Mein
liebes, gutes Mädel !
20.9.42
Post
ist gestern für mich keine angekommen. Zum Sonntag will ich Dir aber doch
schreiben, denn von ganz wenig Ausnahmen abgesehen, schreibe ich Dir schon seit
längerer Zeit jeden Tag. Früher setzte ich ab und zu einmal aus. Das hat sich
aber jetzt ganz gegeben, weil man außer dem Briefeschreiben keine große
Entspannung am Tage hat. Daß man für das tägliche Schreiben auch gern täglich
welche empfangen möchte, erscheint eine selbstverständliche Angelegenheit zu
sein. Vorgestern erhielt ich Deinen Brief, den ich Dir im großen und ganzen
schon bestätigt habe, dem Du am Ende aber noch einen Wunsch hinzugefügt hast,
den ich Dir beantworten soll, wenn ich es mit meinem Gewissen verantworten
kann. Am Tag des Eintreffens Deines
Briefes war ich nicht in der Stimmung, Dir Deinen Wunsch zu beantworten und
gestern hatte ich auch den Bauch voller Zorn, weil mir meine Fortbildung in
Deutschland daneben geraten war. Da ich dann nicht so richtig in der Lage war,
zu Deiner Frage Stellung zu nehmen, das wirst Du wohl verstehen. Ob ich heute
die passenden Worte finde, kann ich auch nicht sagen. Ich will es aber
versuchen, denn Du sollst nicht noch länger warten. Daß ich in viele Beziehung ein rauer Kerl bin, das weißt Du schon
seit unserer Zeit vor unserer Verheiratung. Manches hat sich in den Jahren
unserer Ehe abgeschliffen, aber manches ist auch zurückgeblieben. Ich habe Dir
früher schon öfter gesagt, daß ich nicht immer merke, wenn Du einmal Worte der
Stärkung und zur Stützung Deines Gemüts nötig hast. Ich habe zwar immer
versucht zu ergründen, was Dir angenehm und recht sein könnte. In manchen
Fällen habe ich es vielleicht gerade rechtzeitig getroffen, hinwieder bin ich
auch zu spät gekommen. Meist haben wir uns dann bald wieder gefunden. Daß es
einer Aufmunterung bedurfte von Deiner Seite, das muß Du mir schon
entschuldigen, das hängt mit dem zusammen, was ich Dir oben erklärt habe. Ich weiß, daß unser Hochzeitstag, oder Dein
Geburtstag ein schöner Anlaß gewesen sind, mit Dir davon zu sprechen, was uns
beide verbindet. Aber heute merke ich erst richtig, was ich Dir schon gleich
nach dem Schreiben des Geburtstagsbriefes berichtet habe, was mir nicht an
diesem Schreiben gefallen hat. Du siehst also, daß ich unbewußt etwas gefühlt
habe und konnte doch nicht sagen was. Du hast mich auf den Trichter gebracht
und wirst wohl selbst dazu lachen wie ich, da ß es so lang gedauert hat, bis
bei mir der Groschen gefallen ist. als ich eingezogen wurde, hatten wir uns
versprochen, uns in dieser Hinsicht schriftlich keine großen Worte zu machen,
weil jeder von anderen doch weiß, wie die Dinge um uns stehen. Damals hat man
aber nicht mir der langen Dauer des Krieges gerechnet. Wenn man aber so lange
nicht nach hause kommt, dann ist es auch für eine kleine Frau keine
Kleinigkeit, immer daheim zu sitzen und zu warten, ohne einmal ein liebes Wort
zu hören, geschweige denn zu lesen. Ich kann das vollauf verstehen und fühle
mich ganz in der schuld. Sei mir bitte darum nicht böse. Es geschah nicht aus
einer schlechten Absicht heraus. Wir haben hier unseren täglichen Dienst und
befinden uns immer im gleichen Trott. Man ist eingespannt in einer Tretmühle,
die einem von Zeit zu Zeit immer wieder spüren läßt, wie unangenehm der Zwang
ist, der manchmal nicht in Erscheinung tritt aber doch vorhanden ist. Manches
wird man nicht gewahr und es ist doch vorhanden. Trotz allem denkt man doch
immer wieder so viel und sooft an zuhause. Daß Du, mein liebes Mädel, bei
diesem Gedanken dabei bist, das ist auch Dir erklärlich. Du und die Kinder, Ihr
seid die, für die ich hier im engeren Sinne meinen Dienst tue. Das mag selbstsüchtig klingen, aber ich
betrachte es nun einmal so. Ihr seid das, was ich in erster Linie zu vertreten
und zu verteidigen habe. Du erfüllst daheim im gleichen Sinne Deine Aufgaben.
