Meine liebe Annie! O.U., den 21.11.1940
Gleich am Anfang muß ich wieder das alte
Klagelied wegen der angeblich schlechten Postversorgung anstimmen. Ich bin nun
gespannt, wann die zwischendurch ausgefallenen und dann wieder die laufenden Briefe
eintreffen. Ja, da wird ein Fest werden, wenn die alle zusammen ankommen. Wie
Du mir schreibst, geht es Dir in gleicher Weise schlecht.
Gegenwärtig haben wir hier ein sehr
wechselhaftes Wetter. Wenn man nicht ab und zu durch entsprechendes Weintrinken
für seine Gesundheit etwas tut, könnte man direkt krank werden. Ich habe heute
etwas für meine Gesundheit getan.
Ich habe Gelegenheit gehabt, einige
Konserven zu bestellen. Die Sendung ist nun angekommen und vorhin haben wir
verteilt. Es sind Ölsardinen, Hummer, Langusten, Anchovis, Fleisch,
Fleischextrakt usw., usw. Es werden so an die 50 Dosen und Sachen sei. Ich
denke, wenn ich Dir dies so nach und nach mit zugehen lasse, wirst Du mir nicht
böse sein, denn das bedeutet doch eine willkommene Abwechslung in Euren
Mahlzeiten und Deine Wirtschaftskasse wird dadurch auch etwas entlastet. Ich
habe mich sehr gefreut, weil viele Spezialitäten dabei sind, die wir sonst
normalerweise bei uns daheim nicht kaufen würden oder könnten.
Weil ich gerade bei den Essachen bin, kann
ich Dir ein kleines Erlebnis schreiben, das geradezu typisch für französische
Verhältnisse und Organisation zu sein scheint. Letzthin teilte ich Dir doch
mit, daß hier das Markensystem eingeführt sei. Auf dieses möchte ich nun
anspielen. In einer Familie, die ich sehr gut kenne, wurde ein ziemlich
feudales Mittagessen aufgetragen. Wir
fragten, ja wie bringen sie das nur fertig, haben sie das alles auf Ticket;
worauf uns geantwortet wurde, Ticket, nein Ticket sind wohl gut für die
Soldaten, aber nicht für uns. Es klingt geschrieben härter als es gesagt und
auch gemeint war, doch es ist bezeichnend für das Verteilungssystem und ein
Hinweis darauf, daß man unter der Hand und auf dem Lande immer noch kaufen
kann. Wir selbst können ja auch nicht klagen, denn unsere Verpflegung ist
wirklich ausgezeichnet. Heute gab es am Abend beispielsweise Suppe, kalte
Platte, die aus zweierlei großen Scheiben Fleisch, etwas Kartoffel- und etwas
grünem Salat und einem Klecks Mayonaise bestand. Als Nachtisch gab es, wie
meistens abends, eine Ecke Camembert und etwas Butter. Brot kann man dazu essen,
so viel man Lust hat. Auch für das Trinken ist am Abend gesorgt, denn man
bekommt noch ein Glas Wein oder Bier dazu. Für mich kommt ja nur erstes in
Frage. In diesen Tagen werde ich mir eine Mütze kaufen, nachdem jetzt eine
Stelle sich hier niedergelassen hat.
Unsere Fahrt nach Gent und evtl. anschließend
Brügge ist, anständiges Wetter vorausgesetzt, ziemlich sicher. Am folgenden
Sonntag werden wir kaum herauskommen, weil wir dienstlich festgehalten sein
werden.
Ich sende Dir wieder viele recht herzlich
Grüße und Küsse und bitte dich, einige davon den Kindern weiterzureichen. Dein
Ernst.
Geliebte Annie! O.U., den 22.11.1940
Es ist also genau so gekommen, wie es ohne
viel Scharfsinn nicht viel anders zu erwarten war. Ich habe heute von Dir drei
Briefe erhalten und zwar die vom 14., 18., und 19.11.40, über die ich mich sehr
gefreut habe, obwohl ich daraus ersehen habe, daß Du auch so unregelmäßig mit
Post versorgt wirst und daß Du deswegen den Kopf etwas hängen läßt. Du siehst
aber selbst, daß einer Deiner Briefe auch 8 Tage gebraucht hat, um an mich zu
gelangen. Ich verstehe, daß Du jetzt etwas mehr Zeit hast durch die längeren
Abende wie während der vergangenen Zeit und nun viel mehr sinnieren kannst wie
vorher. Ich bitte Dich aber, laß den Kopf nicht hängen und sei wie immer meine tapfere Frau.
Aus Deinem ersten Brief habe ich gelesen,
daß Kurt seinen Koffer zurückgesandt hat, also ist er ernstlich doch woanders hingekommen.
Bis jetzt hat er mir noch keinen Bescheid gegeben. Daß er seinen Koffer
leichtsinnig versorgt hat, sieht ihm durchaus ähnlich, ich glaube auch kaum,
daß wir ihn in dieser Beziehung ändern können. Denke einmal an, wenn sogar der
Kommis hier versagt, was sollen wir da sagen.
