Sonntag, 20. September 2015

Brief 64 vom 20./21.9.1940


Meine liebe Annie!                                                             O.U. den 20.9.1940 

Deine beiden Briefe vom 13. und vom 17. habe ich erhalten, wofür ich Dir bestens danke. Der erste Brief war trotz richtiger Adresse fehlgeleitet worden und zwar hier zur Reichsbahn. Er ist ja nun doch angekommen, so daß alles wieder in Ordnung ist.
In diesem Brief teilst Du mir mit, was Du für die Kinder brauchen könntest. Ich will zusehen, was ich da tun kann. Es wäre mir recht, wenn Du zu diesem Zwecke etwa 15,-RM noch frei machen kannst.
Mit meinem zweiten Anzug werde ich es so machen. Ich lasse den Stoff hier und nehme mir andere Sachen mit. Futter hatte ich mir gleich mitgekauft, so daß diese Beschaffung nicht mehr nötig wäre. Ich kann ja dann sehen, ob ich dann später mir diesen Anzug hier machen lasse oder den Stoff so mit heim nehme.
Wenn Deine Eltern über meinen Brief beleidigt sein sollten, so kann ich das leider nicht ändern. Ich kann mich ja nicht immer bevormunden lassen. Sie sollen das tun, was sie für richtig finden. Wenn Du mich in Deinem Brief noch fragst, ob Du mich mit Schatz anreden darfst, so überlasse ich dies ganz Deinem Gefühl, einzuwenden habe ich dagegen nichts.
Zum anderen Brief habe ich noch folgendes zu bemerken. Ich finde es richtig, wenn Du Dich über mein Kommen nicht eher freust, bevor ich da bin.
Über Deine Mitteilung wegen Jörgs Augen bin ich wieder beruhigt geworden.
indest Du nicht auch, daß Siegfried viel Urlaubsgelegenheiten hat, ich bin ihm aber nicht neidisch darum.
Ich habe an Nanni heute einen Brief geschrieben, den Durchschlag davon füge ich Dir bei. Sei wieder recht herzlich gegrüßt und auch vielmals geküßt von Deinem Ernst.
Einige Marken vom Elsaß habe ich heute erhalten, die ich hier beifüge. Hebe sie mir bitte mit auf.


Meine liebe kleine Frau!                                      O.U., den 21. September 1940

Ein Regenwetter, ein regelrechtes Sauwetter herrscht heute draußen. Am Nachmittag bin ich heute dienstfrei und nun setze ich mich gleich wieder zu meinem täglichen Brief. Es ist dies sozusagen immer die stille Stunde -  das Maschinengeklapper macht zwar auch Krach - in der ich mich mit Dir über das, was mich tagsüber bewegt hat, ausspreche. Wenn es auch an manchem Tage mit der Zeit etwas knapp hergeht, so ist mir das Schreiben eines Briefes gewissermaßen zu einem Bedürfnis geworden. Ich möchte dabei aber nicht verhehlen, daß mir das Briefeempfangen zu genau so einem Bedürfnis geworden ist. Ich brauche mich darüber ja auch nicht beklagen. Wenn einmal an einem oder an zwei Tagen ein Brief nicht eintrifft, so liegt dies ja nicht an Dir, sondern meistens an der Postbeförderung, auf die Du ja keinen Einfluß ausüben kannst, wie ich ja auch nicht. Das spielt ja bei unserem regen Briefverkehr immerhin eine untergeordnete Rolle, denn dafür empfängt man an einem Tage wieder einmal zwei Briefe. Heute habe ich zwar noch keinen Brief empfangen, dafür aber Dein Päckchen. Wahrscheinlich ist der von Dir angekündigte Kuchen drin. Ich mache es mir erst daheim auf, sonst muß ich es erst wieder zusammenpacken.
In unserem Haus haben wir nun noch zwei weitere Kameraden aufgenommen, die mit uns auch hier auf dem Amt sind. Platz ist ja in unserem Haus genügend vorhanden, so daß dies in keiner Weise etwas ausmacht. Nun haben wir auch Abwechslung im Haus und für Betrieb braucht man jetzt nicht mehr zu sorgen, denn Du kannst dir sicher denken, wenn 4 so Mannsleute im Haus sind, wie es da zugeht.
Einen Kameraden habe ich, der Schach spielt. Wir hatten uns letzten Sonntag, wo er zwar noch besuchsweise bei uns war, erstmals zusammengesetzt. Es ist noch ganz gut gegangen. Wie Du ja auch aus meinen Briefen der vergangenen Woche gelesen haben wirst, war ich abends viel unterwegs und ich hatte wirklich keinen Anlaß zur Klage über Langeweile.
Gestern Abend war ich wieder in unserem Rexy-Theater. Es war eine Kleinkunstbühne zu Gast, die mit guten Kräften ein schönes Programm der Artistik und Akrobatik abwickelte.
Ich habe mich jetzt selbst wieder einmal angesehen, nachdem Du mir in einem Deiner letzten Briefe schriebst, ich sei, nach den Bildern zu urteilen, im Gesicht dicker geworden. Ja, das finde ich auch. Ich hatte das nicht so weiter beachtet. Du weißt ja selbst, wie wenig Wert ich im Allgemeinen auf mein Äußeres gebe, darum ist mir dies selbst entgangen. Es fehlt mir doch manches. Meine Frau, die mich nicht mehr ärgert, -findest Du nicht auchß-, dann mein Garten, an dem ich sonst meinen Abendsport hatte. Hier habe ich derartige Sachen nicht und schon geht man auseinander. Wenn ich sonst bei der Truppe wäre, würden zwar meine Vorgesetzten dafür sorgen, daß ich nicht soviel Speck ansetzen könnte. Vor allem ist aber das Essen, das jetzt bedeutend besser ist, seit der neue Wirt da ist, daran schuld. Es ist so, daß ich mir nicht mehr dazu kaufen muß, sondern wirklich reichlich und gut. Gestern Mittag hatten wir als Vorspeise eine Forelle mit einer Kartoffel und Soße. Als Hauptmahlzeit wurde Rindfleisch mit Erbsenbrei  und Kartoffeln gereicht. Der Nachtisch bestand aus einer Mischung von Gries und gestampftem Reis. Beides war wie Pudding gekocht. Dazu gibt´s den nötigen Wein. Nun sage einmal selbst, muß man da nicht voller werden?
In der nächsten Woche will ich wieder einmal ein Päckchen fertig machen. Wahrscheinlich werde ich halb und halb Kaffee und Schokolade schicken, denn ich denke, das wirst Du am ehesten mit verbrauchen können. Ich habe etwa noch 5 Pfd. Kaffee lagern, den ich heute erst bekommen habe. Wie sie ist, weiß ich noch nicht, ich denke aber, daß sie sich schon verwenden läßt.
Was soll ich Dir nun noch schreiben. Vielleicht das, daß die Straßen sehr unsauber sind. Doch das habe ich Dir ja schon geschildert. Wie aber die Straßen früh gereinigt werden noch nicht. Am Rinnstein sind in Abständen von etwa 100 bis 150 m  Wasserstellen, die am Leitungsnetz angeschlossen sind. Einer dieser Straßenreiniger dreht dann eine Stelle nach der anderen auf, so daß ein kleiner Bach längs des Rinnsteins entsteht. Was nun dieser Bach mitnimmt, bedeutet im Wesentlichen  die Straßenreinigung, es braucht dann nur noch kurz mit dem Besen nachgekehrt zu werden. Was zwar nicht im Bereich dieses Rinnsals ist, bleibt liegen, bis einmal ein günstiger Wind weht, der diesen Schmutz bis an den Rinnstein trägt. Ja das ist einfach und bequem, aber dreckig.
Ein weiteres Bild fällt mir frühmorgens immer auf. Eine Müllabfuhr besteht in dieser Stadt. Die Leute stellen alles, was sie nicht gebrauchen können in Kisten oder Eimern früh auf die Straße. Du wirst sagen, ja genau so wie bei uns. Fast so, nur sieht dies, entsprechend der Umgebung alles viel unsauberer aus. Die Hunde suchen sich raus, was sie noch brauchen können und auch die Katzen sieht man, die daran herumzerren. Aber nicht allein Tiere, sondern auch die Menschen finden allerhand brauchbares, was sie dann in mitgebrachte Taschen und Handwägelchen verstauen. Man staunt, was sich diese Leute alles noch da herauszerren und was sie verwerten.
Ein Brief ist nun nicht gekommen und ich möchte auch Schluß machen, weil es wieder Essenszeit ist. Du wirst meinen, die ganze Zeit spricht er nur vom Essen und nun schon wieder Essen. Es ist einmal notwendig, selbst auf die Gefahr hin, daß ich dabei dicker werde. Sei Du vielmals und recht herzlich gegrüßt, küsse unsere Kinder von mir und nimm heute(wieder briefliche) einen Kuß entgegen, aber dafür einen recht herzhaften. Es denkt immer an Dich Dein Ernst.

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