Sonntag, 6. September 2015

Brief 57 vom 5.9.1940


Meine liebe Annie!                                                                   O.U., den 5.September 1940

Gestern habe ich schon im Laufe des Nachmittags meinen Brief fertig gehabt und gleich abgesandt. Mit der Abendpost erhielt ich dann Deinen lieben Brief vom 30., in dem Du Gewissensbisse darüber bekommen hast, daß Du mir zu unserem Hochzeitstag nicht rechtzeitig geschrieben hast. Ja, was meinst Du, was ich für ein böses Gesicht gemacht habe und die ganzen Tage war ich nicht zu genießen, ich glaube, ich dürfte nicht einmal in Urlaub kommen, sonst könntest Du die Folgen dieses Ärgers noch zu spüren bekommen. Also, alles in allem, ich bin sehr ungehalten und nicht einmal ein Lächeln ist über mein Gesicht gegangen, wo ich Deine Beichte zu Ende gelesen habe, denn es war schon mehr ein Lachen.
Weißt Du, solche Dinge nehme ich überhaupt nicht so tragisch, weil sie doch nicht von grundsätzlicher Bedeutung sind. Zudem weiß ich, daß Du sehr oft und viel an mich denkst. Wenn Dir nun einmal die Übersicht dafür nicht gleich klar gewesen ist, so ist das ja auch weiter nicht tragisch. Du brauchst Dir also keine grauen Haare deswegen wachsen zu lassen, denn ich mache es ja auch nicht. Du kannst also ganz beruhigt sein.
Heute ist nun der Geburtstag unserer Helga. Sie wird zwar heute in die Schule müssen, doch sie wird schon Gelegenheit haben, ihn zu feiern. Meine Gedanken sind bei Euch und meine besten Wünsche begleiten sie heute und auch für die Zukunft. Über die verschiedenen Sachen wird sie sich sicher freuen .
Seit einigen Tagen und besonders seit heute, brummt es bei uns den ganzen Tag über. Man merkt, daß der Einsatz gegen England verschärfte Formen angenommen hat. Mit welcher Gewissenhaftigkeit aber bei uns gearbeitet worden ist, geht allein daraus hervor. Wie ich gestern gehört habe, durften unsere Flieger bisher nur militärische Ziele angreifen und bombardieren. Wer etwas anderes getan hat, wurde vor das Kriegsgericht gestellt. Ja, so ernst nimmt man bei uns das Wort des Führers.
Die Gegenseite wird ja immer versucht haben, uns etwas anderes zu behaupten. Dies geht ja schon allein daraus hervor, daß die von der Insel geglaubt haben, sie könnten sich ungestraft an unsere Zivilbevölkerung heranmachen, nach der gestrigen Rede des Führers will er diesem Treiben auch nicht mehr länger zusehen. In der nächsten Zeit werden wir ja doch bald mehr sehen.
Heute Abend wird Hans Fritsche hier sprechen. Ich werde dazu hingehen, um einen persönlichen Eindruck von diesem Mann zu bekommen, der durch seine politischen Reden so bekannt geworden ist.
Vier Päckchen habe ich heute fertig gemacht und abgeschickt. Ich habe bis jetzt noch keine Post für heute empfangen, möchte aber den Brief gleich noch mitgeben, damit er bald in Deine Hände kommt.
Die Witterung ist, wie ich Dir schon vor einigen Tagen schrieb, sehr beständig und heute ist es so warm, daß man direkt das Bedürfnis hat, wieder einmal ein Freibad zu nehmen. Auf diese Wohltat muß man eben auch verzichten können. Einmal wird  dies auch wieder möglich sein, bis dahin trösten wir uns wieder.
Viele herzliche Grüße und Küsse sende ich wieder Euch allen, Du sollst wieder besonders Deine Grüße und Küsse erhalten von Deinem Ernst.
Nachtragen möchte ich noch, daß wir seit einigen Tagen sämtliche deutschen illustrierten Zeitungen erhalten und auch verschiedene Tageszeitungen. Wir leiden also in dieser Beziehung keine Not. Ich teile Dir dies mit, damit Du Dir die Arbeit mit der Zeitungssenderei ersparen kannst. Beiliegend noch einige Bilder für Dich. Ich habe hinten drauf geschrieben, wo es ist.



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