Mittwoch, 17. Oktober 2018

Brief 469 vom 14./16.10.1943


Mein liebster Schatz !                                                                           14.10.43   
             
Von Dir ging kein Brief ein, dagegen erhielt ich von Deinem Vater einige Durchschläge, wie Du ja aus den beiliegenden Durchschriften ersiehst. Ich habe ihm gleich geantwortet. Von dem Tode seiner Schwiegermutter hatte ich nicht gewusst, darum habe ich gleich geschrieben, damit es nicht so schlecht aussieht, als würde man an seinem Leben überhaupt nicht Anteil nehmen. Aus dem weiteren Durchschlag siehst Du, daß ich auch an Erna gedacht habe. Am 28. ist wohl ihr Hochzeitstag. Ich habe schon jetzt geschrieben, denn man weiß ja nie, wie die Post ankommt. Im übrigen habe ich gedacht, wenn ich rechtzeitig schreibe, so hast Du noch Gelegenheit, ihr ebenfalls ein paar Zeilen zu widmen. Ich hoffe, daß ich es richtig getroffen habe.  Durch den Wettersturz habe ich auch etwas gelitten, denn das kam doch im wahrsten Sinne des Wortes über Nacht. Ich habe mir, früher sagten wir dazu, die ukrainische Krankheit zugezogen. Ich komme nicht so richtig zur Ruhe. Ich hoffe aber zuversichtlich, daß sich das bald wieder gibt. Zwei Tage hatten wir keine Sonne, doch heute hat sie sich wieder etwas hinter den Wolken hervorgewagt. Es schwankt nun, ob es sich zum Guten oder zum Schlechteren wenden soll. Vorerst ist es jedenfalls mit dem Baden aus. Auch mein dreimaliges Abduschen in der Badewanne ist in Wegfall gekommen, denn jetzt wird es doch etwas zu frisch unter dem kalten Wasser.  Durch den Tod der Wohnungsinhaberin sind ja nun Siegfried und Erna zu einer Wohnung gekommen. Vor nicht allzu langer Zeit schrieb Dein Vater doch, daß das wohl auf Schwierigkeiten stoßen würde, wenn sich die Frau solange in Mockau aufhält. Wie man sieht, hat sich dies auch eingerenkt. Erstaunlich ist mir immer, wie er um die Geltung seiner Lotte bei uns wirbt. Das sei ausschließliche Verdienst von ihr, daß die Beiden zu dieser Wohnung gekommen sind und mit einem Seitenblick auf unsere einfachen Verhältnisse sagt er dann, daß wir hellauf aufjauchzen würden, wenn wir einmal eine solche Wohnung erhalten würden. Ich habe mir dabei gedacht, daß wir uns bis jetzt doch immer ganz wohlgefühlt habe und daß wir in dieser Freiheit dort draußen immer ganz glücklich waren. Ich kenn die Räume nicht. Aber schließlich ist Großstadt eben doch Großstadt, und die kann einem das Freie nicht ersetzen. Wenn ich nur immer daran denke, was wir in unserem schönen Wald schon herumgelaufen sind, der uns gewissermaßen hinter dem Haus steht. Was macht man in Leipzig, man geht dort bestenfalls ins Rosental. Gewiss, für Erna ist das noch sehr geschickt gelegen, aber unseren Wald kann das noch lange nicht ersetzen. Ich habe es ja nicht nötig, Dich über unsere misslichen Wohnungsverhältnisse hinwegzutrösten, denn ich kenne in dieser Beziehung auch Deine Auffassung, die sich so ziemlich mit meiner deckt. Wir sind schon letztlich dahin übereingekommen, daß wir während des Krieges an diesem Zustand nichts ändern wollen und nach dem Krieg wird sich dann sicherlich eine Möglichkeit für uns bieten. Getreu unserem Grundsatz sagen wir: Wir werden die Dinge an uns herantreten lassen.“ Wenn Dein Vater weiter oben schreibt, daß er sich über Deine Nachricht gewundert hat, daß ich hier herunter gekommen  bitte nicht „heruntergekommen“ bin, dann ist das doch wirklich kein Grund, sich zu wundern. Es gibt nun einmal nicht die Möglichkeit, die Militärverwaltung von zuhause aus zu machen. Mit dem Urlaub von Rußland aus war es doch auch nicht so toll bestellt, denn das haben wir ja am eigenen Leib verspürt.  Aber da muß man sich denken, es wird sich schon wieder zu gegebener Zeit eine Möglichkeit bieten. Die nächsten 14 Tage können wir doch nicht damit rechnen, darum können wir diese Thema vorerst etwas beiseiteschieben.  Wichtiges habe ich heute nicht weiter zu berichten. Es soll deshalb für heute genügen. Bleibt mir alle recht gesund.  Grüße die Kinder recht herzlich von mir und auch Vater. Dich grüße und küsse ich in Liebe. Dein Ernst.

