Samstag, 26. September 2015

Brief 66 vom 26./27.9.1940


Meine liebe Annie!                                    O.U., den 26.September 1940

Mein Brief von gestern ist vorhin abgesandt worden und ich stelle fest, daß ich noch etwas vergessen habe. Damit mir das nicht nochmals passiert, will ich es gleich vorweg nehmen. Ich will Dir nur mitteilen, daß ich Kriegsverletzter bin. Brauchst aber nicht gleich erschrecken, es sind nur die Zähne. Mir ist wieder einmal eine Prozellankrone kaputt gegangen, diesmal die andere. Ich habe versucht, mich bei einem hiesigen Dentisten behandeln zu lassen, es war aber nicht möglich, dies hier behandeln zu lassen, dies hier anfertigen zu lassen, weil solche Sachen immer zum Brennen früher nach Paris gegeben worden sind. Erkundige Dich doch bitte, ob unser Dentist da ist und frage ihn womöglich, ob er mir dies während meines Urlaubs machen könnte.  Du brauchst ihm aber nicht von dem hiesigen Mißerfolg zu erzählen. Du kannst ihn ja auch noch fragen, ob er bei einem Überweisungsschein der hiesigen deutschen Zahnstation der Wehrmacht die Kosten für die Behandlung der WM in Rechnung stellen kann. Du wirst das schon diplomatisch anstellen.
Mit der Mittagspost habe ich vorhin einen Brief von den Eltern erhalten. Ich kann Dir zu Deiner Beruhigung sagen, daß mein letzter Brief das bewirkt hat, was ich erreichen wollte. Mein Schreiben haben sie nun nicht krumm genommen und sie haben auch volles Verständnis für meine Rechtfertigungen aufgebracht. Sogar die Erna hat sich zu einem Gruß aufgeschwungen.
Daß Siegfried inzwischen Unteroffizier geworden ist, war mir neu. Dazu werde ich ihm noch meinen Glückwunsch übermitteln. Heut ist nochmals ein Konzert der HJ verbunden mit einer Aufführung der Grazer Spielschar. Das  ist wieder etwas für mich und ich werde auch wieder dabei sein.
Deinen lieben Brief vom 23. habe ich soeben erhalten, für den ich Dir bestens danke. Das muß ja direkt beängstigend bei Euch aussehen, wenn Ihr soviel Äpfel dahabt. Ja, es ist schon gut, wenn man etwas daheim hat im Winter. Es war sicherlich nicht gut, als ich Dir dies Jäckchen gekauft habe, denn bei so viel Bewunderung werde ich ja am Ende noch ausgestochen. Es freut mich aber, daß es das richtige ist und Dich auch gut kleidet. Es schadet ja nichts, wenn Du auch einmal etwas hast, was Dir gut steht, denn du bist ja in den Jahren immer etwas stiefmütterlich  weggekommen. Wenn Du noch auf weitere Erfolge spekulierst, so brauchst Du mir dies nur zu schreiben, dann werde ich zusehen was sich machen läßt.
Wie Du mir mitteilst, hast Du nun auch noch das letzte Wollpäckchen erhalten und auch mit dieser bist Du wieder zufrieden. Dabei lobst Du wieder meinen Geschmack. Ich weiß schon, was mir gefällt und was auch Dir passen würde, wenn ich nur immer über das notwendige Geld verfügen könnte.
Mir ist es ja interessant, daß Du Dich jetzt hinter meine Briefmarken machst. Ich weiß schon daß Du mir dabei nichts verdirbst und daß Du Dir dabei große Mühe gibst. Ich danke Dir jedenfalls für Deine Aufmerksamkeit. Für die nächsten Tage hast Du ja dann zu tun, nach dem, was ich Dir gesandt habe.
Sei wieder vielmals und recht herzlich gegrüßt und ebenso herzlich geküßt von Deinem Ernst.


Meine liebe Annie!                                        O.U., den 27.September 1940

Meinen gestrigen Brief habe ich noch am Abend abgesandt, desto eher kommst Du in dessen Besitz. Mit der Mittagspost habe ich noch nichts erhalten, doch in den letzten Tagen ist die Post ziemlich laufend eingegangen, so daß ich hoffen kann, nachher noch Post zu bekommen.
Das war heute Mittag ein Schlag aus heiterem Himmel für unsere Gegner. Nach diesem Abkommen dürfte es sich wohl Amerika überlegen, in diese Auseinandersetzungen einzutreten. Die weitere Entwicklung muß man erst noch abwarten.
Heute bin ich zum 3. Mal im Auto gesessen und ich war ganz erstaunt, wie es schon gegangen ist. Es sind glücklicherweise nicht gerade übermäßig viel Hebel, doch sie müssen alle richtig bedient sein und bis man das im Gefühl hat, wird es keine großen Schwierigkeiten bereiten. Es hängt ja mehr oder weniger von der Übung ab. Mein Kamerad ist mindestens doppelt so lang am Steuer gesessen und hat noch nicht viel mehr erreicht, zumal er noch ausgezeichnet französisch spricht und sich besser mit diesem Mann verständigen kann. Der Lehrer gibt sich aber wirklich Mühe, nur muß man immer auf seine Zeit gewisse Rücksichten nehmen. Es würde mich nun interessieren, wie ich dann noch zu einem Führerschein komme. Ich denke aber, daß man das auch noch irgendwie schaukeln kann.
Lustig stelle ich mir das schon vor, wie jetzt bei Euch alles voller Äpfel liegt. Inzwischen wirst Du ja noch mehr haben und auch auf neue Unterbringungsmöglichkeiten gesonnen haben. Man weiß ja noch nicht, wie alles wieder kommt und dann ist man froh, wenn man auf etwas zurückgreifen kann. Ich weiß jedenfalls, wie es in den Jahren vorher war, wie man sich immer über einen kleinen Vorrat freute.
Die gestrige Veranstaltung war wieder ganz fabelhaft. Am Anfang wurden Märsche gespielt. Anschließend wurden Volksmusik und Volkstänze geboten. Weiterhin wurde mit ganz einfachen Mitteln ein Laienspiel geboten, das ganz belustigend und unterhaltend war. Die Kapelle spielte dann nochmals und zum Abschluß wurde, wie beim ersten Auftreten der Kapelle hier, das Englandlied gesungen. Ich habe doch früher das Lied auch schon öfter mitgesungen, doch mir ist der Text nie so durch den Kopf gegangen wie gerade gestern. Vor allem deshalb, weil man doch sich hier auch direkt am Kampf gegen diese Sippschaft  beteiligt fühlt und sozusagen auf dem Sprung mit steht.
Ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben, vielleicht am Anfang mit dabei sein zu dürfen. Mache Dir deswegen aber keine Sorgen, es wird schon alles glatt gehen.
Morgen werde ich versuchen, noch ein Päckchen an Dich loszulassen mit Schokolade und Kaffee. Der neue Monat fängt ja dann auch wieder an, so daß weitere Päckchen bald wieder fällig werden. Vielleicht werde ich dann erst einmal von meinem Kaffeevorrat absenden, damit ich erst den einmal wieder loswerde.
Sei wieder recht herzlich gegrüßt , meine liebe Frau, und sei Du ebenso herzlich geküßt von Deinem Ernst.
Unseren Kindern gib jedem einen herzhaften Kuß und grüße sie bestens von ihrem Vater.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen