Freitag, 12. Oktober 2018

Brief 468 vom 13.10.1943


Mein liebes Mädel !                                                                            13.10.43     
        
Kurz und lakonisch will ich feststellen: Heute kein Posteingang.  In den letzten Tagen hatte ich immer Deine Briefe beantwortet, denn es gab dazu immer allerhand zu schreiben. Vielleicht wirst Du erwartet haben, daß ich von meiner Reise wieder einmal etwas d.h. den Rest schreibe. Mir kommt es auch so vor, als würde es langsam Zeit, daß davon berichte, denn sonst verliere ich das aus dem Gedächtnis.
Also von Serbien sind wir dann durch einen Teil Bulgariens gerollt. Die Bulgaren, die teilweise bei der Besetzung Serbiens beteiligt waren, stehen nun an der Bahn und halten Wache. Ihre Hauptbeschäftigung liegt aber wohl darin, in erster Linie für ihre eigene Verpflegung zu sorgen. In Serbien selbst werden ja Übergriffe solcher Art durch die deutsche Wehrmacht nicht geduldet. Aber trotz allem wird es immer wieder versucht.  Daß das in dem Verhältnis zueinander, also in diesem Fall zwischen Serbien und Bulgarien nicht gerade zu Freundschaft führt, das läßt sich leicht denken. Von Griechenland haben ja die Bulgaren auch einen Teil geerbt, So den Teil Mazedoniens. Auch dort bekam ich nicht den Eindruck mit, als ob die Bevölkerung froh sei, von den Bulgaren vom griechischen Joch befreit zu sein. Dagegen mußte ich feststellen, daß die Leute uns zuwinkten, als wir anrückten. Wir waren ja einer der ersten Züge, die nach dem Abrücken der Italiener dort durch das Gebiet fuhren. Auch die Italiener, die ja gegen die Griechen ebenfalls keine Lorbeeren geerntet hatten, waren keine Freunde der Griechen geworden. Im Gegenteil, man hat so den Eindruck, als ob die Leute froh seien, daß die Dinge mit Italien eine solche Wendung genommen haben. Die Zugverbindung ist nicht so einfach, weil sogar die Hauptstrecken fast durchweg eingleisig sind, das erschwert diese Dinge außerordentlich. Du kannst daran schon sehen, daß wir nicht viel schneller hier herunterkommen konnten. Waren wir auf dem Bahnhof angekommen, dann war entweder die Strecke in entgegengesetzter Richtung von einem Zug belegt oder wir mussten erst die Lok wechseln. Meist war dann keine da, so daß sich das alles hinauszögerte. Es ist eben nicht das Reisen wie bei uns zuhause. Überall an den Strecken d.h., auf den Bahnhöfen, kommen dann die Händler angelaufen und wollten ihr Geschäft mit dem Landser machen. Um diese Jahreszeit spielt ja das Obst eine große Rolle und das beherrscht auch wirklich das Bild. Pflaumen, Trauben, Pfirsiche und Äpfel. Das wurde in großen Mengen angebracht. Mit Geschick hatten die Verkäufer große Tüten gemacht, in denen dann möglichst wenig eingepackt war. Ich hatte schon auf meiner ersten Reise herausbekommen, daß man gleich, wenn man zum Bahnhof hinausgeht, auch auf Händler trifft, die diese Sachen billiger anbieten. Auf diese Weise habe ich ziemlich Geld gespart und bin auch zu meinem Obst gekommen. Wie ich schon