Mein liebster Schatz !                                                                                     16.10.43  
      
Gestern war mir nicht zum Schreiben zumute, denn mein Durchmarsch hatte sich so entwickelt, daß ich trotz Kohleessen mich entschloss, zum Arzt zu gehen, damit er mir hilft, dieses Übel abzustellen. Auf meinen Wunsch, den ich dahin äußerte, daß er mir Opiumtabletten geben solle, gab er mir dann Opiumtinktur, weil er keine Tablette hatte. Die Menge muß aber zu groß gewesen sein, denn in einem Esslöffel voll ist doch allerhand Opium konzentriert. Mit dem Einnehmen dieser Medizin war dann auch sofort der ganze Apparat abgestellt. Es klappte aber auch nichts mehr. Hinlegen wollte ich mich nicht, denn wegen sowas kapituliert man nicht gleich, also habe ich mit dem Schlaf und der Müdigkeit gekämpft, habe den Dienst auch noch durchgestanden, aber zum Briefeschreiben war ich nicht mehr fähig. Ich hoffe nun, daß sich alle wieder einrenkt. Zwar der Magen nimmt noch nichts an. Ob das die Reaktion ist, das kann ich nur annehmen, denn ich weiß es nicht genau.  Post habe ich heute keine erhalten. Das ist aber nicht so schlimm, denn ich denke, daß ich morgen bestimmt welche erwarten darf. Heute habe ich ein kleines Päckchen an Dich abgesandt, das ein Stück Seife enthält, die wir zugeteilt erhielten. Durch Zufall konnte ich heute zwei weitere Päckchen mit Rosinen an Dich auf den Weg bringen. Einer der Herren, der uns zugeteilt worden war, kann sich aus gesundheitlichen Gründen hier nicht aufhalten, so daß er wieder nach Serbien zurückversetzt werden musste. Das war für mich eine günstige Gelegenheit, ihm etwas mitzugeben, denn von Serbien aus besteht ja nicht der beschränkte Päckchenverkehr. Das kleine Päckchen trägt die Nummer 49d. Die anderen beiden tragen die Nummern 50 und 1. Ich fange meine Nummerierung wieder bei 1 an. Dies wieder zu Deiner Orientierung. Ich bin nun nach dem oben geschilderten Fall noch nicht ganz auf Deck, aber ich kann Dir zu Deiner Beruhigung sagen, daß es wieder aufwärts geht und daß keine Veranlassung vorliegt, daß Du Dir deshalb Gedanken machst. Du entschuldigst aber bitte, wenn ich heute schon mein Schreiben abschließe, denn zu lang solltest Du ja nicht auf Nachricht warten, denn ich habe es ja oft genug am eigenen Leib verspürt, wie das ist. Bleibt mir recht gesund und sei Du mit den Kindern recht herzlich gegrüßt und vielmals geküsst von Deinem Ernst. _ Da fällt mir gerade noch die Beschreibung der Akropolis in die Hände, die ich Dir immer mitzusenden vergaß.  Du mußt nun nicht denken, daß ich das mit Absicht unterschlagen habe, damit ich nun mit meinem Geschichtswissen vor Dir glänzen und Dich weiterhin damit als dumm stempeln kann. Aber recht hast Du, daß es leicht für mich ist, Dir diese Wissenschaft solange vorzuenthalten und dann noch große Töne reden. Aber gar zu übel wirst Du mir das hoffentlich nicht vermerken. Widme Dich also dieser Weisheit und lies es aufmerksamer wie ich, denn Geschichtszahlen und ähnliche Daten waren mir zwar immer ein Gräuel, wenn ich mich selbst für diese Dinge im allgemeinen sehr interessiere. Also nochmals herzliche Grüße mit einem festen Kuss verbunden bin ich Dein Ernst. 


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