Mein
liebstes Mädel ! 7.9.42
Wochenanfang
mit Geburtstagsfeier ist heute. Gerne wäre ich dabei und würde Dir meine
Wünsche persönlich übermitteln. Ich habe Dir das in meinem Brief schon
geschrieben. Im letzten Jahr stand ich in der Erwartung des Urlaubs, der mir
immer weiter hinausgeschoben wurde. In diesem Jahr hat man nicht einmal diese
Aussicht. Es trifft uns ja alle in gleicher Weise. Aber wir wollen trotzdem den
Kopf hoch halten und den Mut nicht verlieren. Vielleicht glückt es doch
einmal. Deine beiden Briefe konnte ich
Dir schon gestern kurz bestätigen und heute will ich sie beantworten. DAß die
Geschichte mit Helgas Brust immer noch nicht erledigt ist, hat mich erst
gewundert. Ich sehe aber, daß Du Dich darum gekümmert hast und daß der Arzt
nichts mehr dabei findet. Man macht sich da Sorgen, daß den Kindern nichts
bleibt und man möchte sich doch keine Fahrlässigkeit vorwerfen müssen, wenn
eines Tages die Sache einen unangenehmen Ausgang nimmt. Ich weiß ganz genau,
daß Du Helga unter ständiger Beobachtung hast, und daß Du Dir alle erdenkliche
Mühe gibst, daß ihr nichts davon zurückbleibt. Es war also gut, daß Dr.
Bundschuh sie wieder einmal gesehen hat, der sie schon lange kennt. Das
schnelle Wachsen macht sie schon matt, denn so ein junger Körper leidet doch
darunter, wenn ihm die Aufbaustoffe fehlen. Hoffentlich hilft ihr das
Kalkpräparat. Wenn es alle ist, mußt Du Dir gleich wieder ein Rezept
verschaffen, damit sie wieder etwas bekommt. Wenn der Körper müde ist, geht das
in der Schule auch nicht in dem Maße vorwärts. Jörg hat auf diese Weise auch
etwas mit abbekommen. Dem Schlawiner wird es nicht schaden. Wenn die beiden Lauser so selbständig
werden, merkt man doch, wie sie sich so nach und nach herausmachen und sich
schließlich eines Tages der elterlichen Gewalt entziehen. Das ist nun einmal das Schicksal der Eltern,
die sich damit abfinden müssen. Ich denke, daß sie schon soweit sind, daß man
sie allein ins Bad schicken kann. Sie müssen natürlich aufpassen, aber sie
sollen sich Mühe geben, daß sie langsam das Schwimmern lernen. Ich habe es zwar
auch erst im Unterricht nicht gelernt, doch später hat es mir keine Ruhe
gelassen und ich habe es dann allein geschafft. Es ist ja alles nicht so
schwer, daß man es nicht erlernen könnte. Nur wenn sie richtig aufpassen, kann
man sie wirklich allein fortlassen. Doch ich denke, daß man ihnen das
ungehindert zubilligen kann. Aber gerade dieser Fall, wie Du ihn mir
geschildert hast, beweist, daß auch schon bei der Kletterei schnell etwas
passieren kann. Wenn unser Junge nun einmal Streiche anstellt, dann liegt das
an seinem Alter und in der Natur eines Jungen. Daß er eine Katze hat schwimmen
lassen, ist nicht so schlecht, das hat nach meiner Meinung auch mit Rohheit
nichts zu tun. Da brauchst Du keine Angst vor diesem netten Nachbarn zu haben.
Man sagt das dem Jungen, daß das nicht geht, dann ist die Sache erledigt. Wenn
es ein junger Hund gewesen wäre, dann hätte er im Wasser herumgepaddelt, die
Katze wäre wahrscheinlich ersoffen. Es gibt ja schon genug Katzen in der
Gegend, und die Leute sollen sich nicht so Viecher halten, wenn sie selbst
schon nicht für ihre Kinder nicht genug zu essen haben. Das Annähen der Knöpfe
hat Dir immerhin keine Beschwerden gemacht. Ich lege im allgemeinen Wert
darauf, daß Du nicht länger dabei mitmachst als notwendig. Ich bin der Ansicht,
daß auch die Leute das nähen gelernt haben, die ich in dem Brief beschrieben
habe, als von dieser Sache die Rede war. Ich kann es nicht verstehen, daß man
diese Dinge so einseitig erteilt. Wenn Not am Mann ist, dann gehören alle dazu
aufgefordert, dann macht man sowas mit Freuden. Ich will Dir das damit nicht vermiesepetern, aber meine Ansicht
darüber muß ich Dir mitteilen. VAters Geburtstag habt Ihr ruhig verbracht, ganz
wie ich es mir gedacht hatte. Daß ihm die Zigarren Freude gemacht haben, kann
ich mir denken. DAß Du ihm den Durchschlag meines Briefes ausgehändigt hast,
war zwar nicht notwendig, denn ich habe ihm doch diesen Brief persönlich
zugesandt. Das macht zwar nichts und ist auch nicht weiter schlimm. Es ist wohl auch mein Fehler , daß ich Dir
das nicht besonders geschrieben habe. Wenn ich so lese, dann habe ich manchmal
das Empfinden, daß Du Vater zu nehmen weißt, denn Dir gehorcht er mehr wie mir
in früherer Zeit. Ich weiß zwar nicht, ob das auch mit dem zunehmenden Alter
zusammenhängt. Ich freue mich jedenfalls sehr, daß Ihr Euch in soweit versteht.
