Donnerstag, 7. September 2017

Brief 315 vom 3./4.9.1942


Mein liebes Mädel !                                                                  3.9.42    
       
Ein großer Brief wird es heute nicht, denn es ist mir nicht danach zumute. Ich habe wieder einmal die ukrainische Krankheit.  Unter diesem Ausdruck läuft jetzt der Durchmarsch. Mir ist es nicht ganz wohl dabei. Ich denke aber, daß sich das bis morgen wieder geben wird. Tröstlich ist dabei, daß es die anderen Kameraden auch so geht. Wahrscheinlich sind die Wasserverhältnisse schuld daran. Von gestern muß ich noch nachtragen, daß von Siegfried ein Brief ankam, in dem er mir seine Versetzung mitteilt und daß ich mit einer Antwort warten soll, bis er wieder schreibt.  Gestern habe ich zwei große Umschläge mit Briefumschlägen an Dich abgesandt. Ich habe hier einige auftreiben können. Ich denke, daß Du schon Verwertung dafür hast. Andernfalls muß Du sie auf Eis legen. Butter habe ich gestern auch nochmals bekommen. Ich werde sie wieder auslassen und in eine Flasche tun.  Ich hoffe, daß Du mir nicht böse bist. Auch wenn die Ernährungslage nicht so schlecht steht, wie es mir manchmal scheinen will, so bin ich immer wieder der Ansicht, daß man mit einer Rücklage an Fett doch auch im Winter etwas anfangen kann.  Vorgestern Abend war ich wieder in unserer Kinovorstellung. Die Nacht in Venedig wurde gespielt. Dazu gab es noch eine Wochenschau. Zur Ablenkung geht es. Überragend war der Film nicht.  Übermorgen hat Helga Geburtstag und am Montag bist Du dran. Ich werde an diesen Tagen wieder an Euch denken.  Recht herzlich grüßt Dich und die Kinder verbunden mit vielen Küssen Dein Ernst.


Mein liebes, gutes Mädel !                                                          4.9.42         

Durch die Absendung Deiner Briefe an meine alte Dienststelle und durch den Luftpostbrief bin ich fast laufend mit Briefen von Dir versorgt worden. Eine große Stockung war durch die Versetzung in dieser Beziehung nicht eingetreten. Gestern erhielt ich den letzten an meine alte Felspostnummer gesandten Brief vom 16.8.  Gefreut hat es mich, daß Ihr noch die wenigen Tage zum baden ausgenutzt hat. Wie bald ist der Sommer wieder vorbei. Ich wäre gern einmal mit dabei gewesen. Das ist nun der dritte Sommer, an dem ich nicht die Möglichkeit hatte, mich so nach Herzenslust auszuschwimmen. Wie war das früher immer schön, wenn man hinausgeschwommen ist. Wie oft sind wir zusammen geschwommen und haben uns gesteigert. Was war das für uns immer für ein Vergnügen, wenn man so unbeschwert durchziehen konnte. Neben dieser Freude war das immer so wohltuend. Ihr seid immer vorausgegangen, und ich kam dann von Dienst gleich nach. Mit dem Absteigen der Jahreszeit wurden zwar die Badezeiten auch kürzer, aber wir waren meist solange dabei, als es irgend möglich war. Ich las kürzlich, daß man den Erinnerungen nicht so sehr nachhängen soll, weil es die Kraft nehmen würde für das gegenwärtige Schaffen. In einem Teil meiner letzten Briefe habe ich ja viel von Erinnerungen geschrieben, die wir gemeinsam hatten. Ich kann nur sagen, daß das Gegenteil der Fall sein muß. In diesem Falle führe ich mir immer wieder vor Augen, was ich daheim hinterlassen habe, und ich weiß dann, warum ich hier draußen die Entbehrungen und die Trennung auf mich nehme. Gerade diese Erinnerung gibt einem erst doch den Inhalt für das, was man jetzt tun muß. Wenn ich mir sagen müßte, ich finde keinen Unterschied zwischen dem, was war und was jetzt ist, dann könnte einem ja alles trostlos erscheinen. Es kann schon sein, daß der Stärke des Geistes der Schwung genommen wird durch das hängen an der Erinnerung, für die Erhaltung der seelischen Kraft bedeutet ab die Erinnerung zweifellos eine Stärkung, wobei ich für das erste auch noch Zweifel hege. Wie Du die Einrichtung des Schrankes vorgenommen hast, habe ich nun aus Deinem letzten Brief gelesen. Die Maschine wird wohl während des Winters in der Küche nicht leiden. Ich sehe aber, wie ich Dir schon in einem meiner letzten Briefe schrieb, daß die Wohnung für uns zu klein wird. Du hast es bis jetzt immer noch fertiggebracht, alles unterzubringen. Ich glaube, daß jetzt aber nichts mehr hinzukommen darf, dann ist es auch mit Deiner Kunst aus.  Ich kann mir denken, daß Du Siegfried gern noch einmal gesehen hättest, wo er in Singen war, denn Du weißt doch auch nicht, wann du ihn wiedersiehst, wenn er jetzt wegkommt. Das ist aber fast so, wie es mir mit Kurt im vergangenen Jahrgegangen ist. Wir waren auch so nahe beieinander und haben uns dann verfehlt. Was hilft aber das Nachtrauern, In diesen Sachen kann man nun einmal nichts ändern.  Gestern habe ich das Päckchen Nummer 37 an Dich abgeschickt. Das Porto mußt Du selbst bezahlen, denn ich habe keine Marken zur Verfügung. Hier werden die Päckchen wieder so angenommen. Das spielt ja keine Rolle, ob Du mir Marken sendest oder ob Du dort die 20 Pfennig bezahlst. Es ist eine Flasche mit Butter, von der ich hoffe, daß sie gut dort ankommt.  Ich habe wieder eine voll, die ich bald wieder abschicken will.  Wenn ich Dir auf diese Weise eine kleine Fettreserve schaffen kann, so ist mir das mir für den kommenden Winter eine Beruhigung. Sobald ich wieder Eier bekomme, will ich Dir diese auch wieder zugehen lassen. Ich will hoffen, daß sie ordentlich ankommen.  Mein Durchmarsch ist noch nicht vorbei, ich nehme an, daß sich das bald wieder geben wird. Es ist wohl reichlich unangenehm, aber man muß warten, bis es wieder auskuriert ist. Für heute sende ich Dir wieder recht herzliche Grüße und viele Küsse, dir und den Kindern. Dein Ernst.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen