Meine liebe Frau! O.U., den 23.11.1940
Ist es nicht eigentümlich mit was man sich
alles befassen muß. Es rückt langsam der Termin heran, wo mein Kamerad Dr.
Thomas in Urlaub gehen will. Ich muß mich daher auch noch mehr wie bisher in
die Dinge einweihen, die er vorher allein bearbeitet hat.
Wir haben heute unsere Schweinemästereien
besichtigt, die nach deutschem Muster ähnlich dem EHN aufgebaut sind. Die
Küchenabfälle der Truppen werden schon gesammelt, doch reicht dies für die 400
Schweine, die gemästet werden sollen, noch nicht aus. Es soll aus diesem Grunde
auch die Bevölkerung mit helfen. Die Organisierung und die Durchführung solcher
Aufgaben ist unter den hiesigen Verhältnissen ungemein schwerer, wie bei uns
daheim. Ich denke, daß wir auch diese Aufgabe meistern werden.
Ich schrieb Dir doch vor einiger Zeit von
dem Brand. Darüber kam auch ein Artikel in die Zeitung, der besagte, daß die
Vertreter von unserer Dienststelle zuerst da waren und durch die gegebenen
Anordnungen ein Übergreifen auf die Nachbarhäuser verhindert wurde. Gestern
bekamen wir aus Paris von einem Privatmann ein Schreiben, worin er sich
bedankte, daß durch unser Einschreiten sein Haus hier keinen Schaden gelitten
hat. Das ist doch sehr höflich. Nun habe ich Dir aber viel vom Dienst
geschrieben.
Heute Nachmittag war ich mit beim
Einkaufen und habe für Vater auch den Pullover erstanden. Er kostet zwar nicht
6 sondern 8 RM, doch ich finde ihn trotzdem noch preiswert. In einem Geschäft
sah ich Schlafsäcke in der Preislage von 20,- und 30,-RM. Ich dachte bald, daß
das etwas für Kurt wäre. Wenn ich seine Adresse wüßte, würde ich ihm gleich
schreiben. Die Fütterung war m.E. Wildseide oder Daunen. Ich weiß zwar nicht,
was diese Sachen bei uns kosten. Man sieht hier so vieles, was man kaufen
möchte und verausgaben könnte man sich dabei, daß einem die Schulden über den
Kopf wachsen. Aber auch hierbei muß man sich beherrschen, wenn es noch so
schwer fällt. Ich freue mich aber über alles, was ich für Euch erstehen kann.
Morgen wird unsere Fahrt nach Kortrijk,
Gent, Brügge steigen. Wir bekommen in diesem Monat noch unbeschränkt Benzin und
wollen aus diesem Grunde die Gelegenheit noch ausnutzen.
Mein liebes Mädel, eine recht gute Nacht
wünsche ich Dir und sende Dir viele herzliche Grüße und Küsse und bitte Dich,
gib den Kinder auch etwas davon ab. Dein Ernst.
Mein herzliebes Mädel! O.U., den 25.11.1940
Gestern
früh hörte ich wieder einmal ein Lied, was wir vor Jahren so oft
gesungen haben. Es paßte auch zu dem gestrigen Tag und auch in die Gegend.
Immer wieder tönte es mir in den Ohren „Der Wind weht über die Felder“. Wir fuhren
hier bei bewölktem Himmel fort. Das Wetter war nicht gerade schlecht. Wir kamen
an Flugplätzen vorbei, ein Posten stand da, wieder klingt es „ins regennasse
Zelt“. Es war inzwischen regnerisch geworden und verschiedentlich marschierten
Kolonnen. Beim Marschtritt hörte man
wieder „Es zieht in langen Reihen das weite Regiment“. Lastwagen wurden
überholt und vor uns taucht ein Zug Reiter auf. Im Vorbeifahren klappert uns
der Huftritt der Pferde zu „Sein Reiter zieh´n ins Feld“. Es war zwar nicht das ins Feldziehen wie im
Weltkrieg, doch wenn man sich in dieser
Landschaft und in der Stimmung befindet, die schließlich die ganze Umgebung
hervorruft, so kann am Totensonntag einem nur etwas Derartiges in den Sinn
kommen. In verschiedenen Ortschaften waren teilweise die Häuser zerstört. Es
war gekämpft worden. Einige Gräber ließen die Härte der Kämpfe erkennen. Die
Kreuze grüßten herüber und mir kam in den Sinn „viel Kreuz am Wegesrande“. Es
war beeinflußt durch das Wetter, eine richtige flandrische Stimmung, die man
erlebt haben muß, um das Lied wieder richtig zu erfassen. Seither war es mir
noch nie so stark zu Bewußtsein gekommen.
Ich habe nochmals kurz obige Zeilen
überflogen und muß feststellen, daß dies eine ganz sentimentale Stimmung ist,
die ich da niedergelegt habe. Ich hatte mir überlegt, ob ich es überhaupt weg senden
soll. Nachdem dies nun einmal für Dich bestimmt war, kann ich es eigentlich nicht
wegwerfen. Also, es geht so an Dich ab wie es ist.
Wir waren wieder in Gent, haben uns dort
nochmals richtig umgesehen, es hatte dort inzwischen aufgehört mit regnen.