Wenn Du mit ihm auch nicht große Dinge besprechen kannst, denn er ist nun
einmal ein Eigenbrötler im Laufe der langen Jahre geworden, so ist er doch
immerhin erträglich. Etwas festtäglich war es dann schon noch, als ihr am Abend
etwas Cognac und Kirschwasser getrunken habt.
Dazu hast du ihm noch eine besondere Zigarre gegeben. Es ist zwar nicht
viel, aber es ist doch Krieg, da kann man nicht so große Sprünge machen. Eines
muß ich aber feststellen, von seiner Gewohnheit hat er noch nicht abgelassen,
abends lang herumzusitzen. Solange es
Dir nichts ausmacht, soll mir das auch gleich sein. Von Kurt hatte ich auch einen Brief erhalten, den Du inzwischen
auch mit erhalten hast. Auch hat er nicht viel anderes berichtet wie mir, so
daß sich beide Schreiben bald decken.
Die Schrankangelegenheit hat sich durch die Hilfe der Hausbewohner ganz
gut erledigen lassen. Du bist wieder zufrieden, daß Du so viele Sachen hast
unterbringen können. Denn das war wieder Deine Sorge geworden. Die Kinder haben
auch davon profitiert. Daß Du auch noch an mich gedacht hast, zeugt von zu
großer Fürsorge. Jetzt hast Du wenigstens mein Briefmarkenalbum untergebracht,
das war ja schon oft im Wege. Ich hatte erst nicht gewußt, daß Du auch Wäsche
mitbekommen hast, als Dir der Schrank übersandt wurde. Ich denke, daß Du
ziemlich mit Wäsche versorgt bist, denn ich glaube, daß Du einen ordentlichen
Vorrat haben mußt. Ich habe mich im allgemeinen nicht so sehr darum gekümmert
und bin jetzt noch weniger im Bilde wie früher. Der Garten ist Euch doch schon
eine große Hilfe gewesen. Dadurch, daß Du in der kartoffelarmen Zeit Dir aus
dem eigenen Garten welche holen kannst, ist schon ziemlich geholfen. Wenn Ihr
es mit dem Zucker schafft, dann habt Ihr mit dem Apfelmus auch immer etwas
Erfrischendes. Da Du einen Teil sterilisierst, kannst Du im Winter einen Teil
verwenden und brauchst den Zucker jetzt nicht dazu. Der Apfelkuchen wird auch
sicher geschmeckt haben. Da fehlt nur noch Schlagsahne dazu, dann ist es wie im
Frieden. Gewiß, die Verarbeitung der Produkte aus dem Garten erfordert ziemlich
Zeit, aber wenn man immer an den Winter denken muß, dann ist es gerade so, wie
wenn man weiß, daß es draußen in Strömen regnet und man weiß, man hat ein
dauerhaftes DAch über dem Kopf. Gefreut hat es mich, als ich die Ankunft von
einigen Päckchen lesen konnte. Ich hoffe aber, daß die dazwischen Fehlenden
sich auch noch eingefunden haben. Die Butter, die ich jetzt habe, könnte ich
versiegeln. Wenn diese Päckchen so nicht abhanden kommen, dann werden sie so
nicht auslaufen; vorausgesetzt daß die Flasche nicht zerschlagen wird. Die
Fahrkarten waren für die Kinder bestimmt. Mir ist es schon selbstverständlich,
daß ich Dir schreiben muß, wenn es sich irgendwie einrichten läßt. Wenn ich
einmal nicht schreibe, so ist mir das gerade so, wie wenn ich mich nicht
gewaschen hätte. Es ist eine Aufgabe geworden, die in das Tagesprogramm hineingehört
Siegfried ist, wie ich aus der Mitteilung auf der übersandten Zeit gelesen
habe, nochmals zwei Wochen in Urlaub gewesen. In dieser Beziehung hat er bis
jetzt wirklich Glück gehabt. Nach seiner Versetzung wird es ja anders werden.
Aber man muß sich zur gegebenen Zeit mit den eingetretenen Verhältnissen
abfinden, anders hat es keinen Zweck.
Für
diesen Tag ist es nun Schluß. Morgen will ich noch den Rest beantworten. Ich
grüße Dich und die Kinder recht herzlich und bitte Dich, gib ihnen wieder einen
herzhaften Kuß von mir. Du selbst nimm aber heute recht herzliche
Geburtstagsgrüße und Küsse entgegen von Deinem oft an Dich denkenden Ernst.
Meine
liebe Annie ! 8.9.42
Deine
Briefe, soweit es das Baden betrifft, hatte ich gestern schon beantwortet.
