Samstag, 28. November 2015

Brief 85 vom 28./29./30.11.1940


Mein sehr liebes Mädel!                                                                O.U., den 28.11.1940  

Mein gestriger Brief ist zwar nicht so ausgefallen, wie ich ihn gerne gehabt hätte, doch das lag daran, daß ich nicht ganz auf der Höhe war. Ich bin gestern vom Dienst aus gleich heimgefahren, habe meinen Brief geschrieben und mich gegen 8 Uhr ins Bett gelegt. Heute früh habe ich auch nichts gegessen, so daß ich am Mittag ziemlich Hunger hatte. Es geht mir jetzt wieder so einigermaßen, so daß ich heute Abend das Konzert besuchen kann. Ich möchte aber noch vorsichtig sein und mich gleich nach Schluß heim und ins Bett begeben. Wahrscheinlich werde ich erst morgen meinen Brief beenden.
Eben habe ich Deine beiden Briefe vom 23. und 24. gelesen, die ich vorhin bekam. Ich freue mich, daß Du an diesen beiden Tagen Post von mir bekommen hast und daß am 23. auch noch 5 Päckchen eingegangen sind. Ich habe immer das Gefühl, als ob noch einige fehlen. Eine Zusammenstellung habe ich Dir ja vor einigen  Tagen gegeben, so daß ich annehmen kann, bald von Dir darüber Bescheid zu erhalten. Eins würde mich auch noch interessieren, in welchem Zustand kommen die Päckchen an. Ist alles in Ordnung. Weiterhin bin ich froh, daß die beiden Sonderpäckchen auch schon angekommen sind. Es wäre sehr fatal gewesen, wenn da eines davon verloren gegangen wäre, weil beides zusammen gehört. Ich will Dich aber nicht unnötig neugierig machen.
Mit dem Verkauf der Seife bitte ich Dich etwas kurz zu treten. Ich weiß zwar jetzt nicht, wie viel Du auf Vorrat hast, doch wir bekommen bei unserer Weihnachtszuteilung schon unsere Kriegsseife, die ich aber nicht verwende, solange ich noch andere habe. Mir ist diese Verteilung aber ein Zeichen dafür, daß es auch hier langsam mit den Waren  knapp wird.
Wie ich Dir oben schon schrieb, hatte ich eigentlich die Absicht, mich bei meiner Heimkehr gleich ins Bett zu legen, doch es drängt mich geradezu, Dir von meinem Erlebnis, das dieses Gastspiel des Berliner Kammerorchesters heute war, zu berichten. Es wurden Ausschnitte aus Symphonien und Werken von Händel, Haydn, Bach, Grieg und Mozart gespielt. Du weißt ja selbst, daß ich zwar kein Kunstbanause bin, aber jedenfalls am Radio kein großer Hörer von Symphonien oder Kammermusik bin. Wenn man aber Gelegenheit hat, Augen- und Ohrenzeuge bei solchen Werken zu sein, so wird mir wenigstens dieses Erleben sinnvoller. Als vorletztes Stück wurde dann der Kaiserwalzer gespielt. Die beschwingte Musik wurde sehr fein wiedergegeben. Zum Schluß kam als Glanzstück und wie der Dirigent in seinen verbindenden Worten noch erklärte, als besonderer Gruß der Heimat, das Kaiserquartett von Haydn. Du kennst es auch. Ihm liegt das Motiv des Deutschlandliedes zu Grunde. Selten bin ich hier draußen so daheim gewesen wie gerade bei diesem Stück.
Bei diesen Klängen habe ich Euch daheim gesucht und auch gefunden.
Ich bin am Abend zur Haustüre hereingekommen, habe mich dann alsbald im Vorraum befunden und dort meinen Mantel abgelegt. Dich fand ich in der Küche noch beschäftigt. Offenbar saß auch Vater am Tisch und las die Zeitung. Die Kinder waren im Bett. Ich suchte sie in ihrem Zimmer auf und fand sie im tiefen Schlaf. Friedlich lagen sie da, ihre kleinen Erlebnisse des Alltags sah man ihnen nicht an. Zwischendurch klang wieder die Melodie des Deutschlandliedes. Ich fand Dich später im Schlafzimmer wieder, allein. Ein Bett war leer. Mein Blick ging durch das Zimmer, an all den vertrauten Sachen blieb er hängen. Im kleinen Zimmer sah ich all das, was wir zusammen erarbeiteten. Durch die Küche, der Stätte Deines Wirkens mußte ich wieder zurück, um wieder hierher zu gelangen. Vorher nahm ich aber wieder Abschied von Dir und von unserem Deutschland, denn die Wirklichkeit hält mich ja gegenwärtig hier in dieser Stadt. Doch dieser Besuch war etwas Herrliches und war wunderbar untermalt durch die einzige Melodie unserer Nation.
Hast Du es nicht gemerkt, wie ich bei euch war?
Euren Brief vom 24. habt ihr ja ziemlich weihnachtlich gestaltet. Du erzählst mir von Weihnachtsgeschenken, die Du schon dür die Kinder gekauft hast und die Kinder malen schon Tannenzweige mit Kerzen unter die Briefe. Ja für die Kinder hat jede Jahreszeit etwas Besonderes. Ich finde aber so geheimnisvoll wie die Weihnachtszeit, ist kaum eine andere. Dies muß uns schon von unseren Altvorderen im Blute liegen. Drum bedaure ich auch, daß ich jetzt nicht daheim sein kann. Ich bin ja wohl mit Euch verbunden, denn Eurer Adventskranz steht vor mir auf dem Tisch, ich werde somit immer an meine Lieben daheim erinnert.
Wenn Du die gesandten Sachen nicht als Dank für Deine Arbeit ansehen willst, so nimm sie bitte als Dank für Deine Liebe, die Du mir immer wieder entgegenbringst an. Ich  freue mich jedenfalls immer, wenn ich etwas Besonderes oder auch etwas Notwendiges für Euch erwerben kann.
Der Eifer der Kinder muß ja unbedingt gelobt werden. Steckt  da vielleicht doch nicht etwas Egoismus dahinter, damit Du bald fertig wirst um ihnen vorlesen zu könne? Na, diese Selbstsucht wirkt ja immerhin erzieherisch und braucht deshalb nicht kritisiert werden.
So jetzt habe ich doch noch meinen Brief fertig geschrieben, doch in wenigen Minuten haben wir es bereits 12 Uhr. Es wird also Zeit, daß ich ins Bett komme. Gute Nacht mein liebes Mädel und schlafe gut. Unseren beiden Stromern gib wieder jedem einen herzlichen Kuß. Du selbst sei herzlich gegrüßt und geküßt von Deinem Ernst.

