dem Schiff ankamst. Wie ich aus den Briefen von Dir feststellen muß, haben sie Dir ja einen festlichen Empfang bereitet. Ich freue mich jedes mal, wie sie ohne irgendwelche Anweisung so aus sich selbst heraus diese Dinge immer arrangieren. Man sieht daran aber, wie sie an ihrem lieben Mutterle hängen und daß sie sehr liebe Kerle sind. Daß der Hut bei Helga solchen Anklang gefunden hat, das ist ja fein. Wenn nicht einmal Ingrid eine Kritik dafür hatte, dann will das schon etwas heißen. Für die Kriegsverhältnisse habt Ihr wieder einen netten Geburtstag gefeiert und Deines Geburtstags habt Ihr auch nicht vergessen. Mit den Geschenken war anscheinend auch alles zufrieden. Eines habe ich nicht ganz verstanden. Hast Du Dir nun 50,-RM genommen oder nur 20,. Das ist mir nicht ganz klar geworden. Die Uhren sind also wieder in Ordnung. Nach Deiner Feststellung gehen sie auch wieder. Wegen des Armbandes musst Du Dir keine Gedanken machen, denn das könnte ich mir hier schon kaufen. Die andere Frage ist nur die, wie bekomme ich sie hierher. Bis jetzt sind die an mich abgesandten Sachen alle angekommen. Nachdem ich eine feste Feldpostnummer habe, wären auch die Schwierigkeiten des Nachsendens beseitigt. Es ist ein Risiko, das stimmt und ich frage nun Dich, wollen wir es wagen? Wenn Dur ein Band für Deine Uhr dann benötigst, dann schreibst Du es mir. Breite bitte angeben. Ich würde dann vielleicht noch eins kaufen.
Lasse mich bitte wieder für heute schließen. Recht herzliche Grüße und viele liebe Küsse sende ich Dir und den Kindern. Ich bin immer Dein Ernst.
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