Mittwoch, 13. Juni 2018

Brief 430 vom 09./10.06.1943


Meine liebste Annie !                                                                            9.6.43      
  
 

Zuerst vielen Dank für Deine beiden Briefe vom 28. und 30.5., die mir gestern zugingen. Meine Post vom Land trifft also nach und nach bei Dir ein. Das freut mich. Du mußt zwar immer etwas länger warten, aber ich hatte Dir ja geschrie ben, daß es unzweckmäßig wäre, wenn ich jeden Tag meinen Brief abgesandt hätte. Sie wäre doch zur gleichen Zeit in Deinen Besitz gekommen. Jetzt ist es ja wieder anders, und ich hoffe, daß Dich nun wieder laufend meine Briefe erreichen. Die Verpackung der Eier hat mir diesmal einige Schwierigkeiten gemacht, weil ich kein geeignetes Packmaterial da hatte. Ich habe sie aber heute an Dich abgesandt. Glücklicherweise hatte ich noch zwei Kartons von Dir, die habe ich dazu verwendet. Ich will hoffen, daß sie alle gesund in Deine Hände kommen. Die Päckchen tragen die Nummern 12 und 13. Für die nächsten Eier habe ich wahrscheinlich wieder Kisten, so daß es etwas einfacher ist. Man muß sich immer erst die Sachen besorgen, aber das ist ja nicht so schlimm. In den letzten Tagen war ich ziemlich mit Dienst in Anspruch genommen, so daß ich nicht einmal dazu gekommen bin, an Siegfried zu schreiben. Ich will aber versuchen, es heute noch nachzuholen. Seit ich vom Land zurück bin, war ich dienstlich ziemlich in Anspruch genommen. Wahrscheinlich wird sich das nun bald ganz geben, denn über unserem Einsatz liegt noch tiefes Dunkel, obwohl die verschiedensten Parolen herumgehen. Danach werden wir vom Mittelmeer bis nach Norwegen eingesetzt. Das sind ja weiter keine Entfernungen. Aber nicht nur die vertikale sondern auch die horizontale Richtung erfreut sich großer Beliebtheit. Vom Atlantik bis zum Osten ist kein Ort sicher, an dem wir verwendet werden sollen. Ich mache mir vorerst keine Gedanken, denn ich muß mich schließlich doch mit dem abfinden, was sich ergibt. Deine Frage, ob mir es nicht langweilig wirkt, wenn du mir von Eurem Tagesgeschehen erzählst kann ich nur dahingehend beantworten, daß ich mich immer freue, wenn ich lese, was Ihr den Tag über angestellt habt. Du kannst mir aber auch einmal speziell von den Kindern schreiben, was sie erzählt habe, wie Du das schon oft getan hast. Nein, mache nur so weiter und es ist bestimmt nicht am Platz, daß Du jetzt etwa Deinen Stil und Deine Art  änderst. Gefreut hat mich Deine Nachricht, daß wieder zwei Päckchen eingegangen sind. Es ist täglich immer eine kleine Sorge: Mit Schokolade von hier hatte ich ja noch kein großes Glück. Umso mehr hat es mich deshalb gefreut, daß diese eine Sendung richtig eingetroffen ist. Daß die Kinder Abnehmer für die gefüllte sind, das konnte ich mir denken, denn von der anderen waren sie von je nicht groß einge nommen. Es hat mich gefreut, Euch damit eine kleine Abwechslung zu bieten, und ich lese, daß alles bei Euch auch vollen Anklang gefunden hat. Die Tabakwaren verwende dann so, wie Du es mit mitgeteilt hast. _ Was macht Ihr denn nur für Sachen. Wenn man nicht daheim ist und auf Euch obachtgibt, dann klappt es nicht. Das kann man wieder einmal ganz klar ersehen. Früher, wo ich daheim war, hat bei uns doch die Erde nie gewackelt. Jetzt fangt Ihr nun mit solchen Mätzchen an. Ist das notwendig? Ich glaube wohl nicht, daß Ihr Euch aber innerhalb so kurzer Zeit gleich zwei Erdbeben leistet, das ist doch zuviel. Wichtig ist nur, daß kein Schaden dabei entstanden ist. Aber das ist bei uns dort unten für Deutschland ein Gebiet, was darunter zu leiden hat. Vor allem  in der Gegend des Untersees und dann das ganze Gebiet hinunter bis nach Heidelberg. Voreilige Leute werden und wieder Gelegenheit haben, dies als bestimmtes Vorzeichen zu werten. Mich würde es jedenfalls nicht wundern. Ich grüße Euch, meine Lieben, alle recht herzlich und bin mit vielen Küssen an Dich und die Kinder Dein Ernst.

