Samstag, 23. September 2017

Brief 322 vom 18./19.9.1942


Mein lieber Schatz, liebes Mädel !                                                       18.9.42      

Recht vielen Dank für Deine Schreiben vom 8. und 9.9. Ich erhielt sie heute. Außerdem kam noch ein Brief von der Stadt am wegen des Lehrgangs. Diese Geschichte will ich gleich vorwegnehmen, damit ich das erst einmal hinter mir habe. An sich ist es nicht richtig von mir gewesen, daß ich Dir kürzlich schrieb, daß ich eine Einladung zu diesem Lehrgang bekam. Du hast Dir damit nun unnütze Hoffnungen gemacht, die ich Dir heute wieder zerstören muß. Ich habe mich mit meiner Zulassungsbescheinigung gleich dahinter geklemmt, um Klarheit zu gewinnen. Mein Chef hat sich auch sehr bemüht, um mir dies zu ermöglichen, aber wie ich Dir schon in meinem letzten Schreiben in dieser Beziehung mitteilte, stehen verschiedene Hinderungsgründe entgegen, die sich nun geltend gemacht haben. Die Voraussetzung, daß man drei Jahre aktiven Wehrdienst geleistet hat, habe ich nicht erfüllt. Es hat auch nichts geholfen, als ich sagte, daß ich im letzten Jahr zurückgestellt worden bin. Wie ich aus den Bestimmungen vom letzten Jahr gesehen habe, mußte auch damals schon diese dreijährige Dienstzeit erfüllt sein. Du mußt Dich mit mir trösten, glaube mir, daß für mich das auch wieder einmal ein harter Schlag ist. Ich hätte zu gern einmal meine Ausbildung beendet. Jetzt hänge ist wieder ein Jahr herum. Im letzten Jahr hat man sich die Bestimmungen nicht angesehen. Wenn dieser Miller damals nicht diese Blödelei gemacht hätte, könnte ich schon längst diesen Lehrgang hinter mir haben. Denn das hätte man sowieso übersehen.  Ändern kann ich nun einmal nichts daran, und da nützt alles Ärgern nichts. Es geht eben nicht, das muß man sich dabei vor Augen halten. Sei mir bitte nicht böse über meine Eiligkeit. Es ist eine weitere Enttäuschung zu den vielen, die wir schon hingenommen haben.  Daß Du dich zu einem längeren Brief entschlossen hast, hat mich besonders gefreut. Ich weiß, daß Du Dich nicht die ganze Zeit hinsetzen kannst, um Briefe an mich zu schreiben, denn auch Du bist heute unter den Zeitumständen stärker in Anspruch genommen als früher. Man freut sich aber, wenn man wieder etwas ausführlichere Schreiben bekommt. Ich nehme an, daß Dir das genau so geht. Das Warten auf Post hat nun soweit aufgehört, als ich nicht gerade täglich Deine Briefe erhalte, aber sie treffen, wie es Dir auch geht, nicht täglich ein. Das ist aber nicht so schlimm und das kann man auch nicht immer verlangen. Im Verhältnis geht die Post ja ziemlich schnell.   