Mittwoch, 31. Oktober 2018

Brief 476 vom 31.10. und 01.11.1943


Mein liebster Schatz !                                                                            31.10.43    
    
Auf Deinen Brief vom 19., der gestern noch einging, bin ich noch gar nicht eingegangen. Deine Sorge wegen des Briefes der Stadt an mich war völlig unberechtigt, denn der Originalbrief ging mir ja von Dir mit dem großen Schwung zu. Zu gleicher Zeit erhielt ich auch das Schreiben von meinem „früheren hohen Chef“. Dieser Ausdruck hat Dich wohl irritiert. Ich meinte damit nicht die Stadtverwaltung oder den Bürgermeister. Die Durchschläge hast Du ja inzwischen auch erhalten und ich denke, daß Dir auch damit alles klar geworden ist. Meiner Ansicht hatte ich Dir ja schon mitgeteilt, denn das ist doch wieder der gleiche Schlendrian, mit dem das andere vorher schon bearbeitet worden ist. Ich werde ja abwarten.
Das erste Päckchen, das ich von hier direkt abgesandt habe, ist nun auch eingetroffen. Das freut mich wieder sehr, denn das Fleisch und der Fisch sind doch Dinge, die wieder einmal ein Abendbrot abgeben werden. Für die anderen Sachen hast Du ja auch Verwendung, das hast Du mir schon vorher einmal mitgeteilt.
Ja, weil Du die ganze Sache vom Fuchsen noch einmal aufgreifst, so muß ich schon noch darauf eingehen, obwohl ich ja gern darum herumgekommen wäre. Jetzt wollte er nur kneifen, wirst du denken. Das ist ja auch ohne weiteres denkbar, wenn ich die Strafen alle bedenke, die mir schon dieses Fuchsen eingebracht haben. Ich dachte, ich spreche nicht mehr davon, dann schläft das ganz von selbst ein. Wie es scheint, muß ich doch zu tief hineingegriffen haben, denn das Gewitter, das sich da seit der letzten Zeit zusammengebraut hat, das möchte ich doch nicht über meinem Haupt niedergehen lassen.  Fürs erste will ich Dir einmal wieder Frieden anbieten. Ich kann aber heue noch nicht sagen, wie lange ich das durchführen kann. Denn es könnte sehr leicht passieren, daß ich in meine alte Leidenschaft verfalle und ich müsste dann mein Wort brechen.  Das wäre ja nicht auszudenken, was ich dann alles dafür hinnehmen müsste. Wollen wir einmal das Fuchsbeil begraben (bei den Indianern heißt es ja so romantisch Kriegsbeil). Ich sehe jedenfalls aus Deinen Äußerungen, daß Du mich so verstanden hast, wie ich es gemeint habe und das ist schließlich recht. Nur ärgern sollst Du Dich nicht darüber und das ist anscheinend nicht geschehen. Wenn ich aber in dieser Art weitermachen darf, dann kannst Du mir das ja sagen, dann werde ich mir keinen Zwang antun, oder ich will es dann jedenfalls versuchen, mit Maß zu treiben.  Auch wenn ich davon geschrieben habe, daß Du unscheinbar oder nicht ganz so unscheinbar vor den anderen mit Deinen Englischkenntnissen dastehst, so gehört das selbstverständlich auch mit in die Art, die Du vorher an mir so „gerügt“ hast. Aber wenn ich dich schon so herausgefordert habe, dann will ich mich selbst vor dem Tribunal nicht scheuen. Ich habe vor, unserer Helga in nächster Zeit etwas in Englisch zu schreiben. Es hat mir keine Ruhe gelassen, als Du vor kurzem schriebst, was für Sprachen ich schon kenne oder so ähnlich. Mir sind nun so verschiedene Dinge durch den Kopf gegangen. Es ist aber alles sehr verschüttet, was ich vor Jahren gelernt habe. Unterlagen habe ich auch keine hier. Aber für Helga ist es ja so, daß sie daraus vielleicht manches lernen kann, denn was sie nicht weiß, muß sie doch im Lexikon nachsehen. Was ich dann falsch geschrieben habe, kann sie ja selbst verbessern. Ich bin der Ansicht, daß ihr das nichts schaden kann. Du musst Ihr ja noch nichts davon sagen, lasse nur meinen Brief erst einmal ankommen. Heute und morgen werde ich noch nicht dazukommen, aber dann gleich. Daß Du beim Lernen gern mittun möchtest, das glaube ich gern, aber ich verstehe auch, daß Dich Deine eigentliche Arbeit zu sehr in Anspruch nimmt. _ Auf Deinen Brief vom 25., den ich heute erhielt, gehe ich morgen mit ein. Ich danke Dir vorerst herzlich dafür. Dein Vater schrieb von dem Luftangriff. Das klingt ja sehr beängstigend. Ich kann mir vorstellen, daß das nun gar so toll gewesen sein soll. In Leipzig ist noch nicht viel los gewesen, deshalb wird das dort doppelt und stark empfunden, wie in den Gebieten, wo schon soviel zerstört ist. Ich wünsche ihnen wirklich ihre Ruhe, aber wie oft haben wir es hier draußen schon rappeln hören und wir haben davon nichts weiter erwähnt, weil es hier schließlich dazu gehört. Allzu viel Aufhebens muß man davon nicht machen. Man muß eben froh sein, wenn für einem persönlich alles noch so vorbeigegangen ist.
Ich grüße Dich und die Kinder vielmals und bin mit vielen herzlichen Küssen Dein Ernst.

Mein liebstes Mädel !                                                                                        1.11.43     
       
Vor lauter Beantworten Deiner Briefe habe ich übersehen, daß ich gestern einen Besuch bei den Ruinen gemacht habe, die nicht noch nicht von der Nähe gesehen habe. Es war zum Teil sehr interessant, aber man sollte doch jemanden haben, der einem das erklärt. Ein Führer kann man sich nicht nehmen, das kann man mit seinen wenigen Drachmen nicht bezahlen. Man kann an den Grundmauern noch den ganzen Bau dieses Stadtteils erkennen. Viele Skulpturen sind zerstört und nur noch in kleinen Bruchstücken vorhanden.
Das muss schon ein schöner Anblick gewesen sein, wo das noch alles in Schuss war. In einem Amphitheater war ich, das sich unterhalb der Akropolis befindet. Dort waren noch sehr schöne Bildhauerarbeiten zu sehen. Interessant waren die in der ersten Reihe, viele die aus Marmor gehauen dastanden. An jedem war noch der Name dessen eingemeißelt, dem er früher gehörte. Alles ist vergangen, nur noch diese Kennzeichnung ist von diesen Menschen übrig geblieben. 2 ½ Tausend Jahre alte Münzen, die auf dem Ausgrabungsfeld gefunden wurden, hat man mir angeboten. Es ist schon etwas sonderbares darum, wenn man bedenkt, daß diese Zahlungsmittel nun heute keine Bedeutung mehr haben, während sie früher doch immerhin einen Wert besaßen. Direkt unter dem Felsen der Akropolis befindet sich interessanterweise eine Kapelle.  Es ist wohl so, daß man sie in einen kleinen Tempel hineingebaut hat, denn die verschiedenen Säulen, die dort noch stehen oder Bruchstücke lassen darauf schließen. Der Weg dorthin ist von wilden Kakteen überwuchert, deren Früchte jetzt gerade reifen und massenweise am Boden herumliegen. Das war meine Unterhaltung in meinem gestrigen dienstfreien Vormittag. Mir hat es immerhin Spaß gemacht. Schöner wäre es gewesen, wenn ich Dich dabei gehabt hätte. Man hätte doch darüber sprechen können, aber das ist nun leider nicht möglich. Heute lege ich Dir die Luftpostmarken mit bei, die wir für November und Dezember empfangen haben. Die für den laufenden vergangenen Monat habe ich auch noch erhalten, so daß es eine ganze Wucht ausmacht. Ich bitte Dich, aber nicht zu denken. daß Du mir nun die entsprechende Anzahl Päckchen gleich herschicken mußt. Ich brauche immer noch dringend Packmaterial. Die anderen beiden Päckchen, die Du damals mit diesen Sachen an mich abgesandt hattest, sind noch nicht eingetroffen. Bindfaden würde ich schon ziemlich dringend benötigen, wenn ich damit eines Tages nicht auf dem Trockenen sitzen soll. Ich habe hier wohl noch etwas, aber das will ich mir gern als stille Reserve aufheben. Morgen geht wahrscheinlich wieder ein Transport nach Deutschland, dem ich einige Kleinigkeiten mitgeben könnte. Du mußt nun nicht denken, ich will Dich wieder ankohlen. Diesmal ist es nur das Brot, das ich bei dieser günstigen Gelegenheit aus der Hand bekommen würde. Aber wenn ich es auf diese Weise an Dich absenden kann, dann brauche ich die uns sonst offenstehende Möglichkeit der üblichen Päckchen nicht in Anspruch nehmen.
Gerade habe ich einige Zeitungen bekommen. Ich werde deshalb einen Teil des Brotes zurückstellen und bei anderer passender Gelegenheit mitschicken. Das Päckchen bekommt die Nummer 8.
Schicke mir doch bitte bald einmal einige Pfropfen für Flaschen. Das Zeug ist hier richtig teuer. Für einen Stopfen muss ich 50 Pfennig bezahlen und für eine leere Flasche 1,50RM. Wenn man das Zeug aber braucht, dann bezahlt man es eben. Wenn es nicht um die Marken zu tun wäre, , dann könntest Du mir auch einige Flaschen zusenden. Aber ich will versuchen, mir so zu helfen. Ich hoffe nur, daß die anderen beiden Päckchen mit dem Packmaterial bald eintreffen, denn so langsam sitze ich auf dem Trockenen.
Gestern Abend hatte ich noch Gelegenheit, im Offiziersheim ein gutes Abendbrot zu bekommen. Das hat mir wieder einmal recht gut geschmeckt. Man muß seine Ansprüche gegenüber dem Osten hier schon ziemlich zurückschrauben, denn dort sind wir ja wirklich außerordentlich gut verpflegt worden. Aber man schlägt sich so durch, denn es gibt immer wieder eine Gelegenheit, wo man etwas bekommt. Einmal gehe ich ins Soldatenheim und ein anderes Mal ins Offizierheim. Wenn es auch nicht immer nach Geschmack ist, so füllt es doch den Magen wieder. Wenn es gar nichts gibt, dann muß man eben einen Cognac oder ein Bier trinken.
Nimm viele Grüße und recht herzliche Küsse entgegen und denke wie immer an Deinen Ernst.