Mein liebes Mädel!                                                                O.U., den 29.11.1940

Erst will ich wieder meinen Ruf nach Post ausstoßen. Vielleicht kommt morgen wieder welche. Heute ist für mich wieder ein Jubiläum. Soweit ich feststellen kann, schreibe ich an Dich jetzt den 150. Brief. Übrigens haben wir einen anderen Tag übersehen, vor etwa 14 Tagen war es ein halbes Jahr her, seit ich von Euch fort bin.
Ich habe heute an Nanni geschrieben. Dieser Brief war schon lange fällig. Den Durchschlag davon füge ich Dir bei. An die Eltern werde ich auch heute noch schreiben. Ebenso werde ich die beiden Päckchen mit absenden. An Siegfried sowie auch an Kurt muß ich auch wieder schreiben, damit ich meine Postschulden wieder erledigt habe. Hast Du eigentlich das Päckchen mit dem Kakao nicht erhalten? Ich erwarte immer noch die Antwort auf meine Frage bezügliche der Ankunft meiner Päckchen. Am Montag gehen an Dich wieder einige ab, damit ich die hier lagernden Sachen so nach und nach weg bekomme, denn ich möchte mich nicht unbedingt mit mehr belasten als erforderlich ist.
Nun möchte ich Dich einmal mit einer grundsätzlichen Frage belasten und die handelt sich um den Urlaub. Wie ich Dir schon seinerzeit sagte, ist meine Tätigkeit mit der des Tommy verkoppelt. Der fährt nun über Weihnachten und Neujahr bis etwa 15.1. 41 in Urlaub. Nach dem Urlaubsplan besteht für mich vorher wenig Aussicht, hier wegzukommen. Wir haben für mich den 18./19.1.1941 festgelegt. Ich habe mir gedacht mit Rücksicht auf Euch würde ich bei unserem Chef darum einkommen, daß ich vielleicht 5 -6 Tage über Weihnachten freikäme. An sich ist es dann aber so, daß ich höchstens 3 Tage bei Euch sein könnte, weil ich so eine lange Anreise habe. Dieser Sonderurlaub würde auf den kommenden angerechnet werden. Dann könnte ich vielleicht trotzdem zu dem vorgesehenen Zeitpunkt im Januar zu Euch kommen. Der Unterschied ist noch der, daß ich zweimal reisen muß, was dann auch mit eingerechnet wird. Du wirst Dir denken können, daß es mir auch nicht einerlei ist, gerade zum Weihnachtsfest nicht bei Euch sein zu können. Wie ich Dir aber schon oben geschildert habe, ist hier zweierlei zu bedenken. Ich bitte Dich, mir schnellstens Deine Ansicht mitzuteilen, ich werde dann sehen, was ich erreichen kann und wie ich es mache.
Recht herzliche Grüße und Küsse für heute sendet Dir Dein Ernst.