schrieb, die Landschaft selbst bietet nicht viel. Die Berge kahl, die Felder, soweit sie bebaut waren, zum großen Teil abgeerntet. Einmal fuhren wir durch Flachland, die Berge des Balkans verschwanden im Dunst . Ein andermal rückten sie wieder näher heran. Einzelne Eisenbahnbrücken, die über einige Täler führten, waren von Sicherungsposten bewacht. Das ist so alles. Denn wenn man dann so Tag für Tag im Abteil sitzt, ist man froh, wenn der Zug wieder einmal hält, damit man sich die Füße vertreten kann. Ab und zu schläft man ein bisschen, soweit man von Schlaf sprechen kann. Dann versucht man zu lesen und die übrige Zeit sieht man hinaus, denn der Unterhaltungsstoff ist bald erschöpft, wenn die Reisegesellschaft danach ist. Als wir Mazedonien erreichten, da kam dann wirklich ein Fluss in Sicht. Der Vardan, an den sich die Bahn hinzog. Eine Landstraße begleitete auf der anderen Seite die Bahnstrecke. Wie dann an einem Tunnel zu lesen war, wurde diese Landstraße auf Befehl Kaiser Wilhelms des Zweiten im Jahre 1916 erbaut. Wenn das die deutschen Soldaten  damals nicht gemacht hätten, dann würden eben noch die Saumpfade und die unausgebauten Wege benutzt. Auf den Landstraßen sieht man kaum jemand laufen. Alles bewegt sich auf Eseln reitend fort. die trotten gemächlich die Landstraße lang. Eilig hat es niemand, denn man hat ja Zeit. Mancher Esel ist durch das Stampfen oder Fauchen der Bahn erschreckt und fängt dann an zu galoppieren. Ab und zu fällt einer dieser Reiter dabei herunter, denn die Holzgestelle, die als Sattel dienen, sitzen nicht so fest. Sie werden durch die beiderseitige gleichmäßige Belastung gehalten. Die Dörfer sehen nun noch dürftiger aus wie in Serbien. Meist sind es aufeinandergeschichtete Steine, die man als Häuser ansprechen soll. Manchmal auch ungebrannte Ziegel. Lehm, der in der Sonne getrocknet wurde, diente dann als Baumaterial.  Gegen morgen erreichen wir dann Saloniki. Ich versuche, den Bahnhof aufzuspüren, kann ihn aber nicht finden. Das Gebäude, das nicht viel größer wie unser Petershauser Bahnhof ist, sehe ich nicht für voll an. Wie sich dann herausstellt, muß ich mich aber doch damit begnügen. Als es Tag wird, sehe ich mir die wenigen Häuser vor dem Bahnhof an, auch das Bild kann mich nicht trösten. Ich frage mich, ist das Griechenland, sind das die Nachkommen eines griechischen Zeitalters? Ich bin einigermaßen erschüttert.  Was hilft das alles, denn es ist doch zwecklos, deshalb lang dunkleren Gedanken nachzugehen. Wie aber schon der Bahnhof aussieht, so ist auch die ganze Eisenbahn. Die Gleisanlagen haben aber auch nichts mit einem modernen Verkehr zu tun. Die Waggons sehen recht mittelalterlich aus. Also alles in allem, es sieht dort aus wie bei uns lange vor dem ersten Weltkrieg. Um diese Zeit ist wahrscheinlich die ganze Anlage gebaut worden und seither wurde nichts mehr gemacht. Ich habe mir sagen lassen, daß die Stadt Saloniki am Hafen und am Kai besser aussehen soll, aber dieser Stadtteil soll nicht groß sein.