Sonntag, 28. Oktober 2018

Brief 475 vom 29./30.10.1943


Mein herzlieber Schatz !                                                               29.10.43    
     
Mir ist es so, als gibt es nicht viel zu schreiben. Deinen letzten Brief vom 22. habe ich Dir auch schon beantwortet und weitere Post ist noch nicht eingegangen. Ich mache mir Gedanken, ob dann das Paket angekommen ist, denn es wäre ja jammerschade, wenn das nicht der Fall wäre. Für Euch würde das immerhin etwas bedeuten, wenn Ihr diese Sachen habt. Ich warte noch ein paar Tage und dann werde ich wohl dieser Sache einmal auf die Spur gehen.
Die letzten Fotos habe ich mir nun auch noch geholt. Ich bin ja nur auf dem einen Bild mit drauf, aber die anderen gehören ja mit dazu. So kahl wie das Gestein zu sehen ist, so ist die ganze Gegend. Der Strand ist dort auch sehr steinig. Ich stelle mir vor, daß es ganz nett sein könnte, wenn die Höhenzüge bewaldet wären. Aber das ist ja nicht unsere Aufgabe, diese herzurichten.
In einer Zeitung „Das Reich“ fand ich einen Artikel über Poltawa. Im großen und ganzen ist er nicht schlecht. Vor allem, was die geschichtlichen Dinge anbelangt. Was die neuere Zeit betrifft, so kann man verschiedentlich anderer Ansicht sein. Aber die Bilder sind noch bemerkenswert. Die große Säule habe ich oft gesehen, denn sie steht gewissermaßen im Zentrum der Stadt und beherrscht damit das Stadtbild. Der runde Platz mit seinen Gebäuden, die ebenfalls im Rund angeordnet waren, gab der Stadt ein besonderes Gepräge. Sowas hat man im Osten sonst nicht weiter gesehen und daher mutet das etwas westisch an. Ja ich muß noch daran denken, wie wir im letzten Winter dort hinkamen. Schwer durchfroren. Wir hatten uns dann bald eingerichtet. Es ließ sich dort leben. Es freut mich nun heute doppelt, daß wir damals die verschiedenen Sachen organisieren konnten. Das hat euch doch auch geholfen. Ja, und jetzt ist die Stadt ein Trümmerhaufen. Ich sprach mit einem Oberrat, der mir aus dem Osten bekannt war. Er hat die großen Gebäude mit angezündet, damit sie dem Russen nicht dienlich sein können. Das Theater und die anderen großen Gebäude sind alle vernichtet worden. Nach der Schilderung finden die Russen nichts besonderes vor. _ Mit einem anderen Rat will ich mich heute Abend treffen, damit wir uns noch einmal über die im Osten verbrachten Tage unterhalten können. Der kam gerade um die Zeit zu uns, als es im vergangenen Winter drunter und drüber ging. Wir haben dann so verschiedenes gemeinsam erlebt. Auch diesen Rückzug bis Poltawa. Er kam zwar einige Tage später wieder zu uns. Aber alles ist mir noch lebhaft in Erinnerung. Immerhin finde ich es sehr nett von diesem Mann, daß er sich mit mir zusammensetzt, denn er hat gewiss andere Gesellschaft. _ Heute geht nun dieser Brief mit dem von gestern an Dich ab. Wir sparen auf diese Weise einige Umschläge und ich glaube, daß Du die Post auch nicht eher und nicht später bekommst, wie wenn ich sie gesondert abschicke. Die von mir gesammelten Umschläge füge ich auch noch dazu. Da kannst Du Dir schon das Schreiben sparen. Bist ja sonst zwar auch nicht zu faul dazu. _ Das Fliegermachen aus Schreibheften hat unser Sohn nun auch heraus. Ich habe es früher auch einmal gekonnt, aber ich glaube nicht, daß ich es so ohne weiteres wieder fertig bringe.  Na, dafür haben  wir ja jetzt einen in der Familie, der sie fertigen kann.
Es hat also doch noch manches gegeben. Ich hätte es nicht gedacht, daß ich heute soviel zusammenbringen würde. Sei lieb und lasse Dich recht herzlich grüßen, mein liebes Mädel. Einen herzlichen Kuß für Dich und je einen für unsere beiden Borzels sendet Dir Dein Ernst. 

Mein liebstes Mädel !                                                                        30.10.43  
      
Das war mir genau nochmals das gleiche Vergnügen, als ich von Dir mit Deinem Brief vom 26.10. die Mitteilung vom Eintreffen meines Pakets erhielt, wie ich damals das Paket an Dich fertiggemacht hatte. Ich hatte das Zeug hier angesammelt und wusste erst nicht, wie ich es wegbringen sollte. Dann gab sich diese günstige Gelegenheit, da kannst Du Dir denken, daß ich sehr froh darum war. Dann habe ich alles zusammengepackt, was ich beieinander hatte. Ich war aber dann selbst etwas erschrocken, was es für ein Gewicht gegeben hat. Die anderen Kameraden gaben ja auch etwas mit; aber mein Paket war doch bei weitem das schwerste. Einer meinte, ob ich denn Blei mit beigepackt hätte. Nun schwebt man immer in Sorge, kommt es auch richtig an, oder passiert etwas damit. Bis man dann nicht die Gewissheit hat, macht man sich Gedanken und sagt sich, vielleicht wäre es doch besser gewesen, man hätte es einzeln verschickt. Aber wie gesagt, jetzt bin ich recht froh darüber, daß Ihr alles richtig erhalten habt. Wenn eines der anderen Päckchen unterwegs verloren ginge, dann müsste man sich schließlich damit abfinden, obwohl es ärgerlich wäre. Doch ich sage mir, das könnte man immerhin noch verschmerzen. Jedenfalls sehe ich, daß diese Sendung auch Euren vollen Beifall gefunden hat, und das soll ja auch so sein. Eines musst Du aber beachten. Es kann sein, daß in den Rosinen Maden drin sind. Du mußt sie ab und zu einmal durchsehen, damit es nicht mehr werden. Mit den Feigen hat sich unser Jörg also zusammengedichtet, daß ich für jeden einen Kranz gekauft hätte. Ist auch nicht schlecht. Aber es klappte gerade so mit dem Gewicht, doch das ist ja kein Grund, seine Träume zu zerstören. Für die übrigen Sachen hast Du also auch Deine Verwendung . Wenn Du das Pulver ausprobiert hast, dann kannst Du mir ja Deine Erfahrungen mitteilen. Ich denke, daß es sich wohl auch ganz gut für eine Kaltschale anwenden läßt. Etwas von diesem Mehl und dann einige Rosinen, das ist sehr schmackhaft und wenn Du das vor dem Essen gibst, so werden das die Kinder bestimmt nicht verachten. Wegen des Geldes, das ich dafür habe aufwenden müssen, musst Du Dir keine Gedanken machen. Es macht ja schon viel aus, daß ich nicht rauche. Für die Tabakwaren brauche ich deshalb kein Geld anzuwenden, was bei den meisten der anderen Kameraden der Fall ist. Ich hatte mir von Serbien auch noch einiges Geld gespart, das ich mit dafür verwendet habe.  Jetzt werde ich zwar nicht mehr solche Käufe machen können, zumal ja auch die Preise heute höher sind als zu der Zeit, als ich das alles eingekauft hatte. Es besteht zwar die Absicht, die Preise allgemeine zu senken, aber bis jetzt ist noch kein sichtbarer Erfolg erzielt. worden. Es hat auch nichts weiter genützt, daß man die zwei Wucherer aufgehängt hat, die Waren werden zu den gleichen Preisen angeboten und ein Teil wird trotz allem noch zurückgehalten. Die Hauptleidtragenden sind ja die Griechen selbst, wenngleich es uns als kleine Geldempfänger auch lieber wäre, wenn wir etwas mehr für unser Geld erhalten würden. Wie dem auch sei, ich werde mich durchschlagen.
Für den lieben Veilchengruß  aus dem Garten danke ich vielmals. Sie dufteten noch ganz schön. Diese Veilchen blühen doch fast das ganze Jahr. Wie hieß es doch einmal. Irgendeiner unserer großen Dichter schrieb einmal davon, daß sie ein süßes Unkraut seien. Das kann man wohl auch sagen, denn sie sind sehr anspruchslos und sind schon die ersten Blumen um Jahre. Sie blühen das ganze Jahr über und halten fast bis zuletzt mit aus.
Unser „so braver Jörg“ war also wieder einmal ein Zornikel, als er auf der Sparkasse nicht das erhielt, was er sich gedacht hatte. Das ist ja weniger schön, wenn er sich nicht soweit beherrschen kann, daß er es anderen Leuten zeigt, wie er sich darüber geärgert hat. Ich kann mir sein Gesicht vorstellen, als Du dann noch etwas anderes brachtest.
Inzwischen hast Du wohl nun Deine Kartoffeln bekommen. Dann könnte der Winter kommen, denn somit hättest Du dann ziemlich alles, was zu erhalten und heraus zuholen war. Lasse mich heute wieder schließen mit recht schönen Grüßen für Euch alle, auch an Vater. Einen herzlichen Kuß bekommst Du noch von Deinem Ernst.


Samstag, 27. Oktober 2018

Brief 474 vom 27./28.10.1943


Meine liebe Annie !                                                                             27.10.43              
Von Deinem Vater trafen vorhin wieder zwei Sendungen mit Zeitungen ein. Sonst kam für mich keine Post weiter. Ich kann ja schließlich nicht jeden Tag etwas verlangen. Mit geht es meist auch so wie Dir, daß ich an einem Tage mehrere Briefe erhalte. Es freut mich zu hören, daß unser Junge wieder auf dem Posten ist. Solche Erkältungserscheinungen treten um diese Jahreszeit immer wieder auf. Wenn sich nichts Ernsteres daraus entwickelt, dann wollen wir doch schon zufrieden sein. Mein Durchmarsch hatte sich ja nach geraumer Zeit gelegt, aber bald spürte ich im Körper, daß die Erkältung noch nicht heraus war. Eine Art rheumatischer Schmerzen, die ich nun schon seit 3 Jahren um diese Zeit beobachte, hatten sich eingestellt. Das meiste ist wohl auch da überstanden. Früher dachte ich, daß es die Nieren sind, aber ich glaube, daß das wohl weniger der Fall ist, denn das ganze Jahr über habe ich keine Beschwerden. Das Wetter ist sehr wechselhaft, und man weiß tatsächlich nicht, wie man sich anziehen soll. Heute habe ich die kurzen Hosen hervorgeholt, denn gestern und heute ist es so, daß man sie ohne weiteres gut vertragen kann. Aber wie lange wird das so anhalten? Wenn man diese klimatischen Verhältnisse nicht so gewohnt ist, dann braucht es schon eine Zeit, bis man sich darauf eingestellt hat. Bis das der Fall ist, wird es sicher eine Veränderung geben, denn das habe ich immer so erfahren. Wenn ich so bedenke, da gibt es Leute, die sitzen nun schon seit Jahren in Frankreich und wissen nicht, wie gut es ihnen geht. Siehst Du, das ist die Kehrseite dieses Herumvagabundierens. Es ist ganz schön, wenn man so herumkommt, aber andererseits hätte man auch gern einmal wieder seine Ordnung. Dies kommt vielleicht erst wieder einmal im Frieden; oder tritt es überhaupt sein? Ja, ich muß Dir schon sagen, man fühlt sich manchmal recht einsam, wenn man so niemanden hat, mit dem man einmal über etwas sprechen kann. Deine Briefe sind mir dann immer eine Erholung. Genauso wie es mich immer freut, wenn ich an Dich schreiben kann.. Ich will aber immer noch froh sein, wenn ich meine Glieder gesund habe. Einmal aufkommende Stimmung kann man ja, soweit man sonst noch alles beieinander hat, wieder überwinden. _ Dieser Unglücksfall mit dem Mann an der Starkstromleitung hat Euch sicherlich tüchtig erschreckt. Für die Familie ist es auch ein Schlag, wenn der Ernährer weggefallen ist. Da sieht man, wie schnell einem etwas zustoßen kann.
Über die Äpfel hatte ich ja schon geschrieben. Sage einmal, hast Du für alle 35,-RM bezahlt oder nur für Deinen Teil? Wie ich schon einmal schrieb, habt Ihr jetzt doch ganz schön frisches und getrocknetes Obst für diesen Winter, das ist auch etwas wert. Bedauerlich ist nur, daß Ihr bei dem sonst so großen Verbrauch an Kartoffeln für diesen Winter so wenig zugeteilt erhaltet. Ich kann Dir aber sagen, daß ich schon fleißig überzähliges Brot getrocknet habe. Das kannst Du dann sicher im Laufe des Winters ganz gut mit verwenden. Heute habe ich ja schon die angekündigten 4 Päckchen abgeschickt, die Euch etwas Brot und die Mandeln enthalten. Damit habe ich für diesen Monat so ziemlich mein Kontingent ausgenutzt, oder meinst Du nicht? Dann laufen jetzt die Nummern 7b, dagegen ist die Nummer 6 noch bei mir und geht auch bald ab.
Ich lasse Dir wieder einen Teil Deiner Briefe mit zurückgehen, die Du dann wieder mit aufheben kannst. Mit der Zeit sammelt sich doch allerhand an, was dann schon eine Belastung auf die Dauer gesehen bedeutet. In den mir zugesandten Zeitungen fand ich im J.B. ein Bild aus dem Bad, in dem ich mich die ganze Zeit hier aufgehalten habe. Man sieht dabei im Mittelgrund den Zeustempel und dann im Hintergrund die Akropolis. Die Leiter, die man im Vordergrund sieht, die bin ich schon manches Mal herausgestiegen. Ich denke, daß Dich das interessieren wird.  Darum sende ich es Dir heute auch mit. Vor allem kannst Du auch den ganzen Blick wahrnehmen, der sich einem im Bad dort bietet. Ich hatte doch wohl schon einmal davon geschrieben. Ich finde, die Zypressen machen sich ganz gut in diesem Rahmen.
Recht herzlich grüße ich Dich, mein Schatz und herzliche Küsse füge ich noch bei. Dein Ernst.