Mein liebstes Mädel !                                                                          10.6.43    
       


An Post erhielt ich gestern Deinen Brief vom 31.5. und eine Karte von der Taufe der kleinen Ursula. Ich muß schon sagen, daß ich etwas erstaunt war, nachdem ich von der Einstellung Siegfrieds zu den kirchlichen Dingen glaubte, anderer Meinung sein zu müssen. Überhaupt hat die Karte, so kurz wie sie ist, sehr interessante Punkte. Da waren also alle beieinander. Dein Vater und Alice, seine Frau und die Frau Kühn, sogar der Herr Pfarrer hat unterschrieben. Ich muß nur feststel len, daß wir ganz schlechte Christen im Laufe der Jahre geworden sind. Was da für bewegende Gründe vorliegen weiß ich ja nicht, und ich werde von mir aus nichts dazu schrei ben. Ich will da keine Kritik üben, denn wenn wir tatsächlich noch einmal in diese Lage kommen sollten, dann könnten wir nicht viel anders handeln. Den christlichen Schliff zu verabreichen müssten wir zwar in diesem Fall den Pfarrern überlassen, weil wir von uns aus keinen so großen Wert darauf legen. Es steht zwar ziemlich eindeutig bei uns fest, daß wir keine Heiden sind. Aber es ist ja genau so klar, daß wir keine Kirchenchristen sind, wie sie sich die Pfarrer gern wünschen. Lassen wir das, denn wir sind uns ja darüber einig, wie wir in dieser Beziehung mit unseren Kindern vorgehen wollen, und wir glauben auch zu wissen, was ihnen zuträglich ist. Denn unserer Verantwor tung, sie in diesen jungen Jahren zu leiten, sind wir uns wohl bewusst. Später gehen sie doch ihre eigenen Wege, die wir dann nicht mehr in diesem Maße beeinflussen können.   Ich wünschte  nur, daß ich ihnen auch dann immer noch so viel geben könnte, um  ihnen den richtigen  Weg zu weisen. Meist ist es ja so, daß die Kinder sich selbst  durchbeißen müssen,  um zu den Erkenntnissen zu gelangen, die wir ihnen durch Erfah rung wohl mitteilen  könnten, die sie aber ihm Moment nicht als solche erkennen,  sondern dies als Schulmeisterei  betrachten. Darum ist mein Wunsch, ihnen in diesen Jahren später  immer soviel Freund  zu sein, daß ich für ihre Belange genau so ein Verständnis habe,  wie sie auch erfahren  müssen, da es im Leben nicht immer so geht, wie man sich das  immer erst so gern  vorstellt. Ihnen hierbei Helfer zu sein, ist wohl eine der  schwierigsten Aufgaben, die  einem Erziehungsberechtigten auferlegt wird. Das sind zwar Dinge,  die jetzt noch nicht  spruchreif sind, aber wenn ich die anderen Jahre jetzt zurück blicke, dann sind diese  so schnell vergangen, so daß man sich jetzt schon bald langsam  damit beschäftigen  muß. Ich bin heute auf ganz anderes Sachen gekommen, als ich erst  eigentlich beabsichtigt  hatte. Aber es ist kein schade, wenn man sich einmal darüber  unterhält. Was Du  nun in dem einen Brief schreibst, daß es angenehmer sei, in der  Sporthose herumzulaufen  als in dieser dicken Kluft, das ist wohl wahr. Ich habe das jetzt  besonders wieder  gespürt, denn bei uns herrscht jetzt eine Hitze wie in den Hunds tagen. Jeden Tag  bin ich ein paar mal durchgeschwitzt. Das ist schon nicht mehr schön. Wenn ich dann etwas freie Zeit habe, dann greife ich gern auf die Sporthose zurück, denn das ist schon wesentlich angenehmer. Die Speisezubereitung würde auch bei Dir weniger Anklang finden. Das kann ich mir vorstellen. Aber für saure Gurken wärst Du zu haben. Das wäre ja auch zu ertragen. Mit den Sonnenblumenkernen ist das so eine eigene Sache. Diese werden doch etwas geröstet, und dann schmecken sie wie andere Nüsse. Es  ist zwar eine mühevolle Arbeit, aber immerhin, wenn man wie dort keine Beschäftigung hat, dann kann man diese Betätigung sogar als unterhaltsam und angenehm empfinden, vor allem, wenn man nichts anderes hat. Das Spucken der Schalen macht ja den meisten Spaß. Aber das ist nicht so einfach wie das aussieht. Ich bekenne ehrlich, daß ich mich noch zu den Laien zähle und noch kein Spezialist geworden bin. Was nun Deinen Durchmarsch anbelangt, so sehe ich schon, daß ich Dir für solche Fälle einige Opiumtabletten beschaffen muß. Aber auch Kohletabletten , die in jeder Apotheke erhältlich sind, helfen dagegen. Ich schreibe Dir das nur, damit Du Dir einmal helfen kannst, wenn Du jetzt wieder in diese Verlegenheit kommen würdest. Wie ich habe lesen können, hast Du so den richtigen Geschmack wegbekommen, wie einem dabei zumute ist. Das kann einem schon ziemlich anhängen. Ich hoffe aber fest, daß es Dir inzwischen wieder gut geht. Mit vielen herzlichen Grüßen und Küssen für Dich und die Kinder und auch Vater bin ich immer Dein Ernst.

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