Samstag, 22. September 2018

Brief 453 vom 08.09.1943


Mein liebstes Mädel !                                                                             8.9.43    
   
Mir schien es, als wären nun die Briefe an Siegfried und an Deinen Vater fällig. Ich habe sie mir gleich heute über die Mittagszeit vorgenommen. Die Durchschläge lege ich Dir wieder bei. Ich habe ja vor allem Wert daraufgelegt, daß meine neue Feldpostnummer bekannt wird und das ist ja damit geschehen. An meine alte Einheit hatte ich bereits vor einigen Tagen die neue Nummer aufgegeben. Falls dort Post eingegangen sein sollte, dann weiß man dort ja nun Bescheid. Von Dir werden ja noch einige Sachen dort angekommen sein, die ich ja auch gern hier hätte. An Nannie müßte ich in diesen Tagen auch schreiben, weil sie am 25. Geburtstag hat. Da habe ich noch eine Frage. Kannst Du mir mitteilen, wann Erna Geburtstag hat. Den Heiratstag habe ich mir wohl vorgemerkt, aber der Geburtstag ist mir nich geläufig. Ebenso der Geburtstag von der kleinen Ursula. Das waren wieder die Familienangelegenheiten, die aber auch einmal sein müssen.
Mit meinem Bericht von der Reise war ich wohl bis zu meiner Ankunft in Belgrad gekommen und auch darüber hatte ich schon geschrieben, wie ich untergebracht war. Ich hatte es dort ziemlich leicht mit der Verständigung, da die Frau sehr gut deutsch sprach. Ich war sehr verwundert, fand dort auch eine sehr umfangreiche Bücherei vor, aus der vor allem ersichtlich war, daß sie Bücher in einheimischer Sprache enthielten. Aber auch verschiedene Bücher in deutscher und einige in französischer Sprache. Wie ich dann hörte, stammten die Leute aus dem Banat, wo ja auch meines Wissens viel deutsch gesprochen wird. Das war natürlich sehr angenehm, wenn man mit der Verständigung wenig Schwierigkeiten hat. Das ist aber das erste Mal seit ich mich im Ausland herumtreibe, daß ich es so antreffe. Am Abend aß ich mit im Kasino. Die Dienststelle ist im Parlament untergebracht. Ich muß schon sagen, daß die Leute sich dort schon allein in diesen Zimmern wohlfühlen können. In den Gängen lagen Teppiche, da wird also niemand, wenn schon einmal einer über den Gang läuft, gestört. Außerdem hat jedes Zimmer Doppeltüren. Die einzelnen Herren leben dort eine beruhigte Zeit.  Ich glaube nicht, daß sie in der Heimat etwas mehr leisten müßten, wenn sie daheim wären. Die Anschauungen sind dort überhaupt etwas seltsam, über die ich mich manchmal wundern müßte. Als ich dann, nicht durch mein Verschulden, nicht an dem betreffenden Tag abreiste, da wollte man mich zwingen, daß ich noch am gleichen Tag wegfuhr und dann auf irgend so einem kleinen Kaff hier übernachtete, wo es keine Gelegenheit dazu gibt. Ich konnte das noch abbiegen und dadurch die Reise, wenigstens für hiesige Verhältnisse, normal antreten. Am Abend bin ich nach dem Essen nach hause. Als ich ins Freie kam, mußte ich zu meiner Verwunderung feststellen, daß die Straßen hell erleuchtet waren. Das war ein Bild wie im Frieden. Obwohl das bei uns ja auch noch ein Teil von diesem Friedensbegriff geblieben ist  Anmerkung: während des Kriegs war Konstanz-Stadt (linksrheinisch) nicht verdunkelt wegen der Grenze zur Schweiz; d.h. einfliegende Flugzeuge sollten nicht die Grenze ausmachen können  So habe ich noch einen kleinen Gang in die Stadt unternommen. Ich habe schon manchen Stadtbummel gesehen. In Konstanz auf der Kanzleistraße, in Leipzig auf