Donnerstag, 7. September 2017

Brief 317 vom 7./8.9.1942


Mein liebstes Mädel !                                                             7.9.42     
    
Wochenanfang mit Geburtstagsfeier ist heute. Gerne wäre ich dabei und würde Dir meine Wünsche persönlich übermitteln. Ich habe Dir das in meinem Brief schon geschrieben. Im letzten Jahr stand ich in der Erwartung des Urlaubs, der mir immer weiter hinausgeschoben wurde. In diesem Jahr hat man nicht einmal diese Aussicht. Es trifft uns ja alle in gleicher Weise. Aber wir wollen trotzdem den Kopf hoch halten und den Mut nicht verlieren. Vielleicht glückt es doch einmal.  Deine beiden Briefe konnte ich Dir schon gestern kurz bestätigen und heute will ich sie beantworten. DAß die Geschichte mit Helgas Brust immer noch nicht erledigt ist, hat mich erst gewundert. Ich sehe aber, daß Du Dich darum gekümmert hast und daß der Arzt nichts mehr dabei findet. Man macht sich da Sorgen, daß den Kindern nichts bleibt und man möchte sich doch keine Fahrlässigkeit vorwerfen müssen, wenn eines Tages die Sache einen unangenehmen Ausgang nimmt. Ich weiß ganz genau, daß Du Helga unter ständiger Beobachtung hast, und daß Du Dir alle erdenkliche Mühe gibst, daß ihr nichts davon zurückbleibt. Es war also gut, daß Dr. Bundschuh sie wieder einmal gesehen hat, der sie schon lange kennt. Das schnelle Wachsen macht sie schon matt, denn so ein junger Körper leidet doch darunter, wenn ihm die Aufbaustoffe fehlen. Hoffentlich hilft ihr das Kalkpräparat. Wenn es alle ist, mußt Du Dir gleich wieder ein Rezept verschaffen, damit sie wieder etwas bekommt. Wenn der Körper müde ist, geht das in der Schule auch nicht in dem Maße vorwärts. Jörg hat auf diese Weise auch etwas mit abbekommen. Dem Schlawiner wird es nicht schaden.  Wenn die beiden Lauser so selbständig werden, merkt man doch, wie sie sich so nach und nach herausmachen und sich schließlich eines Tages der elterlichen Gewalt entziehen.  Das ist nun einmal das Schicksal der Eltern, die sich damit abfinden müssen. Ich denke, daß sie schon soweit sind, daß man sie allein ins Bad schicken kann. Sie müssen natürlich aufpassen, aber sie sollen sich Mühe geben, daß sie langsam das Schwimmern lernen. Ich habe es zwar auch erst im Unterricht nicht gelernt, doch später hat es mir keine Ruhe gelassen und ich habe es dann allein geschafft. Es ist ja alles nicht so schwer, daß man es nicht erlernen könnte. Nur wenn sie richtig aufpassen, kann man sie wirklich allein fortlassen. Doch ich denke, daß man ihnen das ungehindert zubilligen kann. Aber gerade dieser Fall, wie Du ihn mir geschildert hast, beweist, daß auch schon bei der Kletterei schnell etwas passieren kann. Wenn unser Junge nun einmal Streiche anstellt, dann liegt das an seinem Alter und in der Natur eines Jungen. Daß er eine Katze hat schwimmen lassen, ist nicht so schlecht, das hat nach meiner Meinung auch mit Rohheit nichts zu tun. Da brauchst Du keine Angst vor diesem netten Nachbarn zu haben. Man sagt das dem Jungen, daß das nicht geht, dann ist die Sache erledigt. Wenn es ein junger Hund gewesen wäre, dann hätte er im Wasser herumgepaddelt, die Katze wäre wahrscheinlich ersoffen. Es gibt ja schon genug Katzen in der Gegend, und die Leute sollen sich nicht so Viecher halten, wenn sie selbst schon nicht für ihre Kinder nicht genug zu essen haben. Das Annähen der Knöpfe hat Dir immerhin keine Beschwerden gemacht. Ich lege im allgemeinen Wert darauf, daß Du nicht länger dabei mitmachst als notwendig. Ich bin der Ansicht, daß auch die Leute das nähen gelernt haben, die ich in dem Brief beschrieben habe, als von dieser Sache die Rede war. Ich kann es nicht verstehen, daß man diese Dinge so einseitig erteilt. Wenn Not am Mann ist, dann gehören alle dazu aufgefordert, dann macht man sowas mit Freuden.  Ich will Dir das damit nicht vermiesepetern, aber meine Ansicht darüber muß ich Dir mitteilen. VAters Geburtstag habt Ihr ruhig verbracht, ganz wie ich es mir gedacht hatte. Daß ihm die Zigarren Freude gemacht haben, kann ich mir denken. DAß Du ihm den Durchschlag meines Briefes ausgehändigt hast, war zwar nicht notwendig, denn ich habe ihm doch diesen Brief persönlich zugesandt. Das macht zwar nichts und ist auch nicht weiter schlimm.  