Meine liebste Annie !                                                                      28.10.43  
   
Das ist heute wieder einmal eine tolle Mittagszeit. Gehe ich da vom Mittagessen nach hause. Erst sehe ich eine Straße abgesperrt und ein Posten mit einem schussbereiten Gewehr. Ich denke nichts weiter und kommen bis zur nächsten Straße, dort ist das gleiche Bild. Wie ich dort so zusehe, kommt schon ein Kamerad auf mich zu und bittet mich um Unterstützung, weil ich eine Pistole bei mir trage. Ich komme in ein großes Bankgebäude hinein und sehe, wie etwa 400 Mann in der großen Halle versammelt sind und alle die Hände hoch haben. Wir waren etwa 3 Mann und standen nun mit unserer schussbereiten Waffe. Es zeigte sich aber, daß das nur ein Teil der gesamten Belegschaft der Staatsbank war. Als noch einige andere Kameraden hinzu kamen, haben wir das Gebäude weiter durchsucht und fanden dann in den verschiedenen Stockwerken noch allerhand Männer und Frauen. Was hatte sich dort ergeben.  Über die Mittagszeit war in der großen Halle eine kommunistische Versammlung abgehalten worden. Aus Anlass des Jahrestags des Kriegseintritts von Griechenland mit Italien. Ich kann Dir sagen, das war ein ziemlicher Rummel, auch das Gefühl war sehr eigenartig, wenn man so unvermutet in eine solche Sache hineingezogen wird. Aber schließlich muß man ja mitmachen, wenn eine Notwendigkeit vorliegt. Wir haben dann Stockwerk um Stockwerk gesäubert. Widerstand hat es nicht mehr groß gegeben, nachdem drei Personen , die nicht gleich den Anordnungen Folge leisteten, angeschossen wurden. Als wir dann einige Male blind abgeschossen hatten, ging dann die Sache auch viel schneller, denn es war immerhin keine Kleinigkeit, wir paar Mann gegenüber etwa 6 bis 700 Personen. Bis ich dann wegging, waren die Urheber noch nicht gefasst. Ich denke aber, daß man mit ihnen kurzen Prozess machen wird, wenn man sie noch herausfindet. Interessant war, daß in den Kellern große Mengen Lebensmittel lagerten. Da gab es Seife und käse, Zucker und Öl. Überall mangelt es und dort liegt das Zeug in Mengen. Stoffe waren auch aufgespeichert. Das war wieder einmal ein Erlebnis.  Der Gesellschaft habe ich es zu verdanken, daß ich um meine Mittagspause gekommen bin.
Ich kann von mit schon sagen, daß ich in dieser Woche recht vergnügungssüchtig war. Am Sonntag im Theater. Am Montag, Dienstag und Mittwoch im Kino. Das ist doch reichlich. Die Programme habe ich nun alle durchgepaukt. Heute will ich etwas daheim lesen und morgen werde ich wahrscheinlich mit einem Verwaltungsrat, den ich aus dem Osten kenne, zusammensein. Dann hätte ich diese Woche wieder so ziemlich herumgebracht. Du willst sicher noch wissen, was ich alle gesehen habe. Die Filme hießen nacheinander: „Der 7. Junge“, Karneval der Liebe“ und „Lache Bajazzo“. Der erst und der letzte Film haben mir ganz nett gefallen. Der andere war nicht besonders wichtig. Der letzte Film lehnt sich an die Oper der „Bajazzo“ an. Er wirkt zwar nach meinem Dafürhalten etwas zerschnitten, aber man kann ihn gut ansehen.
Dein lieber Brief vom 22. kam heute an und ich danke Dir recht dafür. Ja, die Opiumtinktur hat ziemlich gewirkt. Ich habe mir sagen lassen, daß man normalerweise 10 Tropfen bekommt. Ein Esslöffel voll ist dann schon etwas mehr. Ich hatte mich ziemlich unglücklich gefühlt. Ich wusste nicht, sollte ich wachen oder sollte ich schlafen. Das ist ja nun auch alles wieder überstanden. Ich hoffe, daß ich mich nun doch wieder langsam an das veränderte Klima gewöhnt habe. Es sieht zwar noch immer nicht nach Herbst und Winter aus.  Die Bäume verlieren nur zum Teil ihre Blätter und eigenartigerweise fangen die Palmen an zu blühen. Aber das ist nun einmal so, daß diese Bäume sich nach dem Wetter richten müssen. Jetzt in der Regenzeit können sie ja erst ihre Früchte reifen und vor allem erst wachsen lassen.
Deine Mitteilung. daß Du schon 4 Pfund Brot getrocknet da hast, ist mir erfreulich, denn das ist doch ein kleiner Rückhalt. Ich habe hier, wie ich schon schrieb, schon einiges angesammelt. Das geht Dir dann demnächst mit zu. Das schon angekündigte Päckchen Nr. 6 habe ich heute abgeschickt. Es enthält wieder einmal Rosinen. Ich sehe es schon kommen, daß Du mich eines Tages bittest, davon abzusehen, Dir weiterhin Rosinen zuzusenden, weil Du nicht mehr weißt, wohin damit. Mir soll es aber erst gleich sein.
Ich schließe hiermit für heute ab. Es war immer hin, wie ich schon oben schrieb, sehr ereingisreich.                (Unterschrift fehlt  )

Mittwoch, 24. Oktober 2018

Brief 473 vom 25./26.10.1943


Mein liebstes Mädel !                                                                        25.10.43  
         
Zwei Monate sind nun schon wieder vergangen, seit ich meinen letzten Urlaub beendet hatte. Ich sehe noch allesamt auf dem Schiff sitzen. Es wurde ziemlich windig, aber schließlich haben wir es doch noch bis nach Lindau auf dem Deck ausgehalten. Es war eben einmal anders als sonst auf dem Bahnhof in Konstanz.  Auch für die Kinder war es noch eine schöne Überfahrt. Ich sehe noch unser Mädel von der Schule vorzeitig auf unseren Anruf hin nach hause kommen. Wie hatte sie sich gefreut, daß sie noch essen konnte und ihr Schulzeug nicht tragen musste. Das ist nun schon wieder alles zwei Monate her. Wir sagten uns, auch bis nach Belgrad ist es nicht gar so weit. Das Schicksal hat es aber anders gewollt. Aber solange es noch so geht, dann wollen wir immer noch zufrieden sein. Man muß sich immer mit dem Gedanken trösten, es könnte noch schlimmer sein. Aber Trost ist zwar manchmal billig, aber es ist wenigstens einer.
Ganz Athen ist heute auf den Beinen. Zwei Großhändler, die vorsätzlich Waren zurückgehalten haben und sie dann zu einem sehr überhöhten Preis nach einer Weile abgegeben haben, sind aufgehängt worden. Ich selbst habe mir das nicht angesehen, aber das muß in unmittelbarer Nähe meines Hotels sein, denn dort war ein recht großer Menschenauflauf. Wie man so hört, nimmt die Bevölkerung diese Maßnahme ruhig, man kann sogar sagen, mit einer Befriedigung auf. Die beschlagnahmten Waren werden nun zu verbilligten Preisen an die Einwohner abgegeben.
Auch heute ging keine Post von Dir ein. Eine Drucksache von der SA und ein Durchschlag eines Briefes Deines Vaters an Dich ging ein. Man sieht doch, das etwas geschieht.  Sonst würde man denken, die Post hat ihren Betrieb eingestellt.
Auf einige von mir unbeantwortete Sachen will ich heute bei dieser Gelegenheit noch zurückkommen. Dein Bedarf an weiteren Sämereien habe ich mir vorgemerkt. Soweit ich ihn erfüllen kann, werde ich das gern tun. Es ist ja schöner, wenn man frei verfügen kann über das, was man selbst braucht. Blumenkohl oder ähnliche Sachen werde ich dabei auch mit berück sichtigen. Sobald ich etwas bekomme, schicke ich es Dir.  Deine Ansicht darüber, welche Sprachen ich schon verstehe, ist wohl etwas leicht zuviel gesagt. Ich habe schon ein Teil Sprache gehört, aber wenn ich einmal so einen Brocken aufgeschnappt habe, dann heißt das doch noch lange nicht, daß ich die Sprache verstehe. Einzig von französisch und zur Not etwas von englisch verstehe ich etwas. Das letzte ist schon so in Vergessenheit geraten, daß ich mir auch schon nicht mehr zu sagen wage, daß ich es verstehe. Mit der hiesigen Sprache werde ich mich wohl recht wenig befassen.  Zwar etwas wirkt immer sehr auf mich, und das war schon im Osten so. Die Buchstaben sind doch im Russischen anderes wie bei uns. Dort habe ich es immerhin soweit gebracht, daß ich etwas lesen konnte, wenn ich es auch nicht verstand, was es heißt. Aber so ziemlich brachte ich das immer zusammen. Hierher gekommen, freute ich mich, daß ich mich im Osten so befleißigt hatte, denn die Schriftzeichen sehen fast ähnlich aus, aber zu meiner Enttäuschung muß ich feststellen, daß das nicht der Fall ist. Nun habe ich wieder angefangen mit dem Lernen. Die vielen Geschäftsaufschriften und die Reklame bietet mir auf meinem Weg reichlich Gelegenheit. Das kommt mir an mir schon direkt krankhaft vor, wenn ich an jeder Aufschrift herumbuchstabiere. Aber bis auf einige Buchstaben habe ich es heraus. Kannst Du Dir darunter etwas vorstellen, wenn Du etwas folgendes liest?  griechische Buchstaben  Das sieht erst sehr geheimnisvoll aus, heißt aber weiter nichts wie Philipps Radio. eines freut mich aber, daß Du nun auch wieder Deine englischen Kenntnisse auskramst und mit Helga lernen kannst. Für sie ist es bestimmt eine Hilfe, denn uns hat doch kein Mensch daheim in dieser Beziehung helfen können. Daß aber Helga ihre erste fremdsprachliche Arbeit so gut geschrieben hat, ist sehr erfreulich und Du kannst mir glauben, daß das schon sehr mit darauf zurückzuführen ist, daß Du ihr in mancher Beziehung behilflich sein kannst. Das hättest Du Dir früher auch nicht träumen lassen, daß Du Deine Kenntnisse auf diese Art nützlich verwerten kannst.  Ja, die Quallen sind eine gallertartige Masse. Mir sind sie also nicht sehr sympathisch. Daß Du mir aber schreibst, daß Du staunen musst, daß ich vom Sprungbrett springe, das verletzt ja bald meinen männlichen Stolz. Das ist ja eine Selbstverständlichkeit daß man so was macht. Also bitte nicht mehr staunen. Aufhören damit! Bitte nur noch als Selbstverständlichkeit werten. Jetzt wirst Du denken, bei dem hat es geschnappt. Ich glaube es auch bald. Ich würde gern auch einmal hier im Stadionbad vom großen Turm springen, aber ich habe es nicht gern, wenn man mir die ersten Male dabei zusieht. Auch sonst würde ich ganz gern etwas üben. Aber dazu muß ich mich erst noch überwinden. Wenn ich es zwar von den Kindern verlangen würde, dann würde ich es ohne weiteres gleich vormachen. Aber so liegt ja kein eigentlicher Anlass dazu vor.
Ein Artikel, den ich in der Zeitung fand, und der mir ganz gut gefallen hat, schließe ich mit bei. Vielleicht hast Du auch Deinen Spaß daran.  Herzliche Grüße und viele, viele Küsse fügt für Dich und die Kinder wieder bei Dein Ernst.