Wie Jörg sich immer weiter in den Schulbetrieb hineinwächst und daß ihm das Freude macht, wenn er wieder einen neuen Abschnitt eingeleitet hat, kann ich mir so vorstellen. Er macht eben mit und das ist schön. Über Helgas Brief habe ich mich sehr gefreut. Er macht im Gesamten einen sauberen Eindruck und sie schreibt wieder ungekünstelt und frisch. Das macht mir Spaß. Ich werde ihr bald dafür danken. Sie hat schon etwas in sich und sie muß nur mitmachen und sich selbst nicht unterschätzen. DAß man ihr andererseits nicht mehr aufbürden soll als sie leisten kann, ist mir verständlich. Den alten Radioapparat kannst Du wegen mir verkaufen, denn es hat keinen Zweck wenn man ihn herumstehen hat. Wir haben schon genug Sachen herumstehen. Für uns hat er nach Deiner Ansicht keinen praktischen Wert. Ehe er noch ganz im Keller kaputt geht, dann lassen wir ihn noch ausschlachten. Du kannst ihn erst fragen, was er zahlt, damit man ihn nicht gerade hinterher wirft. Deine Vorsichtsmaßnahmen wegen des Luftschutzgepäcks sind zwar sehr weitgehend, aber an sich ist es kein Schade, wenn man sich vorsieht, denn wenn so ein Fall doch einmal eintreten sollte, ist es dann zu spät.  Das Baden macht Helga anscheinend Spaß. Daß sie schon etwas schwimmen kann, ist schon etwas wert. Das kommt dann noch von selbst. Daß sich Jörg aber nicht anstrengt, das ist doch nichts für einen Jungen. Wenn er auch jünger ist wie Helga, so kann ihm das auch nichts schaden. Da muß ihn Helga bald auslachen, oder meint er, man kann immer Ringe im Wasser finden. Wie hat er denn das eigentlich gemacht. Ist er etwa unter die Taucher gegangen. Da hat sich Helga wohl gefreut, als er ihr diesen Ring geschenkt hat. Wenn Du aber öfter mit zum Baden gehst, dann wird das sich auch zu seinen Gunsten bessern. Ich habe schon einmal meine Ansicht darüber geschrieben und ich entnehme aus Deinem Schreiben, daß Du auch meine Meinung teilst. Für die mitgesandten Rasierklingen danke ich Dir. Sie strecken wohl meine an sich sehr knappen Vorräte, aber allzu lange reichen sie auch nicht mehr. Ich muß zusehen, daß ich hier wieder etwas bekomme. Für die Besorgung der Ketten danke ich Dir. Ich will zusehen, wie ich sie hier verkaufen kann. An sich ist das nicht meine Art, auf diese Weise Geschäfte zu machen. Von der Änderung bei der Näherei habe ich Kenntnis genommen. Hoffentlich wirkt sich das nicht gar zu sehr aus, wenn diese Weiber allzu viel zu tratschen haben. Verwunderlich scheint es mir aber heute noch, daß wir es solange mit dem Zahn (Name) ausgehalten haben, denn so eigentlich im Bösen sind wir mit ihm nicht auseinandergegangen. Wir brauchen ihn ja nicht und uns kann er gestohlen bleiben. Komische und weltfremde Ansichten hat er ja immer gehabt. DAß das Mädel verbiestert, das ist in dieser Umgebung nicht anders denkbar.  Ich möchte heute mein Schreiben abschließen und Dir recht herzliche Grüße und viele Küsse übermitteln. Dein Ernst.

