Sonntag, 13. September 2015

Brief 61 vom 12./13.9.1940


Meine liebe Annie!                                                                O.U., den 12.September 1940

Deine Karte vom 8. und das Päckchen von Euerm Geburtstag habe ich heute erhalten, wofür ich Euch recht herzlich danke. Mit Rücksicht darauf, daß an diesem Tage Sonntag war, will ich mit einer Karte zufrieden sein. Ich will aber das nicht so laut sagen, weil ich ja an einem Tag in der Woche auch immer aussetze und das ist meistens der Sonntag.
Über die Kleinigkeiten vom Geburtstag habe ich mich sehr gefreut, so habe ich ja auch noch Anteil an dem, was Ihr daheim gehabt habt. Ich möchte hier aber nochmals ausdrücklich betonen, daß Du daraus keine Gewohnheit machen sollst, weil ich hier alles habe und weil ich Euch daheim nichts wegnehmen möchte.
Mit ist so heute wieder einmal die Erinnerung gekommen, wie wir vor einem Jahr immer  damit gerechnet hatten, daß ich nun auch bald daran komme, um meine Pflicht zu erfüllen für unseren Freiheitskampf, den wir ja jetzt führen. Wir sind so noch verschiedenen Male am Strand in Staad gesessen und haben uns gefreut, daß es uns möglich ist, noch zusammen zu sein. Erinnerst Du Dich auch noch?
Nun ist schon wieder ein Jahr vorbei. Wir hätten zu jener Zeit auch noch nicht gedacht, daß wir uns doch einmal trennen müßten, obwohl einem die Gewißheit dafür vor Augen stand. Ich weiß noch ganz genau, wie wir alles soweit geordnet hatten, damit nicht zuviel Arbeit für Dich bleiben sollte. Nun hast Du den ganzen Sommer über schon allein den ganzen Anforderungen allein gegenüber stehen müssen. Wenn es Dir vielleicht auch manchmal schwer gefallen sein mag, so hast Du Dich auch durchgesetzt.
Ich hoffe ja, daß ich demnächst doch einmal heimkommen kann und Dich in Deiner Arbeit unterstützen kann. Es werden ja nur wenige Tage sein, doch wenn wir es richtig einteilen, werden wir schon etwas fertig bringen.
Das Wetter will wahrscheinlich auch nicht mehr so recht mitmachen. Wir haben die letzte Zeit wirklich ein gutes Wetter gehabt, doch jetzt will es immer wieder regnen und nieseln. Man merkt ja nun auch, daß die Tage bedenklich kürzer werden. Nun geht´s auf den Herbst und dann wieder auf den Winter zu. Gespannt bin ich ja, ob ich den Winter hier in dieser Stadt verbringen muß.
Ich grüße Euch alle, die Ihr daheim seid, recht herzlich. Gib unseren Rangen jedem wieder einen herzlichen Kuß und sage Ihnen, sie sollen mit ihren Augen nicht mehr so Dummheiten machen und bald wieder gesund werden. Dich grüße und küsse ich wieder besonders herzlich, zwar jetzt noch brieflich, vielleicht doch in naher Zukunft persönlich.  Dein Ernst.


Mein liebes Mädel!                                                              O.U. , den 13.September 1940

Dein lieber Brief vom 9. kam in meinen Besitz. Ich danke Dir wiederum vielmals dafür. Ich muß aus Deinen Schreiben immer wieder entnehmen, daß unser Apfelbaum diesmal wiederum so reichlich trägt. Das ist doch gewissermaßen der Dank dafür, daß wir ihn im letzten Jahr nicht umgelegt haben. Ich freue mich recht sehr, daß Ihr immer viel Äpfel essen könnt. Ich weiß ja, daß Du sie noch nie verschmäht hast. Wenn sie gut im Geschmack sind, freut mich das umso mehr. Daß auch die übrigen Erzeugnisse des Gartens in so reichlichem Maße herangewachsen sind, ist ebenso erfreulich. Die Brombeeren haben die ganzen Jahre hindurch so reichlich getragen. Wenn sie in diesem Jahre weniger Beeren hervorbringen, so ist dies in der Hauptsache auf den kalten vergangenen Winter zurückzuführen. Wegen des Verschneidens kannst du schon so lange warten, bis ich auf Urlaub komme, dann werde ich schon raushauen, was wieder rausgehört.
Gut ist es ja, wenn Du jetzt nicht soviel Fleischmarken brauchst und mit den Erträgnissen des Gartens ausgleichen kannst.
Die Briefmarken brauchst Du mir nicht zu besorgen. Ich habe hier die gleichen Marken gesehen. Wenn ich mich nicht täusche, gab es hier 6 Werte dieser Marken zu 2,-RM. Das wäre ja im Vergleich zu dort eine wesentliche Ersparnis. Ich möchte aber vorerst von der Anschaffung absehen, weil ich hier noch verschiedenes anderes kaufen möchte und mir mein Geld für derartiges Vergnügen nicht reicht. 
Wie ich aus Deinem Brief ersehe, hast Du am gleichen Tage noch einen weiteren Brief von mir erhalten. Ich glaube, daß Du darüber ziemlich verärgert bist, wenn Du an einem Tage gleich zwei Briefe lesen mußt.
Deine beiden Briefe mit Zeitungen habe ich heute auch erhalten, ich danke Dir auch dafür. Ich möchte Dich aber noch darauf aufmerksam machen, wie ich es schon in einem meiner letzten Briefe getan habe, daß ich hier alle Zeitungen erhalte und daß es daher nicht nötig ist, daß Du mir diese noch zusendest.
Ich habe heute wieder ein Päckchen fertig gemacht mit Wolle, von der ich Dir letzthin schon ein Muster mit zugehen ließ. Ich werde sie in den nächsten Tagen mit absenden. Wenn Du in dieser Beziehung noch besondere Wünsche hast, so mußt Du mir dies noch mitteilen.  
Heute Abend ist wieder eine musikalische Veranstaltung und zwar spielt hier der Reichs- und Stabsmusikzug der Hitler-Jugend und der Fanfarenzug Thüringen. Auch hier werde ich wieder dabei sein. Am Sonntag wird wahrscheinlich nicht ausgefahren werden. Das wird aber nichts schaden, denn dann kann ich einmal verschiedenes in Ordnung bringen und auch von den vielen Zeitungen lesen, die ich noch da habe.
Was machen unsere beiden Stromer. Haben sie alles gut überstanden mit ihren Augen? Es ist mir nur unerklärlich, wie Jörg wildes Fleisch bekommen konnte. Ich werde ja in den nächsten Tagen wieder von Dir darüber hören.
Helga macht sicher auch wieder in der Schule richtig mit. Sie soll nur immer schön bei der Sache bleiben und weiter so lernen, wie sie es früher getan hat. Jörg soll aber auch weiterhin parieren und Dir folgen, denn ich möchte mich nicht ärgern, wenn ich einmal auf Urlaub kommen sollte.
Dir sende ich für heute wieder meine besten und herzlichsten Grüße und es küßt Dich vielmals Dein Ernst.

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