Meine liebe Annie! O.U., den 9.September 1940
Deine Briefe vom 4. und 5. habe ich heute erhalten, ich danke Dir
wieder bestens dafür.
Bevor ich diese beiden Briefe aber
beantworte, möchte ich Dir von dem berichten, was ich seit meinem letzten Brief
vom Samstag wieder alles erlebt habe. Am Samstag war ja hier wieder eine ganz
große Vorstellung, von der ich Dir wieder anliegend das Programm zugehen lasse,
damit Du etwa einen Überblick über alle erhältst. Die Künstler waren alle
wieder ausgezeichnet; wenn man dann in der 3.Reihe des Parketts sitzt, ist die
Abrundung vollendet.
Ich kann Dir nur erzählen, daß für uns
hier draußen viel getan wird, um uns die Trennung von der Heimat nicht so
schwer fallen zu lassen. Ich muß nur immer wieder feststellen, es ist ein
schönes Gefühl, wenn man weiß, daß wir hier draußen nicht vergessen worden
sind. Wir, die wir hier in der Stadt leben, sind in dieser Hinsicht noch
bedeutend besser dran wie die Einheiten, die auf irgend so einem Kaff sitzen.
Ich weiß dies auch durchaus zu schätzen und nutze auch jede Gelegenheit, die
sich in dieser Beziehung bietet, aus.
Ich habe nach dem Theater für den
vergangenen Sonntag die Fahrt nach Paris vor. Eine Schwierigkeit bot sich mir
in erster Linie darin, daß wir um 7 Uhr wegfahren wollten und ich hatte keinen
Wecker. Ich bin dann auf den Gedanken gekommen, daß ich mir dann früh mein
Radio einschalte, damit ich weiß, wie spät es ist.
Ich bin dann auch verschiedene Mal munter
geworden, doch jedes Mal, wenn ich angeschaltet habe, war nichts los. Dann ist
es mir aber doch geglückt und das Pausenzeichen des Deutschlandsenders war zu
hören. Ich bin dann gleich aus der Falle und wie ich dann nachher merkte, war
dies der Auftakt zum Morgenkonzert aus Hamburg.
Wie gut es doch ist, wenn man alter
Rundfunkhörer ist. Ich habe mich dann auch schnell fertig gemacht und bin dann
zum Frühstück gesprungen, das wir ja bekanntlich im Hotel Royal einnehmen. Ich
konnte dort nur feststellen, daß noch einige wenige Personen anwesend waren.
Ich habe dann schnell meine Kaffee getrunken und die Brötchen eingesteckt. Als
ich zum Omnibus kam, war aber noch Zeit, ich war auch noch lange nicht der
letzte. Also ich bin glücklich mitgekommen.
Die Reise ist ziemlich weit, denn eine
Strecke beträgt etwa 250 km. Wir sind dann die Strecke, um nur einige Orte zu
nennen, Arras, Bapaume, Peronne, Ham, Compiegne, Senlis und Paris. Man gewinnt
auf dieser Fahrt so einen gewissen Überblick über den landschaftlichen
Charakter, außerdem in Bezug auf die vergangenen Ereignisse konnte man so verschiedene
Linien des Widerstandes feststellen. Weiterhin sind wir über die Schlachtfelder
des Weltkrieges gefahren. Ich bin froh, auch daran wieder teilgenommen zu
haben.
Verschiedene Orte waren wieder sehr
zerstört, was darauf hindeutet, daß sich der Feind zur Wehr gesetzt hat.
Besonders ist mir dabei aufgefallen, daß Compiegne wieder besonders gelitten
hat. Es ist ein kaum zu beschreibendes Bild und was nützen da die vielen Worte,
wenn man es nicht selbst gesehen hat. Die Wirkungskraft unserer Bomben war
jedenfalls so gewaltig, daß sogar alte Kellergewölbe durchschlagen wurden und die Keller voller Schutt liegen. Die
Brücke über die Oise war vollkommen zerstört. Unsere Truppen haben aber wieder
dafür gesorgt, daß die Wege wieder passierbar wurden. Gegen 2 Uhr kamen wir in
Paris an.
Durch besondere Vorsichtsmaßnahmen dürfen
deutsche Truppen nicht ohne Genehmigung die Stadt besuchen. An der Straßensperre,
wo wir zuerst halten mußten, kamen gleich die Juden und hatten alles Mögliche
zu verkaufen. Man hat dann in der ganzen Stadt gesehen, daß die Juden einen
ziemlich hohen Prozentsatz der Bevölkerung darstellen. Die Anlage der Stadt ist
imponierend. Schöne breite Straßen, alte Bauten, die auf eine
Vergangenheit hindeuten, schöne Brücken
und sonstige Baudenkmäler. Über dies alles zu sprechen, möchte ich hier
unterlassen und mir für meine Urlaubstage vorbehalten.
Im Triumphbogen und im Invalidendom sind
wir gewesen. Doch die einzelnen Sachen so herausziehen hat ja keinen Zweck,
denn man verwischt da den Gesamteindruck. Ich kann vielleicht noch abschließend
sagen, abgesehen von verschiedenen Nebenerscheinungen, daß trotz der kurzen
Zeit die Stadt keinen schlechten Eindruck auf mich gemacht hat. Einzelne Bilder
lasse ich Dir mit zugehen, die ich dort gekauft habe. Wir haben dann die
Heimfahrt gegen 7 Uhr wieder angetreten und waren etwa um 1 Uhr wieder hier.
Ich bin heute noch müde davon, doch das macht ja nichts.
Heute schicke ich Dir noch ein Bild mit,
was ich in Gent gemacht habe. Warum ich allerdings so viele Falten mache, weiß
ich selbst nicht. Die übrigen Bilder folgen in den nächsten Tagen.
Ich erhielt heute außerdem noch Dein Päckchen. Ich danke Dir noch
vielmals dafür. Ich habe einige Stückchen probiert und ich habe feststellen
können, daß Du immer noch genau so gut bäckst wie früher. Ich werde mir diese
so nach und nach zu Gemüte führen.
Von Siegfried bekam ich heute auch noch
einen Brief, in dem er mir mitteilte, daß er wahrscheinlich doch bald wieder
eingesetzt werden würde.
Über die Sachen , die Helga zum Geburtstag
bekommen hat, wird sie sich sicher gefreut haben. Für die übersandten
Rasierklingen danke ich bestens. Die reichen vorerst und ich brauche jetzt
keine weiter. Daß Dir die Wolle auch gefallen hat, freut mich wiederum, ich
sehe doch daraus, daß ich richtig gekauft habe und daß Du etwas damit anfangen
kannst.
Für heute möchte ich schließen. Ich
wünsche Euch wieder alles Gute und sende Dir, sowie auch den Kindern, viele
herzlich Grüße und Küsse. Du erhältst diese wieder besonders von Deinem Ernst.
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