Montag, 25. Juni 2018

Brief 436 vom 23./24.6.1943


Mein liebster Schatz !                                                                     23.6.43   
     
 

Auch gestern erhielt ich keine Post. Ich möchte schon sagen, das ist nicht mehr schön, wie schlecht jetzt die Postbeförderung ist. Aber alles Schimpfen und Zetern wäre ja zwecklos und helfen kann man sich nichts daheim. Man steht also vollkommen hilflos gegenüber und muß abwarten. Es wird sich schon wieder einrenken. Nachdem ich Deine letzten Briefe nochmals durchgelesen habe, stelle ich fest, daß verschiedene Einzelheiten zu beantworten sind, auf die ich gern eingehen will. Deine Mitteilung, daß es mit unserer Helga nach Deinem Besuch in der Schule jetzt besser geht, freut mich ungemein, denn wenn man den Erfolg in solch auffallender Weise sieht, und wenn man weiß. daß man dem Kind damit über eine Klippe hinweggeholfen hat, dann ist man doch selbst ganz zufrieden. Es wäre ja zu schade, wenn sie sich auf diese Weise die Lust  am In-die-Schule-Gehen verderben wurde, und man steht dann als Erwachsener dabei und tut nichts für deren Abwendung. Außerdem hat man doch dem Kind die Freude daran wieder zurückgegeben. Ich kann mir vorstellen, daß sie mit einem gewissen Gefühl des Bangens in den Unterricht gegangen ist. Sie wird sich mit der Zeit auch so festigen, daß ihr das keine großen Schwierigkeiten bereitet. Es ist nun einmal so mit dem Lernen. Es geht nicht alle Tage gleich gut, und von Zeit zu Zeit tritt einmal ein kleiner Stillstand ein. Wenn ein Mensch aber normal ist, dann kann es das Versäumte bald nachholen. Was Dich persönlich und Deine Gesundheit anbelangt, so mußt Du Dich mit Geduld wappnen. Es ist eine langwierige Angelegenheit, und sie wird sich nicht von heute auf morgen beheben lassen. Es handelt sich ja nicht allein darum, daß Du die Tabletten nimmst, sondern daß Du Ruhe und eine richtige Ernährung dazu hast. Die beiden letzten Faktoren fehlen ja fast ganz und sie sind nicht ganz ohne Bedeu tung. Wenn Du dann schreibst, daß Du Dich darüber ärgerst, daß Du Dich über Dich selbst ärgerst, weil Du Dich wegen der Größe des Gartens der Arbeit nicht immer ge wachsen fühlst, so liegt doch für Dich wirklich keine Veranlassung dazu vor. Denn ich weiß es ja von mir selbst, daß es keine Kleinigkeit ist, und daß man sich sehr dahinter klemmen muß, wenn man ihn immer in Ordnung haben will. Daß Du dann auch nicht sehr zum Ausruhen kommst, ist mir ganz erklärlich. Ich kann nur immer wieder meine mahnende Stimme erheben und dich daran erinnern, daß du Dich nicht mit der vielen Arbeit übernimmst. Ich bin darum froh, wenn ich lese, daß Du die Kinder ab und zu mit einspannst. Sie können Dir ja manches abnehmen. Wenn es nur eine Zeit ist, in der Du Dich nicht so bücken brauchst. Die Erdbeeren werden auch sicherlich ge schmeckt haben. Wenn die Ernte vorbei ist, schreibe mir bitte einmal, wie viel Du wieder geerntet hast. Das interessiert mich immer. Man kann sich dann ungefähr einen Be griff vom Nutzen der Arbeit machen. Vater wird sich sicherlich auch darüber gefreut haben, als Du ihm einige abgabst. Mit den Rosen hast Du auch Deine Freude, wie ich lese. Das macht Dir dann selbst immer wieder Spaß. Schneide nur die Seitentriebe, die von unten herkommen und sich vom Stamm abzweigen, ab. Es geht ihm sonst zuviel Kraft verloren. Daß Du lieber Stachelbeeren und Johannisbeeren einkochen willst, das ist nun unter den Zuckerzuteilungsverhältnissen verständlich. Ich frage mich nur immer wieder, wie ich hier an Zucker herankommen kann. Es ist aber so gut wie ausge schlossen. Ich kann Dir berichten, daß wir ab und zu mit den Gartenerzeugnissen in Berührung kommen. Radieschen und Salat haben wir schon verschiedentlich bekommen.  Aber auch Erdbeeren hat es zweimal gegeben. Man freut sich auf alle Fälle darüber, das ist ja klar. Gerade jetzt erhalte ich Deine lieben Briefe vom 12. und die zwei vom 13.6., für die ich Dir herzlich danke. Ich habe sie zwar bereits gelesen, aber ich beantworte sie Dir morgen mit, da keine eiligen Dinge zu erledigen sind. Ich habe mich sehr darüber gefreut, wieder Nachricht von Dir zu erhalten, weil sie ziemlich lange ausgeblieben war. Ich mache mir immer einige Gedanken, ob Ihr auch gesund seid. Ich finde das ja bestätigt und daß meine Sorge unnütz war. Bleibt weiterhin schön gesund und laßt Euch recht herzlich grüßen und vielmals küssen von Deinem Ernst.

