Samstag, 23. September 2017

Brief 323 vom 20./21.9.1942


Mein liebes, gutes Mädel !                                                       20.9.42  
        
Post ist gestern für mich keine angekommen. Zum Sonntag will ich Dir aber doch schreiben, denn von ganz wenig Ausnahmen abgesehen, schreibe ich Dir schon seit längerer Zeit jeden Tag. Früher setzte ich ab und zu einmal aus. Das hat sich aber jetzt ganz gegeben, weil man außer dem Briefeschreiben keine große Entspannung am Tage hat. Daß man für das tägliche Schreiben auch gern täglich welche empfangen möchte, erscheint eine selbstverständliche Angelegenheit zu sein. Vorgestern erhielt ich Deinen Brief, den ich Dir im großen und ganzen schon bestätigt habe, dem Du am Ende aber noch einen Wunsch hinzugefügt hast, den ich Dir beantworten soll, wenn ich es mit meinem Gewissen verantworten kann.  Am Tag des Eintreffens Deines Briefes war ich nicht in der Stimmung, Dir Deinen Wunsch zu beantworten und gestern hatte ich auch den Bauch voller Zorn, weil mir meine Fortbildung in Deutschland daneben geraten war. Da ich dann nicht so richtig in der Lage war, zu Deiner Frage Stellung zu nehmen, das wirst Du wohl verstehen. Ob ich heute die passenden Worte finde, kann ich auch nicht sagen. Ich will es aber versuchen, denn Du sollst nicht noch länger warten.  Daß ich in viele Beziehung ein rauer Kerl bin, das weißt Du schon seit unserer Zeit vor unserer Verheiratung. Manches hat sich in den Jahren unserer Ehe abgeschliffen, aber manches ist auch zurückgeblieben. Ich habe Dir früher schon öfter gesagt, daß ich nicht immer merke, wenn Du einmal Worte der Stärkung und zur Stützung Deines Gemüts nötig hast. Ich habe zwar immer versucht zu ergründen, was Dir angenehm und recht sein könnte. In manchen Fällen habe ich es vielleicht gerade rechtzeitig getroffen, hinwieder bin ich auch zu spät gekommen. Meist haben wir uns dann bald wieder gefunden. Daß es einer Aufmunterung bedurfte von Deiner Seite, das muß Du mir schon entschuldigen, das hängt mit dem zusammen, was ich Dir oben erklärt habe.  Ich weiß, daß unser Hochzeitstag, oder Dein Geburtstag ein schöner Anlaß gewesen sind, mit Dir davon zu sprechen, was uns beide verbindet. Aber heute merke ich erst richtig, was ich Dir schon gleich nach dem Schreiben des Geburtstagsbriefes berichtet habe, was mir nicht an diesem Schreiben gefallen hat. Du siehst also, daß ich unbewußt etwas gefühlt habe und konnte doch nicht sagen was. Du hast mich auf den Trichter gebracht und wirst wohl selbst dazu lachen wie ich, da ß es so lang gedauert hat, bis bei mir der Groschen gefallen ist. als ich eingezogen wurde, hatten wir uns versprochen, uns in dieser Hinsicht schriftlich keine großen Worte zu machen, weil jeder von anderen doch weiß, wie die Dinge um uns stehen. Damals hat man aber nicht mir der langen Dauer des Krieges gerechnet. Wenn man aber so lange nicht nach hause kommt, dann ist es auch für eine kleine Frau keine Kleinigkeit, immer daheim zu sitzen und zu warten, ohne einmal ein liebes Wort zu hören, geschweige denn zu lesen. Ich kann das vollauf verstehen und fühle mich ganz in der schuld. Sei mir bitte darum nicht böse. Es geschah nicht aus einer schlechten Absicht heraus. Wir haben hier unseren täglichen Dienst und befinden uns immer im gleichen Trott. Man ist eingespannt in einer Tretmühle, die einem von Zeit zu Zeit immer wieder spüren läßt, wie unangenehm der Zwang ist, der manchmal nicht in Erscheinung tritt aber doch vorhanden ist. Manches wird man nicht gewahr und es ist doch vorhanden. Trotz allem denkt man doch immer wieder so viel und sooft an zuhause. Daß Du, mein liebes Mädel, bei diesem Gedanken dabei bist, das ist auch Dir erklärlich. Du und die Kinder, Ihr seid die, für die ich hier im engeren Sinne meinen Dienst tue.  Das mag selbstsüchtig klingen, aber ich betrachte es nun einmal so. Ihr seid das, was ich in erster Linie zu vertreten und zu verteidigen habe. Du erfüllst daheim im gleichen Sinne Deine Aufgaben. Wir haben ja alle den gleichen Wunsch, nach Beendigung des Ringens wieder beisammen zu sein und in Liebe miteinander zu leben. Daß Du mir dann immer noch mein liebes Mädel bist, versteht sich am Rande. Ich will diesen Wunsch nur nicht zu stark in den Vordergrund treten lassen, denn auch für mich hat dieses Verlangen seine harten Seiten. Nachdem Du jetzt mit so großem Einsatz dazu übergehst, Dich für mich schön zu machen, kann ich ja gar nicht mehr umhin, Dir zu bestätigen, daß ich Dich auch noch in ferner Zukunft lieben werde. Daß dies der Fall ist, habe ich dir schon, vielleicht nicht in dieser stark betonten Weise, zum Ausdruck gebracht. Du kannst aber gewiss daran glauben, daß ich Dich noch genau so lieb habe, wie an dem Tag, an dem ich von Euch fort mußte. Wir hoffen wieder bis zu dem Tag, an dem ich einmal zu Euch in Urlaub kommen darf. Dann kann ich Dir alles wieder einmal persönlich bestätigen, was ich Dir leider nur schriftlich mitteilen kann. Ich werde es aber bestimmt nachholen.  Bis dahin grüßt Dich ganz herzlich und recht vielmals Dein soviel an Dich denkender Ernst.