Nachtragen möchte ich heute nur noch, daß Du von selbst ins Hallenbad gegangen
bist. Damit ist mein Vorschlag öfter mit dorthin zu gehen, obwohl er dort noch
nicht angekommen war, bereits von Dir verstanden worden. Das kling zwar etwas schwierig,
Du verstehst es aber sicher. Dir hat es offenbar auch gefallen. Wenn Du es
ermöglichen kannst mit der Zeit, könntest Du das Praktische mit dem Nützlichen
verbinden. Es wäre vielleicht so eher möglich, diesen beiden Lausern das
Schwimmen beizubringen. Wenn sie es könnten, würde sich auch die Gefahr des
Wassers für unsere Beiden von selbst verringern. Sie brauchten dann nur noch
das Gefühl der Sicherheit erlernen, dann kann man von sonstigen Zufällen sie
unbekümmert gehen lassen. Welche große Freude Du mir mit den Bildern gemacht
hattest, schrieb ich Dir bereits. Die Vergrößerungen dazu sins ja ausgezeichnet
geworden. Das sind mit die besten
Bilder, die wir nach meiner Meinung von Dir haben. Zu Deinem jugendlichen Alter
siehst Du noch weiter verjüngt aus. Ich will Dir durchaus nicht schmeicheln,
aber es stimmt. Wenn Du Dir so einen Hut kaufen wolltest, habe ich bestimmt
nichts dagegen. Du weißt ja, daß ich mir sowieso nicht zu widersprechen wagen
würde. Ich habe Dein Bild, das ich mir aufgestellt hatte, gegen eines der
vergrößerten ausgetauscht. Es macht sich sehr schön. Die Kinder habe ich mit
dran geklammert. Jetzt bist Du doch Deiner Bedeutung entsprechend im Rahmen.
Zeitungen habe ich gestern wieder bekommen, für die ich Dir danke. Ich glaube, daß
Du den Kauf der „Berliner illustrierten Zeitung“ einstellen kannst, denn die
haben wir hier in unserem Kreise dreimal, das ist zuviel. Man muß sich das ja
austauschen. An Papiermangel für bestimmte Zwecke leiden wir hier noch nicht,
so daß es keine beängstigenden Nachwirkungen nach sich ziehen wird. Der Leim wundert mich nicht im geringsten,
weil ich mir schon lange abgewöhnen will, mich zu wundern. Was wir hier für
russischen gehabt haben, kann ich Dir leider nicht sagen, denn in den Marken
und Klassen des russischen Leims kenne ich mich noch nicht aus. Ich weiß nur,
daß er ganz abscheulich gestunken hat. Limburger Käse ist ein Dreck dagegen.
Mir wurde es schon immer Angst wenn ich einen Brief zukleben mußte, weil ich
nicht wußte, ob ich solange die Luft anhalten kann, bis ich mit dem Zukleben
fertig bin und der Leim sich ausgestunken hat. Das ist also alles, was ich Dir
darüber zu berichten weiß. Ich hoffe, daß es Dir mit Deinem Wasserglas (ein
Leim) nicht ähnlich geht. Daß Jörg eine Lehrerin, die gleich zuschlägt, weniger
sympathisch ist wie eine, die es sein läßt, ist mir schon verständlich. Er soll
ja auch nicht wegen einer sympathischen Lehrerin in die Schule gehen, sondern
er soll sich nur feste auf die Hosen setzen. Sein Vater war zwar in der Schule
auch nicht derjenige Held, der sich besonders hervorgetan hat. Ich denke aber,
daß er mehr Veranlagung dazu hat Nach längerer Zeit hattet Ihr wieder
Fliegeralarm. Nach dem, was man in der Zeitung gelesen hat, ist in der
Zwischenzeit wieder einmal bei Euch sicher Alarm gewesen. Mit der Zusendung des Dienstpakets warte nur
erst noch meine Anweisungen ab. Ich gebe Dir bald Bescheid, was und wie Du das
machen mußt. Wir ziehen innerhalb des Stadtgebietes in den nächsten Tagen
wieder einmal um. Es darf einem doch nicht zu langweilig werden. Das zugesandte
Geld habe ich schon entbehren können. Darüber mache Dir bitte keine Sorgen.
Wenn es Dir eine kleine Freude gewesen ist, dann hat es auch mir Freude
gemacht. Ich weiß, daß das unter
früheren Verhältnissen bei uns etwas ganz Außergewöhnliches gewesen wäre, wenn
man diese Summe hätte hinlegen können. Gerade an diesen Dingen sieht man, wie
sich unsere Lebenszustände gebessert haben. Das ist auch das, was ich neulich
mit meinen Worten zum Ausdruck bringen wollte, als von den Sparbüchern die Rede
war. Das Päckchen Nr. 38 ist heute an
Dich abgegangen. Es ist wieder Butter, die Du sicherlich verwenden kannst, wenn
sie richtig ankommt. Zum Schluß noch recht herzliche Grüße und viele Küsse
sendet Dir und den Kindern Dein Ernst.
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