Sonntag, 6. September 2015

Brief 58 vom 6./7.9.1940


Meine liebe Frau!                                                        O.U., den 6.September 1940

Wie jeden Tag, so will ich auch heute durch ein Schreiben wieder zu Dir sprechen und heute besonders, am Vorabend zu Deinem Geburtstag. Den eigentlichen Geburtstagsbrief hast du ja, wie Du mir schriebst, schon erhalten, doch nachdem ja morgen dieser Tag ist, möchte ich zu Dir noch einmal sprechen.
Es ist nun diesmal anders wie die Jahre vorher. Wir waren doch nun die letzten Jahre immer an diesem Tage zusammen und konnten ihn gemeinsam verleben. Mit den Geburtstagen war es bei uns in diesem Jahre eigenartig. Ich fuhr an meinem Geburtstage hierher, die Kinder konnte ich an ihrem Geburtstage auch nicht sehen und nun beschließt Du den Reigen und ich muß auch wieder ferne stehen.
Ja weiß Du noch, wie wir vor neun Jahren in Freiburg waren. Heute jährt sich dieser Tag nun auch. Wir waren in diesen Tagen erst ganz neu in unserer Wohnung und ich weiß noch genau, wie wir über alles glücklich waren, was wir uns um diese Zeit anschaffen konnten.
Du gingst noch arbeiten, ich war seinerzeit zwar ohne Arbeit, doch ich habe ja auch immer getan was ich konnte. Wir haben uns all die Jahre durchgeschlagen. Dies im besten Sinne des Wortes. Es ist uns eigentlich nicht gerade schlecht gegangen, oder besser gesagt, wir waren genügsam und haben es deshalb nicht so empfunden.
Was wir so sind und was wir haben, sind wir durch unsere Arbeit geworden, wir wollen deshalb hoffen, daß uns in den kommenden Jahren der gleiche Segen, unter vielleicht günstigeren Verhältnissen, auf unserer Arbeit ruht. Soweit wir beide gesund sind, wird uns dies keine Schwierigkeiten bedeuten und es wird sich auch dann einer auf den anderen verlassen können.
Heute habe ich nun Deine beiden lieben Briefe vom 2. und 3.9. erhalten, für die ich Dir wieder bestens danke. In Deinem Brief vom 2. geht so ziemlich alles klar, so daß ich da weiter nichts hinzufügen brauche.
Interessiert hat mich dabei Deine Mitteilung über den Fliegeralarm, der ja in der Zwischenzeit schon wiederholt eingetreten sein wird. Ich bitte auch Dich, sei in dieser Beziehung vorsichtig.
In Deinem Brief vom 3. bestätigst Du mir den Eingang des Wollpäckchens. Wird die Wolle auch ausreichen? Wenn Du vielleicht noch etwas besonders wünschst, so mußt Du mir dies mitteilen. Es hat mich gefreut, daß Dir die Farbe zusagte.
Ja, den Anzug habe ich nun. Ein weiterer Stoff liegt nun noch hier. Sage einmal, würdest Du mir raten, daß ich mir diesen hier auch fertig machen lasse, oder soll ich den Stoff aufheben und mitbringen.
Was den Komposthaufen anbelangt, so kann ich dann wenigstens wohlvorbereitet in Urlaub gehen. Ich bin auch wieder sehr verärgert, das kannst Du Dir wohl denken. Ich habe Dir ja neulich schon darüber geschrieben.
Daß sich Helga wieder ganz gut in die Schule reingefunden hat, freut mich sehr. Sie soll nur den Kopf oben behalten und wieder fest mitmachen. Ich weiß schon, daß es einem am Anfang wieder schwer fällt, doch ich weiß auch, daß es wieder geht, wenn man sich richtig anstrengt. Ich wollte Dich auch noch fragen, soll ich vielleicht für die Kinder noch so halblange Strümpfe besorgen? Ich habe heute welche im Fenster gesehen. Wenn ja, so teile mir bitte die Länge in cm mit. Ich werde dann zusehen, was ich noch bekomme.
Weiterhin wollte ich noch wissen, ob ich für die Kinder einen Regenmantel oder einen Umhang besorgen soll. Die Größe oder irgendein Maß wäre mir in dieser Beziehung erwünscht, denn ich kann dann leichter kaufen.
Beigeschlossen sende ich Dir einen Durchschlag von einem Brief, den ich heute an die Eltern geschickt habe. Ich weiß nicht, ob Du ihn für richtig findest. Ich habe bzg. des Kaffees einen Winkelzug gemacht, damit sie nicht gleich verkratzt sind.  Du weiß ja selbst, wie empfindlich sie sind. Es kann schon sein, daß sie mir den Brief übelnehmen. Mir soll es dann auch gleich sein. Ich kann auf die Dauer nicht immer so vorsichtig und zurückhaltend vorgehen, vor allem, wenn es dann Euch indirekt oder auch direkt betrifft.
Von Kurt erhielt ich heute auch einen Brief. Er ist ja jetzt in Karlsruhe und will Euch auch demnächst wieder schreiben.
Heute habe ich nochmals Wolle gekauft. Ein Muster schicke ich Dir wieder mit. Ich weiß allerdings nicht, ob Dir das Blau zusagen wird. Ich glaube aber, daß Du schon Verwendung dafür finden wirst.
Am Sonntag werden wir sicherlich doch nach Paris fahren. Wir werden dort sicher nicht viel Zeit haben. Doch eines gewinnt man schließlich dabei doch, man kennt die Gegend und einiges kann man sich schon ansehen. In großen Zügen kann man dann auch mitreden. Mir ist ja schließlich nicht darum zu tun, in die Revuen zu gehen, denn für mich ist dies nicht die Stadt. Für mich gelten die Bauwerke. Wenn ich auch weiß, daß sie ziemlich auseinander liegen, manches werde ich davon doch zu sehen bekommen.
Ist das nicht eigenartig, jetzt sehe ich erst die Kapitale von Frankreich und habe noch nicht einmal die Hauptstadt von Deutschland gesehen. Ich denke, daß ich auch dazu noch einmal Gelegenheit bekomme. Aber dann mit Dir.
Ich schicke Dir wieder einige Zeitungen zu. In der einen Zeitung ist ein Bild von Arras, wo ich letzthin war. In der neuen Zeitung ist ein Artikel über die Schweiz, der Dich sicher interessieren wird.
Heute habe ich wieder für Dich geschrieben. Jetzt muß ich aber aufhören, denn ich sehe auf der Maschine nur noch die Tasten, aber die Schrift nicht mehr. Es wird deshalb Zeit, daß ich Schluß mache. Sei Du mein liebes Mädel recht herzlich gegrüßt. Morgen werde ich wieder besonders an Dich denken. Nimm noch viele Küsse entgegen von Deinem Ernst.
Als ich heute Abend heimkam, habe ich eine schöne Sendung aus Stuttgart gehört über den Elsässer Wein. Es war so eine lustige Sendung, daß man direkt aufgefrischt ist. Ich habe mir noch von unserem sauren Wein vorgeholt, den wir aus unserer alten Wohnung mitgenommen haben. So habe ich mir den Abend vor Deinem Geburtstag noch etwas angenehm gestaltet. Ich muß aber noch für ein besseres Getränk sorgen, denn der ist saurer wie unser billigster Seewein. Man nimmt aber was man gerade hat. Es kann ja nicht immer Sekt oder Bordeaux sein.