der Petersstraße, in Lille auf der rue de Bethune, in Douai auf der rue Bellain, in Charkow auf Summskaja und in Mirgorod wie auch in Dnjepropetrowsk auf der Terasia. Überall war immer mächtiger Betrieb. Ich muß aber sagen, solch einen Aufmarsch von Menschen wie hier um die Abendzeit ist mir noch nicht vorgekommen. Das könnte ja an einem Tage eine Ausnahme sein. Dem war aber nicht so, denn wie ich mich am folgenden Abend davon überzeugen konnte, war da der gleiche Betrieb. Eine weitere Feststellung konnte ich treffen und bei der ich mir wünschte, daß ich Besitzer einer Farbenfabrik sei, denn da muß man ein mächtiges Geschäft machen können. Die Frauen sind hier angemalt in einem Maße, das das in Frankreich wohl noch übertrifft. Ich will damit nicht sagen, daß es so ungeschickt aussieht wie in Rußland. Da sahen die Frauen aus, als kämen sie aus der Mehlkiste, aber die Art ist doch etwas übertrieben. Es fällt aber angenehm auf, wenn man sieht wie die Leute hier alle ordentlich angezogen gehen. Das Bild vom Osten haftet noch zu sehr im Gedächtnis, so daß man glaubt, es gibt nur noch schlecht gekleidete Menschen. Aber ich habe immer wieder sehen müssen, daß der Unterschied zwischen arm und reich in Deutschland nie so weit auseinander liegt wie in all den Ländern, die ich bis jetzt gesehen habe. Dies einschließlich Rußland. Einen Mittel stand, wie wir ihn in Deutschland kennen, finden wir nirgends weiter ausgeprägt. Höchstens nur ganz leicht ist er angedeutet und tritt dadurch kaum in Erscheinung. Ich habe hier auf den Landgemeinden, durch die wir durchgefahren sind, malerische Gestalten gesehen. Ich weiß nicht, ob ich über sie noch lachen soll, wenn ich an diese Figuren denke oder soll man sie bedauern. Die Lumpen, die sie anhaben, sind mit anderen Lumpen geflickt. Es ist aber diesen Leuten nicht möglich, ihre Blößen damit zu decken. , denn überall sieht die Nacktheit wieder durch. Wie diese Sachen unter sich zusammenhalten, ist mir etwas rätselhaft. Die Leute leben und schaffen dabei. Du kannst daran erkennen, daß es hier nicht nur reiche Menschen gibt. Aber eines kann ich sagen, daß hier in diesem Agrarland das Leben vor dem Krieg wohl leichter gewesen ist wie bei uns. Was waren wir doch für arme Schlucker und haben es nie so gemerkt, weil wir nichts anderes gesehen haben. Wir brauchen dem wohl nicht weiter nachzutrauern, aber man sieht daran, daß wir wirklich Habenichtse waren. Trotz des leichteren Lebens, das hier wohl zweifellos bestand, ist eben Deutschland Deutschland. Ich kaufte mir hier die Zeitschrift „Die Woche“. In ihr ein Bild vom Hohentwiel. Das führt einem doch etwas ganz anderes vor Augen als was sich einem hier zeigt. Ich habe mich unseres letzten Besuchs dort oben gern dabei erinnert. Daß wir Vater mit dorthin bekommen hatten, hatte mich besonders gefreut. Ich glaube auch, daß ihm das ganz gut gefallen hat. Ich kann mich nur noch wundern, wie er alles so widerspruchslos hingenommen hatte. Nicht einmal beim Mittagessen hat er reklamiert. Daß er auch das Hemd gleich so annahm und anzog setzte mich in begreifliche Verwunderung, weil er doch früher immer in dieser Beziehung so anders war. Ja, der Urlaub war doch sehr schön.
Für heute lassen wir es wieder einmal genügen. Recht herzlich grüße ich Euch alle meine Lieben. Unseren beiden Lausern gib doch einen lieben Kuß. Du selbst sollst aber recht herzlich und fest geküßt sein von Deinem Ernst.