Liebster Schatz !                                                                             21.9.42   
       
Gestern kam Dein Brief vom 10. und heute der vom 12. Für beide recht schönen Dank. Aus Deinen Schreiben konnte ich wieder feststellen, daß Du für den Winter vorgesorgt hast. Ich habe in meinen Briefen schon immer betont, wie es mich freut, wenn Ihr für den Winter einen kleinen Vorrat habt Wie ich lese, machst Du nun auch Gurkensalat und Tomatenpüree ein. Das sind doch so willkommene Abwechslungen bei der an sich schon nicht zu ausgedehnten Ernährungsbasis. Hoffentlich hält es sich bis zum Verbrauch. Ich habe von mir auch versucht, Dich in Deinem Bemühen zu unterstützen. Ich habe wieder ein Päckchen mit Eiern abgesandt.  Es trägt die Nummer 44. Drei dazwischenliegende Nummern sind Päckchen mit Tabakwaren. Du kannst sie dann mit verteilen, wie Du es für richtig hältst. Mein Gesuch, das nu an die Stadt abgegangen ist, hat hat Dich, wie ich feststellen muß, anscheinend verblüfft. Ich falle an sich nicht gern gleich mit der Tür ins Haus, Das hast du auch aus meinem Entwurf gelesen, der im Prinzip mit der endgültigen Fassung übereinstimmt. Ich schrieb Dir zwar, Du sollst mir einmal Deine Meinung bekannt geben. Offenbar hast Du das übersehen. Daß Dich das Begleitschreiben gefreut hat, ist auch mir eine Freude. Denn man hat doch so wenig Gelegenheit, sich daheim Freude zu bereiten. Die wenigen Päckchen, die man senden kann, befriedigen mich nicht immer, aber Du siehst, daß ich auch in dieser Hinsicht immer an Euch denke. Wenn ich von Kameraden höre, was für Gelder daheim für Butter und Eier bezahlt werden, die nicht auf Marken erworben werden, dann muß ich nur immer wieder staunen. Man merkt, daß das Geld in der Heimat auch nicht mehr den Wert hat, wie in normalen Zeiten.  Auch Euch ist die Veränderung in der Schrift von Kurt aufgefallen. Daß ihm etwas Urlaub nicht geschadet hatte, ist bei dieser Verfassung ganz klar. Ich habe heute in den amtlichen Heeresnachrichten eine Bestimmung gelesen, wonach diejenigen, die nach Lazarettbehandlung, und die durch Verwundung oder durch längere Erkrankung in der Heimat waren und anschließend nur 14 Tage Urlaub erhalten haben, dieser Urlaub auf den ordentlichen Urlaub nicht angerechnet werden dürfen. Einen Auszug habe ich ihm gleich machen lassen, den ich ihm mit zusenden werde, damit er sich bei seiner Einheit entsprechend rühren kann. Er würde es sonst nicht so ohne weiteres erfahren, wenn ich es nicht gelesen hätte. Ihr könnt ihm das auch nochmals mitteilen, daß er sich darum kümmern soll.  Gestern war ich wieder im Theater mit meinem Arbeitskameraden, wie Du aus dem beigefügten Programm siehst. Es hat mir diesmal wieder ausgezeichnet gefallen. Die Darsteller sind doch alles Einheimische. Das Orchester auch. Der Dirigent ist aber ein Gefreiter des Heeres. Das sieht am Anfang etwas komisch aus, aber man merkt, daß er seine Sache sehr gut macht. Die Bevölkerung hat einen kleinen Teil des Theaters auch eingeteilt bekommen. Wie ich höre, waren auch früher verschiedene Theater und Kinos für die Öffentlichkeit da. Man hat vorwiegend russische Stücke aufgeführt. Die Ausländer waren allerdings in den Hintergrund gedrängt.  Man merkt auch, daß die Stimmen geschult sind, und daß das nicht von heute auf morgengemacht werden kann. Ich habe das Empfinden, daß das Publikum ziemlich theaterfreudig ist, dabei muß man berücksichtigen, daß die Leute unter wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu leiden haben. Aber die Plätze für die Zivilisten sind meist ausverkauft. Aber auch für die italienische und deutsche Musik hat man Interesse. Jetzt im Krieg geht es nicht so wie in Friedenszeiten, doch dafür muß man Verständnis haben.  Daß unser Jörg sich zu einem „Finder“ herausbildet und daß ihm das Stolz einflößt, kann ich mir vorstellen. Das ist doch so ein Geschäft für ihn, sich damit wichtig zu machen.  Aber wenn er sich mit den Büsinggepflogenheiten bekannt macht, dann ist es recht, wenn Du ihm ordentlich den Standpunkt klar machst. Das geht ja auf keinen Fall. Daß er das nicht mit Überlegung macht, ist zwar meine Ansicht. Er hat sich dazu verleiten lassen, ohne sich zu überlegen, was es bedeutet. Nimm ihn nur in solchen Fällen richtig vor, denn sowas darf nicht einreißen. Daß er jetzt Euer Raupenfänger ist, wird ihm aber als einzigen männlichen Vertreter der Familie von seiner Wichtigkeit überzeugen.  Daß er sich aber nicht zum Rattenfänger ausbildet wie im Märchen, das ist dann schon schlimmer. Recht viele Grüße sende ich Euch allen meine Lieben daheim und Dir recht viele Küsse. Dein Ernst.

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