Wir haben ja alle den gleichen Wunsch, nach Beendigung des Ringens wieder
beisammen zu sein und in Liebe miteinander zu leben. Daß Du mir dann immer noch
mein liebes Mädel bist, versteht sich am Rande. Ich will diesen Wunsch nur
nicht zu stark in den Vordergrund treten lassen, denn auch für mich hat dieses
Verlangen seine harten Seiten. Nachdem Du jetzt mit so großem Einsatz dazu
übergehst, Dich für mich schön zu machen, kann ich ja gar nicht mehr umhin, Dir
zu bestätigen, daß ich Dich auch noch in ferner Zukunft lieben werde. Daß dies
der Fall ist, habe ich dir schon, vielleicht nicht in dieser stark betonten
Weise, zum Ausdruck gebracht. Du kannst aber gewiss daran glauben, daß ich Dich
noch genau so lieb habe, wie an dem Tag, an dem ich von Euch fort mußte. Wir
hoffen wieder bis zu dem Tag, an dem ich einmal zu Euch in Urlaub kommen darf.
Dann kann ich Dir alles wieder einmal persönlich bestätigen, was ich Dir leider
nur schriftlich mitteilen kann. Ich werde es aber bestimmt nachholen. Bis dahin grüßt Dich ganz herzlich und recht
vielmals Dein soviel an Dich denkender Ernst.
Liebster
Schatz ! 21.9.42
Gestern
kam Dein Brief vom 10. und heute der vom 12. Für beide recht schönen Dank. Aus
Deinen Schreiben konnte ich wieder feststellen, daß Du für den Winter
vorgesorgt hast. Ich habe in meinen Briefen schon immer betont, wie es mich
freut, wenn Ihr für den Winter einen kleinen Vorrat habt Wie ich lese, machst
Du nun auch Gurkensalat und Tomatenpüree ein. Das sind doch so willkommene
Abwechslungen bei der an sich schon nicht zu ausgedehnten Ernährungsbasis.
Hoffentlich hält es sich bis zum Verbrauch. Ich habe von mir auch versucht,
Dich in Deinem Bemühen zu unterstützen. Ich habe wieder ein Päckchen mit Eiern
abgesandt. Es trägt die Nummer 44. Drei
dazwischenliegende Nummern sind Päckchen mit Tabakwaren. Du kannst sie dann mit
verteilen, wie Du es für richtig hältst. Mein Gesuch, das nu an die Stadt abgegangen
ist, hat hat Dich, wie ich feststellen muß, anscheinend verblüfft. Ich falle an
sich nicht gern gleich mit der Tür ins Haus, Das hast du auch aus meinem
Entwurf gelesen, der im Prinzip mit der endgültigen Fassung übereinstimmt. Ich
schrieb Dir zwar, Du sollst mir einmal Deine Meinung bekannt geben. Offenbar
hast Du das übersehen. Daß Dich das Begleitschreiben gefreut hat, ist auch mir
eine Freude. Denn man hat doch so wenig Gelegenheit, sich daheim Freude zu
bereiten. Die wenigen Päckchen, die man senden kann, befriedigen mich nicht
immer, aber Du siehst, daß ich auch in dieser Hinsicht immer an Euch denke.