Meine liebe Frau!                                                       O.U. den 30.Novwember 1940

Nun habe ich doch erst heute den Brief an die Eltern fertigbekommen, weil ich gestern Abend zum Pflichtessen mußte. Heute hat es sich ganz schön gegeben, denn ich hatte heute Nachmittag Bereitschaftsdienst. Da habe ich erst einmal einige Päckchen fertig gemacht und nun habe ich mich ans Schreiben gesetzt. Die Päckchen an Nanni und an die Eltern sind auch versandfertig, so daß am Montag eine Sendung von 7 Päckchen herausgeht. Wie findest Du den Brief an die Eltern? Er ist zwar etwas dreist in Bezug  auf die Bezahlung, doch ich habe gedacht, wenn ich nicht die Initiative ergreife, lassen die sich nichts merken. In der Feinfühligkeit waren Deine Eltern uns gegenüber manchmal auch nicht sehr kleinlich. Ich werde ja sehen, was sie dazu sagen. Wenn es ihnen zuviel ist, brauchen sie es nur zu schreiben, dann bekommt Ihr wieder alles.
Die Post ist ja wieder mit mir sehr rücksichtsvoll. Damit ich meine Nerven nicht so überlaste und erst am Montag wieder die Arbeit des Briefelesens aufnehmen muß, hat sie mich heute bei der Briefverteilung ausgeschlossen. Das ist doch nett von den Leuten. Ja bei denen kommt man nur noch mit Galgenhumor durch, etwas anderes zieht nicht mehr.
Die Päckchen habe ich weiter nummeriert und ich sende jetzt die Päckchen 3 bis 7 am Montag an Dich ab. Den Pullover für Vater habe ich auch dabei, in den anderen Päckchen sind meistens Lebensmittel. Ich brauche ja keine langen Beschreibungen loszulassen, denn Du brauchst ja nur auf den laufenden Eingang der angekündigten Nummern achten. Nachdem ich mir die neue Mütze angeschafft habe, bin ich nun noch zur Kammer gegangen und habe mir eine neue Feldbluse verpassen lassen, damit ich etwas zu wechseln habe. Es dreht sich nun noch darum, daß die verschiedenen Änderungen und die entsprechenden Abzeichen beschafft werden, denn ich habe nicht Lust, mir diese auf meine Rechnung zu besorgen. Am Montag werde ich auf dem Dienstweg den Antrag auf Übernahme stellen. Ich bin gespannt, wie lange das dauern wird, bis das durch ist. Ja man muß immer hinterher sein, denn sonst kommt man zum Schluß noch ganz abgelumpt daher. Vor allen ist es doch bei uns so, daß wir mitten im öffentlichen Dienst stehen, so daß wir wenigstens einigermaßen ordentlich angezogen sein müssen. Das ist ja in der Heimat auch so.
Du wirst froh sein, wenn Du heute wieder einmal einen mit Maschine geschriebenen Brief erhältst, da brauchst Du nicht so lange herumzubuchstabieren. Wegen meines Urlaubs bitte ich Dich, nimm dazu in der Weise Stellung, wie Du es Dir denkst. Ich kann ja noch nicht sagen, was ich hier erreiche und wie unser Chef in dieser Sache entscheidet. Mit Rücksicht auf den Jahreswechsel fällt hier ein großer Teil Arbeit an, der schließlich erledigt sein muß. Ich weiß Du wirst für alles Verständnis haben und mir auch einen Bescheid zukommen lassen. Nachdem nun ja bald wieder Nikolaus ist und in diesem Jahr wahrscheinlich keiner zu den Kindern kommen kann, habe ich mir gedacht, daß ich unter der Deckadresse  dieses Mannes an die Kinder einen entsprechenden Brief schreibe. Wenn Du etwas anderes vorhast, so kannst Du ihn ja ohne weiteres zurückhalten.
Nun meine Lieben daheim grüße ich Euch alle recht herzlich und sende Euch viele Küsse. Dir mein liebes Mädel sende ich dies alles wieder besonders und hoffe von Dir bald wieder Nachricht zu bekommen. Dein Ernst.
Der Brief an die Kinder war Schwerarbeit für mich, denn Du weißt ja, wie gut ich die deutsche Schrift beherrsche. Du wirst es ja auch ohne weiteres aus den Zügen erkennen, wie ich mich damit abgequält habe. Ich denke aber, daß die Kinder sich darüber freuen werden. Du wirst ihnen ja sowieso noch etwas dazu geben.

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