Mein liebstes Mädel !                                                                          26.10.43 
         
Die Post ist heute noch nicht angekommen, aber ich fange schon gleich jetzt an zu schreiben, weil es gerade mit der Zeit ganz gut klappt. Es sind ja noch so verschiedene Sachen aus Deinen letzten Briefen zu beantworten, über die ich mich gleich einmal hermachen will. _ Unser Sohn hält sich ja wohl schon gern bei den Erwachsenen auf. Erst schreibst Du mir schon einmal, daß er sich mit den Grenzern unterhalten hatte und daß sie durch das Fernglas sehen durften. Jetzt ist ihm das Arbeiten mir dem Kies eine schöne Tätigkeit gewesen. Ja  in der Hinsicht haben es die Kinder noch schön, sie können solche Beschäftigungen abbrechen, wenn sie nicht mehr wollen. Aber sie tun es ja nicht allein um der Arbeit willen, sondern weil sie es als eine Spielerei betrachten. Daß sie sich gern dabei der Gepflogenheiten der Erwachsenen bedienen dürfen, das ist ja ein besonderes Vergnügen. Ich hätte ihn sehen mögen, unseren Schlawiner, wie er so wichtig „Guten Abend“ gesagt hat, als er nach seiner Feststellung genau wusste, daß Feierabend sei.  Deine Mitteilung über die Anmerkung in dem Buch von dem Ralf Ross hat mich schon interessiert. Ich habe das nicht gewußt, was Du mir da schreibst. Das ist doch sehr typisch, wie mancher so ums Leben kommt.
Du schreibst, daß Du bei den vielen „Hinfallen“ unserer Kinder einen großen Bedarf an Heftpflaster hast. Das kann ich mir vorstellen, wenn unser Junge immer so beschädigt ankommt. Sage einmal, hatte Dein Vater nicht immer solche Sachen?  Du kannst ja vielleicht einmal an ihn schreiben. Er ist ja mit dem Äußern seiner Wünsche auch nicht so, und ich denke, daß er das ganz gerne tun würde, wenn er das da hätte. Was macht denn der Fuß von unserer Helga. Hat sich die Verstauchung wieder gegeben? Das Fahrrad war ihr ja nach Deiner Mitteilung eine große Hilfe.  So hat sie doch ohne große Beschwerden die Schule besuchen können. Als der eine Fliegerangriff bei Euch in der Nähe war und wo es so gewummert hat, war das in Singen? Du mußt ja nicht den ganzen Ort schreiben, wenn Du den Anfangsbuchstaben mitteilst, dann weiß ich es schon
Wenn Du an Vater einige Rosinen abgeben willst, dann bin ich schon damit einverstanden. Ich denke, daß Du schon auf Deine Rechnung bis jetzt gekommen bist. Er backt sich ja ab und zu einen Kuchen und dazu kann er sie ja ganz gut verwenden.
Was meinst Du denn da für neue dicke Filzschuhe? Die Stiefel etwa? Das glaube ich, daß die warm halten. Ich bin froh, daß ich die besorgt habe und sie für Dich nun eine solche praktische Verwendung finden. Ich könnte sie hier ja doch nicht gebrauchen. Das wird Dich sicher auch interessieren. Da lese ich in einer der Zeitungen, die Dein Vater mir zugehen ließ, daß die Frau Kloße von der Bäckerei in der Elisabethstraße gestorben ist. Ich sehe mich heute noch, wie ich als kleiner Bengel dort Brötchen geholt habe. Später haben wir dort nicht mehr gekauft, doch dann sind wir doch lange Zeit samstags zusammen dort hingegangen und haben dort Brötchen geholt.
Heute war ich einmal ziemlich aktiv. An Deinen Vater habe ich einen Brief geschrieben und auch an meine Kameraden Thomas und Wittenburg. Dem Marinesturm habe ich auch gleich auf die beiliegenden Zeilen geantwortet. Ich glaube, daß ich nun mehr auf dem Laufenden bin. An die Kinder will ich zwar auch wieder schreiben, doch das gibt sich in den nächsten Tagen. Nachdem ich am Vormittag Deinen Brief vom 20. erhielt, bekam ich jetzt noch den vom 18. zugestellt. Ich freue mich und bedanke mich sehr dafür. Der Äpfelkauf ist nun getätigt. Das ist ja schön, daß Ihr jetzt noch etwas frisches Obst für den Winter habt. In dieser Hinsicht seid Ihr diesmal wohl nicht schlecht gestellt, denn von Deinem Geschäft hast Du ja auch noch eine Zuteilung erhalten. Das Heranholen ist keine leichte Arbeit, das weiß ich, denn ich kenne das noch von früher her, wenn ich mit meinem Vater auf das Land gegangen bin, um etwas heranzuholen. Eines hatte mich dann immer gefuchst, wenn wir dann nach hause kamen und mein Vater sagte, daß das eine Plackerei sei, dann meinte Nannie immer: „Ach, andere Leute müssen das auch machen, wenn sie etwas essen wollen.“ Das war alles schön und recht, aber dafür hatte sie nie ein Wort der Anerkennung. Für die Kinder war es sicher etwas Neues, wenn sie mitgehen konnten. Daß sie mit auf dem Wagen fahren konnte, das wird ihnen sicher auch gefallen haben. Daß Vater wieder den alten Kampf mit der Zeit führte, das gehört ja eigentlich dazu. Ich kann mir denken, daß Du wie auf Kohlen  gesessen hast, als er erst wieder auf die letzte Minute ankam. Das Verhandeln mit den Leuten, das ist kein Geschäft für dich. Meinem Vater liegt das schon eher.  das weiß ich noch von früher her. Ich kann mir vorstellen, wie Dir das peinlich war, aber man muss sich eben sagen, daß einem das Hemd näher sitzt wie der Rock. Müde sollt Ihr tüchtig gewesen sein, denn das seid Ihr doch nicht gewohnt. Dein Vorschlag, die Post aller zwei Tage abzusenden, wird von mir angenommen, wenn es so ist, wie Du schreibst. Diesen Brief sende ich erst nochmals so ab. Ich kann auf diese Weise auch noch Umschläge sparen, denn die werden etwas knapp. Ich fange auch schon an, die Umschläge zu sammeln, die Du mir zugehen lässt. Einmal kannst Du sie gewiss noch verwenden. Es ist ja schade, wenn man sie gleich wegwirft.  Lasse Dich recht herzlich grüßen und einen festen Kuß füge ich noch hinzu. Dein Ernst.

Brief 472 vom 23./24.10.1943


Meine liebste Annie !                                                                            23.10.43 
         
Recht wechselhaft ist das Wetter jetzt hier. Heute ist es zwar windig, aber die Sonne scheint so verlockend, daß ich zum Baden gegangen war. Es hat mir wieder ganz gut gefallen, aber in Zukunft muß ich mir schon etwas mitnehmen, damit ich mich abtrocknen kann. Das An der Luft und in der Sonne trocknen lassen ist jetzt doch nicht mehr so angebracht. Das Wasser hat immer noch eine Temperatur von 16 Grad, so daß man noch ganz gut das Im Freien Baden vertragen kann. Spärlich und unregelmäßig geht jetzt die Post ein. Gestern erhielt ich wohl einen Brief von Dir, aber heute kam schon wieder nichts, obwohl heute ein Hauptposttag war. Das ist doch sehr unterschiedlich. Aber ich will mich mit dem zufrieden geben, was ich sonst erhalte. Von Deinem Vater kam wieder ein Heft, das war alles.
Heute möchte ich noch den Rest der großen Post durchgehen und sehen, was noch zu beantworten ist. Ich habe mich gefreut, daß es trotz der für das Wachstum der Kartoffeln schlechten Witterung immerhin noch soviel gegeben hat. Die Ernte wäre bestimmt nicht schlecht gewesen, wenn es mehr geregnet hätte, denn ich weiß noch , wie viel kleine unentwickelte Kartoffeln an den Stauden waren. Man kann aber gerade in der Gartenwirtschaft nicht alles nach Wunsch haben und muß sich eben nach der Witterung richten. Daß Dich unser Junge immer wieder mit bei den Arbeiten im Garten unterstützt, freut mich immer wieder. Wenn er Dir auch nicht die schweren Arbeiten so abnehmen kann, so sind es doch manche Sachen, die er Dir abnehmen kann. Wenn er schließlich auch nicht alles gleich ohne Aufforderung macht, so gibt es doch manche Dinge, die ihm selbst Freude bereiten. Er ist ja noch ein Kind und Kinder sind nun einmal mehr zum Spielen geneigt. Wenn Du das Stück, aus dem Du die Kartoffeln gegraben hast, gleich richtig umgegraben hast, dann wirst Du dann nicht so viel Arbeit damit haben, wenn Du den Garten für den Winter vorbereitest. Hier hat man gar nicht so das Gefühl, daß es jetzt auf den Winter zugeht. Es ist doch immer noch eine ausgeglichene Temperatur und erinnert an die Tage, wie wir sie Anfang September bei uns haben.  Wie Du schreibst, hast Du also wirklich Verwendung für das getrocknete Brot. Ich habe mir ja ein System geschaffen, denn wir bekommen das Brot sehr frisch, so daß man dann Obacht geben muss, daß es nicht schimmlig wird. Ich schneide von meinem Brot, das ich ja nie ganz selbst verbrauche, immer genügend Schnitten im Anfang ab, dann esse ich während der laufenden Zuteilungszeit davon, und wenn dann noch etwas übrig bleibt, so wird der Rest auch noch aufgeschnitten. Am besten ist es, wenn ich die Schnitten dünn mache, dann geht es besser. Dann schichte ich mir, wenn ich daheim bin, immer eine Art kleine Türme, damit die Luft richtig daran kommt. Es braucht aber doch immer eine ziemliche Zeit, und ich muß es manchmal auseinander und zusammenpacken. Es macht mir aber immer wieder Freude, wenn es einige Schnitten sind, die dann getrocknet sind. Wenn Du das sowieso aufsparst, dann kannst Du schon noch einen schönen Teil zusammenbekommen bis zum Winter. Damit kannst Du, wie Du mir mitteilst, Deine Kartoffeln strecken, wenn Du nicht genügend für die ganze Zeit erhalten solltest. Ich glaube, ich schrieb schon einmal davon, daß Du in diese Suppe sicherlich ganz gut Rosinen hinein tun kannst, dann wird sie auch ganz schmackhaft sein. Aber im allgemeinen bedarf es solcher Vorschläge von meiner Seite nicht weiter, weil Du Dir selbst gut zu helfen weißt. Ich habe wieder ein Paket  fertig, das sende ich in den nächsten Tagen mit ab. Es stapelt sich so manches während der Zeit auf, das man dann gern aus den Händen hat. Es will einem nichts weiter erscheinen, denn Brot ist zwar kein wertloser Artikel, aber ich denke, wenn ich das gleiche Quantum Butter bekäme, dann wäre das entschieden besser. Olivenöl gibt es hier ja auch, aber bei den Preisen kann man sich das wirklich nicht leisten. Du hast wohl auch noch etwas da von dem, das ich noch im Osten besorgt hatte.
Die Briefmarken, die ich aus Serbien mitsandte, kannst Du vorläufig noch auf den Umschlägen lassen, wir können sie ja später immer noch abweichen. Das ist ja nicht so eilig.
Das ist ja allerhand, was sich da unsere Tochter erlaubt. Fängt sie sogar während  der Stunde an zu singen. Man sollte es doch nicht für möglich halten. Ich muß Dir schon sagen, das  habe ich nur mit einem Schmunzeln gelesen. Sie ist doch ein Lauser. Es entspricht aber ganz und gar ihrer Unbekümmertheit. Wenn sie also weiter nichts anstellt, dann wollen wir diese kleine Sache gern hinnehmen. Wie kommt denn unser Sohn mit seinem neuen Lehrer aus? Das hat doch für die Jungens sicher etwas zu sagen, wenn dieser Mann Major war. Denn die Jungens können sich doch gerade in diesem Alter für militärische Dinge sehr begeistern.
Dann will ich für heute wieder einmal Schluss machen und Euch recht herzlich grüßen und fest küssen. In liebem Ge denken bin ich Dein Ernst.

