Sonntag, 6. September 2015

Brief 56 vom 3./4.9.1940


Meine liebe Frau!                                                                              O.U., den 3.September 1940

 Seit einiger Zeit haben wir hier so richtig warme Sommertage. Du weißt ja, wie dies schon in Konstanz sich ausgewirkt hat geschweige denn in einer Großstadt, die noch dazu nicht gerade als sehr sauber bezeichnet werden kann. Die Stadt hat freudlose Häuser und Straßen. Bei Regen sind sie nicht schön und bei Sonnenschein sieht man alles noch viel schlimmer, weil dann alles noch vielmehr ins Licht gerückt wird.
Gut ist nur, daß man den ganzen Tag kaum aus dem Bau rauskommt. Früh fängt man hier an, dann läuft man zum Mittagessen und abends muß man auch erst zum Essen gehen. Bis man dann wieder rauskommt, ist es meist schon dunkel, denn man merkt schon ganz gewaltig, wie jetzt die Tage wieder abnehmen. Es wird überhaupt nur noch kurze Zeit dauern, dann ist der Herbst da und dann bald der Winter.
Seit gestern bin ich wieder einmal zur Abwechslung umgezogen. Ich hoffe, daß ein weiterer Umzug nicht mehr hier in Frankreich nötig ist. Es ist ein sehr reiches Haus. Die Möbel lassen ohne weiteres darauf schließen, doch ich kann Dir sagen, daß ich eigentlich nicht das Gefühl habe, daß ich dort richtig warm werden könnte. Man nimmt es so mit hin, weil man nicht etwas Minderwertiges nimmt, wenn man es besser haben kann. Ich wohne im zweiten Stock des Hauses, habe mein großes Bett im großen Zimmer. Ebenfalls habe ich mein eigenes Radio und die übrigen Räume teile ich mit meinen Kameraden. Sie sind sehr weitläufig und man kann direkt Verstecken spielen. Wir sollen wahrscheinlich später noch einen Kameraden mit ins Haus nehmen, doch auch dann ist für uns alle noch viel Platz.
Ich will versuchen, durch unseren Fahrbereitschaftsleiter, der in unserem Auftrage für unsere Zwecke seine Garage zur Verfügung stellt und arbeitet, mich etwas mit den Autos vertraut zu machen. Ich werde zwar hier keinen Führerschein machen könne, doch ich denke, daß mir das nichts schaden kann. Irgendwie muß ich dann später einmal versuchen, diese Kenntnisse zu legalisieren. Von diesen Übungen und den daraus entstehenden (Er)-Folgen werde ich Dir dann auch wieder einmal schreiben. Ich kann ja heute noch nichts übersehen.
23 Uhr. Die erste Übung habe ich bereits hinter mir. In einem amerikanischen Wagen Marke Dodge habe ich meine ersten Handgriffe probiert. Doch die Hoffnung gebe ich  nicht auf, denn die Bauernbengels haben ja auch begriffen, warum sollte ich das dann nicht lernen. Heute war ich erst einmal der Schrecken eines Maulesel-Gespanns, das einen weiten Bogen um uns gemacht hat, als wir ankamen. Also ganz so schlimm war es nicht. Mir war es aber ganz interessant.
Für Deinen lieben Brief vom 31., der heute bei mir ankam, danke ich Dir recht herzlich. Wenn Dir mein Brief vom 24. zugesagt hat, so habe ich schließlich das erreicht, was ich damit sagen wollte. Inzwischen hast Du ja meinen Bericht von unserer Dünkirchenfahrt erhalten. Inzwischen ist aber auch schon ein weiterer Bericht über unsere Unternehmung vom letzten Sonntag an Dich abgegangen. Ich möchte heute nur noch andeuten, daß es möglich sein kann, daß wir nächsten Sonntag nach Paris fahren. Wenn es soweit kommen sollte, wirst Du ja wieder hören.
Das angekündigte Kleingebäck werde ich bestens dankend annehmen. Jetzt möchte ich aber endgültig schlafen gehen.
Gute Nacht, liebes Mädel, schlafe gut und sei Du vielmals recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deinem Ernst.


