Meine
liebe, gute Annie !
3.6.43
Heute will ich Dir, nachdem ich gestern wieder einen Brief vom 23.5 erhielt, Deine anderen Schreiben beantworten, soweit mir das heute möglich ist. Zuerst will ich aber noch meine Päckchen ankündigen, die ich heute an Dich abgeschickt habe. Es sind zwei große Büchsen Fleisch. In einer kleinen Büchse ist wahrscheinlich auch Fleisch oder Wurst. Dann sende ich noch eine Büchse mit etwas Butter. Den Zucker habe ich auch mit verpackt. Das kleine Säckchen musst Du mir wieder mit zurücksenden, weil ich das wieder brauche. Das Gebäck in der Tüte gehörte zu meiner eisernen Ration, die ich mit gefasst hatte, Ich lasse sie auch mit zugehen und verzehrt sie mit wie auch die Bonbons, und für das Brausepulver wirst Du schon Verwendung haben.
Die Päckchen haben die Nummern 8 bis 11. Ich hoffe, daß Dich alles gut erreicht.
Ich habe mich riesig gefreut, als ich von Dir las, wie die Kinder Dir den Muttertag gestaltet hatten. Das war sehr lieb von ihnen, wie sie an alles gedacht hatten. Wie sind sie denn zu dem Teller gekommen? Das hat ihnen doch ganz schön Geld gekostet, wenn sie diese Sache alle gekauft haben. Ich wundere mich nur, wie sie sich das alles zusammengespart haben. Es sind doch sehr liebe Kerle. Mit den Tomaten wirst Du wohl auskommen, denn das ist ja ein ganz schöner Schwung. Das habe ich hier auch kennen gelernt. Man macht hier die Tomaten ein wie die Salzgurken und verwendet sie dann mit zum Kochen. Ich glaube, daß das Verfahren das gleiche ist. Womöglich kennst Du es schon selbst und ich erzähle Dir damit nichts neues. Aber bei uns ist es ja so, daß sie auch ohne Einmachen alle werden. Ich wünsche Dir jedenfalls recht guten Erfolg damit. Die kleine mitgesandte Marke ist eine Briefverschlussmarke, die ich von Deinem Vater zugesandt bekam. Ich Schlauberger wollte sie auf den Brief zum Muttertag verwenden und hatte sie mir im Umschlag bereitgelegt.
Als ich dann den Brief soweit hatte, habe ich es dann vergessen, sie zu nehmen. So geht es, wenn man nicht richtig aufpasst. Du schreibst mir, daß Du im vergangenen Monat 15 Eier bekommen würdest. Ich habe hier auch 20 Stück erhalten, die ich Dir mit zusenden werde. Ich wünschte nur, sie kommen alle ganz an. Ich werde mich bemühen, sie richtig zu verpacken, denn dann kannst Du Dir die, die Dir normalerweise zugeteilt werden, einlegen und diese für den täglichen Bedarf verwenden. Deine Mitteilung, daß Du mit der Lehrerin von Helga gesprochen hast, hat mich sehr interessiert. Ich ging ja schon aufgrund Deines letzten Hinweises auf diese Angelegenheit ein. Es tut mir für Helga leid, daß sie in dieser Hinsicht nicht so flott ist. Daß sie richtig rechnet, das kann ich mir denken. Sie macht es aber anscheinend nur deshalb langsamer, um evtl. Irrtümern aus dem Wege zu gehen. Ich kann mir darum nicht vorstellen, daß das nun auf die Note etwas ausmachen soll. Es kommt doch ihm wesentlichen nicht darauf an, daß es fix geht, sondern daß es richtig ist. Die Äußerung, daß das Leben hart sei, stimmt durchaus, und ich weiß auch, daß man draußen im Leben nicht auf jeden Rücksicht nimmt und nehmen kann. Aber wenn sie Helga Fehler vorwirft, dann wird sie bei ihrer Veranlagung verwirrt und kommt durcheinander. Sie muß erst noch etwas gefestigt werden, um diese Dinge zu erkennen. Ich glaube, daß sie später darüber dann besser hinwegkommt.
