Mittwoch, 9. September 2015

Brief 59 vom 9.9.1940


Meine liebe Annie!                                                                     O.U., den 9.September 1940

 Deine Briefe vom 4. und 5. habe ich heute erhalten, ich danke Dir wieder bestens dafür.
Bevor ich diese beiden Briefe aber beantworte, möchte ich Dir von dem berichten, was ich seit meinem letzten Brief vom Samstag wieder alles erlebt habe. Am Samstag war ja hier wieder eine ganz große Vorstellung, von der ich Dir wieder anliegend das Programm zugehen lasse, damit Du etwa einen Überblick über alle erhältst. Die Künstler waren alle wieder ausgezeichnet; wenn man dann in der 3.Reihe des Parketts sitzt, ist die Abrundung vollendet.
Ich kann Dir nur erzählen, daß für uns hier draußen viel getan wird, um uns die Trennung von der Heimat nicht so schwer fallen zu lassen. Ich muß nur immer wieder feststellen, es ist ein schönes Gefühl, wenn man weiß, daß wir hier draußen nicht vergessen worden sind. Wir, die wir hier in der Stadt leben, sind in dieser Hinsicht noch bedeutend besser dran wie die Einheiten, die auf irgend so einem Kaff sitzen. Ich weiß dies auch durchaus zu schätzen und nutze auch jede Gelegenheit, die sich in dieser Beziehung bietet, aus.
Ich habe nach dem Theater für den vergangenen Sonntag die Fahrt nach Paris vor. Eine Schwierigkeit bot sich mir in erster Linie darin, daß wir um 7 Uhr wegfahren wollten und ich hatte keinen Wecker. Ich bin dann auf den Gedanken gekommen, daß ich mir dann früh mein Radio einschalte, damit ich weiß, wie spät es ist.
Ich bin dann auch verschiedene Mal munter geworden, doch jedes Mal, wenn ich angeschaltet habe, war nichts los. Dann ist es mir aber doch geglückt und das Pausenzeichen des Deutschlandsenders war zu hören. Ich bin dann gleich aus der Falle und wie ich dann nachher merkte, war dies der Auftakt zum Morgenkonzert aus Hamburg.
Wie gut es doch ist, wenn man alter Rundfunkhörer ist. Ich habe mich dann auch schnell fertig gemacht und bin dann zum Frühstück gesprungen, das wir ja bekanntlich im Hotel Royal einnehmen. Ich konnte dort nur feststellen, daß noch einige wenige Personen anwesend waren. Ich habe dann schnell meine Kaffee getrunken und die Brötchen eingesteckt. Als ich zum Omnibus kam, war aber noch Zeit, ich war auch noch lange nicht der letzte. Also ich bin glücklich mitgekommen.
Die Reise ist ziemlich weit, denn eine Strecke beträgt etwa 250 km. Wir sind dann die Strecke, um nur einige Orte zu nennen, Arras, Bapaume, Peronne, Ham, Compiegne, Senlis und Paris. Man gewinnt auf dieser Fahrt so einen gewissen Überblick über den landschaftlichen Charakter, außerdem in Bezug auf die vergangenen Ereignisse konnte man so verschiedene Linien des Widerstandes feststellen. Weiterhin sind wir über die Schlachtfelder des Weltkrieges gefahren. Ich bin froh, auch daran wieder teilgenommen zu haben.
Verschiedene Orte waren wieder sehr zerstört, was darauf hindeutet, daß sich der Feind zur Wehr gesetzt hat. Besonders ist mir dabei aufgefallen, daß Compiegne wieder besonders gelitten hat. Es ist ein kaum zu beschreibendes Bild und was nützen da die vielen Worte, wenn man es nicht selbst gesehen hat. Die Wirkungskraft unserer Bomben war jedenfalls so gewaltig, daß sogar alte Kellergewölbe  durchschlagen wurden und die Keller voller Schutt liegen. Die Brücke über die Oise war vollkommen zerstört. Unsere Truppen haben aber wieder dafür gesorgt, daß die Wege wieder passierbar wurden. Gegen 2 Uhr kamen wir in Paris an.
Durch besondere Vorsichtsmaßnahmen dürfen deutsche Truppen nicht ohne Genehmigung die Stadt besuchen. An der Straßensperre, wo wir zuerst halten mußten, kamen gleich die Juden und hatten alles Mögliche zu verkaufen. Man hat dann in der ganzen Stadt gesehen, daß die Juden einen ziemlich hohen Prozentsatz der Bevölkerung darstellen. Die Anlage der Stadt ist imponierend. Schöne breite Straßen, alte Bauten, die auf eine Vergangenheit  hindeuten, schöne Brücken und sonstige Baudenkmäler. Über dies alles zu sprechen, möchte ich hier unterlassen und mir für meine Urlaubstage vorbehalten.
Im Triumphbogen und im Invalidendom sind wir gewesen. Doch die einzelnen Sachen so herausziehen hat ja keinen Zweck, denn man verwischt da den Gesamteindruck. Ich kann vielleicht noch abschließend sagen, abgesehen von verschiedenen Nebenerscheinungen, daß trotz der kurzen Zeit die Stadt keinen schlechten Eindruck auf mich gemacht hat. Einzelne Bilder lasse ich Dir mit zugehen, die ich dort gekauft habe. Wir haben dann die Heimfahrt gegen 7 Uhr wieder angetreten und waren etwa um 1 Uhr wieder hier. Ich bin heute noch müde davon, doch das macht ja nichts.
Heute schicke ich Dir noch ein Bild mit, was ich in Gent gemacht habe. Warum ich allerdings so viele Falten mache, weiß ich selbst nicht. Die übrigen Bilder folgen in den nächsten Tagen.
Ich erhielt heute außerdem  noch Dein Päckchen. Ich danke Dir noch vielmals dafür. Ich habe einige Stückchen probiert und ich habe feststellen können, daß Du immer noch genau so gut bäckst wie früher. Ich werde mir diese so nach und nach zu Gemüte führen.
Von Siegfried bekam ich heute auch noch einen Brief, in dem er mir mitteilte, daß er wahrscheinlich doch bald wieder eingesetzt werden würde.
Über die Sachen , die Helga zum Geburtstag bekommen hat, wird sie sich sicher gefreut haben. Für die übersandten Rasierklingen danke ich bestens. Die reichen vorerst und ich brauche jetzt keine weiter. Daß Dir die Wolle auch gefallen hat, freut mich wiederum, ich sehe doch daraus, daß ich richtig gekauft habe und daß Du etwas damit anfangen kannst.
Für heute möchte ich schließen. Ich wünsche Euch wieder alles Gute und sende Dir, sowie auch den Kindern, viele herzlich Grüße und Küsse. Du erhältst diese wieder besonders von Deinem Ernst.

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