Meine liebe Annie!                                                O.U., den 7.September 1940

An Deinem Geburtstage möchte ich wieder Deiner gedenken. Es ist zwar so, daß ich immer an Euch denke, doch der Brief ist ja der Ausdruck dessen, was man so zu sagen hat.
Post habe ich heute keine erhalten und es ist fraglich, ob ich bis Montag welche bekomme, doch das macht nichts, denn ich weiß ja, daß Du an mich gedacht hast.
Was werdet Ihr wohl heute getan haben, so denke ich  und man kann sich so recht keine Vorstellung von dem machen, was daheim immer so geschieht. Eines ist ja bestimmt und zwar das, daß Ihr an mich gedacht habt, wie ich an Euch denke.
Eine kleine Geburtstagsüberraschung habe ich Dir heute auch noch. Ich habe heute ein Gesuch um Urlaub eingereicht und zwar so auf den 20., 25. September herum. Ob es mir genehmigt wird, ist ja noch nicht sicher. Ausgeschlossen ist auch nicht, daß inzwischen wieder eine Urlaubssperre eintritt. Ich will damit nur sagen, daß alles unverbindlich ist. Wenn ich genaueres weiß, werde ich Dir wieder Mitteilung machen.
Dieser Tage war ich hier wieder im Theater. Ich hatte hier gewissermaßen ein Wiedersehen. Es war das Berliner Lessingtheater, das ich in Ung. Hradisch auch gesehen hatte. Wie man sich doch immer wieder trifft. Es wurde ein ganz nettes Stück gespielt, so daß  ich mich an diesem Abend schön unterhalten hatte.
Heute ist nun wieder eine große Veranstaltung. Es kommen hierher Harry Gondy, O. Tschechowa, Herbert Ernst Groh und noch viele andere bekannte Künstler. Wie immer, muß ich bei derartigen Angelegenheiten dabei sein, vor allem, wenn es kostenlos ist. Ich werde dir auch davon wieder berichten. Ob morgen die Fahrt nach Paris tatsächlich stattfindet, weiß ich noch nicht genau. Jedenfalls ist es so, daß man nur in geschlossenen Gruppen gehen darf und daß der Aufenthalt in der Stadt von 13 - 19 Uhr dauert. Man wird zwar nur einen flüchtigen Eindruck bekommen, doch man ist wenigstens einmal da gewesen. Wenn es morgen nicht reicht, so kann ich vielleicht am folgenden Sonntag mitfahren, denn da findet nochmals eine Wiederholung statt.
Post ist von Dir nicht eingegangen, nur von Siegfried kam eine Postkarte, in der er mir schreibt, daß er in der Umgebung von Erfurt liegt. Sonst schreibt er nichts Wichtiges. Für heute möchte ich nun wieder Schluß machen. Ich grüße Dich wieder bestens und hoffe Euch alle gesund. Den Kindern gib wieder Jedem einen herzlichen Kuß. Du erhältst Deine Küsse (zwar nur brieflich) wieder besonders von Deinem Ernst.

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