Meine liebe Annie!                                                                              24.6.43
         
Heiß sind jetzt die Tage und im Zimmer ist es schon nicht mehr schön. Eine unerträgliche Schwüle herrscht und man freut sich schon auf den Abend, der dann etwas Erfrischung bringt. Soweit ich hier wegkomme, gehe ich an den Strand zum Baden. Das ist sehr  angenehm und wohltuend für den Körper. Das Wasser ist zwar durch die langanhaltende Sonne auch schon ziemlich warm geworden, aber angenehme ist es doch. Der Betrieb ist groß und erinnert ungefähr an die Bilder von Berlin-Wannsee.  Der Strand ist ja sehr ausgedehnt, so daß man sich nicht unbedingt mitten in die Menschenmenge pflanzen braucht. Der Sand ist wirklich sehr schön und es sehen die mei sten Menschen darauf, daß alles sauber bleibt. Dadurch, daß Baden vielfach als Dienst angesetzt ist, kommen ich auch öfter hinüber, und ich muß sagen, es ist wirklich eine Erholung. Der Weg ist ja nicht kurz, und wenn man nach hause geht, muß man erst das steile Ufer erklettern. Hinterher ist man redlich müde, und man kann gerade wieder mit Waschen anfangen, so ist man durchgeschwitzt. Meine braune Farbe konnte ich auf diese Weise beibehalten. Wenn wir noch eine Weile hier bleiben sollten, dann werde ich diese schöne Gelegenheit noch ausnutzen, denn die Sonne und die Luft wirken doch wohltuend auf den Körper. Gestern Nachmittag erhielt ich von Dir noch den Brief com 14.  dessen Eingang ich Dir hiermit bestätigen und Dir dafür danken will. Ich muß aber erst noch die anderen Briefe der Reihe nach beantworten, die ich gestern erhielt. Wie ich feststellen kann, macht Euch das Baden auch viel Spaß und unseren Beiden scheinen auch ihre Freude daran zu haben. Daß Helga nun mit dem Kopfsprung anfängt und keine Angst hat, zu üben, das freut mich sehr. Am Anfang kann es schon passieren, daß man den Schwung noch  nicht so heraus hat. Mit der Zeit wird es aber schon wer den. Aber auch Jörg findet jetzt wohl mehr Gefallen am Baden wie vorher. Daß er „Ränzle“ macht, das ist mir nicht ganz geläufig. Man merkt doch, daß man schon Jahre weg ist, und daß sich solche Begriffe verwischen. Ich vermute zwar, daß es auch Kopfsprung ist, aber ich kann mich zwar auch täuschen. Sie sollen sich aber nur mit dem Wasser vertraut machen, das ist nicht ohne Bedeutung. Ich verlange ja nicht, daß sie nun Meisterschwimmer werden, aber sie sollen sich darin bewegen können. Es ist doch heute so, daß es fast keinen jungen Menschen mehr gibt, der nicht schwimmen kann. Der Prozentsatz ist heute ja viel kleiner als in früheren Jahren. Lasse sie es nur weiter so machen. Ich glaube auch, daß Du es dankbar empfindest, wenn Du Dein eigenes Gemüse und Dein eigenes Obst hast. Erstens sind die Zuteilungen nicht so groß, wie Du sie Dir aus dem Garten beschaffen kannst. Dann ist doch alles viel fri scher und zuletzt mußt Du Dich nicht darum anstellen und mußt nicht froh sein, daß Du überhaupt etwas bekommst. Die Arbeit, die Du mit dem Garten hast, ist zwar auch keine Spielerei, aber man sieht doch auf diese Weise, daß es sich verlohnt, daß man sie leistet. Wie ich gelesen habe, seid Ihr meinem Vorschlage entsprechend wenigstens aus dem Haus gegangen. Ihr würdet wohl auch ohne mein Hinweis aus dem Haus gegangen sein, aber immerhin freue ich mich, daß Ihr Euch freigemacht habt. Es ist ja schon ab und zu einmal notwendig, daß man aus dem Bau kommt, sonst versauert man ja. Ihr könnt es Euch ja leisten, denn geldlich sind wir doch jetzt so gestellt, daß uns das keine Sorge weiter bereitet. Daß es mit den Marken nicht so einfach ist, wenn man auswärts essen will, das kann ich verstehen, und ich hatte dies nur angeregt, daß Du nicht etwa wegen des Geldes Bedenken haben brauchst. Für Dich wäre es dann auch ganz günstig gewesen, wenn Du einmal nicht kochen mußt.  Aber wie ich sehe , sind die Tage auch bei Euch ganz nett verlaufen, und das freut mich sehr. Daß Du für Euch aus dem seinerzeit mitgebrachten Stoff aus Frank reich für Euch jetzt zwei Röcke hast machen können, hat mir sehr gefallen, und ich bin froh, daß Ihr Euch wieder etwas schaffen konntet, was sonst in der gegenwärtigen Zeit nicht  möglich gewesen wäre. Ich kann mir denken, daß sie ganz nett  geworden sind. Ich  würde Euch beide gern damit sehen. Ich werde auf Deinen Wunsch  selbstverständlich  nicht an Nannie schreiben. Dein Einwand, daß es dort oben unsi cherer wäre, ist wohl nicht ganz berechtigt, aber ich verstehe vollkommen, daß Dir Helga jetzt schon eine Hilfe ist. Zwar mußt Du ja damit rechnen, daß sie in diesem Sommer zur Landhilfe hingezogen wird. Es war ja con mir nur eine Anfrage, zu der ich Deine Meinung hören wollte. Ich hatte ja nicht die Absicht, darauf hinzuwirken, daß Helga nun dorthin fahren muß. Daß Taupitz es nun doch geschafft hat und nach Konstanz gekommen ist, das wundert mich. Er ist ja früher viel herumgekommen. Aber seine Arbeit hat ihn ja sehr aufgehalten und der Mangel an Geld wohl auch. Nannie wird ja froh sein, einige Tage Ruhe zu haben. _ Dich grüße ich herzlich und bin mit vielen Küssen für Dich und die Kinder Dein Ernst.

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