Anschließend sind wir in ein Restaurant und haben dort unser Brot, das wir
mitgenommen hatten, verzehrt. Das Kartenwesen ist in Belgien wesentlich
strenger wie in unserer Gegend, weshalb wir vorsichtshalber unser Brot gleich
mitgenommen hatten. Wir hätten offenbar sonst nichts bekommen. Anschließend
haben wir uns aufgemacht und sind nach Brügge rübergebraust. Die Straßen sind
ausgezeichnet. Wir hatten den Herrn Gangzie mitgenommen, der ein routinierter
Fahrer ist, den haben wir eine Strecke fahren lassen, und bei 100 - 120 Sachen
waren wir bald am nächsten Ziel. Das Wetter hatte aufgeklart, so daß wir für
den Vormittagsregen reichlich entschädigt wurden. Diese Stadt wird zwar nicht
zu Unrecht das Venedig des Nordens bezeichnet. Man muß berücksichtigen, daß wir
zu einer Jahreszeit in die Stadt gekommen sind, die doch mehr oder weniger, sei
es durch das Wetter oder durch die kahlen Bäume, die Stimmung beeinträchtigten
kann. Man merkt hier ganz klar, daß diese Stadt in ihrer Blütezeit der Hanse
angehört hat. Bremen und Lüneburg, diese beiden Städte kenne ich ja, sie
spiegeln dasselbe Bild. Es ist eine Stadt, die sehr reizvoll durch ihre Bauten
wirkt. Ein großer, um nicht zu sagen der schönste Teil wurde so um 1610 - 1630
erbaut. In neuerer Zeit ist man dazu übergegangen, die Erneuerungsbauten im
gleichen Stil aufzubauen. Äußerst interessant wirken die wuchtigen Backsteinbauten,
die sich durch die Jahrhunderte gut erhalten haben, während die Gebäude aus Sandstein,
der das andere Baumaterial gab, stark unter den Witterungseinflüssen gelitten
hat.
Wir haben uns vorgenommen, bei Gelegenheit
Brügge nochmals aufzusuchen. Als Sachse, der man ja landschaftlich war, ist
interessant zu erfahren, daß hier der größte Teil die sogenannten „Büsseler
Spitzen“ herstellt. Von 60000 Einwohnern sind 18000 in dieser Industrie tätig.
Von diesem Lande wurde ja seinerzeit auf Grund der Religionsverfolgungen die Spitzenmacherei und die Klöppelkunst
nach dem Erzgebirge verpflanzt. Wir waren in einem Geschäft und haben uns die
Sachen angesehen, es waren teilweise die reinsten Kunstwerke und an Feinheit wunderbar.
Diese Sachen sind auch nicht gerade billig. Wenn ich mich in letzter Zeit nicht
zu sehr verausgabt hätte, würde ich etwas für Dich gekauft haben. So hat es nur
zu einem kleinen Andenken gelangt, welches ich Dir gleich beilege. Vielleicht
freut Dich auch das. Um vor Einbruch der Dunkelheit noch nach Hause zu kommen,
haben wir 1/4 6 Uhr die Heimreise angetreten. Nach einer reichlichen Stunde
sind wir wieder hier gelandet.
Jetzt habe ich Dir wohl genügend von den Eindrücken unserer Reise geschildert
und nun möchte ich Dir für Deinen lieben Brief vom 20., den ich heute erhielt,
herzlich danken. Deinen Wunsch auf Schokolade kann ich Dir also erfüllen, denn
ich habe am Samstag wieder 15 Tafeln bekommen können. Es ist zwar nicht immer
sehr einfach, doch bis jetzt hat die Beschaffung immer noch geklappt. Ich werde
sie Dir so nach und nach mit zugehen lassen. Deinen Wunsch wegen der Weste habe
ich mir vorgemerkt, doch wie ich Dir schon mitteilte, bin ich etwas knapp mit
dem Geld, vor allem, weil ich für die Kinder noch die Wünsche erfüllen muß.
Sobald es mit aber möglich ist, werde ich mich Deines Wunsches erinnern.
Bei den Spaziergängen durch den Wald war
ich auch immer gerne dabei und Du weißt ja selbst, daß das für mich immer die
Erholung war. Ich freue mich jedenfalls darauf, mit Euch wieder einmal durch
den Wald zu strolchen. Soeben treffen Deine weiteren Briefe vom 21. und 22.
ein. Soviel Post an einem Tage wieder, ist wirklich eine Überraschung. Leider
muß ich dabei feststellen, daß Du auch so unregelmäßig versorgt wirst.
Mit Deinen Schuhkäufen bin ich durchaus
einverstanden. Ich hätte Dir hier auch gerne ein Paar neue Schuhe gekauft, doch
wie ich Dir schon mitteilte, die Geldmittel waren dafür zu knapp. Je mehr man
Geld hat, desto mehr kauf man, solange die Möglichkeit dazu besteht. Helga
danke ich für den schönen Gruß, den sie mir geschrieben hat und über Jörgs
Obstgehänge, das er mir wieder gemalt hat, habe ich mich auch sehr gefreut.
Diesen Brief möchte ich nun absenden. Soweit noch zu dem einen oder anderen
Punkt etwas zu sagen ist, werde ich dies im nächsten Brief tun.
Für heute grüße ich Dich recht herzlich
und sende Dir viele Küsse, von denen Du den Kindern einige abgeben kannst. Dein
Ernst.
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