Mein liebster Schatz !                                                                             24.10.43 
              
Ich erhielt heute zwar nicht die erwartete Briefpost von Dir, aber Dein liebes Päckchen , das Du am 11.9. an mich abgesandt hattest. Ich habe mich mächtig darüber gefreut. Zu meiner Verwunderung tauchte mein Taschentuch dabei wieder auf und es fiel mir ein, daß ich es ja Helga auf der Überfahrt nach Lindau für die Haare gegeben hatte. Ich habe schon immer meine beiden blauen Taschentücher vermisst.  Eins ist also wieder da. Vielleicht taucht das andere auch wieder einmal auf. Es kann ja auch noch in meinen Kleider stecken, die ich daraufhin nochmals durchsuchen müsste. Das Gebäck ist wieder recht heimatlich im Geschmack und immer noch sehr frisch. Obwohl es doch eine ziemliche Reise mitgemacht hat, denn es war ja inzwischen bei zwei Einheiten vorher gelandet, war alles noch in bester Ordnung. Die Verpackung war ja auch einwandfrei. Soviel ich jetzt übersehen kann, sind noch zwei Päckchen mit Verpackungsmaterial unterwegs. Ich denke aber, daß sie auch noch in der nächsten Zeit eintrudeln werden. Von mir will ich noch berichten, daß ich in der letzten Woche wieder zweimal im Kino gewesen bin. Einen Film hatte ich vor Jahren schon einmal in Frankreich gesehen. Er hieß „Jenny und der Herr im Frack“. Er ist etwas  ?  angehaucht. Schließlich habe ich ihn mir nochmals angesehen, als ich schon drinsaß. Ich merke das meist erst dann, wenn der Film anläuft, denn an den Titeln kann ich mir meist nichts mehr vorstellen. Der andere Film war nicht schlecht, bis auf den billigen Schluß.  der so gar nicht dazu passte. Der Film hieß „Die Nacht ohne Abschied.“ Heute gehe ich in das Wehrmachtstheater. Dort findet eine KdF-Veranstaltung des Bauerntheaters statt, das ich schon in Belgrad sah. Soweit Abwechslungsmöglichkeit geboten ist, nutze ich sie aus. Ab nächster Woche soll noch ein weiteres Wehrmachtskino aufgemacht werden. Dann kann man wirklich sich während der Woche unterhalten. Ich muß aber feststellen, daß die Kinos meist bis auf den letzten Platz  besetzt sind, das ist doch ein Zeichen, daß das Bedürfnis vorhanden ist.  Wegen des Füllhalters, den Du Helga zum Schreiben gegeben hast, will ich folgendes sagen. Es macht mir nichts aus, wenn sie ihn benutzt. Ich denke, daß es der Marke „Esika“ ist. Ich habe nur insoweit Bedenken, daß sich ein Füllhalter noch nicht eignet für eine unausgeschriebene Hand. Die Federn sind viel weicher als die üblichen Schreibfedern und dafür für den dauernden Gebrauch nach meiner Ansicht für ein Kind noch nicht so geeignet. Beachte einmal ihre Schrift, wahrscheinlich wirst Du einen Unterschied merken. Je nachdem, wie Dein Urteil ausfällt, kannst Du dann ja entscheiden.
Daß Paula solchen Ärger über uns hat, rührt ja nur daher, weil wir uns so ganz und gar für uns halten. Wenn Vater sich darüber kränkt, dann soll er das nur bleiben lassen. Sie hat nun einmal einen Pick auf Dich, warum, das kann ich mir nicht so recht erklären. Aber wir wissen ja beide, daß dieser Groll schon über 12 Jahre jetzt zurückliegt, und daß es nicht besser geworden ist. Das habe ich ja auch in meinem letzten Urlaub gesehen, wie sie mir so vorwurfsvoll zu verstehen gab, daß ich noch gesund bin und daß unser Kurt fallen musste. Es würde mich nur interessieren, was ihr eigentlich an uns nicht behagt. Ich habe zwar nicht die Absicht, ihr zu Gefallen zu leben, aber man wüsste dann doch, was für schlechte Menschen wir sind. So ist mir das noch nicht ordentlich klar geworden. Es ist ja nicht nötig, daß sich Vater deshalb mit ihr entzweit. Wir haben die ganzen Jahre ziemlich leicht an diesem Verhältnis getragen, und ich denke, daß wir auch in der kommenden Zeit das zu verschmerzen wissen. Er soll sich nur nicht deshalb ärgern.
Was hatte denn unser Herr Sohn angestellt, daß er in der Religionsstunde nachsitzen musste? Nicht gelernt oder hat es sich sonst etwas herausgenommen? Wie Du ja schreibst, hat er sich das nicht so sehr zu Herzen genommen.  Zwei kleine Päckchen, Nr. 5 a und b habe ich heute an Dich wieder abgeschickt. Sie sollen Dir mit ihrem Inhalt eine weitere kleine Hilfe für die Bäckerei zum Weihnachtsfest sein. Ich habe hier gedacht, wenn Du Rosinen hast, dann gehören doch auch einige Mandeln dazu. Die habe ich nun erstanden und ich hoffe, daß sie Deinen Beifall finden. Es ist zwar keine so billige Angelegenheit, wenn man die Preise vergleicht und unseren Wehrsold in seiner knappen Bemessung dazu nimmt, aber schließlich freue ich mich immer wieder, wenn etwas für Euch hier abgeht. Weitere 6 Päckchen, größere und kleinere, habe ich in Vorbereitung, die ich dann in diesen Tagen mit absenden werde. Sie enthalten Brot und Rosinen. Du wirst es schon langsam mit der Angst zu tun bekommen und sagen, immer, wenn ich Dir etwas von Päckchen mitteile, dann handelt es sich um Rosinen. Ich kann aber leider nichts anderes erhalten. Damit das aber nicht zu einseitig wird, habe ich einige kleinere Päckchen mit getrocknetem Brot auch noch fertig gemacht und auch noch mit Mandeln.
Jetzt lasse mich bitte schließen. Grüße Vater wieder bitte von mir und gib den Kindern einen lieben Kuss. Dich selbst grüße und küsse ich wie immer in Liebe Dein Ernst.

Donnerstag, 18. Oktober 2018

Brief 471 vom 21./22.10.1943


Liebste Frau !                                                                                     21.10.43 
            
Diesmal habe ich wirklich auf das Geld gewartet, was schon seit langem nicht mehr der Fall war. Ich habe mir nun bei uns in der Kantine Cognac gekauft. Das ist für mich der letzte Versuch, ehe ich mich endgültig in die Hände des Arztes begebe. Ich habe einen kräftigen Schluck genommen und ich habe das Empfinden, daß mir das doch eine Besserung meiner Magen und Darmverstimmung bringen wird. Du wirst ja lachen und sagen, das ist doch ein Säufer geworden der meint, seine Hilfe im Alkohol zu finden. Ich muß dem aber entgegnen, daß ich bisher hier sehr mäßig gelebt habe. Mit Ausnahme von zwei Abenden, an denen ich teilnehmen musste und die etwas mehr Alkohol brachten, genieße ich ab und zu einmal ein glas Wein oder eine Flasche Bier. Das ist doch bestimmt sehr mäßig. Vorgestern haben wir unseren Chef verabschiedet, der heute in die Heimat abgereist ist. Da war es ziemlich spät geworden. Aber wenn man sonst regelmäßig zu Bett geht, dann ist das ja nicht schlimm, denn dann spürt man das doch nicht so. Wie ich Dir schon einmal schrieb, besuche ich meist zweimal in der Woche das Kino, dann ist es schon mit der Unterhaltung ziemlich aus. Allzu vergnügungssüchtig bin ich ja auch nicht, aber etwas Unterhaltung und Ablenkung muß man haben. Weil ich gerade vom Kino erzähle, da habe ich Dir einen Artikel aus einer unserer Zeitungen beigelegt, die etwas „Erlauschtes“ aus dem Kino preisgibt. Daß diese Sache nicht von ungefähr kommt, läßt sich wohl denken.  Aber die Wanzen sind vielfach durch die Italiener so verbreitet worden. Das sind alles so nette Andenken, die sie uns hinterlassen haben.
Vorhin habe ich nun Siegfried geschrieben, ich denke, daß ich nun langsam die Reihe herum bekomme. Jetzt habe ich noch an den Tommi und an Wittenburg in Frankreich zu schreiben, dann habe ich es soweit geschafft. Ich vermute, daß sie womöglich inzwischen geschrieben haben und daß von meiner alten Einheit aus alles wieder zurückgegangen ist. Ich werde ja sehen. Durchschlag meines Briefes an Siegfried liegt mit bei. Ich habe diesmal allerhand beigelegt, denn die Bilder habe ich heute bekommen. Es sind doch noch nicht alle, aber der größte Teil. Ich schreibe wieder hinten drauf, was es ist, damit Du es auseinanderhalten kannst. Das eine Bild von mir ist sehr unscharf, aber man muß dabei berücksichtigen, daß diese Bilder nur mit einer  ?  gemacht sind. Es ist bei uns auf der Dachterrasse gemacht worden. Du siehst, daß die Akropolis gleich wieder im Hintergrund steht. Wenn wir zum Balkon hinaustreten, kann man sie gleich sehen, insofern ist das Bild ganz interessant. Die Personen bei den anderen Bildern kommen nicht so groß heraus, aber einigermaßen kann man sie bei gutem Willen erkennen.
Das Gepäckaufbewahrungsgeld willst Du also nicht zurückerstattet haben. Ich möchte zwar gern einmal sehen, wenn Du einen furchtbaren Zorn bekommst. Es hat nur insofern keinen Zweck, es jetzt zu schicken, weil ich dann die Auswirkungen Deines Zorns nur von weiter Ferne her verspüren könnte. Ich will mir diesen Spaß deshalb für später aufbewahren. Du kannst nun erkennen, daß meine Angst noch nicht soweit gediehen ist, daß ich mich nicht mehr nach hause getraue.
Du schreibst in einem Deiner Briefe von Quarkkuchen, den Du hast backen können, weil Ihr mit den Euch zugeteilten Mengen so sparsam umgegangen seid. Den könnt Ihr ja nun auch wieder mit den Rosinen verbessern, wenn Ihr Euch welchen machen könnt. Ich erhalte hier heute wieder welche zugeteilt, die ich wieder für Dich reserviert habe. Aber ich denke doch, daß Du sie mit verwenden wirst.
Heute bin ich nun schon 4 Wochen hier und ich denke daran, wie ich ver schwitzt und verdreckt ankam. Aber doch war ich froh, mein Ziel erreicht zu haben. Ja, die Zeit vergeht und wenn ich weiter zurückdenke, dann war ich vor einem Jahr bei Euch in Urlaub. Das waren auch recht schöne Tage, die wir damals miteinander verleb ten. Da konnte ich noch das schöne Paket mitbringen und Butter hatte ich auch noch im Koffer. Damit ist es hier ja sehr schmal bestellt. Vor zwei Monaten ging der letzte Urlaub seinem Ende entgegen. So verschmilzt eins ins andere, wenn man sich so zurück erinnert. Ja, mit dem Radiohören ist das hier so eine Sache. einen eigenen Apparat habe ich nicht und hier kann ich nur bei uns in der Kantine hören. Andere Möglichkeiten gibt es nun einmal nicht. Das ist aber nicht so schlimm. Wir haben hier ja einen eigenen Sender. Belgrad liegt dann schon wieder zu weit und wird nicht so gehört. Das wollte ich dir nur zu Deiner Unterrichtung schreiben.
Die Zeichen auf dem Kochgeschirr habe ich wohl gesehen, aber was sie zu sagen haben, weiß ich selbst nicht, denn das habe ich ja nur gefunden. Da kann ich leider nicht aufklärend wirken. Ich muß mich wundern, wie schön Du diese Sachen nachgezeichnet hast. Daß Du nun eine Verwendung dafür hast, ist ja gut. Ich hatte schon immer damals die Absicht gehabt, es wegzuwerfen.
Lasse mich wieder für heute schließen und nimm dazu recht herzliche Grüße und viele liebe Küsse entgegen von Deinem Ernst. 