Wir fuhren dann gegen 9 Uhr von dort aus weiter. Nach kurzer Zeit sahen wir in der Ferne das Meer und bald fuhren wir in der unmittelbaren Nähe daran weiter. Große Strecken sind zwar versumpft, aber die Weite des Meeres und die frische Luft wirken nach den recht heißen Tagen sehr angenehm. Streckenweise kam es mir so vor, als wäre ich daheim und stünde so am Ufer des Sees. Im Hintergrund, leicht im Dunst angedeutet, die Berge, man konnte es für die Gegen am Pfänder halten. Vor sich die Weiter der Bucht von Saloniki. Nur die Fischerkähne, die zum Teil größer sind, fallen mit ihrer anderen Betakelung aus dem Rahmen wie auch die Ortschaften selbst, die durch ihre Bauweise nicht in das Bild unserer heimatlichen Bauart fallen. Mit der Zeit fängt die Bahn an zu steigen. Die Berge kommen näher heran. Unmittelbar aus der Ebene steigt sie empor. Der Olymp liegt an uns zur rechten. Er hat sein Haupt verhüllt. Vielleicht wollten sich auch die Götter, die dort oben wohnen sollen, nicht sehen lassen. Wieder tritt ein kleiner Fluss an die Bahn heran, nachdem wir eine kleinere Passhöhe hinter uns haben. Das Wasser ist verschmutzt und hat nichts mehr gemein mit dem herrlich klaren Wasser der Ägäis. Wilde Feigenbäume stehen ab und zu in der Landschaft. Einige alte Eichen findet man auch. Später trifft man dann auch die würzige Wermutkiefer eine Schwester unserer heimatlichen Kiefer. Sie muß mit der Zeder und den Zypressen früher das Nadelholz in dieser Gegend gewesen sein. In den Parkanlagen haben wir sie ja auch hin und wieder vertreten. Bei uns auf dem Schrank liegen übrigens einige Zapfen davon. Meinen Reisegenossen sage ich dann, das ist dies und das ist dies. Am Anfang sagen sie nur ja. Ich will mich bestimmt nicht damit groß tun. Aber erst später merke ich, daß das doch einen Eindruck hinterlassen hat, denn als wieder neue Sachen wie z.B. die Baumwolle  oder der abgeerntete Tabak auf den Feldern steht, dann sagen sie: “Herr Rosche, was ist denn das?“ Da fiel mir das erst auf. Die Leute wollten ihr mühsam bei den Italienern eingetauschtes Geld sparen und kaufen einige große Früchte, die am Bahnhof angeboten werden. Ich muß schon lachen. Aber ich denke, sollen sie es nur essen. Die fangen an zu schneiden und bekommen sie fast nicht auseinander. Es waren Quitten, aber noch einmal so groß wie unsere daheim. Ich denke, es kann ja sein, daß sie hier saftiger sind. Einer nach dem anderen kaut und kaut, sieht den anderen an, was der für ein Gesicht macht. Keiner will sich merken lassen, daß es doch eine sehr trockene Angelegenheit ist. Zuvorkommend werden die übrigen Früchte im Abteil feilgeboten. Jeder versucht einmal, aber kaum einer isst sein Teil ganz auf. Der Rest wandert zum Fenster hinaus. Später werden Granatäpfel angeboten. Ich kannte die Dinger von Frankreich her. Auch da wusste keiner so richtig, was das ist. Mit ihren knallroten Backen sehen sie sowieso sehr einladend aus. Wenn man tüchtigen Durst hat, dann beißt man in die Angelegenheit auch richtig hinein, wenn man die äußere Schale entfernt hat. Aber die Zwischenhäute , die schmecken noch etwas bitter. Ich habe sie mir fein säuberlich herausgepellt, die essbaren Teile. Die anderen haben sie samt und sonders mitgegessen. Trauben waren zuletzt soviel gekauft und getauscht worden, daß sie noch im Abteil liegen blieben. Ich habe mich damit tüchtig sattgegessen, denn ich sagte mir, warum soll ich sie umkommen lassen. Wieder fauchte unsere Lokomotive durch die Ebene und gegen Abend kamen wir an das Gebirge heran. Eine zweite Lok wurde uns zugeteilt. Diese Fahrt war dann ganz interessant. Ich kenne ja die Schwarzwaldstrecke, die gewiss sehr schwierig zu bauen war. Aber hier reiht sich Tunnel an Tunnel und Eisenbahnviadukte an Viadukte. Doch davon kann ich dann in einem der nächsten Schreiben noch kurz berichten.
Bleibt mir alle gesund und seid recht herzlich gegrüßt und geküsst von Deinem Ernst. 

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