Mit Deinen Händen hast Du wirklich großes
Pech gehabt, ich bin nun froh, aus Deinen letzten Briefen zu ersehen, daß die
Besserung wesentliche Fortschritte gemacht hat. Lobenswert ist, daß Dich Helga
so gut unterstützt und Dir einen Teil Deiner Arbeit abnimmt. Ich halte es für
ratsam, wenn Dir diese Wunden immer eitern sollten, etwas Jod zu verwenden, das
schützt vor neuer Infektion, doch müssen in erster Linie etwa vorhandene
Fremdkörper heraus.
Deine Ansicht über den Wert der Pelzmäntel
für 287,-RM ist mir auch einigermaßen klar. Es ist ja so, daß hier der
niederste Preis genannt worden ist. Hier sind ja die Preise für diese Artikel
fast um das Dreifache gestiegen. Mit solchen Sachen kann man daheim
angeschmiert werden und hier auch. Solche Käufe sind reine Vertrauenssache. Ich
hoffe aber, daß Du Freude daran haben wirst. Wenn Du keine Lust hast, in einem
Geschäft nachzufragen, so nehme ich Dir dies durchaus nicht übel.
Du drückst in Deinem Brief Deine
Verwunderung darüber aus, woher ich die Leute alle kenne. Ich habe Dir ja auch
in einem meiner letzten Briefe geschrieben, daß man hier so nach und nach
verbürgert und Du wirst ja nun auch wissen, wie ich darüber denke. Daß ich Euch
darüber nicht vergessen habe, hast Du gemäß Deiner Feststellung selbst gemerkt.
Dein Brief vom 18. schildert mir von
Deiner Tätigkeit im Garten. Ich bin überzeugt, daß Du nun alles in Schuß hast,
trotzdem meint man, es müßte dies oder jenes noch getan werden. Doch wenn man
danach gehen wollte, würde man nie fertig werden. Wenn Du die blauen Blumen vor
dem Haus abgeerntet hast, so kannst Du sie, wenn sie etwas zusammengestutzt
sind, mit auf den Komposthaufen werfen. Die Berge würden auch mir Freude
machen, aber Du hast recht, man kann nicht alles miteinander haben. Etwas muß
sein, wonach man wieder einmal Verlangen hat und das sind außer der Familie
auch die Berge und der See. Ich habe vor mir Dein Bild liegen und proste Dir,
indem ich an Dich denke, auf Deine Gesundheit mit einem Glas Burgunder zu.
Ich finde auch, daß für Kralls die
Mitteilung der Gefangenschaft ihres Sohnes eine gewisse Erleichterung bedeuten
wird. Deinen Vorschlag, daß die Eltern für Jörg Soldaten kaufen sollen, stimme
ich zu. Deinem Wunsch, Dir aufzuzeichnen, wie ich wohne, will ich gerne
nachkommen, wenn ich weiß, daß ich Dir damit eine Freude bereite. Bei meinen
zeichnerischen Fähigkeiten weiß Du ja, was für ein Opfer ich da bringe. Eine
Bedingung muß ich dabei aber stellen, ich möchte auf Raten arbeiten, also so
nach und nach werde ich Dir einige meiner Kunstwerke zugehen lassen.
Das eine Päckchen ist aber schnell
gegangen. Dann werden ja die anderen auch bald eintreffen. Klarheit habe ich
allerdings noch nicht über alles, was angekommen ist. Ich habe folgende
Päckchen an Dich ab gesandt.
Am 21., 22. und 23.10 je zwei= sechs Päckchen.
Am 29. und 30. 10. je eins. Am 13.11. ein Päckchen, am 14. zwei und am 15.11.
fünf Päckchen, das sind zusammen 16 Päckchen. Kontrolliere doch bitte einmal
nach, was nun eingegangen ist. Da ich bisher kein Datum draufgeschrieben habe,
wird es schwer für Dich sein. Doch ich werde ja sehen, was Du schreibst.
In diesen Tagen werde ich von den
Lebensmitteln absenden. Ich wäre aber froh, wenn ich erst Klarheit über die
anderen Sachen habe. Ich werde die anderen Päckchen mit Datum versehe, die dann mit meinen Aufzeichnungen
übereinstimmen und eine Inhaltsangabe werde ich auch mit senden.
Ein wunderbarer Sternhimmel ist wieder
heute Abend. Der große Wagen und der Orion sind herrlich zu sehen. Es ist dazu
angetan, recht an Dich und an Euch zu denken.
Eine Kleinigkeit habe ich Dir wieder
gekauft, aber die verrate ich Dir auch nicht, damit Du Dich beherrschen kannst.
Dies sehe ich schon daraus, daß Du das Päckchen mit dem Vermerke „nicht öffnen“ schon beiseite gelegt hast. Das
freut mich.
Jetzt möchte ich aber Schluß machen, denn
ich fürchte, es wird Dir langsam zuviel werden. Schlafe gut mein liebes Mädel,
gute Nacht. Sei recht herzlich und vielmals gegrüßt. Besonders viele Küsse
sendet Dir Dein Ernst.
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