Mein liebster Schatz !                                                                                22.10.43 
          
Ich kann hier von meinem Platz zum Fenster hinaussehen und die Berge betrachten die gleich am Ende der Stadt anfangen. Sie schimmern in der späten Nachmittagssonne rosig wie die Wolken, die darüber hängen. Doch die Schatten auf den kahlen Bergen, die jetzt erst gegen Abend hervortreten und die Schluchten und Einschnitte erkennen lassen, sie werden länger. Bald werden die Berge anfangen zu blauen, und wenn dann der Dämmer heraufkommt, dann werden sie mit dem Verglühen des Tageslichts verschwimmen, so daß sie kaum noch hervortreten. Diese kahlen Berge bieten für das Auge nicht die Wohltat, wie sie der Norden sie uns gibt. Die Wälder und auch die Felder auf den Hängen bei uns geben unseren Bergen das Leben, was hier nicht mehr sein kann, weil man die fruchtbare Erde  hat verkommen lassen. Der Regen hat sie heruntergewaschen. Wenn auch der Tag zur Neige geht; die Stadt pulsiert unter mir weiter. Die Stimmung, die die Ferne wohl aufkommen läßt, sie wird untermalt durch das Toben auf der Straße, das noch eine ganze Weile anhalten wird., bis dann die Sperrstunde für die Zivilbevölkerung eintritt. Dann erst geht diese Stadt schlafen. Abends stehen dann prächtig die Sterne über den Straßen. Sie flimmern und glitzern wie bei us in einer klaren kalten Winternacht. Groß und breit ausladend steht dann am Nordhimmel der Große Bär, der mich immer daran erinnert, wie wir im ersten Urlaub zusammen waren, wie wir ihn gemeinsam betrachteten und uns sagten, daß wir ihn uns als gemeinsamen festen Blickpunkt festhalten, wenn wir getrennt sein müssen. Hier steht er groß und prächtig da. Auch die anderen bekannten Sternbilder prangen in ihrem Glanz. Der Orion tritt dabei ganz besonders hervor. Wenn ich so von den Sternen spreche, dann fällt mir immer wieder die Zeltnacht ein, die wir mit den Kindern am Klausenhorn verbrachten. Unser Junge mußte nachts raus und sah mit Staunen, dem nur ein Kind fähig ist, die Größe einer herrlichen Sternennacht. Aber noch ist nicht die Nacht gekommen. Der Berg der Akropolis steht schwarz gegen den Himmel und die Säulen des Parthenon und des Archeion zeichnen sich ebenfalls mit ihren dunklen Konturen dagegen ab. Aus dem Dunst in der Ferne kann man jetzt nur das Meer erahnen, doch morgen am Tag wird es wieder hier herüberschimmern. Mit der heutigen Post kam Dein lieber Brief vom 13. an, für den ich Dir recht herzlich danke. Wie ich sehe, benutzt Du fleißig mein Rad und Du hast dich auch schon damit zurechgefunden. Helga ist jetzt vielfach Deine Begleiterin und manchen Weg kann sie Dir nun auch wieder mit abnehmen. Das macht ihr jetzt Vergnügen und gefällt ihr anscheinend besser wie das Laufen und sie soll nur richtig Obacht geben auf der Straße , aber auch auf das Rad, damit es ihr nicht wegkommt. Ja, mit den Fotos glaube ich, daß wir uns ein bisschen übernehmen. Wem wollen wir die vielen Bilder schicken? Ich denke, daß die Hälfte genügt, denn wir brauchen doch nicht überall hin die gleichen Bilder schicken, wenn wir welche verschicken wollen. Ich glaube auch nicht, daß wir den ganzen Bogen noch einmal brauchen. Ich will bestimmt nicht knauserig sein, aber ich denke, daß wir uns damit helfen können, daß wir die Bilder streifenweise übersenden. Eher könnte man vielleicht noch einige Bilder 6 ½ X 9 bestellen. Den Text habe ich Dir unten nochmals aufgesetzt, wie ich mir das dachte. Wenn Du in dieser Hinsicht noch Wünsche hast, dann kannst Du ja Dir, wie ich schon eben erwähnte, einige 6 ½ X 9 Bilder kommen lassen. Die Auswahl bleibt ja wieder bei Dir.
Die Melodien aus „Tiefland“ sind auch sehr schön und als ich das las, fielen mit auch so einige Takte ein. Ich sah diese Oper ja in Frankreich. Man sollte solche Sachen doch wieder einmal öfter sehen. Aber die Empfindungen, die unser Mädel beim Hören dieser Musik hat, sind doch ziemlich ausgeprägt und ich glaube, daß sie womöglich nicht ungeschickt wäre, ein Instrument zu lernen, denn das Gehör spielt ja eine gewichtige Rolle.
Die Brombeeren hast Du Dir nun auch schon vorgenommen und sie frisiert. Das ist und bleibt eine sehr stachelige Angelegenheit. Aber bis das Schreiben bei hier bei Dir ankommt, ist ja für Dich dieser Schmerz wieder überstanden. Ich hoffe, daß Du nun mit diesen rauen Arbeiten ganz fertig bist, und daß Du auch Glück damit gehabt hast, daß es im nächsten Jahrrichtig klappt. Man ist doch um alles froh, was einem dann wieder zuwächst.
Ich habe heute ein Paar Socken, wie schon angekündigt, auf den Weg geschickt. Ich bitte Dich, mir diese mit fertig zumachen und dann wieder zugehen zu lassen. Bis jetzt habe ich noch etwas an den Füßen, Du musst Dir darum keine Gedanken machen.
Bleibe recht schön mit den Kindern gesund und grüße Vater herzlich von mir. Dir sende ich viele Küsse. Ich bin immer Dein Ernst.
Ein Bild, das mir hier noch herumfährt, lege ich noch mit bei. Ein scharfes lasse ich mir noch abziehen. Das ist das Meer bei der Insel Salamis. Zwischendrin sieht man überall kleine Inseln.

Mittwoch, 17. Oktober 2018

Brief 470 vom 17./18.10.1943


Meine liebste Annie !                                                                              17.10.43 
          
Gestern Abend bekam ich doch noch Post von Dir. Mit Deinen Briefen vom 10., 11. und 12.10. hast du mir wieder eine große Freude gemacht und ich danke Dir recht herzlich dafür. Aber von Deinem Vater kam ein Brief an, der wieder, nachdem er bald hier war, zurückgegangen ist. Es handelt sich um den Rundbrief vom 20.9. Heute kam nun die Lawine, die ich schon lange erwartet hatte. Trotz des großen Andrangs habe ich mich mächtig über alles gefreut. Ich bin dann ins Bad gegangen und habe mich dort in die Sonne gelegt, um dann mir diesen ganzen Segen mit dem großen Behagen zu Gemüte zu führen. Ich denke, daß ich wohl alle Briefe von Dir erhalten habe. Einzeln will ich sie heute nicht aufführen, das kann ich ja noch nachholen. Den größten Teil der Sendung von Deinem Vater erhielt ich auch, dann einen Brief von Deinem Bruder und von meinem früheren Chef war auch ein Schreiben dabei. Die Antwort von der Stadt auf meinen Besuch und meine Reklamation hat mich ja in keiner Weise befriedigt, denn die Art und Weise, wie der ganze Fall behandelt wurde, ist eine Gemeinheit. Ich überlege mir noch, ob ich darauf doch noch antworte. Daß ich diese Sache gleich hier erwähne hat den Grund, daß ich auf meinen früheren Chef zu sprechen kommen will, der in dieser bewussten Angelegenheit auch an die Stadt und an das Wehrbezirkskommando geschrieben hat. Diese beiden Sachen haben mir im Anschluss an diesen leidigen Brief sehr wohlgetan, denn damit hat er, wie man so sagt, ihnen eins reingezündet. Ob das nun hilft, das möchte ich zwar hoffen, daß er nun die Sache langsam ins Rollen bringt. Diese Durchschläge, die er mir mitsandte, lege ich Dir zu Deiner Unterrichtung bei, bitte Dich aber, daß Du sie mir wieder mit zurückschickst. Auf die einzelnen Dinge , die noch zu beantworten sind, gehe ich dann in den nächsten Briefen mit ein, denn ich muß ja diese Sachen erst einmal verdauen. Es geht jetzt zwar sehr schnell, aber in dieser Art will ich mir doch etwas mehr Zeit lassen. Ich will Dir auch gleich das nächste Päckchen ankündigen, das ich heute fertiggemacht habe und morgen an Dich absende. Die laufende Nummer ist 2 und es enthält wieder Rosinen und einige Bonbons, die uns zugeteilt worden sind mit der Verpflegung. Du wirst schon langsam die Hände über die vielen Rosinen über dem Kopf zusammenschlagen, es hilft aber nichts, Du mußt diesen ganzen „Loach“, wie es so schön im Reichenaudialekt heißt, über Dich ergehen lassen. Wenn Du nicht weißt, was das heißt, schreibst Du mir bitte.  Ich lege Dir heute wieder einige kleine Sachen bei. Ein Artikel, der das Leben in Belgrad zum Inhalt hat, habe ich für Dich aufgehoben, weil er in viel anschaulicherer Weise, wie ich das kann, das Leben in dieser Stadt ziemlich treffend schildert. Ich habe so fast die gleichen Eindrücke gehabt und darum gedacht, daß dies eine gute Ergänzung meiner Schilderung ist. Das Bild ist von der Burg und Festung, oder, wie es in der einheimischen Sprache heißt: Kalemagdan. Diese Wort stammt noch aus der Türkenzeit und hat sich bis heute auch noch erhalten. Ein Witz, der in die hiesige Gegend ganz gut passt, aber von unseren lieben Landsleuten, den Sachsen , verbrochen wurde, wird Dir sicher auch Spaß machen. Ein weiterer Ausschnitt aus der Zeitung zeigt, daß es nicht immer so gut abläuft, wie es meist scheinen mag, wenn sich die Leute an die Straßenbahn hängen. Im allgemeinen kommen zwar in dieser Richtung wenig Vorfälle vor. Gesammelte Rasierklingen, die ich nicht mehr verwenden kann, liegen ebenfalls wieder bei. Ich sehe schon, das ist ein richtiger Lumpensammlerbrief. Alles mögliche ist beigepackt. Aber einmal muß ich es ja beifügen. Auf diese Art kommt auch einmal etwas Abwechslung in diese Sachen.
Durch einen Zufall wurde ich heute in eine griechische Familie eingeladen. Ein Rat übrigens, der, mit dem ich hierher kam, der hat hier in seinem Dienst einen Industriellen kennen gelernt hat.  Zu diesem Mann oder besser gesagt, in dessen Familie, wurde ich mit eingeladen. Ein Mann sprach deutsch, ein Mann und eine Frau sprachen französisch. Da kannst Du Dir denken, wie die Unterhaltung war. Wir haben im Anschluss an unser Abendessen dort nochmals gegessen. Wie man uns erklärte, klingt die Zubereitung und die ganze Art an die türkische Küche an. Es war nicht schlecht und man konnte es genießen. Es war auch nicht überragend, aber das hängt wohl mit den Schwierigkeiten zusammen, die die Leute jetzt zum Teil mit der Ernährung haben. Ich fand wieder, daß man in Frankreich ähnlich ißt. Wir sind dann nicht spät nach hause gegangen, so daß ich noch dieses Schreiben verfassen kann. Es war insofern interessant, daß man die Sorgen und Nöte sowie auch die Einstellung der Leute zu uns kennen lernte. Alles da, was sie über uns sagen, kann man doch nicht glauben, aber wenn man dann das Unwesentliche vom Wesentlichen abzieht, dann kann man doch ungefähr sehen, was los ist.
Sei Du mit den Kindern recht herzlich gegrüßt und vielmals mit lieben Küssen bedacht von Deinem Ernst.

Mein liebes, gutes Mädel !                                                                           18.10.43  
         
Eine neue Arbeitswoche hat ihren Anfang genommen. Doch kaum unterscheidet sich ein Tag vom anderen. Sonntag zwar ausgenommen, weil ja da nur von 9 bis 12 Uhr gearbeitet wird und neuerdings ist es hier so eingerichtet, daß ein Teil am Samstagnachmittag Dienst macht, während dann der andere Teil Sonntagvormittag Dienst leistet. Abwechselnd ist dann in der entsprechenden Form dienstfrei. Wie Du hieraus ohne weiteres feststellen kannst, verfügen wir hier über mehr Freizeit wie im Osten. Aber praktisch kann man damit auch nicht viel anfangen. Meist geht man zweimal in der Woche ins Kino, weil hier zwei Theater für uns in Betrieb sind. Die übrigen Abende beschäftigt man sich so gut es eben geht. Ein Päckchen ist auch einmal zu packen, oder sonstige Kleinigkeiten zu erledigen. Die Dienstzeit deckt sich sonst mit der, wie wir sie in Serbien gehabt haben.  Wenn ich so über alle Deine Briefe nochmals hinwegsehe, so muß ich sagen, daß aus fast all den Briefen, die mir nachgesandt wurden, ein feiner Ton der Freude mitklingt über die zusammen in München verlebten Tage. Du kannst Di vielleicht nicht so vorstellen, was mit das für eine Lust ist, dies zu lesen und zu wissen, daß ich damit nicht nur mir, sondern auch Dir mit diesem kurzen Aufenthalt etwas Besonderes bieten konnte. Wenn ich jetzt irgendwo war, immer habe ich mir die Eindrücke von einer Stadt allein oder mit Kameraden zusammen vermitteln müssen.  Gewiss, das geht auch, denn es gibt ganz andere Sachen, die auch gehen müssen, aber nach so langer Zeit wieder einmal mit dem liebsten Menschen zusammensein zu können und dann über etwas zu sprechen und gemeinsam dieses Neue auf sich wirken lassen oder erklären können, das ist ja das, was mir soviel Freude macht. Daß auch bei Dir diese kleine Reise neue Eindrücke und allerhand Anregungen hinterlassen haben, das kann ich nun immer und immer wieder aus den verschiedenen Briefen herauslesen.  Was nutzt uns das Geld, was wir durch ein Unterlassen einer solchen Reise gespart hätten, nichts. Das sind nun einmal vergängliche Werte. Solch ein gemeinschaftliches Erlebnis, das bleibt einem haften. Wir haben uns ja auch keinen Kummer wegen der paar Groschen gemacht, was schließlich auch eine gewisse Sorglosigkeit aufkommen ließ.  Mit Bedauern habe ich davon Kenntnis nehmen müssen, daß meine schöne Seifendose sich doch nicht wiedergefunden hat. Man kann sich deshalb zwar kein Bein ausreißen, aber ärgerlich ist es doch, daß sie auf so dumme Art und Weise verloren gehen musste, wo sie doch von Dir war. Ich kann mich nicht von dem Gedanken abbringen lassen, daß sie einer unserer Männer doch an sich genommen hat und sie für sich behält. Beweise für diese Art hat dieser Mann wiederholt schon erbracht, aber ich kann ihm ja jetzt doch nicht auf die  ?  knieen.  Für die Kinder war ja Deine Abwesenheit insofern eine Lehre, daß sie erst einmal gesehen haben, was eigentlich daheim fehlt, wenn Du nicht da bist. Das Indianergeheul hätte ich sehen mögen, als Du mit dem Schiff ankamst. Wie ich aus den Briefen von Dir feststellen muß, haben sie Dir ja einen festlichen Empfang bereitet. Ich freue mich jedes mal, wie sie ohne irgendwelche Anweisung so aus sich selbst heraus diese Dinge immer arrangieren. Man sieht daran aber, wie sie an ihrem lieben Mutterle hängen und daß sie sehr liebe Kerle sind. Daß der Hut bei Helga solchen Anklang gefunden hat, das ist ja fein. Wenn nicht einmal Ingrid eine Kritik dafür hatte, dann will das schon etwas heißen. Für die Kriegsverhältnisse habt Ihr wieder einen netten Geburtstag gefeiert und Deines Geburtstags habt Ihr auch nicht vergessen. Mit den Geschenken war anscheinend auch alles zufrieden. Eines habe ich nicht ganz verstanden. Hast Du Dir nun 50,-RM genommen oder nur 20,. Das ist mir nicht ganz klar geworden.  Die Uhren sind also wieder in Ordnung. Nach Deiner Feststellung gehen sie auch wieder. Wegen des Armbandes musst Du Dir keine Gedanken machen, denn das könnte ich mir hier schon kaufen. Die andere Frage ist nur die, wie bekomme ich sie hierher. Bis jetzt sind die an mich abgesandten Sachen alle angekommen. Nachdem ich eine feste Feldpostnummer habe, wären auch die Schwierigkeiten des Nachsendens beseitigt. Es ist ein Risiko, das stimmt und ich frage nun Dich, wollen wir es wagen? Wenn Dur ein Band für Deine Uhr dann benötigst, dann schreibst Du es mir. Breite bitte angeben. Ich würde dann vielleicht noch eins kaufen.
Lasse mich bitte wieder für heute schließen. Recht herzliche Grüße und viele liebe Küsse sende ich Dir und den Kindern. Ich bin immer Dein Ernst.


Brief 469 vom 14./16.10.1943


Mein liebster Schatz !                                                                           14.10.43   
             
Von Dir ging kein Brief ein, dagegen erhielt ich von Deinem Vater einige Durchschläge, wie Du ja aus den beiliegenden Durchschriften ersiehst. Ich habe ihm gleich geantwortet. Von dem Tode seiner Schwiegermutter hatte ich nicht gewusst, darum habe ich gleich geschrieben, damit es nicht so schlecht aussieht, als würde man an seinem Leben überhaupt nicht Anteil nehmen. Aus dem weiteren Durchschlag siehst Du, daß ich auch an Erna gedacht habe. Am 28. ist wohl ihr Hochzeitstag. Ich habe schon jetzt geschrieben, denn man weiß ja nie, wie die Post ankommt. Im übrigen habe ich gedacht, wenn ich rechtzeitig schreibe, so hast Du noch Gelegenheit, ihr ebenfalls ein paar Zeilen zu widmen. Ich hoffe, daß ich es richtig getroffen habe.  Durch den Wettersturz habe ich auch etwas gelitten, denn das kam doch im wahrsten Sinne des Wortes über Nacht. Ich habe mir, früher sagten wir dazu, die ukrainische Krankheit zugezogen. Ich komme nicht so richtig zur Ruhe. Ich hoffe aber zuversichtlich, daß sich das bald wieder gibt. Zwei Tage hatten wir keine Sonne, doch heute hat sie sich wieder etwas hinter den Wolken hervorgewagt. Es schwankt nun, ob es sich zum Guten oder zum Schlechteren wenden soll. Vorerst ist es jedenfalls mit dem Baden aus. Auch mein dreimaliges Abduschen in der Badewanne ist in Wegfall gekommen, denn jetzt wird es doch etwas zu frisch unter dem kalten Wasser.  Durch den Tod der Wohnungsinhaberin sind ja nun Siegfried und Erna zu einer Wohnung gekommen. Vor nicht allzu langer Zeit schrieb Dein Vater doch, daß das wohl auf Schwierigkeiten stoßen würde, wenn sich die Frau solange in Mockau aufhält. Wie man sieht, hat sich dies auch eingerenkt. Erstaunlich ist mir immer, wie er um die Geltung seiner Lotte bei uns wirbt. Das sei ausschließliche Verdienst von ihr, daß die Beiden zu dieser Wohnung gekommen sind und mit einem Seitenblick auf unsere einfachen Verhältnisse sagt er dann, daß wir hellauf aufjauchzen würden, wenn wir einmal eine solche Wohnung erhalten würden. Ich habe mir dabei gedacht, daß wir uns bis jetzt doch immer ganz wohlgefühlt habe und daß wir in dieser Freiheit dort draußen immer ganz glücklich waren. Ich kenn die Räume nicht. Aber schließlich ist Großstadt eben doch Großstadt, und die kann einem das Freie nicht ersetzen. Wenn ich nur immer daran denke, was wir in unserem schönen Wald schon herumgelaufen sind, der uns gewissermaßen hinter dem Haus steht. Was macht man in Leipzig, man geht dort bestenfalls ins Rosental. Gewiss, für Erna ist das noch sehr geschickt gelegen, aber unseren Wald kann das noch lange nicht ersetzen. Ich habe es ja nicht nötig, Dich über unsere misslichen Wohnungsverhältnisse hinwegzutrösten, denn ich kenne in dieser Beziehung auch Deine Auffassung, die sich so ziemlich mit meiner deckt. Wir sind schon letztlich dahin übereingekommen, daß wir während des Krieges an diesem Zustand nichts ändern wollen und nach dem Krieg wird sich dann sicherlich eine Möglichkeit für uns bieten. Getreu unserem Grundsatz sagen wir: Wir werden die Dinge an uns herantreten lassen.“ Wenn Dein Vater weiter oben schreibt, daß er sich über Deine Nachricht gewundert hat, daß ich hier herunter gekommen  bitte nicht „heruntergekommen“ bin, dann ist das doch wirklich kein Grund, sich zu wundern. Es gibt nun einmal nicht die Möglichkeit, die Militärverwaltung von zuhause aus zu machen. Mit dem Urlaub von Rußland aus war es doch auch nicht so toll bestellt, denn das haben wir ja am eigenen Leib verspürt.  Aber da muß man sich denken, es wird sich schon wieder zu gegebener Zeit eine Möglichkeit bieten. Die nächsten 14 Tage können wir doch nicht damit rechnen, darum können wir diese Thema vorerst etwas beiseiteschieben.  Wichtiges habe ich heute nicht weiter zu berichten. Es soll deshalb für heute genügen. Bleibt mir alle recht gesund.  Grüße die Kinder recht herzlich von mir und auch Vater. Dich grüße und küsse ich in Liebe. Dein Ernst.

Mein liebster Schatz !                                                                                     16.10.43  
      
Gestern war mir nicht zum Schreiben zumute, denn mein Durchmarsch hatte sich so entwickelt, daß ich trotz Kohleessen mich entschloss, zum Arzt zu gehen, damit er mir hilft, dieses Übel abzustellen. Auf meinen Wunsch, den ich dahin äußerte, daß er mir Opiumtabletten geben solle, gab er mir dann Opiumtinktur, weil er keine Tablette hatte. Die Menge muß aber zu groß gewesen sein, denn in einem Esslöffel voll ist doch allerhand Opium konzentriert. Mit dem Einnehmen dieser Medizin war dann auch sofort der ganze Apparat abgestellt. Es klappte aber auch nichts mehr. Hinlegen wollte ich mich nicht, denn wegen sowas kapituliert man nicht gleich, also habe ich mit dem Schlaf und der Müdigkeit gekämpft, habe den Dienst auch noch durchgestanden, aber zum Briefeschreiben war ich nicht mehr fähig. Ich hoffe nun, daß sich alle wieder einrenkt. Zwar der Magen nimmt noch nichts an. Ob das die Reaktion ist, das kann ich nur annehmen, denn ich weiß es nicht genau.  Post habe ich heute keine erhalten. Das ist aber nicht so schlimm, denn ich denke, daß ich morgen bestimmt welche erwarten darf. Heute habe ich ein kleines Päckchen an Dich abgesandt, das ein Stück Seife enthält, die wir zugeteilt erhielten. Durch Zufall konnte ich heute zwei weitere Päckchen mit Rosinen an Dich auf den Weg bringen. Einer der Herren, der uns zugeteilt worden war, kann sich aus gesundheitlichen Gründen hier nicht aufhalten, so daß er wieder nach Serbien zurückversetzt werden musste. Das war für mich eine günstige Gelegenheit, ihm etwas mitzugeben, denn von Serbien aus besteht ja nicht der beschränkte Päckchenverkehr. Das kleine Päckchen trägt die Nummer 49d. Die anderen beiden tragen die Nummern 50 und 1. Ich fange meine Nummerierung wieder bei 1 an. Dies wieder zu Deiner Orientierung. Ich bin nun nach dem oben geschilderten Fall noch nicht ganz auf Deck, aber ich kann Dir zu Deiner Beruhigung sagen, daß es wieder aufwärts geht und daß keine Veranlassung vorliegt, daß Du Dir deshalb Gedanken machst. Du entschuldigst aber bitte, wenn ich heute schon mein Schreiben abschließe, denn zu lang solltest Du ja nicht auf Nachricht warten, denn ich habe es ja oft genug am eigenen Leib verspürt, wie das ist. Bleibt mir recht gesund und sei Du mit den Kindern recht herzlich gegrüßt und vielmals geküsst von Deinem Ernst. _ Da fällt mir gerade noch die Beschreibung der Akropolis in die Hände, die ich Dir immer mitzusenden vergaß.  Du mußt nun nicht denken, daß ich das mit Absicht unterschlagen habe, damit ich nun mit meinem Geschichtswissen vor Dir glänzen und Dich weiterhin damit als dumm stempeln kann. Aber recht hast Du, daß es leicht für mich ist, Dir diese Wissenschaft solange vorzuenthalten und dann noch große Töne reden. Aber gar zu übel wirst Du mir das hoffentlich nicht vermerken. Widme Dich also dieser Weisheit und lies es aufmerksamer wie ich, denn Geschichtszahlen und ähnliche Daten waren mir zwar immer ein Gräuel, wenn ich mich selbst für diese Dinge im allgemeinen sehr interessiere. Also nochmals herzliche Grüße mit einem festen Kuss verbunden bin ich Dein Ernst. 


