Mein
lieber Schatz, liebes Mädel !
18.9.42
Recht
vielen Dank für Deine Schreiben vom 8. und 9.9. Ich erhielt sie heute. Außerdem
kam noch ein Brief von der Stadt am wegen des Lehrgangs. Diese Geschichte will
ich gleich vorwegnehmen, damit ich das erst einmal hinter mir habe. An sich ist
es nicht richtig von mir gewesen, daß ich Dir kürzlich schrieb, daß ich eine
Einladung zu diesem Lehrgang bekam. Du hast Dir damit nun unnütze Hoffnungen
gemacht, die ich Dir heute wieder zerstören muß. Ich habe mich mit meiner
Zulassungsbescheinigung gleich dahinter geklemmt, um Klarheit zu gewinnen. Mein
Chef hat sich auch sehr bemüht, um mir dies zu ermöglichen, aber wie ich Dir
schon in meinem letzten Schreiben in dieser Beziehung mitteilte, stehen verschiedene
Hinderungsgründe entgegen, die sich nun geltend gemacht haben. Die
Voraussetzung, daß man drei Jahre aktiven Wehrdienst geleistet hat, habe ich
nicht erfüllt. Es hat auch nichts geholfen, als ich sagte, daß ich im letzten
Jahr zurückgestellt worden bin. Wie ich aus den Bestimmungen vom letzten Jahr
gesehen habe, mußte auch damals schon diese dreijährige Dienstzeit erfüllt
sein. Du mußt Dich mit mir trösten, glaube mir, daß für mich das auch wieder
einmal ein harter Schlag ist. Ich hätte zu gern einmal meine Ausbildung
beendet. Jetzt hänge ist wieder ein Jahr herum. Im letzten Jahr hat man sich
die Bestimmungen nicht angesehen. Wenn dieser Miller damals nicht diese
Blödelei gemacht hätte, könnte ich schon längst diesen Lehrgang hinter mir
haben. Denn das hätte man sowieso übersehen.
Ändern kann ich nun einmal nichts daran, und da nützt alles Ärgern
nichts. Es geht eben nicht, das muß man sich dabei vor Augen halten. Sei mir
bitte nicht böse über meine Eiligkeit. Es ist eine weitere Enttäuschung zu den
vielen, die wir schon hingenommen haben.
Daß Du dich zu einem längeren Brief entschlossen hast, hat mich
besonders gefreut. Ich weiß, daß Du Dich nicht die ganze Zeit hinsetzen kannst,
um Briefe an mich zu schreiben, denn auch Du bist heute unter den Zeitumständen
stärker in Anspruch genommen als früher. Man freut sich aber, wenn man wieder
etwas ausführlichere Schreiben bekommt. Ich nehme an, daß Dir das genau so
geht. Das Warten auf Post hat nun soweit aufgehört, als ich nicht gerade
täglich Deine Briefe erhalte, aber sie treffen, wie es Dir auch geht, nicht
täglich ein. Das ist aber nicht so schlimm und das kann man auch nicht immer
verlangen. Im Verhältnis geht die Post ja ziemlich schnell. Wie Jörg sich immer weiter in den
Schulbetrieb hineinwächst und daß ihm das Freude macht, wenn er wieder einen
neuen Abschnitt eingeleitet hat, kann ich mir so vorstellen. Er macht eben mit
und das ist schön. Über Helgas Brief habe ich mich sehr gefreut. Er macht im
Gesamten einen sauberen Eindruck und sie schreibt wieder ungekünstelt und
frisch. Das macht mir Spaß. Ich werde ihr bald dafür danken. Sie hat schon
etwas in sich und sie muß nur mitmachen und sich selbst nicht unterschätzen.
