Meine liebe Annie! O.U., den 10.Sept.1940
Deinen lieben Geburtstagsbrief oder besser
gesagt vom Geburtstag habe ich heute erhalten. Ich habe mich sehr darüber
gefreut, vor allem, wie die Kinder in so lieber Weise an Dich gedacht haben. Man
sieht daraus, wie sie älter und selbständiger werden.
Da hast Du aber ziemlich Post an Deinem
Geburtstag bekommen; sogar aus Lindenberg, man sollte gar nicht meinen, daß die
auch noch an uns denken. Deine Eltern haben aber wieder tief in den Geldbeutel
gelangt. Wegen der Zeitungen habe ich Dir ja schon geschrieben. Du brauchst mir
also keine mehr senden, denn wir bekommen jetzt etwa fünf deutsche Tageszeitungen
und sämtliche illustrierten Zeitungen.
Ich sitze heute wieder auf meiner Bude zum
schreiben, höre Radio und esse so zwischendurch immer von dem Gebäck. Meinem
Brief füge ich erstens das Programm bei, das ich bei meinem gestrigen Brief
vergessen habe, außerdem noch verschiedene Bilder von unserer Fahrt nach
Dünkirchen Der Film war nicht mehr frisch, doch als Erinnerungsbilder kann man
sie schon aufheben. Auf den zwei Bildern sind meine Kameraden und bei einem
Bild siehst Du unsere Wagen. In den nächsten Tagen folgen weitere Bilder. Ich
habe den Fotografen machen müssen, deshalb bin ich nicht mit darauf. Ein
Kamerad hat mit seinem Apparat auch noch Bilder vom Strand gemacht. Ich habe
davon Abzüge bestellt.
In der heutigen „Brüsseler“ sind einige
Bilder von Gent drin. Ich schicke Dir diese Zeitung auch zu.
Mit dem Geld für meine Urlaubstage, die
ich doch demnächst bei Euch zu verbringen gedenke, vorausgesetzt, daß keine
Sperre eintritt, brauche ich mir also keine Gedanken zu machen. Meine Wäsche
lasse ich jetzt einmal nicht mehr waschen, die bringe ich dann so mit. Eins
bitte ich Dich aber, freue Dich nicht zu früh und warte bis ich da bin. Ich
selbst würde mich freuen, wenn ich hier wieder einmal ausspannen kann für
einige Tage, vor allem aber, um mit Euch wieder zusammen sein kann. Nach dem
Wiedersehen kommt zwar der Abschied, doch was nutzt das, wenn es gleich wieder
tragisch wird. Im Übrigen weiß ich ja, daß Du standhaft bist und Dich nicht
unterkriegen läßt, vor allem, weil Du ja selbst weißt, um was es geht im gegenwärtigen
Ringen.
Mein liebes Mädel laß mich jetzt schließen
und sei Du recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deinem Ernst.
Meine liebe Frau! O.U., den 11.Sept. 1940
Dein lieber Brief vom 6. traf heute bei
mir ein, für den ich Dir wieder vielmals danke. Über vieles habe ich mich gefreut, doch über manches auch
gewundert. So vor allem, daß Jörg wegen wildem Fleisch geschnitten worden ist.
Davon hast Du mir noch nichts geschrieben und ich weiß vor allem gar nichts.
Doch ich habe innerlich eine Genugtuung bekommen, daß er sich so gut gehalten
hat.
Ich weiß zwar, daß Du kein Feigling bist,
doch freut es mich auch, wenn das fremde Leute bestätigen. Erfreulich war mir
auch die Bestätigung von Vater, daß er jetzt, allerdings nach 10 Jahren,
einsieht, daß er falsch über dich geurteilt und mir gewissermaßen recht gegeben
hat. Die Behandlung von Geschwüren und das Aufmachen liegt ihm, denn dies kenne
ich noch von meiner Kindheit her. Mit viel Geduld und Ausdauer hat er mich
früher schon behandelt, wenn ich so etwas gehabt habe.
In diesen Tagen muß ich Nannie auch zu
ihrem Geburtstag am 25.9. gratulieren, wie ich auch noch verschiedene Post zu
erledigen habe. Am heutigen Abend war ich wieder einmal im Kino. Es wurde „Der
Fall Deringo“ eine Art Kriminalfilm gespielt. Er war ja nicht nach meinem
Geschmack, weil vieles in solchen Filmen schmalzig wirkt, doch für eine gewisse
Zeit ist man doch unterhalten. In den nächsten Tagen werde ich wieder ins
Variete gehen und wie ich hörte, sollen die Berliner Philharmoniker hierherkommen.
Es ist alles immer wieder Gelegenheit geboten, der Kontakt mit der Heimat zu
behalten, außerdem habe ich ja noch meinen eigenen Radioapparat, den ich mir,
gemäß meiner früheren Gewohnheit, gleich früh anstelle. Sofern ich über Mittag
heimkomme, höre ich auch und abends sitze ich auch daran.
Ich weiß gar nicht mehr genau, ob ich Dir
schon meine neue Wohnung mitgeteilt habe. Die Anschrift ist Boulevard de la
Liberte 132. Ich bin also wieder in der Straße, wo ich am Anfang war. Vorgestern
, als ich heimkam, war ein neuer General, der hierher kommandiert worden ist,
in unserem Haus und hat es besichtigt. Wir haben ihn aber vorwiegend auf die
Schattenseiten hingewiesen, so daß er davon Abstand genommen hat, hier
einzuziehen. Es kommt mir bei diesem Haus so vor wie bei einer schönen Frau,
man muß immer Obacht geben, daß man sie nicht verliert. Ich will nur hoffen,
daß sich weitere Interessenten nicht mehr einfinden, denn hier bin ich ja in
der dritten Wohnung.
Mit den Bedienungen hat man auch so seinen
Ärger. Alles muß man besonders sagen, sonst wird es nicht gemacht. Nur das
Notwendigste wird erledigt und nicht mehr. In meinem Zimmer hängt schon seit
Tagen die Stange von einer Scheibengardine herunter, doch die bleibt ruhig so
hängen. Bei meinem Kameraden ist der Badeofen einmal wieder „hochgegangen“. Es
ist weiter nichts dabei passiert, als daß alles verrußt ist. Das Waschbecken
und was sonst noch im Zimmer steht, ist unverändert. Morgen müssen wir einmal „Sau-(bere)
Frau“ hinschreiben, vielleicht hilft das.
Gute Nacht liebes Mädel, sei Du vielmals
herzlich gegrüßt und geküßt von Deinem Ernst.
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