Freitag, 12. Oktober 2018

Brief 468 vom 13.10.1943


Mein liebes Mädel !                                                                            13.10.43     
        
Kurz und lakonisch will ich feststellen: Heute kein Posteingang.  In den letzten Tagen hatte ich immer Deine Briefe beantwortet, denn es gab dazu immer allerhand zu schreiben. Vielleicht wirst Du erwartet haben, daß ich von meiner Reise wieder einmal etwas d.h. den Rest schreibe. Mir kommt es auch so vor, als würde es langsam Zeit, daß davon berichte, denn sonst verliere ich das aus dem Gedächtnis.
Also von Serbien sind wir dann durch einen Teil Bulgariens gerollt. Die Bulgaren, die teilweise bei der Besetzung Serbiens beteiligt waren, stehen nun an der Bahn und halten Wache. Ihre Hauptbeschäftigung liegt aber wohl darin, in erster Linie für ihre eigene Verpflegung zu sorgen. In Serbien selbst werden ja Übergriffe solcher Art durch die deutsche Wehrmacht nicht geduldet. Aber trotz allem wird es immer wieder versucht.  Daß das in dem Verhältnis zueinander, also in diesem Fall zwischen Serbien und Bulgarien nicht gerade zu Freundschaft führt, das läßt sich leicht denken. Von Griechenland haben ja die Bulgaren auch einen Teil geerbt, So den Teil Mazedoniens. Auch dort bekam ich nicht den Eindruck mit, als ob die Bevölkerung froh sei, von den Bulgaren vom griechischen Joch befreit zu sein. Dagegen mußte ich feststellen, daß die Leute uns zuwinkten, als wir anrückten. Wir waren ja einer der ersten Züge, die nach dem Abrücken der Italiener dort durch das Gebiet fuhren. Auch die Italiener, die ja gegen die Griechen ebenfalls keine Lorbeeren geerntet hatten, waren keine Freunde der Griechen geworden. Im Gegenteil, man hat so den Eindruck, als ob die Leute froh seien, daß die Dinge mit Italien eine solche Wendung genommen haben. Die Zugverbindung ist nicht so einfach, weil sogar die Hauptstrecken fast durchweg eingleisig sind, das erschwert diese Dinge außerordentlich. Du kannst daran schon sehen, daß wir nicht viel schneller hier herunterkommen konnten. Waren wir auf dem Bahnhof angekommen, dann war entweder die Strecke in entgegengesetzter Richtung von einem Zug belegt oder wir mussten erst die Lok wechseln. Meist war dann keine da, so daß sich das alles hinauszögerte. Es ist eben nicht das Reisen wie bei uns zuhause. Überall an den Strecken d.h., auf den Bahnhöfen, kommen dann die Händler angelaufen und wollten ihr Geschäft mit dem Landser machen. Um diese Jahreszeit spielt ja das Obst eine große Rolle und das beherrscht auch wirklich das Bild. Pflaumen, Trauben, Pfirsiche und Äpfel. Das wurde in großen Mengen angebracht. Mit Geschick hatten die Verkäufer große Tüten gemacht, in denen dann möglichst wenig eingepackt war. Ich hatte schon auf meiner ersten Reise herausbekommen, daß man gleich, wenn man zum Bahnhof hinausgeht, auch auf Händler trifft, die diese Sachen billiger anbieten. Auf diese Weise habe ich ziemlich Geld gespart und bin auch zu meinem Obst gekommen. Wie ich schon schrieb, die Landschaft selbst bietet nicht viel. Die Berge kahl, die Felder, soweit sie bebaut waren, zum großen Teil abgeerntet. Einmal fuhren wir durch Flachland, die Berge des Balkans verschwanden im Dunst . Ein andermal rückten sie wieder näher heran. Einzelne Eisenbahnbrücken, die über einige Täler führten, waren von Sicherungsposten bewacht. Das ist so alles. Denn wenn man dann so Tag für Tag im Abteil sitzt, ist man froh, wenn der Zug wieder einmal hält, damit man sich die Füße vertreten kann. Ab und zu schläft man ein bisschen, soweit man von Schlaf sprechen kann. Dann versucht man zu lesen und die übrige Zeit sieht man hinaus, denn der Unterhaltungsstoff ist bald erschöpft, wenn die Reisegesellschaft danach ist. Als wir Mazedonien erreichten, da kam dann wirklich ein Fluss in Sicht. Der Vardan, an den sich die Bahn hinzog. Eine Landstraße begleitete auf der anderen Seite die Bahnstrecke. Wie dann an einem Tunnel zu lesen war, wurde diese Landstraße auf Befehl Kaiser Wilhelms des Zweiten im Jahre 1916 erbaut. Wenn das die deutschen Soldaten  damals nicht gemacht hätten, dann würden eben noch die Saumpfade und die unausgebauten Wege benutzt. Auf den Landstraßen sieht man kaum jemand laufen. Alles bewegt sich auf Eseln reitend fort. die trotten gemächlich die Landstraße lang. Eilig hat es niemand, denn man hat ja Zeit. Mancher Esel ist durch das Stampfen oder Fauchen der Bahn erschreckt und fängt dann an zu galoppieren. Ab und zu fällt einer dieser Reiter dabei herunter, denn die Holzgestelle, die als Sattel dienen, sitzen nicht so fest. Sie werden durch die beiderseitige gleichmäßige Belastung gehalten. Die Dörfer sehen nun noch dürftiger aus wie in Serbien. Meist sind es aufeinandergeschichtete Steine, die man als Häuser ansprechen soll. Manchmal auch ungebrannte Ziegel. Lehm, der in der Sonne getrocknet wurde, diente dann als Baumaterial.  Gegen morgen erreichen wir dann Saloniki. Ich versuche, den Bahnhof aufzuspüren, kann ihn aber nicht finden. Das Gebäude, das nicht viel größer wie unser Petershauser Bahnhof ist, sehe ich nicht für voll an. Wie sich dann herausstellt, muß ich mich aber doch damit begnügen. Als es Tag wird, sehe ich mir die wenigen Häuser vor dem Bahnhof an, auch das Bild kann mich nicht trösten. Ich frage mich, ist das Griechenland, sind das die Nachkommen eines griechischen Zeitalters? Ich bin einigermaßen erschüttert.  Was hilft das alles, denn es ist doch zwecklos, deshalb lang dunkleren Gedanken nachzugehen. Wie aber schon der Bahnhof aussieht, so ist auch die ganze Eisenbahn. Die Gleisanlagen haben aber auch nichts mit einem modernen Verkehr zu tun. Die Waggons sehen recht mittelalterlich aus. Also alles in allem, es sieht dort aus wie bei uns lange vor dem ersten Weltkrieg. Um diese Zeit ist wahrscheinlich die ganze Anlage gebaut worden und seither wurde nichts mehr gemacht. Ich habe mir sagen lassen, daß die Stadt Saloniki am Hafen und am Kai besser aussehen soll, aber dieser Stadtteil soll nicht groß sein.
Wir fuhren dann gegen 9 Uhr von dort aus weiter. Nach kurzer Zeit sahen wir in der Ferne das Meer und bald fuhren wir in der unmittelbaren Nähe daran weiter. Große Strecken sind zwar versumpft, aber die Weite des Meeres und die frische Luft wirken nach den recht heißen Tagen sehr angenehm. Streckenweise kam es mir so vor, als wäre ich daheim und stünde so am Ufer des Sees. Im Hintergrund, leicht im Dunst angedeutet, die Berge, man konnte es für die Gegen am Pfänder halten. Vor sich die Weiter der Bucht von Saloniki. Nur die Fischerkähne, die zum Teil größer sind, fallen mit ihrer anderen Betakelung aus dem Rahmen wie auch die Ortschaften selbst, die durch ihre Bauweise nicht in das Bild unserer heimatlichen Bauart fallen. Mit der Zeit fängt die Bahn an zu steigen. Die Berge kommen näher heran. Unmittelbar aus der Ebene steigt sie empor. Der Olymp liegt an uns zur rechten. Er hat sein Haupt verhüllt. Vielleicht wollten sich auch die Götter, die dort oben wohnen sollen, nicht sehen lassen. Wieder tritt ein kleiner Fluss an die Bahn heran, nachdem wir eine kleinere Passhöhe hinter uns haben. Das Wasser ist verschmutzt und hat nichts mehr gemein mit dem herrlich klaren Wasser der Ägäis. Wilde Feigenbäume stehen ab und zu in der Landschaft. Einige alte Eichen findet man auch. Später trifft man dann auch die würzige Wermutkiefer eine Schwester unserer heimatlichen Kiefer. Sie muß mit der Zeder und den Zypressen früher das Nadelholz in dieser Gegend gewesen sein. In den Parkanlagen haben wir sie ja auch hin und wieder vertreten. Bei uns auf dem Schrank liegen übrigens einige Zapfen davon. Meinen Reisegenossen sage ich dann, das ist dies und das ist dies. Am Anfang sagen sie nur ja. Ich will mich bestimmt nicht damit groß tun. Aber erst später merke ich, daß das doch einen Eindruck hinterlassen hat, denn als wieder neue Sachen wie z.B. die Baumwolle  oder der abgeerntete Tabak auf den Feldern steht, dann sagen sie: “Herr Rosche, was ist denn das?“ Da fiel mir das erst auf. Die Leute wollten ihr mühsam bei den Italienern eingetauschtes Geld sparen und kaufen einige große Früchte, die am Bahnhof angeboten werden. Ich muß schon lachen. Aber ich denke, sollen sie es nur essen. Die fangen an zu schneiden und bekommen sie fast nicht auseinander. Es waren Quitten, aber noch einmal so groß wie unsere daheim. Ich denke, es kann ja sein, daß sie hier saftiger sind. Einer nach dem anderen kaut und kaut, sieht den anderen an, was der für ein Gesicht macht. Keiner will sich merken lassen, daß es doch eine sehr trockene Angelegenheit ist. Zuvorkommend werden die übrigen Früchte im Abteil feilgeboten. Jeder versucht einmal, aber kaum einer isst sein Teil ganz auf. Der Rest wandert zum Fenster hinaus. Später werden Granatäpfel angeboten. Ich kannte die Dinger von Frankreich her. Auch da wusste keiner so richtig, was das ist. Mit ihren knallroten Backen sehen sie sowieso sehr einladend aus. Wenn man tüchtigen Durst hat, dann beißt man in die Angelegenheit auch richtig hinein, wenn man die äußere Schale entfernt hat. Aber die Zwischenhäute , die schmecken noch etwas bitter. Ich habe sie mir fein säuberlich herausgepellt, die essbaren Teile. Die anderen haben sie samt und sonders mitgegessen. Trauben waren zuletzt soviel gekauft und getauscht worden, daß sie noch im Abteil liegen blieben. Ich habe mich damit tüchtig sattgegessen, denn ich sagte mir, warum soll ich sie umkommen lassen. Wieder fauchte unsere Lokomotive durch die Ebene und gegen Abend kamen wir an das Gebirge heran. Eine zweite Lok wurde uns zugeteilt. Diese Fahrt war dann ganz interessant. Ich kenne ja die Schwarzwaldstrecke, die gewiss sehr schwierig zu bauen war. Aber hier reiht sich Tunnel an Tunnel und Eisenbahnviadukte an Viadukte. Doch davon kann ich dann in einem der nächsten Schreiben noch kurz berichten.
Bleibt mir alle gesund und seid recht herzlich gegrüßt und geküsst von Deinem Ernst.