Man braucht und muß sie darum nicht verhätscheln, aber es lassen sich nicht alle Menschen über einen Leisten festigen. Das ist ja entscheidend. Wie Du mir nun mitteilst, ist es nach Deinem Besuch wieder besser geworden, und ich glaube, daß wir vorerst keine Schwierigkeiten weiter haben werden. Das wir nicht alles von der Schule verlangen könne, das ist ganz klar, aber die Schule muß auch ihren Teil tun, wie wir es ja auch zu tun gewillt sind. Helga muß selbstverständlich auch an sich arbeiten und das wird sie ja auch tun, wenn man es ihr recht vor Augen hält. Wenn es ihr hier nur zu einer 3 langt, dann ist das nicht weiter so schlimme. Es stört wohl das Gesamtbild, das so ausgeglichen aussieht, aber es lässt sich nicht ändern. Wenn unser Mädel so weichherzig veranlagt ist, dann ist das eine Sache des Gemüts und eine reine Veranlagungssache.
Wenn sie später einmal mit dem Leben in Berührung kommt und auf sich angewiesen sein wird, dann glaube ich fest, daß sie sich dann auch zurechtfindet, denn wir haben es ja auch alle. Ein Angsthase ist sie ja auch nicht, denn das kann man ja daran sehen, wie sie beispielsweise im Wasser sich bewegt. Das Hineinspringen und Unsinnmachen erscheint zwar beim bloßen Zusehen als Unsinn, aber alles, was man in dieser Beziehung neu dazu lernt, kostet doch eine neue Überwindung und verlangt von Fall zu Fall eine Mutprobe, bis eben das Sicherungsgefühl kommt. Und das sie kein Feigling ist, das erkläre ich mir aus diesen Lebensäußerungen. Hoffen wir das beste für sie, damit sie weiter gut vorwärts kommt unser lieber Kerle. Schönen Dank für die Übersendung des Ahnenpasses. Ich habe ihn mir durchgesehen und ich hoffe, daß ich bald zum Schreiben komme. Sofern ich Antwort erhalte, glaube ich, daß sich noch verschiedenes feststellen läßt. Es genügt vollkommen, daß Du mir das in das Schreibheft geschrieben hast. Nimm es bitte genau mit der Kur, die zum Aufbau Deines Körpers notwendig ist. Man muß schon in normalen Zeiten auf seine Gesundheit immer acht geben, aber in der gegenwärtigen Zeit ist dies besonders notwendig, weil man sich doch nicht so ernähren kann, wie das im Frieden möglich ist. Sobald Deine Tabletten alle sind, gehe nur gleich wieder zum Arzt, damit nichts versäumt wird.
Wichtig ist ja dabei, nach meinem Dafürhalten, daß Du Dich schonst, soweit sich das irgendwie einrichten Läßt. Ich freue mich immer wieder, wenn Dur mir von Deinen eingeschobenen Ruhepausen schreibst. Ich kann doch daraus ersehen, daß Du Dich doch ein bisschen an meine Weisungen hältst Der Garten nimmt Dich ja auch immer wieder in Anspruch, denn das Unkraut ist schneller und zahlreicher wie die Kulturpflanzen, aber Helga und Jörg sind ja schon groß genug, um Dir bei der Vertilgung behilflich zu sein. Auch sonst bist Du stark im Garten beschäftigt. Ich habe immer so das Gefühl. daß Dich die Gartenarbeit zu sehr in Anspruch nimmt. Du selbst schreibst es mir ja nicht, aber ich merke es manchmal so aus den Zeilen, oder sollte ich mich täuschen? Unsere Gartenanlage ist auch für eine Frau allen zu groß zu bearbeiten. Ich mache mir darum schon immer Gedanken, daß ich Dir diese ganze Last aufbürde und Dich dabei nicht unter stützen kann. Lasse mich mein heutiges Schreiben bitte abschließen. Ich wünschte nur für Dich, daß Du Dich genügend kräftigen möchtest und dann auch wieder besser den Anforderungen gewachsen wärst. Denn ich kenne Dich zu genau, weil ich weiß, wie gern Du selbst diesen Zustand herbeiwünschst. Ich hoffe, daß Ihr den Umständen entsprechend wohlauf seid. Ich selbst kann das von mir auch sagen. Recht herzliche und viele liebe Grüße und Küsse sendet Dir und den Kindern Dein Ernst.
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