DAß man ihr andererseits nicht mehr aufbürden soll als sie leisten kann, ist mir
verständlich. Den alten Radioapparat kannst Du wegen mir verkaufen, denn es hat
keinen Zweck wenn man ihn herumstehen hat. Wir haben schon genug Sachen
herumstehen. Für uns hat er nach Deiner Ansicht keinen praktischen Wert. Ehe er
noch ganz im Keller kaputt geht, dann lassen wir ihn noch ausschlachten. Du
kannst ihn erst fragen, was er zahlt, damit man ihn nicht gerade hinterher
wirft. Deine Vorsichtsmaßnahmen wegen des Luftschutzgepäcks sind zwar sehr
weitgehend, aber an sich ist es kein Schade, wenn man sich vorsieht, denn wenn
so ein Fall doch einmal eintreten sollte, ist es dann zu spät. Das Baden macht Helga anscheinend Spaß. Daß
sie schon etwas schwimmen kann, ist schon etwas wert. Das kommt dann noch von selbst.
Daß sich Jörg aber nicht anstrengt, das ist doch nichts für einen Jungen. Wenn
er auch jünger ist wie Helga, so kann ihm das auch nichts schaden. Da muß ihn
Helga bald auslachen, oder meint er, man kann immer Ringe im Wasser finden. Wie
hat er denn das eigentlich gemacht. Ist er etwa unter die Taucher gegangen. Da
hat sich Helga wohl gefreut, als er ihr diesen Ring geschenkt hat. Wenn Du aber
öfter mit zum Baden gehst, dann wird das sich auch zu seinen Gunsten bessern.
Ich habe schon einmal meine Ansicht darüber geschrieben und ich entnehme aus
Deinem Schreiben, daß Du auch meine Meinung teilst. Für die mitgesandten
Rasierklingen danke ich Dir. Sie strecken wohl meine an sich sehr knappen
Vorräte, aber allzu lange reichen sie auch nicht mehr. Ich muß zusehen, daß ich
hier wieder etwas bekomme. Für die Besorgung der Ketten danke ich Dir. Ich will
zusehen, wie ich sie hier verkaufen kann. An sich ist das nicht meine Art, auf
diese Weise Geschäfte zu machen. Von der Änderung bei der Näherei habe ich
Kenntnis genommen. Hoffentlich wirkt sich das nicht gar zu sehr aus, wenn diese
Weiber allzu viel zu tratschen haben. Verwunderlich scheint es mir aber heute
noch, daß wir es solange mit dem Zahn (Name) ausgehalten haben, denn so
eigentlich im Bösen sind wir mit ihm nicht auseinandergegangen. Wir brauchen
ihn ja nicht und uns kann er gestohlen bleiben. Komische und weltfremde
Ansichten hat er ja immer gehabt. DAß das Mädel verbiestert, das ist in dieser
Umgebung nicht anders denkbar. Ich
möchte heute mein Schreiben abschließen und Dir recht herzliche Grüße und viele
Küsse übermitteln. Dein Ernst.
Meine
liebste Annie !
19.9.42
Die
Enttäuschung von gestern wegen des Lehrgangs liegt mir heute sehr in den
Gliedern. Ich habe eine Stimmung, in der ich alles zusammenschlagen könnte. Es
ist hier niemand daran schuld. Man ist manchmal gewissen Gemütsstimmungen
unterworfen. Die hat seine Ursache meistens darin, daß man so eingeengt ist,
und man kann sich nicht so regen wie man möchte. Dann ist es schon bald 2 Jahre
her, seit man diesen Kram mitmachen muß und man sieht noch kein Ende. Wenn sich
dann noch solche Querschläge einstellen, dann reicht es einem für die nächste
Zeit. Was hat man in diesem elenden Krieg nicht schon alles auf sich genommen
und immer wieder kommt etwas Neues. Ich habe das früher schon öfter
geschrieben, daß es mir noch nicht am schlechtesten geht, aber dieser Zustand
weicht ja von einem Normalzustand wesentlich ab. Ich will Dir nicht weiter den Kopf schwer machen, denn Du hast
sicherlich damit auch wieder selbst durch meine Voreiligkeit zu tun. Du mußt
mir aber zugute rechnen, daß ich mich freute, daß ich auf diese Weise einmal zu
Euch hätte kommen können. Dies fällt nun auch ins Wasser. Abschrift der Absage
habe ich Dir beigelegt. Ich werde dies der Stadt oder morgen mitteilen.