Meine liebste Annie !                                                                     19.9.42      
   
Die Enttäuschung von gestern wegen des Lehrgangs liegt mir heute sehr in den Gliedern. Ich habe eine Stimmung, in der ich alles zusammenschlagen könnte. Es ist hier niemand daran schuld. Man ist manchmal gewissen Gemütsstimmungen unterworfen. Die hat seine Ursache meistens darin, daß man so eingeengt ist, und man kann sich nicht so regen wie man möchte. Dann ist es schon bald 2 Jahre her, seit man diesen Kram mitmachen muß und man sieht noch kein Ende. Wenn sich dann noch solche Querschläge einstellen, dann reicht es einem für die nächste Zeit. Was hat man in diesem elenden Krieg nicht schon alles auf sich genommen und immer wieder kommt etwas Neues. Ich habe das früher schon öfter geschrieben, daß es mir noch nicht am schlechtesten geht, aber dieser Zustand weicht ja von einem Normalzustand wesentlich ab.  Ich will Dir nicht weiter den Kopf schwer machen, denn Du hast sicherlich damit auch wieder selbst durch meine Voreiligkeit zu tun. Du mußt mir aber zugute rechnen, daß ich mich freute, daß ich auf diese Weise einmal zu Euch hätte kommen können. Dies fällt nun auch ins Wasser. Abschrift der Absage habe ich Dir beigelegt. Ich werde dies der Stadt oder morgen mitteilen. Evtl.  werde ich noch versuchen, mein anderes Gesuch, das ich im letzten Monat gesandt habe, noch einmal in Erinnerung zu bringen und darauf hinzuweisen, daß ich wiederum gehemmt bin. Ob die zwar etwas machen, kann man noch nicht sagen.  Helga hat nun auch ihr Geld auf der Sparkasse. Jetzt wird sie froh sein, daß sie hinter Jörg nicht zurücksteht. Du hast auf das Buch von uns auch noch etwas drauf getan. Es wächst also alles weiter an. Früher war uns das nicht möglich, daß wir Ersparnisse machen konnten. Das ist nun auch schon etwas wert. Man hat nur die eine Hoffnung, nachdem im letzten Krieg die Entwertung und vor allem nach Beendigung des ersten Krieges eintrat, sich nicht das gleiche wiederholt. Dieses Sparen ist aber schon mit dadurch bedingt, daß man nichts kaufen kann und die Einkünfte sind immer noch die gleichen, wenn nicht teilweise noch höher. Aus diesem Grund läßt sich auch erklären, daß manche Leute im Schwarzhandel unverhältnismäßig hohe Preise für Sachen stellen.  Daß Erna wieder so nett an Dich gedacht hat, finde ich schön von ihr. Für sie wird es auch immer eine Erleichterung gewesen sein, wenn Siegfried ab und zu etwas schicken konnte. Ob sich das bei seiner neuen Einheit möglich sein wird, ist fast zu bezweifeln. Ich würde es ihm gönnen, daß er zu einem Verein kommt, der ihm diesen Wechsel nicht gar zu schwer empfinden läßt.  Ich kann mir denken, daß Jörg und Helga Interesse für die Streichholzschachtelsammlung von Vater hatten.  Bei ihm liegen ja allerhand so Raritäten herum. Ich kenne den Zustand, wie er bei ihm auf dem Schrank herrscht. Wie es in den andren Zimmern aussieht, habe ich noch gut in Erinnerung. Was haben wir früher für Schwierigkeiten gehabt, wenn Du einmal aufräumen wolltest. Manchmal gelang es für einige Tage, auf dem Schrank Ordnung zu halten, aber bald war es wieder soweit, daß er dieses und jenes noch brauchte und aufheben wollte. Ich glaube zwar, daß ich auch mehr aufheben würde, wenn Du nicht immer von Zeit zu Zeit wieder Ordnung schaffen würdest. Ich weiß, daß das nicht geht, daß man alles aufhebt, denn man belastet sich zu sehr mit zum Teil unnützen Dingen, die man vielleicht doch nicht braucht, und wenn man sie braucht, dann findet man sie nicht mehr. Wir werden das bei Vater nicht mehr ändern, das haben wir schon oft versucht, und das ist nun einmal eine seiner Eigenarten; im übrigen ist er auch zu alt dazu. Man kann sonst mit ihm auskommen und das ist wesentlich.  Eines freut mich, daß Du mit Deinen Dauerwellen überall solchen Erfolg hast. Daß Vater nicht einmal etwas dagegen einzuwenden hat, das will doch viel heißen.  Ich sehe ihn erst so von der Seite gucken. Anscheinend ist das diesmal nicht der Fall gewesen. Daß auch die anderen Leute diese Feststellung trafen, ist nur noch die Bestätigung zu dem Urteil der Fotos. Schade ist, daß ich es Dir nicht selbst sagen kann.  Wenn es aber so aussieht, wie auf den letzten Bildern von Dir, dann muß ich sagen, daß Du nur gewonnen hast. Das habe ich Dir zwar in meinem Brief geschrieben, als ich Dir wegen der Bilder schrieb. Ich gratuliere Dir jedenfalls zu Deinem Erfolg, den Du auf der ganzen Linie errungen hast. Recht herzliche Grüße und viele Küsse sendet Dir und den Kindern Dein Ernst.

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