Mein liebes Mädel! O.U., den 8.11.1940
Ich sitze wieder dabei, um meine Ablehnungen für Kraftfahrzeuge
abzuzeichnen. Neben mir wird über Stadtbaupläne ziemlich eifrig parliert, es
ist also sozusagen mitten in der Arbeit. Zudem ist es so um die Zeit, wo Du
wahrscheinlich wieder einen Brief für mich aufgibst. Ich lasse, obwohl noch
manches daliegt, alles liegen, ich werde es schon irgendwie wieder wegschaffen.
Vielleicht bekomme ich bald noch Post von Dir, dann kann ich noch darauf
eingehen. Durch das Tempo, was hier so vorgelegt wird, merkt man gar nicht so,
wie das Jahr herum gegangen ist. Man lebt hier doch anders und vor allem in der
Stadt um nicht zu sagen Großstadt wie bei uns. Wenn ich so bedenke, bei uns
daheim ist es doch ganz anders, man lebt doch viel mehr mit der Natur
verbunden. Man hat seinen Garten, kann in den Wald gehen, sieht alles wachsen
und gedeihen. Allerdings sieht man auch die Rückschläge, die sich einmal
einstellen. Hier sieht man nichts wie Häuser und unter Tags auch Himmel. Nun
ist es so, man ist jetzt schon ganz verwundert, wen man merkt, daß es schon
gegen 5 Uhr anfängt zu dämmern. Es dauert nun so viele Tage über Weihnachten
hinaus, so viel es noch bis Weihnachten sind, dann haben wir wieder zu dieser
Tageszeit die gleiche Helligkeit wie jetzt. Es ist in so einer großen Stadt bei
schwierigen Verkehrsverhältnissen über
die Winterszeit am Abend nicht so einfach. Auch über diesen Winter werden wir
hinwegkommen.
Ich bin heute so richtig im Verbessern
drin, das rührt aber daher, daß neben mir ziemliche Verhandlungen laufen, die
mich immer wieder ablenken.
Du erhältst neben den mir zugesandten
Briefen noch einige Fahrscheine mit zurück, die ich gelöst hatte, als ich von
Euch wieder wegfahren mußte. Du kannst sie vernichten, wenn Du willst.
Jedenfalls siehst Du, daß nichts verloren geht.
Heute erhielt ich Deinen lieben Brief vom
1.11., so daß jetzt so ziemlich die Lücken, die bestanden haben, aufgefüllt
sind. Darin konnte ich, wie in den anderen Briefen auch schon, lesen, daß Du
mich in den Haaren raufen willst. Sage einmal, wo soll denn das hinführen, wenn
derartige Zustände in unserer Familie einreißen?
Was soll denn das heißen und was für ein
schlechter Eindruck entsteht denn da, wenn ich mit zerzausten Haaren rumlaufen
muß? Über die Geschäftstüchtigkeit unserer beiden Stromer habe ich doch lachen
müssen. Das haben sie wieder schlau angedreht.
Dir mein lieber Schatz recht herzliche
Grüße und Küsse bis zum nächsten Brief. Dein Ernst.
Meine liebe Annie! O.U., den 10.November 1940
Ja, das freut mich denn sehr. Ich habe aus
Deinem lieben Brief vom 5.11., den ich gestern erhielt, ersehen, daß Du nun
doch die beiden Päckchen erhalten hast, die ich schon verloren glaubte. Wie Du
aus den gesandten Sachen selbst sehen wirst, wäre es sehr ärgerlich für mich
gewesen, wenn diese Sachen weggekommen wären. Wie Du mir schreibst, haben Dir
die Sachen gefallen und zu passen scheinen sie auch. Über die
Mantelangelegenheit bist Du nun auch unterrichtet. Es ist also soweit alles in
Butter. Wenn Du Dir aus dieser oder jener Bezeichnung nicht viel vorstellen
kannst, so macht das auch nichts weiter aus. Mir gefällt er wirklich sehr gut
und ich hoffe natürlich, daß es Dir gleich so gehen wird. An sich ist ja
schwarz eine Farbe, die fast jedem steht. Wenn Du Lust hast, kannst Du Dich ja
einmal dort in einem Geschäft darnach erkundigen, was so ein ganzer Mantel
kostet.
Wegen des Kaffees für Vater kannst Du es
halten, wie Du es für richtig hältst. Ich werde den Eltern welchen schicken und
ihnen schreiben, daß sie das Geld dafür Dir senden. An Nanni werde ich, wenn
ich wieder welchen da habe, 1/2 Pfund senden. Dann haben wir unsere Pflicht
getan. Jörg wird wohl auch mit ziemlich gemischten Gefühlen gewartet haben, als
seine Hose kaputt war.
Wie es scheint, wird unsere Küche doch
noch gemacht. Das ist ja sehr anständig. Wenn die damit zusammenhängende Arbeit
beendigt ist, wirst Du wohl auch wieder froh sein, daß alles sauber ist. Das
Verhalten von Steinmehl sieht den Lebensgewohnheiten dieser Leute vollkommen
ähnlich. Wenn Du Dich nicht mehr darüber ärgerst, soll es mir auch gleich sein.
Man sieht aber, wie man sich auf derartige Hilfe, die sie noch großartig
antragen, verlassen kann.
Ihr seid also auch wieder einmal im Keller
gewesen. Letzte Nacht haben wir auch Besuch gehabt. Sechs kleine Bomben sind
geworfen worden, die auf freies Feld in der Nähe einer Veterinärstation
gefallen sind. Die Flak hat dann mächtig geballert, als sie wieder weg waren.
Heute habe ich auch den Kindern einen
Brief geschrieben, denn sie werden wahrscheinlich schon darauf gewartet haben.
Am Nachmittag werden wir sicher noch einmal mit dem Wagen zu einer bekannten
Familie nach Richtung Arras fahren.
Bei schönem Wetter sind wir am Nachmittag
losgefahren. Haben bei diesen Leuten Kaffee getrunken. Es war sehr nett. Man
sieht einmal wieder eine Familie beieinander, einige gut erzogene Kinder. Da
freut man sich, wenn so ein gutes Familienverhältnis besteht, das an das eigene
so erinnert. Die Heimfahrt war etwas schwierig, weil man durch zerschossene
Ortschaften unter Benutzung von Umleitungen mit wenig Licht bei stockdunkler
Nacht fahren mußte. Wir sind aber heil und ganz nach Hause gekommen.
Gute Nacht, mein liebes Mädel, und schlafe
gut. Recht viele herzliche Grüße und Küsse sendet Dir Dein Ernst.
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