Mein gute, liebes Mädel !                                                                                   8.9.43     
      
Die heutigen Nachrichten haben nun das wahre Gesicht unserer Verbündeten gezeigt. Jetzt wissen wir nun, woran wir mit ihnen sind. Diese Haltung kommt ja einem Verrat gleich. Nach dem Rücktritt von Mussolini konnten wir ja keine Ehrlichkeit mehr von den Italienern mehr erwarten. Der König hat uns im letzten Krieg schon einmal so mitgespielt. Ganz unerwartet kam mir dieser Schritt nicht, daß aber diese feige Gesellschaft sich bedingungslos ergibt, das hätte ich doch nicht erwartet.  Hoffen wir trotz allem weiter, daß es sich für uns doch wieder zum Guten wendet. Es kann ja nun sein, daß ich jetzt wieder eine feste Tätigkeit bekomme. Aber abwarten ist immer das beste Mittel. _ Mein Fahrschein nach Belgrad liegt meinem heutigen Schreiben bei. Außerdem habe ich noch den Nachturlaubschein beigefügt, den ich mir für den Tag oder besser gesagt für die Nacht besorgt hatte, in der Du ankamst. Lege diese kleinen Dinge mit zu den anderen Sachen, die ich immer noch mit aufgehoben habe. Ich kann mich in Erinnerung an diese Tage immer wieder nur freuen und Dir recht herzlich danken für Deinen lieben Besuch. Es ist nur gut, daß die Kinder schon so verständig sind, daß man sie allein lassen kann. Ich danke Dir also nochmals für die schönen Stunden, die Du mir mit Deiner Anwesenheit bereitet hast. Wie ich Dir schon einmal schrieb, wird mir diese kurze Zeit immer in schöner Erinnerung bleiben.  Ich weiß ja, daß Du die gleichen Empfindungen gehabt hast und das freut mich umso mehr. Ich sagte Dir doch, als wir dort zusammen waren, daß man mir meine Rechnung für die gekauften Schulterstücke in München nicht bezahlen sollte. Das Geld habe ich schon in der Tasche. Ich habe hier gesagt, daß ich für meine neue Feldbluse diese neuen Schulterstücke gebraucht habe und da ich nicht Selbsteinkleider bin, ist das mir zu erstatten. In München hatte ich keine Gelegenheit, dies zu regeln und schon hat es geklappt. Die Gepäckaufbewahrungskosten, wie wir in München hatten, habe ich auch angefordert. Du hast sie ja bezahlt. Wenn ich sie ersetzt bekomme, dann muß ich Dir wohl das Geld zusenden. Ich weiß zwar nicht, was Du bezahlt hast, aber vorsichtshalber habe ich einschließlich Gepäckträger 2.20 RM verlangt. Das ist doch nicht zu wenig. Man muß eben zusehen, daß man nicht zu kurz kommt.
Froh ist man hier, daß man wieder jemand gefunden hat, der hier OvD mitmachen kann. Für heute bin ich dazu eingeteilt worden. Ich denke, daß aber nicht viel dabei zu tun sein wird, wie das meist üblich ist. Gleich nach meiner Ankunft bin ich auch schon hier geimpft worden. Diesmal wurde gleich von der Spritze jetzt die Hälfte genommen, so daß ich gegen Ruhr und Cholera wieder geeicht bin. Typhus kommt nun auch bald dran, so daß ich dann wieder komplettgeimpft bin. Das sind unsere Freuden, die uns immer vorbehalten bleiben. Bonbons gibt es zwar nicht, aber dafür erhalten wir immer wieder Atebrin-Tabletten, die vor Malaria schützen sollen. Damit es uns nicht zu wohl wird, so hat man diesen Tabletten einen gallebittren Geschmack geben. Aber man gewöhnt sich an so vieles.
Durch die Abreise der Italiener aus diesem Raum, die ich hier auf meiner Herfahrt beobachten konnte, wurde mir schon klar, daß sie nicht mehr lange mitmachen würden. Sie waren ja in diesem Raum hier ziemlich stark vertreten. Daß hier bulgarische Einheiten liegen, das war mir früher nicht bekannt. Ich war erstaunt, doch soviel Soldaten von den Bulgaren hier anzutreffen. Sie machen zwar auch einen billigen Eindruck. Wie sie sich sonst benehmen, wenn es einmal schießt? So wird man immer mit neuen Völkern auf diese Weise bekannt. Aber nicht nur das, auch Leute aus der früheren Heimat laufen einem über den Weg. Di Kommandantur hier besteht vorwiegend aus Sachsen. Das ist das erste Mal, daß ich mit ihnen in verstärktem Maße zusammentreffe. Ich kann aber nichts dafür, ich habe sie nicht in mein Herz geschlossen. Die Sprache ödet mich an und auch der Charakter dieser Leute sagt mir nicht zu. Unter sich sind sie sehr uneinig und mögen sich selbst nicht riechen. Einer schimpft auf den anderen. Von einer Gemeinschaft kann hier nicht die Rede sein. Es ist noch ein Wunder, daß man mich an den Zuteilungen, die hier den einzelnen Leuten zukommen, teilhaben lassen. Wenn ich mich nicht gerührt hätte und es dem Spieß persönlich wäre, hätte ich wahrscheinlich nichts bekommen. Ich bin aber trotzdem froh und dankbar für alles, was ich Euch zukommen lassen kann. Es sind zwar immer nur Kleinigkeiten, aber so kommt uns dann wenigstens nicht die Polizei ins Haus.  
(Anmerkung: Er bezieht sich wahrscheinlich auf das Ereignis, daß die Gestapo zu uns in die Wohnung kam, weil wir angezeigt worden waren wegen der vielen Pakete und Päckchen)  Nun wir brauchen wirklich keine Bedenken zu haben, denn das, was ich schicke, ist ehrlich erworben und wir können es nicht ändern, wenn sich andere Leute darüber ärgern. Lassen wir sie dabei und ich versuche weiterhin, das für Euch zu bekommen, was mir möglich ist. Recht liebe und herzliche Grüße und viele, viele Küsse sendet Dir und den anderen in Liebe Dein Ernst.

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