Wenn ich von Kameraden höre, was für Gelder daheim für Butter und Eier bezahlt
werden, die nicht auf Marken erworben werden, dann muß ich nur immer wieder
staunen. Man merkt, daß das Geld in der Heimat auch nicht mehr den Wert hat,
wie in normalen Zeiten. Auch Euch ist
die Veränderung in der Schrift von Kurt aufgefallen. Daß ihm etwas Urlaub nicht
geschadet hatte, ist bei dieser Verfassung ganz klar. Ich habe heute in den
amtlichen Heeresnachrichten eine Bestimmung gelesen, wonach diejenigen, die
nach Lazarettbehandlung, und die durch Verwundung oder durch längere Erkrankung
in der Heimat waren und anschließend nur 14 Tage Urlaub erhalten haben, dieser
Urlaub auf den ordentlichen Urlaub nicht angerechnet werden dürfen. Einen
Auszug habe ich ihm gleich machen lassen, den ich ihm mit zusenden werde, damit
er sich bei seiner Einheit entsprechend rühren kann. Er würde es sonst nicht so
ohne weiteres erfahren, wenn ich es nicht gelesen hätte. Ihr könnt ihm das auch
nochmals mitteilen, daß er sich darum kümmern soll. Gestern war ich wieder im Theater mit meinem Arbeitskameraden,
wie Du aus dem beigefügten Programm siehst. Es hat mir diesmal wieder ausgezeichnet
gefallen. Die Darsteller sind doch alles Einheimische. Das Orchester auch. Der
Dirigent ist aber ein Gefreiter des Heeres. Das sieht am Anfang etwas komisch
aus, aber man merkt, daß er seine Sache sehr gut macht. Die Bevölkerung hat
einen kleinen Teil des Theaters auch eingeteilt bekommen. Wie ich höre, waren
auch früher verschiedene Theater und Kinos für die Öffentlichkeit da. Man hat
vorwiegend russische Stücke aufgeführt. Die Ausländer waren allerdings in den
Hintergrund gedrängt. Man merkt auch, daß
die Stimmen geschult sind, und daß das nicht von heute auf morgengemacht werden
kann. Ich habe das Empfinden, daß das Publikum ziemlich theaterfreudig ist,
dabei muß man berücksichtigen, daß die Leute unter wirtschaftlichen
Schwierigkeiten zu leiden haben. Aber die Plätze für die Zivilisten sind meist
ausverkauft. Aber auch für die italienische und deutsche Musik hat man
Interesse. Jetzt im Krieg geht es nicht so wie in Friedenszeiten, doch dafür
muß man Verständnis haben. Daß unser
Jörg sich zu einem „Finder“ herausbildet und daß ihm das Stolz einflößt, kann
ich mir vorstellen. Das ist doch so ein Geschäft für ihn, sich damit wichtig zu
machen. Aber wenn er sich mit den
Büsinggepflogenheiten bekannt macht, dann ist es recht, wenn Du ihm ordentlich
den Standpunkt klar machst. Das geht ja auf keinen Fall. Daß er das nicht mit
Überlegung macht, ist zwar meine Ansicht. Er hat sich dazu verleiten lassen,
ohne sich zu überlegen, was es bedeutet. Nimm ihn nur in solchen Fällen richtig
vor, denn sowas darf nicht einreißen. Daß er jetzt Euer Raupenfänger ist, wird
ihm aber als einzigen männlichen Vertreter der Familie von seiner Wichtigkeit
überzeugen. Daß er sich aber nicht zum
Rattenfänger ausbildet wie im Märchen, das ist dann schon schlimmer. Recht
viele Grüße sende ich Euch allen meine Lieben daheim und Dir recht viele Küsse.
Dein Ernst.
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