Meine liebe kleine Annie!                                                              O.U., den 4.September 1940

Mit großer Besorgnis habe ich heute in der Zeitung gelesen, daß in St. Gallen Bomben geworfen worden sind, die auf einen mißlungenen Fliegerangriff auf Friedrichshafen zurückzuführen sind. In den letzten Tagen hat man wiederholt im Radio gehört, daß in der Schweiz Fliegeralarm gegeben worden sei. Ich habe bis heute aus Deinen Briefen noch nie wieder etwas gehört. Habt Ihr etwa auch darunter zu leiden. Schreibe mir doch bitte einmal darüber.
Deinen lieben Brief vom 30.8. habe ich heute bestens dankend erhalten. Ich freue mich darüber, daß Dir die Bluse gefällt und daß Du einen entsprechenden Knopf dazu erhalten hast. Du kannst ja, wenn es notwendig sein sollte, eine ganze Garnitur Knöpfe kaufen, dann paßt alles zueinander.
Daß Vater mir nicht weiter schreibt, nehme ich ihm nicht weiter übel, doch interessieren würde es mich, wenn ich wüßte, ob er meinen an ihn gerichteten Brief vom 11.8. erhalten hat.
Was bei uns das in-den-Keller-gehen anbelangt, so war dies bis jetzt sehr einfach, weil die Alarmanlagen bis jetzt von den Franzosen her noch nicht wieder in Ordnung war. Morgen soll Probealarm sein. Dann kann es schon möglich sein, daß bei uns Alarm gegeben wird. Wenn ich es hören sollte, werde ich schon in den Keller gehen. Ich fürchte nur, daß ich zu gut schlafen werde.
Die Brombeerernte ist ja in diesem Jahr nicht gerade überragend, doch es wird alles mitgenommen.
Bei dem Rade hast du ja wieder einen Deiner Einfälle gehabt. Die Luft lasse nur im Schlauch drin, denn ich denke, daß dies besser ist, sonst wird der Gummi nur porös.
Zurzeit habe ich zu wenig Abende in der Woche. Ich sollte mich ein wenig ums Autofahren kümmern, dann kommt morgen wahrscheinlich der Hans Fritsch vom Rundfunk und spricht hier. Außerdem sollte ich noch ins Kino und ins Theater gehen. Es ist schwer, alles auf einmal mitzunehmen. Ich werde zusehen  was ich mache und wie ich alles einrichte.
Wir haben hier ziemlich sommerliche Tage. Es ist tagsüber sehr heiß, so daß man in der Uniform nicht gerade über Kälte zu klagen braucht. Diese Witterung ist ja für die Landwirtschaft sehr gut, denn die Ernte, die z.T. noch draußen auf den Feldern liegt, kann nun ungehindert untergebracht werden.
Bei unserer Fahrt vom letzten Sonntag war bemerkenswert, daß große Landstrecken mit Flachs bebaut waren. Da sieht man also wieder, daß jede Landschaft ihre Eigenart hat und das anbaut, was der Boden am besten verträgt.
In diesen Tagen werde ich dann meine Päckchen an Dich zur Absendung bringen, die ich Dir schon lange angekündigt habe. Ich werde darüber nicht  mehr viel schreiben, sondern nur dann noch einmal und zwar „abgeschickt“. Nötig wäre dann noch, was es gewesen ist, doch das erst hinterher.
Ich füge heute wieder einige Briefmarken bei. Ich bitte Dich, diese mir evtl. abzuweichen und unter das betreffende Land reinzulegen. Vorausgesetzt, daß Du dies in Deiner Freizeit noch erledigen kannst. In den nächsten Tagen werden noch welche folgen.
Heute wäre ich am Ende meiner Weisheit. Ich sende Dir also recht viele herzlich Grüße und Küsse und bitte Dich, dasselbe unseren beiden Trabanten zu übermitteln.
Dir aber nochmals einen herzlichen Kuß von Deinem Ernst.
Die Marken mit Gummierung nicht ins Wasser legen. Die kannst du so lassen.

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