Evtl. werde ich noch versuchen, mein
anderes Gesuch, das ich im letzten Monat gesandt habe, noch einmal in
Erinnerung zu bringen und darauf hinzuweisen, daß ich wiederum gehemmt bin. Ob
die zwar etwas machen, kann man noch nicht sagen. Helga hat nun auch ihr Geld auf der Sparkasse. Jetzt wird sie
froh sein, daß sie hinter Jörg nicht zurücksteht. Du hast auf das Buch von uns
auch noch etwas drauf getan. Es wächst also alles weiter an. Früher war uns das
nicht möglich, daß wir Ersparnisse machen konnten. Das ist nun auch schon etwas
wert. Man hat nur die eine Hoffnung, nachdem im letzten Krieg die Entwertung
und vor allem nach Beendigung des ersten Krieges eintrat, sich nicht das
gleiche wiederholt. Dieses Sparen ist aber schon mit dadurch bedingt, daß man
nichts kaufen kann und die Einkünfte sind immer noch die gleichen, wenn nicht
teilweise noch höher. Aus diesem Grund läßt sich auch erklären, daß manche
Leute im Schwarzhandel unverhältnismäßig hohe Preise für Sachen stellen. Daß Erna wieder so nett an Dich gedacht hat,
finde ich schön von ihr. Für sie wird es auch immer eine Erleichterung gewesen
sein, wenn Siegfried ab und zu etwas schicken konnte. Ob sich das bei seiner
neuen Einheit möglich sein wird, ist fast zu bezweifeln. Ich würde es ihm
gönnen, daß er zu einem Verein kommt, der ihm diesen Wechsel nicht gar zu
schwer empfinden läßt. Ich kann mir
denken, daß Jörg und Helga Interesse für die Streichholzschachtelsammlung von
Vater hatten. Bei ihm liegen ja
allerhand so Raritäten herum. Ich kenne den Zustand, wie er bei ihm auf dem
Schrank herrscht. Wie es in den andren Zimmern aussieht, habe ich noch gut in
Erinnerung. Was haben wir früher für Schwierigkeiten gehabt, wenn Du einmal
aufräumen wolltest. Manchmal gelang es für einige Tage, auf dem Schrank Ordnung
zu halten, aber bald war es wieder soweit, daß er dieses und jenes noch
brauchte und aufheben wollte. Ich glaube zwar, daß ich auch mehr aufheben
würde, wenn Du nicht immer von Zeit zu Zeit wieder Ordnung schaffen würdest.
Ich weiß, daß das nicht geht, daß man alles aufhebt, denn man belastet sich zu
sehr mit zum Teil unnützen Dingen, die man vielleicht doch nicht braucht, und
wenn man sie braucht, dann findet man sie nicht mehr. Wir werden das bei Vater
nicht mehr ändern, das haben wir schon oft versucht, und das ist nun einmal
eine seiner Eigenarten; im übrigen ist er auch zu alt dazu. Man kann sonst mit
ihm auskommen und das ist wesentlich.
Eines freut mich, daß Du mit Deinen Dauerwellen überall solchen Erfolg
hast. Daß Vater nicht einmal etwas dagegen einzuwenden hat, das will doch viel
heißen. Ich sehe ihn erst so von der
Seite gucken. Anscheinend ist das diesmal nicht der Fall gewesen. Daß auch die
anderen Leute diese Feststellung trafen, ist nur noch die Bestätigung zu dem Urteil
der Fotos. Schade ist, daß ich es Dir nicht selbst sagen kann. Wenn es aber so aussieht, wie auf den
letzten Bildern von Dir, dann muß ich sagen, daß Du nur gewonnen hast. Das habe
ich Dir zwar in meinem Brief geschrieben, als ich Dir wegen der Bilder schrieb.
Ich gratuliere Dir jedenfalls zu Deinem Erfolg, den Du auf der ganzen Linie
errungen hast. Recht herzliche Grüße und viele Küsse sendet Dir und den Kindern
Dein Ernst.
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