Es ist wohl auch mein Fehler , daß ich Dir das nicht besonders geschrieben habe. Wenn ich so lese, dann habe ich manchmal das Empfinden, daß Du Vater zu nehmen weißt, denn Dir gehorcht er mehr wie mir in früherer Zeit. Ich weiß zwar nicht, ob das auch mit dem zunehmenden Alter zusammenhängt. Ich freue mich jedenfalls sehr, daß Ihr Euch in soweit versteht. Wenn Du mit ihm auch nicht große Dinge besprechen kannst, denn er ist nun einmal ein Eigenbrötler im Laufe der langen Jahre geworden, so ist er doch immerhin erträglich. Etwas festtäglich war es dann schon noch, als ihr am Abend etwas Cognac und Kirschwasser getrunken habt.  Dazu hast du ihm noch eine besondere Zigarre gegeben. Es ist zwar nicht viel, aber es ist doch Krieg, da kann man nicht so große Sprünge machen. Eines muß ich aber feststellen, von seiner Gewohnheit hat er noch nicht abgelassen, abends lang herumzusitzen.  Solange es Dir nichts ausmacht, soll mir das auch gleich sein.  Von Kurt hatte ich auch einen Brief erhalten, den Du inzwischen auch mit erhalten hast. Auch hat er nicht viel anderes berichtet wie mir, so daß sich beide Schreiben bald decken.  Die Schrankangelegenheit hat sich durch die Hilfe der Hausbewohner ganz gut erledigen lassen. Du bist wieder zufrieden, daß Du so viele Sachen hast unterbringen können. Denn das war wieder Deine Sorge geworden. Die Kinder haben auch davon profitiert. Daß Du auch noch an mich gedacht hast, zeugt von zu großer Fürsorge. Jetzt hast Du wenigstens mein Briefmarkenalbum untergebracht, das war ja schon oft im Wege. Ich hatte erst nicht gewußt, daß Du auch Wäsche mitbekommen hast, als Dir der Schrank übersandt wurde. Ich denke, daß Du ziemlich mit Wäsche versorgt bist, denn ich glaube, daß Du einen ordentlichen Vorrat haben mußt. Ich habe mich im allgemeinen nicht so sehr darum gekümmert und bin jetzt noch weniger im Bilde wie früher. Der Garten ist Euch doch schon eine große Hilfe gewesen. Dadurch, daß Du in der kartoffelarmen Zeit Dir aus dem eigenen Garten welche holen kannst, ist schon ziemlich geholfen. Wenn Ihr es mit dem Zucker schafft, dann habt Ihr mit dem Apfelmus auch immer etwas Erfrischendes. Da Du einen Teil sterilisierst, kannst Du im Winter einen Teil verwenden und brauchst den Zucker jetzt nicht dazu. Der Apfelkuchen wird auch sicher geschmeckt haben. Da fehlt nur noch Schlagsahne dazu, dann ist es wie im Frieden. Gewiß, die Verarbeitung der Produkte aus dem Garten erfordert ziemlich Zeit, aber wenn man immer an den Winter denken muß, dann ist es gerade so, wie wenn man weiß, daß es draußen in Strömen regnet und man weiß, man hat ein dauerhaftes DAch über dem Kopf. Gefreut hat es mich, als ich die Ankunft von einigen Päckchen lesen konnte. Ich hoffe aber, daß die dazwischen Fehlenden sich auch noch eingefunden haben. Die Butter, die ich jetzt habe, könnte ich versiegeln. Wenn diese Päckchen so nicht abhanden kommen, dann werden sie so nicht auslaufen; vorausgesetzt daß die Flasche nicht zerschlagen wird. Die Fahrkarten waren für die Kinder bestimmt. Mir ist es schon selbstverständlich, daß ich Dir schreiben muß, wenn es sich irgendwie einrichten läßt. Wenn ich einmal nicht schreibe, so ist mir das gerade so, wie wenn ich mich nicht gewaschen hätte. Es ist eine Aufgabe geworden, die in das Tagesprogramm hineingehört Siegfried ist, wie ich aus der Mitteilung auf der übersandten Zeit gelesen habe, nochmals zwei Wochen in Urlaub gewesen. In dieser Beziehung hat er bis jetzt wirklich Glück gehabt. Nach seiner Versetzung wird es ja anders werden. Aber man muß sich zur gegebenen Zeit mit den eingetretenen Verhältnissen abfinden, anders hat es keinen Zweck.
Für diesen Tag ist es nun Schluß. Morgen will ich noch den Rest beantworten. Ich grüße Dich und die Kinder recht herzlich und bitte Dich, gib ihnen wieder einen herzhaften Kuß von mir. Du selbst nimm aber heute recht herzliche Geburtstagsgrüße und Küsse entgegen von Deinem oft an Dich denkenden Ernst.


Meine liebe Annie !                                                              8.9.42          

Deine Briefe, soweit es das Baden betrifft, hatte ich gestern schon beantwortet. Nachtragen möchte ich heute nur noch, daß Du von selbst ins Hallenbad gegangen bist. Damit ist mein Vorschlag öfter mit dorthin zu gehen, obwohl er dort noch nicht angekommen war, bereits von Dir verstanden worden. Das kling zwar etwas schwierig, Du verstehst es aber sicher. Dir hat es offenbar auch gefallen. Wenn Du es ermöglichen kannst mit der Zeit, könntest Du das Praktische mit dem Nützlichen verbinden. Es wäre vielleicht so eher möglich, diesen beiden Lausern das Schwimmen beizubringen. Wenn sie es könnten, würde sich auch die Gefahr des Wassers für unsere Beiden von selbst verringern. Sie brauchten dann nur noch das Gefühl der Sicherheit erlernen, dann kann man von sonstigen Zufällen sie unbekümmert gehen lassen. Welche große Freude Du mir mit den Bildern gemacht hattest, schrieb ich Dir bereits. Die Vergrößerungen dazu sins ja ausgezeichnet geworden.  Das sind mit die besten Bilder, die wir nach meiner Meinung von Dir haben. Zu Deinem jugendlichen Alter siehst Du noch weiter verjüngt aus. Ich will Dir durchaus nicht schmeicheln, aber es stimmt. Wenn Du Dir so einen Hut kaufen wolltest, habe ich bestimmt nichts dagegen. Du weißt ja, daß ich mir sowieso nicht zu widersprechen wagen würde. Ich habe Dein Bild, das ich mir aufgestellt hatte, gegen eines der vergrößerten ausgetauscht. Es macht sich sehr schön. Die Kinder habe ich mit dran geklammert. Jetzt bist Du doch Deiner Bedeutung entsprechend im Rahmen. Zeitungen habe ich gestern wieder bekommen, für die ich Dir danke. Ich glaube, daß Du den Kauf der „Berliner illustrierten Zeitung“ einstellen kannst, denn die haben wir hier in unserem Kreise dreimal, das ist zuviel. Man muß sich das ja austauschen. An Papiermangel für bestimmte Zwecke leiden wir hier noch nicht, so daß es keine beängstigenden Nachwirkungen nach sich ziehen wird.  Der Leim wundert mich nicht im geringsten, weil ich mir schon lange abgewöhnen will, mich zu wundern. Was wir hier für russischen gehabt haben, kann ich Dir leider nicht sagen, denn in den Marken und Klassen des russischen Leims kenne ich mich noch nicht aus. Ich weiß nur, daß er ganz abscheulich gestunken hat. Limburger Käse ist ein Dreck dagegen. Mir wurde es schon immer Angst wenn ich einen Brief zukleben mußte, weil ich nicht wußte, ob ich solange die Luft anhalten kann, bis ich mit dem Zukleben fertig bin und der Leim sich ausgestunken hat. Das ist also alles, was ich Dir darüber zu berichten weiß. Ich hoffe, daß es Dir mit Deinem Wasserglas (ein Leim) nicht ähnlich geht. Daß Jörg eine Lehrerin, die gleich zuschlägt, weniger sympathisch ist wie eine, die es sein läßt, ist mir schon verständlich. Er soll ja auch nicht wegen einer sympathischen Lehrerin in die Schule gehen, sondern er soll sich nur feste auf die Hosen setzen. Sein Vater war zwar in der Schule auch nicht derjenige Held, der sich besonders hervorgetan hat. Ich denke aber, daß er mehr Veranlagung dazu hat Nach längerer Zeit hattet Ihr wieder Fliegeralarm. Nach dem, was man in der Zeitung gelesen hat, ist in der Zwischenzeit wieder einmal bei Euch sicher Alarm gewesen.  Mit der Zusendung des Dienstpakets warte nur erst noch meine Anweisungen ab. Ich gebe Dir bald Bescheid, was und wie Du das machen mußt. Wir ziehen innerhalb des Stadtgebietes in den nächsten Tagen wieder einmal um. Es darf einem doch nicht zu langweilig werden. Das zugesandte Geld habe ich schon entbehren können. Darüber mache Dir bitte keine Sorgen. Wenn es Dir eine kleine Freude gewesen ist, dann hat es auch mir Freude gemacht. Ich weiß, daß das  unter früheren Verhältnissen bei uns etwas ganz Außergewöhnliches gewesen wäre, wenn man diese Summe hätte hinlegen können. Gerade an diesen Dingen sieht man, wie sich unsere Lebenszustände gebessert haben. Das ist auch das, was ich neulich mit meinen Worten zum Ausdruck bringen wollte, als von den Sparbüchern die Rede war.  Das Päckchen Nr. 38 ist heute an Dich abgegangen. Es ist wieder Butter, die Du sicherlich verwenden kannst, wenn sie richtig ankommt. Zum Schluß noch recht herzliche Grüße und viele Küsse sendet Dir  und den Kindern Dein Ernst.


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